www.wikidata.de-de.nina.az
Der Satz von Nielsen Schreier ist ein grundlegendes Ergebnis der kombinatorischen Gruppentheorie eines Teilgebiets der Mathematik das sich mit diskreten zumeist unendlichen Gruppen beschaftigt Der Satz besagt dass in einer freien Gruppe jede Untergruppe frei ist Neben dieser qualitativen Aussage stellt die quantitative Fassung eine Beziehung her zwischen dem Index und dem Rang einer Untergruppe Dies hat die uberraschende Konsequenz dass eine freie Gruppe vom Rang r 2 displaystyle r geq 2 Untergruppen von jedem beliebigen Rang k N displaystyle k in mathbb N und sogar von abzahlbar unendlichem Rang hat Der Satz kann besonders elegant und anschaulich mit Hilfe algebraisch topologischer Methoden bewiesen werden mittels Fundamentalgruppe und Uberlagerungen von Graphen Inhaltsverzeichnis 1 Aussage des Satzes 2 Beweise 2 1 Freie Gruppen als Fundamentalgruppen von Graphen 2 2 Topologischer Beweis des Satzes von Nielsen Schreier 2 3 Geometrischer Beweis des Satzes von Nielsen Schreier 3 Folgerungen 3 1 Untergruppen der ganzen Zahlen 3 2 Untergruppen nicht abelscher freier Gruppen 3 3 Untergruppen endlich erzeugter Gruppen 4 Geschichte 5 Literatur 6 Siehe auch 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseAussage des Satzes BearbeitenIst F displaystyle F nbsp eine freie Gruppe dann ist jede Untergruppe U displaystyle U nbsp von F displaystyle F nbsp ebenfalls frei Hat die Untergruppe endlichen Index so gilt zusatzlich folgende quantitative Aussage Ist F displaystyle F nbsp eine freie Gruppe vom Rang r displaystyle r nbsp und ist U displaystyle U nbsp eine Untergruppe von endlichem Index n displaystyle n nbsp dann ist U displaystyle U nbsp frei vom Rang 1 n r 1 displaystyle 1 n r 1 nbsp Dies ist auch fur r displaystyle r infty nbsp richtig Beweise BearbeitenDer Satz lasst sich wahlweise mit algebraischen oder topologischen Argumenten beweisen Ein rein algebraischer Beweis findet sich im unten angegebenen Lehrbuch von Robinson 1 Der topologische Beweis gilt als besonders elegant und soll im Folgenden skizziert werden Er benutzt auf raffinierte Weise die Darstellung freier Gruppen als Fundamentalgruppen von Graphen und ist ein Paradebeispiel fur die fruchtbare Wechselwirkung zwischen Algebra und Topologie Freie Gruppen als Fundamentalgruppen von Graphen Bearbeiten nbsp Graph mit Spannbaum schwarz und verbleibenden Kanten rot Letztere erzeugen frei die Fundamentalgruppe des Graphen Als Beispiel gelb eingezeichnet ist der zur Kante s 1 displaystyle s 1 nbsp gehorige Erzeuger Sei G displaystyle Gamma nbsp ein zusammenhangender Graph Diesen realisieren wir als topologischen Raum wobei jede Kante einem Weg zwischen den angrenzenden Ecken entspricht Die entscheidende Feststellung ist nun dass die Fundamentalgruppe p 1 G displaystyle pi 1 Gamma nbsp eine freie Gruppe ist Um dieses Ergebnis explizit zu machen und damit auch zu beweisen wahlt man einen maximalen Baum T G displaystyle T subset Gamma nbsp also einen Baum der alle Ecken von G displaystyle Gamma nbsp enthalt Die verbleibenden Kanten S G T displaystyle S Gamma setminus T nbsp liefern eine Basis von p 1 G displaystyle pi 1 Gamma nbsp indem man fur jede Kante s S displaystyle s in S nbsp einen Weg w s displaystyle w s nbsp wahlt der vom Fusspunkt displaystyle nbsp im Baum T displaystyle T nbsp bis zur Kante s displaystyle s nbsp lauft diese uberquert und anschliessend in T displaystyle T nbsp wieder zum Fusspunkt zuruckkehrt Man wahlt als Fusspunkt zweckmassigerweise eine Ecke von G displaystyle Gamma nbsp diese liegt dann automatisch in jedem maximalen Baum T displaystyle T nbsp Die Tatsache dass die Homotopieklassen w s displaystyle w s nbsp mit s S displaystyle s in S nbsp eine Basis von p 1 G displaystyle pi 1 Gamma nbsp bilden kann man mittels kombinatorischer Homotopie beweisen oder durch explizite Konstruktion der universellen Uberlagerung des Graphen G displaystyle Gamma nbsp Dieses Ergebnis konnen wir quantitativ fassen wenn G displaystyle Gamma nbsp ein endlicher Graph mit e displaystyle e nbsp Ecken und k displaystyle