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Das Valle Cravariola bis 1875 auch Alpe di Craverola 1 und bis 1967 auch Valle Cravairola 2 ist ein abgeschiedenes italienisches Tal Dort befinden sich mehrere Alpen Valle CravariolaBild gesucht BWLage Montecrestese Piemont ItalienGewasser Rio ColobiascaGebirge Pizzo del Forno 2695 m Pizzo dei Croselli 2709 m Pizzo Quadro 2793 m Geographische Lage 46 15 59 N 8 25 31 O 46 26627 8 42517 2793 Koordinaten 46 15 59 N 8 25 31 OValle Cravariola Piemont Hohe 1399 bis 2793 m u M Lange 5 kmNutzung AlmwirtschaftBesonderheiten Grenzkonflikt Italien Schweiz bis 1874 Das Tal stellt das obere Ende des Schweizer Tales Valle di Campo dar gehort politisch jedoch zu Italien Die Alpen liegen in der Nahe der Schweizer Ortschaft Campo und sind von Italien her schwer zu erreichen Das Tal war jahrhundertelang Gegenstand eines Grenzkonflikts zwischen Italien und der Schweiz 1874 wurde das Tal durch einen Schiedsspruch des Amerikaners George Perkins Marsh Italien zugesprochen Diese sogenannte Cravariola decision gilt als erstes erfolgreiches Beispiel eines internationalen Schiedsspruchs Inhaltsverzeichnis 1 Lage 2 Grenzkonflikt 2 1 Ausgangslage 2 2 Wahl des Schiedsrichters 2 3 Begehung 2 4 Auswertung 2 5 Argumente zu Gunsten der Schweiz 2 6 Argumentationen zu Gunsten Italiens 2 7 Schiedsspruch 2 8 Nachwirkungen 3 Siehe auch 4 Literatur 5 EinzelnachweiseLage BearbeitenDas Valle Cravariola hat eine Flache von etwa 18 km 3 4 und ist Teil der italienischen Gemeinde Montecrestese Orografisch gehort das Tal zum Schweizerischen Valle di Campo Der Rio Colobiasca fliesst via Rovana in die Maggia im Kanton Tessin Im Talkessel des Valle Cravariola befinden sich die Alpen Alpe Colobiasca Cuorte Nuova Alpe Groppo Alpe Stufa Corte Lama Corte rossa und Alpe Bosa Viele der Alphutten sind am Zerfallen 3 Die Alpen liegen bloss etwa 3 km vom schweizerischen Campo entfernt Die Distanz zum Siedlungskern von Montecrestese betragt etwa 10 km und der Weg fuhrt uber den 2256 m hohen Passo della Forcola Kurzer ist der Weg ins italienische Premia doch ist dafur der 2499 m hohe Passo della Fria oder der 2513 m hohe Passo del Groppo zu uberqueren Der Passo della Fria ist heute etwa 120 Meter unter dem Scheitel untertunnelt Der fur Fussganger und Vieh passierbare Tunnel ist 300 m lang 3 5 6 Grenzkonflikt Bearbeiten nbsp Louis Henri Delarageaz als eidgenossischer Oberst Foto von Elie Wolf Basel 1857 nbsp George Perkins Marsh Der amerikanische Botschafter in Rom fallte am 23 September 1874 den Schiedsspruch zu Gunsten von Italien Foto von Matthew Brady New York 1861 nbsp Eine Seite aus dem 23 seitigen englischen Manuskript von George Perkins Marsh zur Cravairola decision Bailey Howe Library University of Vermont nbsp Die Valle Cravariola auf der Schweizer Dufourkarte von 1875 Das Tal wird als schweizerisches Territorium dargestellt nbsp Die Valle Cravariola auf der Schweizer Dufourkarte von 1876 Aufgrund des Schiedsspruchs von 1874 wird das Tal als italienisches Territorium dargestellt Ausgangslage Bearbeiten Die Alpen des Valle Cravariola wurden jeweils von Ende Juni bis Anfang oder Mitte September bewirtschaftet Die Produkte der Alpwirtschaft wurden trotz der Beschwerlichkeiten uber die hohen Passe zu den italienischen Markten transportiert Gefalltes Holz jedoch wurde uber die Rovana und die Maggia also uber Schweizer Gebiet zum Lago Maggiore geflosst und gelangte so zu den Markten Der Konflikt um das Valle Cravariola geht zuruck bis ins Spatmittelalter Durch die Jahrhunderte wechselten die Konfliktparteien Im Mittelalter waren die Konfliktparteien die Dorfer Crodo und Campo Seit 1512 dem Jahr der Eroberung des Maggiatals