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Die Systemtheorie des Rechts ist eine soziologische Theorie des Rechtssystems Sie ist eine unter dem Einfluss der soziologischen Systemtheorie entstandene jungere Entwicklung in der Rechtstheorie die das Verhaltnis von Recht und Gesellschaft im Sinne einer gesellschaftstheoretischen Reflexion des Rechts untersucht 1 Im Zusammenhang mit der Globalisierung befasst sich die Systemtheorie des Rechts ausserdem mit den verschiedenen staatlichen und nicht staatlichen Rechtsordnungen in der Weltgesellschaft Diese werden als Teile eines globalen Rechtssystems verstanden in dem jede Teil Rechtsordnung eine Regulierungsaufgabe erfullt die keine andere allein ubernehmen kann und die in Wechselwirkung zueinander stehen 2 Die Systemtheorie greift sowohl konzeptionell als auch begrifflich auf kybernetische Modelle zuruck sowie auf Modelle zur Beschreibung biologischer Systeme die vor allem zur abstrakten Beschreibung von Leben vom Fliessgleichgewicht beim Stoffwechsel oder in okologischen Modellen Verwendung gefunden haben Die Hauptstromung charakterisieren die Konzepte von Niklas Luhmann und Gunther Teubner es finden sich aber auch andere systemtheoretische Einflusse Weitere wichtige Beitrage kommen von Gralf Peter Calliess Andreas Fischer Lescano Werner Krawietz Dan Wielsch und Thomas Vesting Inhaltsverzeichnis 1 Recht als soziales System 2 Autopoiesis des Rechtssystems 3 Strukturelle Kopplungen des Rechtssystems 4 Funktion des Rechts 5 Kritik an der Systemtheorie 6 Literatur 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseRecht als soziales System BearbeitenDie Systemtheorie beobachtet ausnahmslos alles Beobachtbare den Beobachter eingeschlossen als Systeme unterschiedlicher Grosse Struktur und Komplexitat Ein System ist konstituiert durch die Unterscheidung die sog Leitdifferenz von System Umwelt d h von innen und aussen Systeme reagieren nach den ihnen jeweils eigenen Strukturen auf die von ihnen rezipierten Umweltreize d h Informationen mit einer Zustandsanderung ihrer selbst Diese Zustandsanderung wiederum kann von einem anderen System dessen Umwelt ja auch das vorgenannte System ist als Umweltreiz Information rezipiert werden und wird damit von diesem in eine Zustandsanderung umgesetzt Die jeweils eine Systemart ist notwendige Umwelt der jeweils anderen Personen konnen nicht ohne soziale Systeme entstehen und bestehen und das gleiche gilt umgekehrt 3 Diese operationelle Geschlossenheit bei gleichzeitiger informationeller Offenheit wird in der Tradition der Kybernetik durch zwei Konzepte beschrieben das der Autopoiesis und das der strukturellen Kopplung einen Spezialfall des letzteren benannte Luhmann die Interpenetration Demnach entsteht ein autopoietisches System dann und besteht nur so lange wie selbstreferenzielle Operationen stattfinden deren emergente Strukturen sind das System Beispiel Gesellschaft besteht nur in der Kommunikation vgl eine biologische Zelle besteht im Leben Strukturell gekoppelt sind Systeme wenn das eine System fahig ist die Operation eines anderen Systems als Umweltreiz informationell wahrzunehmen Beispiel Das Gehor reagiert auf Schallwellen in der physikalischen Umwelt Das Rechtssystem reagiert auf eine Person die sich als Klager an es wendet Die grundlegende Operation die alle gesellschaftlichen Systeme von nicht gesellschaftlicher Umwelt differenziert ist Kommunikation verstanden als Einheit von Mitteilung Information Sinngehalt und Verstehen