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Die Wurzburger Lugensteine auch Beringersche Lugensteine genannt sind gefalschte Fossilien aus Kalkstein des mainfrankischen Muschelkalks Sie wurden 1725 in erheblicher Anzahl von dem Wurzburger Professor Johann Beringer 1667 1738 gefunden Es handelt sich um eine der bekanntesten Fossilfalschungen in der Geschichte der Palaontologie Wurzburger Lugensteine im niederlandischen Teylers Museum Inhaltsverzeichnis 1 Erwerb 2 Objekte 3 Veroffentlichung 4 Folgen 5 Trivia 6 Siehe auch 7 Literatur 7 1 Primarliteratur 7 2 Sekundarliteratur 8 Weblinks 9 EinzelnachweiseErwerb BearbeitenBeringer war Doktor der Medizin und der Philosophie sowie Leibarzt des Furstbischofs von Wurzburg Wie alle Mediziner dieser Zeit die auch mit einer Tatigkeit als Naturforscher beauftragt waren hatte er die drei Reiche der Natur Tiere Pflanzen Mineralien Steine zum Nutzen der Menschheit zu sammeln und zu untersuchen Die damaligen Mediziner korrespondierten miteinander und tauschten ihre Naturalien untereinander aus Am 31 Mai 1725 wurden ihm von drei Jugendlichen mehrere dieser neuen sonderbaren Steine aus Kalkstein zugetragen Die 14 17 und 18 Jahre alten Uberbringer behaupteten die Steine an einem Weinberg bei Eibelstadt gefunden zu haben Beringer war zunachst misstrauisch grub bei einem Besuch des Fundorts jedoch selbst solche Steine aus und beauftragte daher die Jugendlichen weitere Grabungen vorzunehmen Nach Beringers eigenen Angaben wurden in den folgenden sechs Monaten ungefahr 2000 Stucke ausgegraben und von ihm fur mehr als dreihundert Reichstaler erworben Auf der Basis der einzigartigen Funde plante Beringer in Wurzburg ein neues Naturalienkabinett einzurichten das er offentlich zugangig machen wollte Objekte Bearbeiten nbsp Drei Lugensteine ausgestellt im Senckenberg Naturmuseum FrankfurtDie Steine zeigten Unerhortes Pflanzen und diverse versteinerte Tiere zum Beispiel eine Fledermaus mit Flugeln und eine Riesenmilbe die gerade eine Fliege gefangen hat ferner eine Spinne im Netz und eine Biene im Anflug auf eine Blute Andere Steine enthielten hebraische Schriftzeichen die das Tetragramm ergaben geschweifte Sterne und andere sonderbare kosmologische Zeichen Manche dieser Steine weisen aus heutiger Sicht geradezu humoristische Motive auf wie beispielsweise kopulierende Frosche oder Fliegen Die Frosche sind dabei nicht als Skelett gestaltet sondern erinnern an naive Relief Arbeiten Viele Insekten sind zu sehen darunter eine versteinerte Made die genau in eine Bohrung im Gestein passt sowie Wirbeltiere die aus einem Loch aus dem Stein hervorschauen Heute wirken die Falschungen plump und lacherlich Da jedoch in der damaligen Zeit gerade erst die blosse Existenz von Fossilien bekannt und eine Fossilisationslehre nicht entwickelt war erklart sich weshalb zunachst nicht alle Falschungen erkannt wurden So wurde Beringer neben versteinerten Skeletten auch die Versteinerung eines vollstandig erhaltenen Korpers vorgelegt Veroffentlichung BearbeitenBeringer selbst glaubte zunachst an die Echtheit der von ihm Figurensteine genannten Funde und kundigte am 4 Oktober 1725 in den Leipziger Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen eine Veroffentlichung an Wahrend der Abfassung seines Werkes erkannte Beringer dass einzelne Objekte gefalscht waren weswegen er auf deren Abbildung und Beschreibung noch wahrend der Abfassung seines Werkes wieder verzichtete 1726 erschienen die von ihm erworbenen Steine in einem aufwendig gestalteten Buch womit sich der spatere Anatomie und Chirurgieprofessor Georg Ludwig Huber 1 promoviert hatte mit dem Titel Lithographiae Wirceburgensis specimen primum in dem er die Funde mit detailgenauen Zeichnungen auf 21 Kupferstichen katalogisierte und gemeinsam mit echten Fossilien beschrieb Ferner beschrieb er die Fundstelle und erorterte