durch die Eidgenossen waren die Konfliktparteien das Herzogtum Mailand und die Eidgenossenschaft Seit 1797 waren italienischerseits die Cisalpinische Republik und ihre Nachfolgestaaten Konfliktpartei schweizerseits seit 1803 der neu entstandene Kanton Tessin 1861 wurde das Konigreich Italien zum Verhandlungspartner Wegen der durch die Flosserei verursachten Zerstorung des Flussbetts der Rovana und damit einhergehenden starken Erosionen war die Flosserei allerdings 1859 schon verboten worden Grundsatzlich berief sich die Schweizer Seite in ihren Anspruchen durch all die Jahrhunderte auf die Wasserscheide als naturliche Grenzbildnerin Italien wiederum berief sich auf den jahrhundertealten urkundlich bestatigten italienischen Privatbesitz der Alpen Der 1848 gegrundete Schweizerische Bundesstaat hatte im 19 Jahrhundert mit mehreren Nachbarlandern Grenzkonflikte 1862 verlor die Schweiz auf Druck von Napoleon III das sieben Quadratkilometer grosse Dappental an Frankreich und 1868 gewann die Schweiz den 18 km grossen Novellaberg von Osterreich Offen blieb der Konflikt mit Italien um den hinteren Teil des Valle di Campo das Valle Cravariola 1868 unternahm der Waadtlander Louis Henri Delarageaz eine Begehung des Valle Cravariola von Crodo her kommend nach Campo Delarageaz war Nationalrat Artillerie Kommandant im Rang eines Divisionars und Landvermesser unter anderem im Rahmen der Vermessungen fur die Dufourkarte Im selben Jahr war Delarageaz auch Delegierter des Bundesrates fur die Grenzverhandlungen bei Poschiavo zwischen Italien und der Schweiz Wahl des Schiedsrichters Bearbeiten Auch wenn im Falle des Valle Cravariola ein realer Grenzkonflikt vorlag so hatten Italien und die Schweiz doch wie Marsh spater schriftlich festhielt sonst kaum Probleme miteinander The two States have happily few if any conflicting or even rival interests On the contrary there is a solidarity of interest between them Die beiden Staaten haben erfreulicherweise wenn uberhaupt dann nur wenige konflikttrachtige oder konkurrenzbeladene Interessen Im Gegenteil es herrscht ein Geist der Solidaritat zwischen den beiden George Perkins Marsh im Schiedsspruch vom 23 September 1874 So war es dann auch moglich dass sich eine italienisch schweizerische Kommission 1873 entschied den Grenzkonflikt durch ein Schiedsgericht regeln zu lassen Anfangs Juli 1874 wurde George Perkins Marsh von Italien und der Schweiz angefragt als Schiedsrichter uber die territoriale Zugehorigkeit der Valle Cravariola Marsh war seit 1861 US amerikanischer Gesandter beim Konigreich Italien Marsh war zu diesem Zeitpunkt zwar bereits 73 Jahre alt war ubergewichtig und litt regelmassig an Rheuma Andererseits wurde Marsh als US Amerikaner von beiden Seiten als neutral eingestuft war ein langjahriger erfahrener Diplomat und Experte fur Rechtsgeschichte Er war sprachlich gewandt und sprach fliessend Italienisch und Franzosisch Er hatte 1864 den Umweltschutzklassiker Man and Nature geschrieben 7 was ihn aufgrund der okologischen Aspekte der Causa Cravariola begunstigte Ausserdem war Marsh ein begeisterter Alpinist und so nahm er den Auftrag hochmotiviert an Begehung Bearbeiten Am 7 September 1874 fanden sich Marsh die Vertreter der beiden Lander sowie weitere Kommissionsmitglieder in Mailand ein Die ganze Gruppe von acht bis zehn Personen reiste am 8 September nach Crodo Am 9 September um funf Uhr morgens verliess die Gruppe Crodo 534 m u M und erreichte zu Fuss und auf Maultieren nach sieben Stunden den Pass Scatta dei Croselli 2463 m u M an der Wasserscheide Marsh beschrieb den Abstieg ins Valla Cravariola als beschwerlich Zitat Marsh among the worst paths I have ever travelled Die Durchschreitung