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Die Diskurstheorie des Rechts stellt als eine moderne Rechtsphilosophie eine Anwendung der Annahmen Regeln und Prinzipien der allgemeinen Diskurstheorie auf den Bereich des Rechtssystems dar Sie ist ein Versuch die Schwachen der autopoiesischen Systemtheorie zur Begrundung moralischer und demokratischer Legitimitat des geltenden Rechts zu uberwinden Die Diskurstheorie stellt in der Annahme richtigen Rechts auf dessen Entstehung durch ein bestimmtes Verfahren den rationalen Diskurs ab Sie findet daher auch die Bezeichnung als prozedurale Rechtstheorie und ist materialen das heisst natur und vernunftrechtlichen und formalen in der Regel rechtspositivistischen Gerechtigkeitstheorien gegenuber als eigenstandiger Entwurf zu betrachten Sie wurde massgeblich entwickelt von Jurgen Habermas und Robert Alexy Inhaltsverzeichnis 1 Allgemeine Diskurstheorie 2 Konsenstheorie der Wahrheit 3 Normbegrundung durch Diskurs 4 Juristischer Diskurs 5 Gegenpositionen 6 Literatur 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseAllgemeine Diskurstheorie BearbeitenGrundlegend fur die Diskurstheorie in all ihren Ausformungen ist ein bestimmtes Verstandnis von Sprache und Verstandigung wie es Habermas in seiner Theorie des kommunikativen Handelns entwickelt hat Den Diskurs hat Habermas in fruhen Schriften beschrieben Charakterisiert ist er durch eine handlungsentlastete zwangsfreie Ausserungssituation in der mit den sprachlichen Mitteln der Alltagskommunikation Uberprufungen Beratungen und letztlich auch Veranderungen vorgenommen werden konnen Der Diskurs widmet sich dabei der Wahrheit einer Aussage der Richtigkeit der dafur unterstellten Normen und der Wahrhaftigkeit der dabei Beteiligten 1 Danach wird zwischen kommunikativem Handeln in Form regelmassig verstandigungsorientierter Ausserungen sogenannten Sprechakten und strikt eigeninteressiertem strategischen Handeln unterschieden Nach diesem Verstandnis verhalt sich das strategische Handeln zum kommunikativen Handeln das den Originalmodus des Sprechens darstellt parasitar Im kommunikativen Handeln erhebt ein Sprecher regelmassig Geltungsanspruche die je nach Aussage als solche der propositionalen Wahrheit der normativen Richtigkeit und der subjektiven Wahrhaftigkeit erscheinen und auf das Einverstandnis seines Gegenubers abzielen Wird dieses Ziel verfehlt wird also kein Einverstandnis erreicht so ist dies Ausgangspunkt fur den Diskurs der die einerseits erhobenen und andererseits kritisierten Geltungsanspruche problematisiert und als Berufungsinstanz des kommunikativen Handelns fungiert Der Diskurs gewahrleistet die Moglichkeit eines Konsenses durch die ihn konstituierenden Bedingungen die unausweichlich sprachnotwendig von jedem der Teilnehmer anerkannt werden Sie wurden versuchsweise in Diskursregeln formuliert und zielen auf die Herstellung einer idealen Sprechsituation ab in der nichts weiter herrscht als der Zwang des besseren Arguments und das Motiv der kooperativen Wahrheitssuche Konsenstheorie der Wahrheit BearbeitenMit der Moglichkeit eines Konsenses unter dem Motiv der kooperativen Wahrheitssuche verbindet sich bei Habermas ein unter dem Stichwort Konsensustheorie der Wahrheit ausgefuhrter Wahrheitsbegriff dessen Kriterium fur die Wahrheit einer Aussage die potentielle Zustimmung aller anderen in einem herrschaftsfreien Diskurs ist Wahrheit ist insofern intersubjektiver Konsens In Rekonstruktion von Teilen des klassischen Vernunftsrechts wird nicht mehr auf die Vernunft der einzelnen sondern auf eine sich aus der idealen Sprechsituation heraus entfaltende kommunikative Vernunft abgestellt Normbegrundung durch Diskurs Bearbeiten Hauptartikel Legitimation durch Verfahren Hauptartikel Diskursethik In Ubertragung dieser Grundsatze auf das Gebiet des Rechts stellt sich