Die Gesamtheit aller Kommunikationen ist systemtheoretisch die Gesellschaft Kein Mensch kann kommunizieren im Sinne von Kommunikation vollenden ohne dadurch Gesellschaft zu konstituieren aber das Gesellschaftssystem selbst ist eben deshalb nicht kommunikationsfahig Es kann keinen Adressaten ausserhalb seiner selbst finden 4 Die Systemtheorie des Rechts erfasst das Rechtssystem als Gesamtheit aller rechtlichen Kommunikationen also aller Kommunikationen die der Leitdifferenz rechtmassig nicht rechtmassig folgen d i Kommunikation die Rechtsgeltung postuliert Autopoiesis des Rechtssystems BearbeitenDas Recht wird danach als Subsystem der Gesellschaft neben anderen Subsystemen wie Wirtschaft Politik Erziehung Religion etc verstanden die sich anhand einer spezifischen Funktion fur die Gesellschaft historisch ausdifferenziert haben d h sich in ihren Operationen gegenuber anderen Systemen verselbststandigt haben Autopoiesis des Rechts bedeutet dass keine rechtliche Information ihre Normativitat aus der Umwelt beziehen kann sondern Geltung immer nur von Rechtskommunikation zu Rechtskommunikation weitergegeben werden kann Dieser selbstreferentielle Verweis erfolgt in den Strukturen des konkreten Rechtssystems uber Rechtstexte Rechtsdiskussionen juristische Literatur und Konventionen etc Diese Strukturen wurden wiederum selbst durch Rechtsoperationen hergestellt in dem sie erlassen geschrieben angewandt kommentiert erinnert vergessen bestritten interpretiert reformiert abgeschafft neuformuliert etc worden sind Rechtsstruktur und Rechtsoperation stehen also in einem zirkularen Referenzzusammenhang und produzieren sich gegenseitig In diesem Sinn erhalt sich das System selbst Strukturelle Kopplungen des Rechtssystems BearbeitenDiese operationelle Abgeschlossenheit bedeutet aber nicht dass sich das Rechtssystem los lost von den Akteuren Betroffene Juristen Politiker etc Im Gegenteil ist seine Existenz bedingt durch die informationelle Offenheit gegenuber dieser Umwelt So werden erst durch das wechselseitige Bestehen der Systeme Person und Rechtssystem uberhaupt Rechtsoperationen Klagen Beantragen Schreiben eines juristischen Lehrbuchs etc und damit als emergente Struktur Recht moglich Auch das individuelle Gewissen ein Subsystem der Psyche hat also in der Systemtheorie einen eigenen Platz Andere gesellschaftliche Systeme wie etwa Politik Wirtschaft Wissenschaft Moral etc weisen strukturelle Kopplungen mit dem Recht auf Beispielsweise ist im Verfassungsrechtssystem die Politik vermittels eines Parlaments als Gesetzgeber an das Rechtssystem strukturell gekoppelt Ein weiteres Beispiel ware das Wirtschaftssystem das beim Tauschakt am Markt strukturell an den Kaufakt im Zivilrechtssystem gekoppelt ist Und im Gerichtssaal in dem Anwalte und oder Richter mit dem Banner der Gerechtigkeit argumentieren ist das Rechtssystem mit der Moral strukturell gekoppelt Luhmann bezeichnet gewisse strukturelle Kopplungen als Interpenetration von Systemen wenn die Kopplung aus einer Gleichursprunglichkeit der Systeme entstanden ist Zum Beispiel haben sich Staat und Kirche erst mit Beginn der Neuzeit als Unterschiedenes ausdifferenziert Bis heute weiter bestehende Kopplungen z B das Staatskirchenrecht sind daher Interpenetrationen von Recht und Religion Dabei erfullen die strukturellen Kopplungen die Aufgabe Komplexitat in reduzierter Form anderen Systemen zur Verfugung zu stellen Diese Art der Arbeitsteilung ermoglicht erst die Entwicklung hochkomplexer