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Eine societas perfecta vollkommene Gemeinschaft oder vollkommene Gesellschaft ist in der politischen Philosophie der katholischen Ekklesiologie und dem katholischen Kirchenrecht eine in dem Sinn autarke oder unabhangige Gemeinschaft dass sie alle zur Verwirklichung ihres umfassenden Ziels notwendigen Mittel und Bedingungen selbst besitzt und keiner ubergeordneten Gemeinschaft unterworfen ist Diese Unabhangigkeit wurde in der Verwendungsgeschichte des Begriffs im Wesentlichen der Polis Stadtstaat dem Staat und der Kirche zugeschrieben Inhaltsverzeichnis 1 Aristoteles 2 Scholastik 3 Infragestellung durch die protestantische Aufklarung 4 Lehramtliche Ubernahme der societas perfecta Konzeption 5 Nachkonziliare Positionen 5 1 Theologie 5 2 Kanonisches Recht 6 Einzelnachweise 7 QuellenAristoteles BearbeitenAusgangspunkt der Begriffsentwicklung war die politische Philosophie des Aristoteles der die aus mehreren Dorfern bestehende Polis als vollkommene Gemeinschaft koinwnia teleios bezeichnete die gewissermassen die vollkommene Autarkie besitzt Das Ziel der Polis ist das gute Leben sie besteht von Natur 1 Scholastik BearbeitenDie Idee der vollkommenen Gemeinschaft wurde in der mittelalterlichen Philosophie wieder aufgenommen In direktem Bezug auf Aristoteles nennt etwa Thomas von Aquin den Staat civitas 2 eine vollkommene Gemeinschaft communitas perfecta 3 Infragestellung durch die protestantische Aufklarung BearbeitenIn der naturrechtlichen Tradition der Aufklarungszeit wie z B bei Pufendorf hat dezidiert nur der Staat die wesentlichen Eigenschaften einer societas perfecta dem die Kirche deshalb untergeordnet sein muss Protestantische Lehren wollten die Kirche nach Art eines beliebigen privaten Vereins der staatlichen Jurisdiktion 4 unterstellen Lehramtliche Ubernahme der societas perfecta Konzeption BearbeitenIn der katholischen Philosophie und Theologie wurde mehr und mehr auch der Kirche der Charakter einer societas perfecta zugeschrieben Die damit gegebene wechselseitige Unabhangigkeit von Kirche und Staat sicherte der Kirche theoretisch die Freiheit vor den wachsenden Anspruchen des Staates auf Einmischung in kirchliche Angelegenheiten Hohepunkt dieser Entwicklung bildete die Ubernahme dieser Lehre der zwei vollkommenen Gesellschaften Kirche und Staat durch das kirchliche Lehramt durch Papst Pius IX und vor allem Leo XIII In seiner Enzyklika Immortale Dei fuhrt Leo XIII 1885 etwa in Bezug auf die Kirche aus sie ist eine vollkommene Gesellschaft eigener Art und eigenen Rechtes da sie alles was fur ihren Bestand und ihre Wirksamkeit notwendig ist gemass dem Willen und kraft der Gnade ihres Stifters in sich und durch sich selbst besitzt Wie das Ziel dem die Kirche zustrebt weitaus das erhabenste ist so ist auch ihre Gewalt allen anderen weit uberlegen und sie darf daher weder als geringer betrachtet werden als die burgerliche Gewalt noch dieser in irgendeiner Weise untergeordnet werden 5 Den zwei vollkommenen Gesellschaften entsprechen zwei Gewalten die kirchliche und die staatliche Der einen obliegt die Sorge fur die gottlichen Belange der anderen fur die menschlichen Jede ist in ihrer Art die hochste jede hat bestimmte Grenzen innerhalb derer sie sich bewegt Grenzen die sich aus dem Wesen und dem nachsten Zweck jeder der beiden Gewalten ergeben 6 Wahrend also grundsatzlich die harmonische Beziehung zwischen Staat und Kirche uber die klare Abgrenzung ihrer Verantwortungsbereiche gesichert wird muss es fur Falle in denen sich diese Bereiche uberschneiden eine Ordnung zwischen den zwei Gewalten geben Um diese Ordnung zu verdeutlichen vergleicht Leo das Verhaltnis von Staat und Kirche mit dem Verhaltnis von Leib und Seele 7 Bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil war die Lehre von den zwei vollkommenen Gesellschaften in der von Leo XIII aufgenommenen Fassung in der katholischen Theologie und dem katholischen Kirchenrecht