des umstrittenen Territoriums in einer Breite von vier Kilometer dauerte viele Stunden so dass die Gruppe erst um 19 Uhr nach insgesamt 14 Stunden also im schweizerischen Campo eintraf Am 12 September waren die Inspektoren wieder zuruck in Mailand Marsh reiste nach Hause nach Florenz um die Begehung auszuwerten und den schriftlichen Schiedsspruch zu verfassen Auswertung Bearbeiten Aufgrund der Begehung gelangten die italienischen Vertreter ohne Marshs Bericht abzuwarten zum Angebot das Valle Cravariola abzutreten und die Wasserscheide als Grenze zu akzeptieren falls die Schweiz den italienischen Besitzern die Alpen abkaufen wurde Die Schweizer Vertreter lehnten diesen Vorschlag ab da schon 1873 beim Beschluss ein Schiedsgericht anzurufen festgelegt worden sei dass die privaten Grundbesitzverhaltnisse fur die staatliche Zuordnung des Territoriums keinen Einfluss haben sollen Aufgrund dieser Sackgasse reiste Marsh am 16 September 1874 nach Mailand zuruck In seinem Gepack befand sich umfangreiches historisches Vertragsmaterial welches bislang zumindest den Konfliktparteien unbekannt war In der darauffolgenden Woche integrierte er das Vertragsmaterial so dass der Bericht am 23 September 1874 fertig war Die Kommission wurde aufgelost und Marsh verliess Mailand um nach Hause zu gelangen Argumente zu Gunsten der Schweiz Bearbeiten Marsh hielt in seinem Bericht fest dass die Verwaltung des Tales von der Schweiz aus vorteilhaft ware da das Tal von dieser Seite her viel leichter zuganglich war Mit einer gezielten forstwirtschaftlichen Betreuung hatte die Verbuschung die damals wie man bei der Begehung unschwer feststellen konnte bereits weit fortgeschritten war aufgehalten werden konnen Die Holznutzung des Valle Cravariola erforderte dass das Wasser des Tales gestaut wurde und spater die Damme geoffnet wurden so dass das angestaute Wasser die gefallten Stamme durch das schweizerische Valle di Campo und durch das Maggiatal schwemmte Dieses unkoordinierte Flossen mit Hilfe von angestauten Wassermassen verursachte Schaden vor allem in der Gemeinde Campo Diese Flosstechnik schien sogar den Lago Maggiore und seine Schifffahrt zu beeintrachtigen Italien war aufgrund des sehr stark eingeschrankten Zugangs kaum in der Lage die Holznutzung und das Wassermanagement effizient zu gestalten Zudem wurde Italien eine geringe Motivation zugeschrieben den Unterlauf des Talbaches zu schutzen Immerhin war es den Schweizer Behorden aufgrund einer 1650 auf den Borromaischen Inseln beschlossenen Konvention vorbehalten zum Schutz der eigenen Flussbette das Flossen zu verbieten oder bei fortgesetztem Flossen das Holz zu beschlagnahmen Aus rechtlicher Sicht betrachteten die Schweizer Vertreter das Valle Cravariola als Teil des Valle Maggia und letzteres wurde durch die Eroberungen der Dreizehn Alten Orte von 1513 bzw durch den Vertrag von 1516 eidgenossisches Untertanenland Argumentationen zu Gunsten Italiens Bearbeiten Die italienischen Vertreter fuhrten vier Vertrage aus der Zeit von 1367 bis 1497 an alle also aus der Zeit vor der Eroberung durch die Eidgenossen Alle wiesen darauf hin dass das Valle Cravariola im Besitz und unter der Rechtsprechung von Crodo und nicht unter jener des Valle Maggia stand Verschiedene Vertrage und Berichte um 1550 beschaftigten sich mit der genauen Grenzsteinsetzung was impliziert dass es nicht um die Wasserscheide als Grenze ging Weitere Vertrage aus den nachfolgenden anderthalb Jahrhunderten deutete Marsh unterschiedlich mal zu Gunsten von Italien mal zu Gunsten der Schweiz 1641 erhob zwar der Schaffhauser Vogt uber das Maggiatal den ersten formellen eidgenossischen Souveranitatsanspruch uber das Valle Cravariola als