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Sozialhygiene auch soziale Hygiene ist die Bezeichnung fur eine offentliche Gesundheitsfursorge und Gesundheitspravention die sich vornehmlich auf Zusammenhange zwischen Gesundheit Krankheit und den sozialen Lebensbedingungen beruft und vor diesem Hintergrund vorbeugend und heilend wirken will 1 Inhaltsverzeichnis 1 Begriff 2 Geschichte 3 Siehe auch 4 Literatur 5 EinzelnachweiseBegriff BearbeitenDer Begriff ist ein wesentlich von dem Mediziner Alfred Grotjahn 1904 in einem Vortrag vor der Berliner Gesellschaft fur offentliche Gesundheitspflege vorgestelltes und unter anderem durch den Chemiker und Mediziner Theodor Weyl verbreitetes Konzept Grotjahn stellt Sozialhygiene sowohl als deskriptive Tatsachen beschreibende als auch als normative Wissenschaft dar welche gemass Kurz die gemeinsamen Ursachen der Gesundheit und des Krankseins der menschlichen Gesellschaft und deren sozialen Gruppen sowie die Mittel zur Forderung der ersteren und Verhutung der letzteren zu erforschen sucht 2 Die deskriptive Komponente definierte er als die Lehre von den Bedingungen denen die Verallgemeinerung hygienischer Kultur unter der Gesamtheit von ortlich zeitlich und gesellschaftlich zusammengehorigen Individuen und deren Nachkommen unterliegt wahrend der normative Bestandteil die Lehre von den Massnahmen die die Verallgemeinerung hygienischer Kultur unter der Gesamtheit von ortlich zeitlich und gesellschaftlich zusammengehorigen Individuen und deren Nachkommen bezwecken darstellt 3 Geschichte BearbeitenAls Pionier der sozialen Hygiene gilt der Arzt Johann Peter Frank 1745 1821 4 der von 1779 bis 1819 die hygienischen und sozialmedizinischen Reformbestrebungen im Zeitalter der Aufklarung in seiner Schrift Medicinische Polizey zusammenfasste 5 Der Arzt Pathologe und Politiker Rudolf Virchow 1821 1902 gilt als Begrunder der modernen Sozialhygiene 6 Die Begriffe Sozialhygiene oder soziale Hygiene tauchen bereits Mitte des 19 Jahrhunderts in der franzosischen Hygienebewegung auf und wurden 1871 1872 von Max von Pettenkofer ins Deutsche eingefuhrt 7 Pettenkofer pragte die Bezeichnung Soziale Hygiene im Sinne der offentlichen Gesundheitsfursorge 8 Der Begriff der Sozialhygiene dient als Gegenentwurf der monokausalen Erklarung der Infektionskrankheiten Pettenkofer nahm an dass die Mikroben nur eine Komponente darstellen Daneben sei auch eine Vielzahl von gesellschaftlichen Einflussen wie Hygiene Bevolkerungsdichte Ernahrung und viele andere fur den Ausbruch und Verlauf einer Infektionskrankheit ausschlaggebend Weitere Mediziner die sich in grosserem Umfang mit der Sozialen Hygiene zu Beginn des 20 Jahrhunderts analytisch und publizistisch befassten waren der Heidelberger Bezirksarzt und Medizinalrat Ernst Georg Kurz 1859 1937 9 der Chemiker und Mediziner Theodor Weyl als Herausgeber des 1904 von ihm edierten Supplementbandes Soziale Hygiene zu seinem Handbuch der Hygiene 10 der Karlsruher Mediziner und Gesundheitspolitiker Alfons Fischer 1873 1936 11 und der Osterreicher Ignaz Kaup ab 1912 erster Inhaber einer ausserordentlichen Professur fur Sozialhygiene an der Universitat Munchen Im Vorstand des 1899 in Berlin gegrundeten Deutschen Vereins fur Volkshygiene befanden sich Ernst von Leyden und Max Rubner 12 Neben der engen Verknupfung mit der Demographie war die Sozialhygiene historisch eng mit der Eugenikbewegung verbunden So entwickelte der sozialdemokratische Arzt und Politiker Alfred Grotjahn der 1905 in Berlin die Gesellschaft fur soziale Medizin Hygiene und Medizinalstatistik gegrundet hat 13 und Mitglied in der Gesellschaft fur Rassenhygiene war eine sozialistische Eugenik Um sich von sozialdarwinistischen und rassentheoretischen sowie naturwissenschaftlichen Richtungen der Eugenik