k nbsp Kanten ist Er hat dann die Euler Charakteristik x G e k displaystyle chi Gamma e k nbsp Jeder maximale Baum T G displaystyle T subset Gamma nbsp enthalt dann genau e displaystyle e nbsp Ecken und e 1 displaystyle e 1 nbsp Kanten und hat insbesondere die Euler Charakteristik x T 1 displaystyle chi T 1 nbsp Es verbleiben die Kanten G T x 1 x r displaystyle Gamma setminus T x 1 dots x r nbsp und deren Anzahl ist r k e 1 1 x G displaystyle r k e 1 1 chi Gamma nbsp Die Fundamentalgruppe p 1 G displaystyle pi 1 Gamma nbsp ist demnach eine freie Gruppe vom Rang r 1 x G displaystyle r 1 chi Gamma nbsp Topologischer Beweis des Satzes von Nielsen Schreier Bearbeiten Qualitative Fassung Jede freie Gruppe F displaystyle F nbsp lasst sich darstellen als Fundamentalgruppe p 1 G displaystyle pi 1 Gamma nbsp eines Graphen G displaystyle Gamma nbsp Zu jeder Untergruppe U F displaystyle U subset F nbsp gehort eine Uberlagerung G G displaystyle tilde Gamma to Gamma nbsp Der Uberlagerungsraum G displaystyle tilde Gamma nbsp ist dann wieder ein Graph also ist die Gruppe U p 1 G displaystyle U pi 1 tilde Gamma nbsp frei Quantitative Fassung Jede freie Gruppe F displaystyle F nbsp von endlichem Rang r displaystyle r nbsp lasst sich darstellen als Fundamentalgruppe p 1 G displaystyle pi 1 Gamma nbsp eines endlichen Graphen G displaystyle Gamma nbsp mit Euler Charakteristik x G 1 r displaystyle chi Gamma 1 r nbsp Zu jeder Untergruppe U F displaystyle U subset F nbsp von Index n displaystyle n nbsp gehort dann eine n displaystyle n nbsp blattrige Uberlagerung G G displaystyle tilde Gamma to Gamma nbsp Der uberlagernde Graph G displaystyle tilde Gamma nbsp hat also die Euler Charakteristik x G n x G n 1 r displaystyle chi tilde Gamma n chi Gamma n 1 r nbsp und die Gruppe U p 1 G displaystyle U pi 1 tilde Gamma nbsp ist demnach frei vom Rang 1 x G 1 n 1 r 1 n r 1 displaystyle 1 chi tilde Gamma 1 n 1 r 1 n r 1 nbsp Geometrischer Beweis des Satzes von Nielsen Schreier Bearbeiten Eine Gruppenoperation auf einem ungerichteten Graphen also ein Homomorphismus in die Automorphismengruppe eines Graphen heisst frei wenn jedes vom neutralen Element verschiedene Gruppenelement frei operiert Letzteres bedeutet dass kein Knoten und keine Kante bei der Operation erhalten bleiben Im geometrischen Beweis zeigt man dass eine Gruppe genau dann frei ist wenn sie eine freie Gruppenoperation auf einem Baum besitzt Der Satz von Nielsen Schreier ist nun ein einfaches Korollar denn diese Charakterisierung freier Gruppen ubertragt sich offenbar auf Untergruppen 2 Folgerungen BearbeitenUntergruppen der ganzen Zahlen Bearbeiten Fur den Rang r 0 displaystyle r 0 nbsp ist F displaystyle F nbsp die triviale Gruppe die nur aus dem neutralen Element besteht und die Aussage des Satzes ist leer Die erste interessante Aussage finden wir im Rang r 1 displaystyle r 1 nbsp Hier ist F Z displaystyle F cong mathbb Z nbsp die freie abelsche Gruppe und wir finden die Klassifikation der Untergruppen von Z displaystyle mathbb Z nbsp wieder Die triviale Untergruppe 0 displaystyle 0 nbsp ist frei vom Rang 0 displaystyle 0 nbsp jede andere Untergruppe I Z displaystyle I subset mathbb Z nbsp ist von der Form I n displaystyle I langle n rangle nbsp vom Index n displaystyle n nbsp und selbst wieder frei abelsch vom Rang 1 displaystyle 1 nbsp Diese einfache Aussage kann auch ohne den Satz von Nielsen Schreier bewiesen werden zeigt aber was im Spezialfall F Z displaystyle F cong mathbb Z nbsp in ihm steckt Untergruppen nicht abelscher freier Gruppen Bearbeiten Fur eine freie Gruppe F displaystyle F nbsp vom Rang r 2 displaystyle r geq 2 nbsp folgt aus dem quantitativen Satz von Nielsen Schreier dass F displaystyle F nbsp freie Untergruppen von beliebigem endlichen Rang enthalt Es genugt dies fur die von 2 Elementen erzeugte Gruppe F 2 displaystyle F 2 nbsp zu zeigen da diese in allen von r 2 displaystyle r geq 2 nbsp Elementen erzeugten freien Gruppen enthalten ist Bildet man die beiden Erzeuger von F 2 displaystyle F 2 nbsp auf den Erzeuger der zyklischen Gruppe Z n