das Tal schon seit Jahrhunderten im Besitz italienischer Burger war Abgesehen von diesen historischen Begrundungen gab es fur Marsh auch eine zukunftsgerichtete Begrundung Ware das Tal der Schweizer Verwaltung unterstellt worden und hatten wegen fehlender Entschadigungsmoglichkeiten die privaten italienischen Besitzverhaltnisse weiter bestanden wurde dies gemass Marsh zu endlosen Missgunsteleien Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten fuhren was dem Frieden und der Eintracht der beiden Lander schliesslich noch viel abtraglicher ware als die aktuelle ungluckliche Situation Im Ubrigen war die Wasserscheide als Grund fur eine Grenzziehung nach Marshs Meinung nicht universell gultig Auch das Onsernonetal etwa zehn Kilometer weiter sudlich war ohne dass dies als Grenzkonflikt betrachtet worden ware in der gleichen Art und Weise geteilt Schiedsspruch Bearbeiten Marsh stellte seinen Schiedsspruch am 23 September 1874 in Mailand fertig Ware eine Entschadigung der Besitzer der Alpen durch Geld oder Landabtausch moglich gewesen hatte sich Marsh fur eine Zuweisung des Valle Cravariola zur Schweiz entschieden nach dem Grundsatz der Pragmatik und dem maximalen Nutzen fur beide Lander Unter den gegebenen Umstanden jedoch und unter Berucksichtigung der jahrhundertealten Besitzverhaltnisse bis zum ersten offiziellen eidgenossischen Souveranitatsanspruch von 1641 entschied sich Marsh fur eine Zuweisung des Valle Cravariola ans Konigreich Italien Nachwirkungen Bearbeiten Die Verbreitung des Schiedsspruchs litt unter schlechten luckenhaften Ubersetzungen ins Italienische und Franzosische so dass in der modernen Forschung im Jahr 2004 der Versuch unternommen wurde den ursprunglichen Text aufgrund von Marshs Manuskripts wiederherzustellen Marshs Schiedsspruch war zwar nicht der erste Schiedsspruch in einer territorialen Frage Doch er gilt als der erste erfolgreiche Schiedsspruch dieser Art Marsh selber bekam im Mai 1875 einen Artikelentwurf fur eine Schweizer Zeitung in die Hande Er war so erbost uber die schlechte Ubersetzung und die grotesken Verdrehungen dass er darauf bestand dass der Artikel schliesslich nicht publiziert wurde Der Schiedsspruch hat im Schweizer Geschichtsbewusstsein nicht denselben Bekanntheitsgrad erlangt wie zum Beispiel die Dappentalfrage oder die Grenzziehung im oberen Valle Onsernone Die Erosion der Rovana blieb auch nach dem Schiedsspruch ein Thema So ist zum Beispiel die Kirche von Campo zwischen 1892 und 1979 seitlich um 26 80 m gerutscht und hat sich dabei um 6 20 m gesenkt Seit 1999 fuhrt ein 1810 Meter langer Drainagetunnel bis zu 300 Kubikmeter Wasser pro Sekunde ab so dass die Erosion unterhalb von Cimalmotto und Campo stark vermindert werden kann Siehe auch BearbeitenListe von historischen TerritorialstreitigkeitenLiteratur BearbeitenFrancesco Scaciga Della Silva Della territorialita e della proprieta dell Alpe Cravariola 1870 Neuauflage 2004 ISBN 978 88 86723 06 0 Der Autor war Advokat sowie Gemeindeprasident von Crodo David Lowenthal Marsh at Cravairola Boundary Making in the Italo Swiss Alps Environment and History 10 no 2 2004 PDF 1201 kB Einzelnachweise Bearbeiten Dufourkarte Siegfriedkarte a b c Landeskarte der Schweiz Georg P Marsh beziffert die Flache mit 4500 acres Ausgehend von einer Genauigkeit von 50 Acres ergibt sich eine Flache von 18 0 bis 18 4 km Tunneleingang auf 2 radler ch abgerufen am 25 Juni 2015 Tunnelinneres auf escursionando it abgerufen am 25 Juni 2015 George Perkins Marsh Man and Nature or Physical Geography as Modified by Human Action 1864 Neuauflage 2013 ISBN 978 1 230 31715 1 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Valle Cravariola amp oldid 236355653