Recht dann als wahr richtig gerecht dar wenn es Ergebnis eines Legitimitat erzeugenden Prozesses ist Die Legitimitat von Regeln bemisst sich an der diskursiven Einlosbarkeit ihres normativen Geltungsanspruchs letztlich daran ob sie in einem rationalen Gesetzgebungsverfahren zustande gekommen sind oder wenigstens unter pragmatischen ethischen und moralischen Gesichtspunkten hatten gerechtfertigt werden konnen Juristischer Diskurs BearbeitenWeil sich der juristische Diskurs etwa im Rahmen richterlicher Entscheidungsfindung oder eines Gesetzgebungsverfahrens nie herrschaftsfrei entfalten kann sondern unter einschrankenden Bedingungen wie Gesetz Dogmatik und Prajudiz stattfindet erfahrt die Diskurstheorie in ihrer Anwendung auf den Bereich der Rechtsanwendung eine Modifikation die ein juristisches Urteil das immer auch eine Norm darstellt auch unter den gegebenen Bedingungen rechtfertigt Diese Modifikation fuhrt Alexy mit der Sonderfallthese aus wonach es beim juristischen Diskurs im Gegensatz zum allgemeinen Diskurs nur noch darum gehe dass eine Entscheidung im Rahmen der geltenden Ordnung vernunftig begrundet werden kann 2 Uberpruft werden kann so die Ehrlichkeit eines Versprechens Fehlen von Einwandbehaftetheit oder auch die Angemessenheit einer Maxime unfallbedingte Geschadigteninformation Aber auch der prognostische Gehalt einer Aussage kann uberpruft werden beispielsweise dahingehend ob ein strafrechtlich Verurteilter in Zukunft spezialpraventiv keine solche Straftat mehr begehen wird Es gelten dabei folgende Mindestvoraussetzungen fur die Legitimitat des Rechts die moralische Richtigkeit in einem institutionalisierten System der Rechte und seine Setzung in einem diskursiv ausgestalteten Verfahren der Gesetzgebung oder richterlicher Entscheidungsfindung Alexy vertritt seine These dass das Recht ein Sonderfall des allgemein moralischen Diskurses sei dergestalt dass Habermas daran die Legitimitat einer Rechtsnorm messen lassen will Gleichzeitig betont Habermas dass beim rechtlichen Diskurs Geduld aufzubringen sei um den kantischen kategorischen Imperativ fur das Rechtsleben neu beleben zu konnen Dies vor dem Horizont dass der Angeklagte Widerstande dahingehend entgegensetzen kann als dass er lugt materielles wie formelles Recht in Zweifel zieht oder alles verneint beziehungsweise nie seine Zustimmung erteilt 3 Gegenpositionen BearbeitenDie Kritik der Diskurstheorie des Rechts fallt in zwei Teile namlich die Kritik ihrer Grundlage der allgemeinen Diskurstheorie sowie ihrer besonderen Voraussetzungen wie sie sich auf eine Anwendung auf den Bereich des Rechts ergeben Die Kritik unter dem Aspekt richtigen Rechts konzentriert sich dabei um die Frage ob der Diskurstheorie eine ausreichende Begrundung ihres Ausschliesslichkeitsanspruches gelingt Es wird bestritten dass die Begrundbarkeit der allgemeinen Diskursregeln Argumentationsvoraussetzungen wie sie Habermas und Alexy statuieren wissenschaftlich plausibel sei Beide fuhren an erster Stelle das Argument vom performativen Widerspruch an Danach konne ein Sprecher die Voraussetzungen die oben als sprachnotwendig bezeichnet wurden nicht bestreiten ohne damit mit sich selbst in Widerspruch zu geraten da er sie durch seine Ausserung implizit selbst anerkenne Dieser Satz sei jedoch logisch zirkular und daher nicht zur Begrundung bestimmter Diskursregeln geeignet weil er die benannten Voraussetzungen gleichzeitig voraussetzt und zum Ergebnis haben will Auch der Versuch Alexys die Diskursregeln ausserdem durch eine Analyse des Sprechakts des Behauptens zu begrunden bliebe ebenfalls erfolglos weil das Behaupten an sich einen historisch konkreten und in seinen Voraussetzungen kontingenten Sprechakt darstelle dies lasse eine Verallgemeinerung nicht zu Fur den Bereich der Diskurstheorie des Rechts finden sich vor allem bei