wie die Funde nicht entstanden sein konnten Da er keine Antwort auf die Frage nach ihrer Entstehung hatte bat er in seinem Werk Fachgelehrte sich ebenfalls der Aufklarung dieser Frage zu widmen Beringer glaubte die Steine wurden die Theorie der vis plastica verifizieren die der persische Gelehrte Avicenna im 11 Jahrhundert aufgestellt hatte Danach waren alle in der Natur aufzufindenden Formen von Lebewesen als plastische Modelle in Stein prafiguriert 2 Folgen BearbeitenBeringer erkannte erst gegen Ende 1732 den Betrug ein Stein trug seinen Namenszug kurz vor Herausgabe seines zweiten Bandes der daraufhin nicht mehr erschien Er versuchte im Folgenden die gesamte Auflage seines Werks zuruckzukaufen und liess viele in seinem Besitz befindliche Exemplare vernichten Sein wissenschaftlicher Ruf wurde durch den Betrugsversuch jedoch nicht ruiniert und er lehrte bis zu seinem Tode im April 1738 an der medizinischen Fakultat in Wurzburg weiter Nach Beringers Tod wurde der Restbestand seines Werkes von einer Leipziger Bibliothek gekauft und mit neuem Titel 1767 herausgegeben Bis heute sind ca 600 Exemplare der uber 2000 gesammelten Lugensteine nachweisbar bzw erhalten Sie befinden sich u a in der Universitatsbibliothek Wurzburg im Wurzburger Mainfrankischen Museum im Naturkunde Museum Bamberg im Naturalienkabinett Waldenburg im Teylers Museum zu Haarlem und in der Bayerischen Staatssammlung fur Palaontologie und historische Geologie in Munchen Auch der Dichter Eduard Morike sowie der Erbauer der Wurzburger Residenz Balthasar Neumann besassen seinerzeit solche Steine Diese Steine hatte Beringer teils selbst seinen Kollegen mit denen er korrespondierte zur Beurteilung geschickt andere wurden weitergereicht Aus Vernehmungsprotokollen geht hervor dass Beringer mehrere nachgemachte Artefakte Bildsteine von zwei Wurzburger Kollegen untergeschoben wurden von dem ehemaligen Jesuiten Ignatz Roderique inzwischen Professor fur Geographie Algebra und Analysis sowie von Johann Georg von Eckhart Geheimer Rat und Hof und Universitatsbibliothekar Die beiden wollten unterstutzt durch einen Christian Zanger 3 aus Eibelstadt auf diese Weise Beringer davon uberzeugen dass die Eibelstadter Burschen diese wegen des Geldes gemacht haben konnten Roderique hatte den Protokollen zufolge die Figuren in Eckharts Wohnung ausgemeisselt der 17 jahrige Jugendliche hatte diese anschliessend mit feinem Schleifpulver geglattet Die Lugensteine wurden selbst zu begehrten Sammelobjekten zum Beispiel erwarb Eduard Morike einige die selbst gefalscht wurden 4 Trivia BearbeitenEduard Morike verarbeitete den Steinkauf in seinem Gedicht Quittung 5 Siehe auch BearbeitenBetrug und Falschung in der WissenschaftLiteratur BearbeitenPrimarliteratur Bearbeiten Johannes Bartholomaus Adam Beringer Lithographiae Wirceburgensis ducentis lapidum figuratorum a potiori insectiformium prodigiosis imaginibus exornatae specimen primum Wurzburg 1726 online englische Ubersetzung Melvin E Jahn Daniel J Woolf The lying stones of Dr Johann Bartholomew A Beringer being his Lithographia Wirceburgensis Berkeley Los Angeles 1963 Deutsche Ubersetzung Herbert Vossmerbaumer Heide Vossmerbaumer Privatdruck 1988 nach der Ubersetzung von Jahn und Woolf 1963 ins Englische abgedruckt auch in Naturwissenschaftliches Jahrbuch Schweinfurt Band 7 1989 Sekundarliteratur Bearbeiten Martin Doll Monstrose Gegenstande Uber Falschungen als Erkenntnisobjekte im zweifachen Sinne In Zeitschrift fur Kulturwissenschaften Nr 1 Bielefeld 2007 S 39 51 ISSN 2197 9103 Martin Doll Falschung und Fake Zur diskurskritischen Dimension des Tauschens Kadmos Kulturverlag Berlin 2012 ISBN 978 3 86599 140 9 S 77 105 Hans Franke Die Wurzburger Lugensteine Tatsachen Meinungen und Lugengespinste uber eine der beruhmtesten geologischen Spottfalschungen des 18 Jahrhunderts Schoningh Wurzburg 1991 Melvin