abzugrenzen unterschied er beispielsweise naturliche und soziale Auslese und forderte den Begriff soziale Siebung welchen er als wesentlich zur regenerativen Vervollkommnung betrachtete In der Zeit des Nationalsozialismus ab dem Jahr 1933 waren sozialhygienische Massnahmen in staatliche Massnahmen zur Rassenhygiene und Volksgesundheit eingebettet So gab es nachdem Wissenschaftler in dieser Zeit erstmals den Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs untersuchten strenge Nichtraucherkampagnen und Rauchverbote In der nationalsozialistischen Propaganda wurde das Rauchen als fur die Rasse schadliche dekadente Mode des politischen Liberalismus gebrandmarkt und spater wahrend des Weltkrieges die nichtrauchenden faschistischen Diktatoren Hitler Mussolini und Franco als Vorbild gegenuber den rauchenden Regierungschefs der Alliierten Churchill Roosevelt und Stalin herausgestellt 14 15 Siehe auch BearbeitenSozialmedizin Public HealthLiteratur BearbeitenWolfgang U Eckart Sozialhygiene Sozialmedizin In Werner E Gerabek Bernhard D Haage Gundolf Keil Wolfgang Wegner Hrsg Enzyklopadie Medizingeschichte De Gruyter Berlin New York 2005 ISBN 3 11 015714 4 S 1344 1346 Theodor Weyl Zur Geschichte der sozialen Hygiene In Handbuch der Hygiene Supplement 4 Jena 1904 Einzelnachweise Bearbeiten Eckart 2005 S 1344 f Walter Artelt Ernst Georg Kurz 1859 1937 Senckenbergisches Institut fur Geschichte der Medizin Frankfurt am Main 1963 S 8 Alfred Grotjahn Vorwort In A Grotjahn F Kriegel Hrsg Jahresbericht uber die Fortschritte und Leistungen auf dem Gebiete der sozialen Hygiene und Demographie Band 3 1904 S III XV Heinrich Buess Huldrych M Koelbing Kurze Geschichte der ankylosierenden Spondylitis und Spondylose J R Geigy Basel 1964 Acta rheumatologica Nr 22 S 53 Paul Diepgen Heinz Goerke Aschoff Diepgen Goerke Kurze Ubersichtstabelle zur Geschichte der Medizin 7 neubearbeitete Auflage Springer Berlin Gottingen Heidelberg 1960 S 34 Heinz Otremba Rudolf Virchow Begrunder der Zellularpathologie Eine Dokumentation Echter Verlag Wurzburg 1991 S 11 und 14 15 Ursula Ferdinand Der faustische Schulterschluss in der Sozialhygiene Alfred Grotjahns 1869 1931 Soziale Hygiene und ihre Beziehungen zur Eugenik und Demographie Beitrag zur Tagung Wie nationalsozialistisch ist die Eugenik Basel 2006 histsem unibas ch Paul Diepgen Heinz Goerke Aschoff Diepgen Goerke Kurze Ubersichtstabelle zur Geschichte der Medizin 7 neubearbeitete Auflage Springer Berlin Gottingen Heidelberg 1960 S 53 Ernst Kurz Soziale Hygiene Urban amp Schwarzenberg Berlin Wien 1907 1906 1907 erschien zudem Kurz Artikelserie Soziale Hygiene in Medizinische Klinik Walter Artelt Ernst Georg Kurz 1859 1937 Senckenbergisches Institut fur Geschichte der Medizin Frankfurt am Main 1963 besonders S 7 f Wilfried Witte Fischer Alfons In Werner E Gerabek Bernhard D Haage Gundolf Keil Wolfgang Wegner Hrsg Enzyklopadie Medizingeschichte De Gruyter Berlin New York 2005 ISBN 3 11 015714 4 S 401 f Ulf Norbert Funke Leben und Wirken von Karl August Lingner Lingners Weg vom Handlungsgehilfen zum Grossindustriellen Diplomica Hamburg 2014 ISBN 978 3 8428 7771 9 S 29 books google com Paul Diepgen Heinz Goerke Aschoff Diepgen Goerke Kurze Ubersichtstabelle zur Geschichte der Medizin 7 neubearbeitete Auflage Springer Berlin Gottingen Heidelberg 1960 S 61 J P Mackenbach Odol Autobahnen und ein nichtrauchender Fuhrer Reflektionen zur Unschuld von Public Health In Pravention und Gesundheitsforderung Vol 1 Springer Berlin Heidelberg 2006 S 208 211 R N Proctor The anti tobacco campaign of the Nazis a little known aspect of public health in Germany 1933 45 In BMJ Band 313 1996 S 1450 1453 bmj com Normdaten Sachbegriff GND 4181954 8 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Sozialhygiene amp oldid 234062075