der proklamierten Mindestvoraussetzungen fur die Legitimitat des Rechts Kritikpunkte Der Anspruch der moralischen Richtigkeit sei nicht einlosbar weil er jedenfalls eine objektivistische Gerechtigkeitsauffassung voraussetze Die Begrundung eines Systems der Rechte das im Bereich subjektiver Freiheitsrechte in der Regel negativer Freiheiten die Funktion der hin und wieder menschennotwendigen Befreiung des einzelnen von den Verpflichtungen des kommunikativen Handelns erfulle widerspreche der Feststellung dass eine Gesellschaft allein durch kommunikatives Handeln sozial integriert werden konne Danach musste dieser Bereich konsequenterweise moglichst gering gehalten werden Die Feststellung dass es einer ausschnittsweisen Befreiung der Menschen aus den Verpflichtungen kommunikativen Handelns bedurfe da jene diesen real nur ungenugend entsprechen konnten ist bedeutsam fur die Beurteilung des Anspruchs eines diskursiven Rechtsetzungsverfahrens da unter ihrer Pramisse nicht erweisbar sei dass die Akteure auch eine verstandigungsorientierte Haltung einnahmen Wenn das Recht als sekundarer Integrationsmechanismus benotigt werde um Menschen in ihrer Aufgabe der sozialen Integration zu entlasten konne die Bereitschaft zum kommunikativen Handeln fur seine Setzung eben nicht zur Bedingung gemacht werden Schliesslich sei der in der Diskurstheorie des Rechts getroffene Verzicht auf das Einstimmigkeitserfordernis im Gesetzgebungsverfahren im Ergebnis nicht mit dem Demokratieprinzip in Form des Konsensprinzips zu vereinbaren Literatur BearbeitenJurgen Habermas Faktizitat und Geltung Beitrage zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1992 ISBN 978 3 518 58126 1 Robert Alexy Theorie der juristischen Argumentation 3 Aufl inklusive einer Erwiderung auf Kritiker Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1996 Martin Gelter Kristoffel Grechenig Juristischer Diskurs und Rechtsokonomie In Journal fur Rechtspolitik JRP 2007 30 41 Axel Tschentscher Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit Nomos Verlag Baden Baden 2000 ISBN 3 7890 6490 4 Jens Peter Brune Moral und Recht Zur Diskurstheorie des Rechts und der Demokratie von Jurgen Habermas Verlag Karl Alber 2011 ISBN 978 3 495 48430 2 Thomas McCarthy Kritik der Verstandigungsverhaltnisse Zur Theorie von Jurgen Habermas Frankfurt a M 1989 Urs Marti Diskursethische Legitimation und soziale Funktion des Rechts Uberlegungen zu J Habermas Diskurstheorie des Rechts und der Demokratie in Philippe Mastronardi Hrsg Das Recht im Spannungsfeld utilitaristischer und deontologischer Ethik Vortrage der Tagung der Schweizer Sektion der Internationalen Vereinigung fur Rechts und Sozialphilosophie SVRSP vom 15 und 16 November 2002 in Luzern 1 Aufl 2004 ISBN 978 3 515 08366 9 Weblinks BearbeitenDiskurstheorie und Volkerrecht Ein Interview mit Jurgen Habermas ZaoRV 2013 S 295 303 Werner Zips Matthaus Rest Die Diskurstheorie von Jurgen Habermas Fakultat fur Sozialwissenschaften Universitat Wien abgerufen am 28 September 2017 Peter Ullrich Diskursanalyse Diskursforschung Diskurstheorie Ein und Uberblick In Ulrike Freikamp u a Hrsg Kritik mit Methode Forschungsmethoden und Gesellschaftskritik Karl Dietz Verlag Berlin 2008 ISBN 978 3 320 02136 8 S 19 31 Einzelnachweise Bearbeiten Jurgen Habermas Legitimationsprobleme im Spatkapitalismus Suhrkamp Frankfurt am Main 1973 ISBN 3 518 10623 6 S 148 Robert Alexy Theorie der juristischen Argumentation Die Theorie des rationalen Diskurses als Theorie der juristischen Begrundung Frankfurt a M 1983 Erstauflage 1978 S 263 272 Jurgen Habermas Faktizitat und Geltung Beitrage zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaates Suhrkamp Frankfurt am Main 1992 ISBN 3 518 28961 6 S 281 287 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Diskurstheorie des Rechts amp oldid 231263627