Systeme aus einer Vielzahl einfachkomplexer Systeme Funktion des Rechts BearbeitenEine komplexe offene Gesellschaft eroffnet dem einzelnen eine Vielzahl von Handlungsalternativen Zur Aufrechterhaltung einer funktionierenden Gesamtgesellschaft bedarf es daher vorhersehbarer bindender Verhaltensgrundsatze Diese Leistung erbringt ein darauf spezialisiertes Teilsystem der Politik namlich das Rechtssystem Nach Luhmann ist das Rechtssystem ein dem politischen nachgeschaltetes System mit der Funktion der Legitimation und Durchsetzung der im politischen System im Wege der Gesetzgebung erarbeiteten generellen Entscheidungen und der Absorption von Konflikten die in einzelnen Gerichtsverfahren verbindlich entschieden werden 5 6 Luhmann weist dem Recht somit einen teleologischen Eigenzweck Stabilisierung zu 7 Funktion des Rechts ist bei rechtlichen Fragen zu unterscheiden ob es sich um Recht oder Unrecht handelt 8 und damit Kontingenz zu koordinieren und zu bewaltigen 9 Das Recht gewahrleistet damit personliche Freiheit und schrankt sie zugleich zugunsten aller wieder ein 10 Kritik an der Systemtheorie BearbeitenEin Kritikpunkt der gegen das Recht als reines Kommunikationssystem erhoben wird geht dahin dass diese Theorie im Widerspruch zur sozialen Wirklichkeit nur Kommunikationsstrome als Systemelemente akzeptiere und damit fur Akteure und ihre Handlungen keinen Platz habe Rechtliche Kommunikation konne nur auf solchen Systemoperationen aufbauen die schon zum System gehorten operative Geschlossenheit Sie reagiere nicht auf Kommunikationen die einem anderen System angehore z B Bestechungsgeld 11 oder Lobbyismus Die These von der autopoietischen Eigenstandigkeit des Rechtssystems musse zugunsten seiner politischen Fundierung aufgegeben werden 12 Die Annahme der Autopoiesis bedeute zudem einen Kreisprozess der eine Letztbegrundung des Rechts unmoglich mache Recht konne sich danach nur unter Verweis auf sich selbst legitimieren Dieses Manko versucht Jurgen Habermas mit der Diskurstheorie des Rechts zu uberwinden 13 Die Systemtheorie leugnet sowohl die historische Entwicklung des Rechts als auch seine Bezuge zum uberpositiven Naturrecht etwa in der Praambel des Grundgesetzes oder der Radbruch schen Formel Gunther Teubner und Helmut Willke leiten aus Luhmanns Idee der autopoietischen Geschlossenheit sozialer Systeme die Unfahigkeit der Politik und des Rechts zur Steuerung der anderen Funktionssysteme der Gesellschaft insbesondere der Wirtschaft ab 14 Die Steuerungsfahigkeit des Rechts wird auch angesichts zunehmender gesellschaftlicher Komplexitat einer Kritik der Staatsaufgaben Deregulierung sowie im Hinblick auf die Gewahrleistung innerer Sicherheit in Frage gestellt 15 16 17 Laut Klaus F Rohl verdunkele der systemtheoretische Sprachstil die Zusammenhange eher als sie zu erhellen Daraus wuchsen gelegentlich Stilbluten die als Zitat ohne Kontext fur eine Satire gut seien 18 Literatur BearbeitenAnthony D Amato International Law as an Autopoetic System In Rudiger Wolfrum Volker Roben Hrsg Developments of International Law in Treaty Making Springer Berlin Heidelberg New York 2005 ISBN 3 540 25299 1 S 335 399 Reinhard Damm Systemtheorie und Recht Zur Normentheorie Talcott Parsons Duncker und Humblot Berlin 1976 ISBN 3 428 03621 2 Thomas Huber Systemtheorie des Rechts Die Rechtstheorie Niklas Luhmanns Nomos Baden Baden 2007 ISBN 978 3 8329 2483 6 Niklas Luhmann Die Einheit des Rechtssystems In Rechtstheorie 1983 129 Niklas Luhmann Die