E Jahn Daniel J Wolf The lying stones of Dr Johann Bartholomew A Beringer being his Lithographia Wirceburgensis Berkeley Los Angeles 1963 Heinrich Kirchner Die Wurzburger Lugensteine im Lichte neuer archivalischer Funde In Zeitschrift der Deutschen Geologischen Gesellschaft Band 87 1935 S 607 615 und Tafel 30 Dieter Mempel grebss grotten frosch und anderes mehr Prof Beringer und die Wurzburger Lugensteine im Spiegel zeitgenossischer Quellen In Peter Mainka Johannes Schellakowsky Peter A Suss Hrsg Aspekte des 18 Jahrhunderts Studien zur Geistes Bildungs und Verwaltungsgeschichte in Franken und Brandenburg Preussen Freunde Mainfrankischer Kunst Wurzburg 1996 Mainfrankische Studien Band 60 S 19 41 Andreas Mettenleiter Das Juliusspital in Wurzburg Band III Medizingeschichte Herausgegeben vom Oberpflegeamt der Stiftung Juliusspital Wurzburg anlasslich der 425jahrigen Wiederkehr der Grundsteinlegung Stiftung Juliusspital Wurzburg Wurzburg 2001 ISBN 3 933964 04 0 S 41 42 und 392 Birgit Niebuhr Gerd Geyer Beringers Lugensteine 493 Corpora Delicti zwischen Dichtung und Wahrheit Beringeria Wurzburger geowissenschaftliche Mitteilungen Sonderheft 5 Teil II Hrsg von Freunde der Wurzburger Geowissenschaften Wurzburg 2005 ISSN 0937 0242 mit einem Inventar aller bekannten Lugensteine Birgit Niebuhr Beringers Lugensteine von 1725 Ein Nachtrag In Beringeria Wurzburger geowissenschaftliche Mitteilungen Band 37 2007 S 105 119 ISSN 0937 0242 mit einem Nachtrag zum Inventar aller bekannten Lugensteine Birgit Niebuhr Wer hat hier gelogen Die Wurzburger Lugenstein Affaire In Fossilien Nr 1 2006 S 15 19 PDF Memento vom 13 September 2014 im Internet Archive 886 kB Anne Kathrin Reulecke Falschung am Ursprung Johann Beringers Lithographiae Wirceburgensis 1726 und die Erforschung der naturlichen Welt In Trajekte Zeitschrift des Zentrums fur Literaturforschung Berlin 7 2003 S 39 44 ISSN 1616 3036 Petra Hubmann Johannes Bartholomaus Adam Beringer 1670 1738 ein katholischer Naturforscher und Fruhaufklarer als Beispiel fur die Professionalisierung des akademischen philosophioschen Mediziners im fruhen 18 Jahrhundert Dissertation Fachbereich Humanwissenschaften der Technischen Universitat Darmstadt 2010 Wilhelm Simonis Zur Entwicklung der Wurzburger Botanik In Peter Baumgart Hrsg Vierhundert Jahre Universitat Wurzburg Eine Festschrift Degener amp Co Gerhard Gessner Neustadt an der Aisch 1982 Quellen und Beitrage zur Geschichte der Universitat Wurzburg Band 6 ISBN 3 7686 9062 8 S 601 627 hier S 603 f Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Wurzburger Lugensteine Sammlung von Bildern Videos und Audiodateien LITHOGRAPHIAE WIRCEBURGENSIS ducentis lapidum figuratorum a potiori insectiformium prodigiosis imaginibus exornatae specimen primum Beitrag vom 1 April 2011 auf Land of the Dead dem Palaontologie Blog von Dan Chure englisch Einzelnachweise Bearbeiten Henning Barmig Die Personalbibliographien der an der Medizinischen Fakultat der Alma Mater Julia zu Wurzburg von 1582 bis 1803 lehrenden Professoren mit biographischen Angaben Medizinische Dissertation Friedrich Alexander Universitat Erlangen Nurnberg 1969 S 42 f Heinrich Zankl Falscher Schwindler Scharlatane Betrug in Forschung und Wissenschaft Wiley VCH Weinheim 2003 S 213 f Wilhelm Simonis Zur Entwicklung der Wurzburger Botanik In Peter Baumgart Hrsg Vierhundert Jahre Universitat Wurzburg Eine Festschrift Degener amp Co Gerhard Gessner Neustadt an der Aisch 1982 Quellen und Beitrage zur Geschichte der Universitat Wurzburg Band 6 ISBN 3 7686 9062 8 S 601 627 hier S 604 Eberhard Schnepf Falschungen nicht nur in unserer Zeit In Biologie in unserer Zeit Band 32 Nr 4 2002 S 248 Michaela Schneider Fake News aus Wurzburger Muschelkalk In Main Echo vom 27 September 2019 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Wurzburger Lugensteine amp oldid 235959168