bestimmend Nachkonziliare Positionen BearbeitenTheologie Bearbeiten Im Zweiten Vatikanischen Konzil wird die Lehre explizit nicht mehr erwahnt In der modernen nachkonziliaren katholischen Theologie spielt sie ausser als negative Hintergrundfolie kaum noch eine Rolle Ob das Konzil selbst die Lehre von den zwei vollkommenen Gesellschaften auch inhaltlich aufgegeben hat ist umstritten Jedenfalls hat sich Papst Paul VI auch nach dem Konzil noch direkt auf sie bezogen In dem Motu proprio Sollicitudo omnium ecclesiarum zu den Aufgaben der papstlichen Legaten 1969 fasst er die Lehre kurz zusammen Es kann nicht bestritten werden dass die Aufgaben von Kirche und Staat verschiedenen Ordnungen angehoren Kirche und Staat sind in ihrem jeweiligen eigenen Bereich vollkommene Gesellschaften Das bedeutet Sie verfugen uber ihre eigene Rechtsordnung und uber samtliche dazu erforderliche Mittel Sie sind auch im Rahmen ihrer jeweiligen Zustandigkeit zur Anwendung ihrer Gesetze berechtigt Andererseits darf aber nicht ubersehen werden dass beide um das Wohl desselben Menschen bemuht sind namlich des Menschen der von Gott berufen ist das ewige Heil zu erlangen 8 Kanonisches Recht Bearbeiten Im neuen Kirchenrecht des CIC 1983 wird die Lehre von der societas perfecta nicht ausdrucklich erwahnt Teilweise wird in can 113 1 CIC 1983 d h in der Bestimmung Behauptung dass die katholische Kirche und der Apostolische Stuhl aufgrund gottlicher Anordnung den Charakter einer moralischen Person haben ein Niederschlag der societas perfecta Lehre gesehen 9 Ursprungliches Ziel der societas perfecta Lehre sei es die Autonomie der Kirche vor dem staatlichen Allmachtsanspruch 10 zu verteidigen Die nachkonziliare schlechte Konjunktur der societas perfecta Lehre durfte auf unterschiedlichen Perspektiven beruhen Die Kennzeichnung der Kirche als societas perfecta ist konziliar betrachtet juristisch und ekklesiologisch unterbestimmt und durfte auch in der Innenperspektive die theologische Legitimation von Kirchenrecht nicht genugend bestimmen 11 Im Aussenverhaltnis zum jeweiligen Staat bringt sie aber anhaltend den Anspruch der Kirche auf den Begriff eine vom Staat unabhangige rechtliche Autonomie zu haben was wiederum Ausdruck dessen ist dass die katholische Kirche sich auch als rechtformig begreift 12 Einzelnachweise Bearbeiten Aristoteles Politik 1252b 27 30 Zur Ubersetzung von civitas mit Staat an dieser Stelle vgl Nicholas Aroney Subsidiarity Federalism and the Best Constitution Thomas Aquinas on City Province and Empire In Law and Philosophy Bd 26 2007 S 161 228 Summe der Theologie I II q 90 a 3 Gregor Bier Einfuhrung in das Kirchenrecht In Clauss Peter Sajak Praktische Theologie Modul 4 Schoningh Paderborn 2012 UTB 3472 ISBN 978 3 8252 3472 0 S 170 Leo XIII Rundschreiben Immortale Dei In Mensch und Gemeinschaft in Christlicher Schau Freiburg Schweiz 1945 S 571 602 Randnummer 852 Leo XIII Rundschreiben Immortale Dei In Mensch und Gemeinschaft in Christlicher Schau Freiburg Schweiz 1945 S 571 602 Randnummer 857 Vgl Leo XIII 1945 Randnummern 858 860 Zitiert nach Listl Kirche und Staat S 227 So Gregor Bier Einfuhrung in das Kirchenrecht In Clauss Peter Sajak Praktische Theologie Modul 4 Schoningh Paderborn 2012 UTB 3472 ISBN 978 3 8252 3472 0 S 170 Ulrich Rhode Kirchenrecht Kohlhammer Stuttgart 2015 Studienbucher Theologie Bd 24 ISBN 978 3 17 026227 0 S 29 So Ulrich Rhode Kirchenrecht Kohlhammer Stuttgart 2015 Studienbucher Theologie Bd 24 ISBN 978 3 17 026227 0 S 29 Vgl Gregor Bier Einfuhrung in das Kirchenrecht In Clauss Peter Sajak Praktische Theologie Modul 4 Schoningh Paderborn 2012 UTB 3472 ISBN 978 3 8252 3472 0 S 170 Quellen BearbeitenErnst Wolfgang Bockenforde Staat Gesellschaft Kirche In Schriften zu Staat Gesellschaft Kirche III Freiburg 1990 S 113 211 Joseph Listl Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft Berlin 1978 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Societas perfecta amp oldid 218863646