Codierung des Rechtssystems In Rechtstheorie 1986 171 Niklas Luhmann Das Recht der Gesellschaft Suhrkamp Frankfurt am Main 1995 ISBN 3 518 28783 4 Kolja Moller Systemtheorie des Rechts Teubner und Luhmann In Sonja Buckel Ralph Christensen Andreas Fischer Lescano Hrsg Neue Theorien des Rechts 3 Auflage Mohr Siebeck utb Tubingen 2020 ISBN 978 3 8252 5325 7 S 47 65 Erste Auflage Gralf Peter Calliess Systemtheorie Luhmann Teubner In Sonja Buckel Ralf Christensen Andreas Fischer Lescano Hrsg Neue Theorien des Rechts Lucius und Lucius Stuttgart 2006 ISBN 3 8282 0331 0 S 57 75 Gunther Teubner Recht als autopoietisches System Suhrkamp Frankfurt am Main 1989 ISBN 3 518 57982 7 Gunther Teubner Globale Bukowina Zur Emergenz eines transnationalen Rechtspluralismus In Rechtshistorisches Journal 15 1996 S 255 290 Thomas Vesting Kein Anfang und kein Ende Die Systemtheorie des Rechts als Herausforderung fur Rechtswissenschaft und Rechtsdogmatik In Jura 2001 S 299 305 Thomas Vesting 4 System II Luhmann In Rechtstheorie C H Beck Munchen 2007 ISBN 978 3 406 56326 3 S 57 76 Weblinks BearbeitenKlaus Eder Die Autoritat des Rechts eine soziale Kritik prozeduraler Rationalitat Zeitschrift fur Rechtssoziologie 1987 S 193 230 Samuel Klaus De Regulierung Eine juristische Begriffsanalyse unter Einbezug der Systemtheorie Norderstedt 2007 ISBN 978 3 8334 9272 3Einzelnachweise Bearbeiten Jochen Bung Systemtheorie des Rechts in Eric Hilgendorf Jan C Joerden Hrsg Handbuch Rechtsphilosophie J B Metzler Stuttgart 2017 S 264 270 Lars Viellechner Verfassung als Chiffre Zur Konvergenz von konstitutionalistischen und pluralistischen Perspektiven auf die Globalisierung des Rechts ZaoRV 2015 S 233 250 ff Niklas Luhmann Soziale Systeme 1983 S 92 Niklas Luhmann Die Einheit des Rechtssystems In Rechtstheorie 1983 129 S 137 Klaus F Rohl Niklas Luhmanns Rechtssoziologie Rechtssoziologie online de 9 abgerufen am 23 September 2017 Systemtheorie Niklas Luhmann 122 Veranstaltung der Humboldt Gesellschaft am 19 August 2001 Niklas Luhmann Ausdifferenzierung des Rechts Suhrkamp 1999 ISBN 978 3 518 29018 7 Alban Knecht Ist das Recht recht Recht und Legitimation im 18 Jahrhundert und heute 2004 S 4 Niklas Luhmann Kontingenz und Recht Rechtstheorie im interdisziplinaren Zusammenhang hrsg und mit einem Nachwort versehen von Johannes F K Schmidt Suhrkamp 2013 ISBN 978 3 518 58602 0 Horst Potzsch Funktionen des Rechts bpb 15 Dezember 2009 Klaus F Rohl Das Recht als autopoietisches System Rechtssoziologie online de 70 Stand Januar 2011 Eckard Bolsinger Autonomie des Rechts Niklas Luhmanns soziologischer Rechtspositivismus Eine kritische Rekonstruktion PVS 2001 S 3 29 Alban Knecht Ist das Recht recht Recht und Legitimation im 18 Jahrhundert und heute 2004 S 11 f Gunther Teubner Helmut Willke Kontext und Autonomie Zeitschrift fur Rechtssoziologie 1984 Oliver Lepsius Steuerungsdiskussion Systemtheorie und Parlamentarismuskritik Mohr Siebeck 1999 Goggle Book Jorg Bogumil Staatsaufgaben im Wandel ohne Jahr abgerufen am 23 September 2017 Sven Opitz An der Grenze des Rechts Inklusion Exklusion im Zeichen der Sicherheit Memento des Originals vom 23 September 2017 im Internet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot www velbrueck wissenschaft de Velbruck Wissenschaft Weilerswist 2012 Klaus F Rohl Das Recht als autopoietisches System Rechtssoziologie online de 70 Stand Januar 2011 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Systemtheorie des Rechts amp oldid 212515724