displaystyle Z n nbsp ab so erhalt man aus der definierenden Eigenschaft der freien Gruppe einen surjektiven Gruppenhomomorphismus f F 2 Z n displaystyle varphi F 2 rightarrow mathbb Z n nbsp Nach dem Homomorphiesatz ist F 2 k e r f Z n displaystyle F 2 mathrm ker varphi cong mathbb Z n nbsp das heisst die Untergruppe k e r f F 2 displaystyle mathrm ker varphi subset F 2 nbsp hat den Index n displaystyle n nbsp Sie ist nach der quantitativen Aussage des Satzes von Nielsen Schreier daher isomorph zur von 1 n displaystyle 1 n nbsp Elementen erzeugten freien Gruppe Man kann in F 2 displaystyle F 2 nbsp sogar eine Untergruppe von abzahlbar unendlichem Rang konstruieren Diese erstaunliche Eigenschaft steht im Gegensatz zu freien abelschen Gruppen wo der Rang einer Untergruppe stets kleiner oder gleich dem Rang der gesamten Gruppe ist oder Vektorraumen uber einem Korper wo die Dimension eines Unterraums stets kleiner oder gleich der Dimension des gesamten Raums ist Untergruppen endlich erzeugter Gruppen Bearbeiten Der Satz von Nielsen Schreier handelt zwar zunachst nur von freien Gruppen seine quantitative Fassung hat aber auch interessante Konsequenzen fur beliebige endliche erzeugte Gruppen Ist eine Gruppe G displaystyle G nbsp endlich erzeugt von einer Familie mit r displaystyle r nbsp Elementen aus G displaystyle G nbsp und ist H G displaystyle H subset G nbsp eine Untergruppe von endlichem Index n displaystyle n nbsp dann hat auch H displaystyle H nbsp ein endliches Erzeugendensystem mit hochstens 1 n r 1 displaystyle 1 n r 1 nbsp Elementen Wie schon im Fall freier Gruppen muss man im Allgemeinen also damit rechnen dass eine Untergruppe H G displaystyle H subset G nbsp mehr Erzeuger benotigt als die gesamte Gruppe G displaystyle G nbsp Geschichte BearbeitenDer Satz ist benannt nach den Mathematikern Jakob Nielsen und Otto Schreier und verallgemeinert einen Satz von Richard Dedekind 3 dass Untergruppen freier abelscher Gruppen freie abelsche Gruppen sind auf den nicht abelschen Fall Er wurde 1921 von Nielsen bewiesen 4 zunachst allerdings nur fur freie Untergruppen von endlichem Rang endlich erzeugte freie Untergruppen Schreier konnte diese Einschrankung 1927 aufheben und den Satz auf beliebige freie Gruppen verallgemeinern 5 Max Dehn erkannte die Beziehungen zur algebraischen Topologie und gab nach dem Nachruf auf Dehn von Ruth Moufang und Wilhelm Magnus als erster einen topologischen Beweis des Satzes von Nielsen Schreier unveroffentlicht 6 Eine Darstellung des Beweises mit Hilfe von Graphen gibt auch Otto Schreier in seiner Abhandlung von 1927 wobei er den Graphen Nebengruppenbild nennt und ihn als Erweiterung des Dehnschen Gruppenbildes von 1910 auffasst 7 Weitere topologische Beweise stammen von Reinhold Baer und Friedrich Levi 8 und Jean Pierre Serre 9 Kurt Reidemeister stellte die Verbindung freier Gruppen mit geometrischer Topologie 1932 in seinem Lehrbuch uber kombinatorische Topologie dar 10 Literatur BearbeitenD L Johnson Topics in the Theory of Group Presentations London Mathematical Society lecture note series 42 Cambridge University Press 1980 ISBN 978 0 521 23108 4 Wilhelm Magnus Abraham Karrass Donald Solitar Combinatorial Group Theory 2 Auflage Dover Publications 1976 John Stillwell Classical Topology and Combinatorial Group Theory Graduate Texts in Mathematics 72 Springer Verlag 2 Auflage 1993 Siehe auch BearbeitenDer Untergruppensatz von Kurosch verallgemeinert den Satz von Nielsen Schreier auf freie Produkte Weblinks BearbeitenNCatlabEinzelnachweise Bearbeiten D J S Robinson A Course in the Theory of Groups Springer Verlag 1996 ISBN 978 1 4612 6443 9 Satz 6 1 1 The Nielsen Schreier Theorem Clara Loh Geometric Group Theory Springer Verlag 2017 ISBN 978 3 319 72253 5 Theorem 4 2 1 und Korollar 4 2 8 D L Johnson Topics in the Theory of Group Presentations London Mathematical Society lecture note series 42 Cambridge University Press 1980 S 9 Nielsen Om regning med ikke kommutative faktorer og dens anvendelse i gruppeteorien Math Tidsskrift B 1921 S 78 94 Otto Schreier Die Untergruppen der freien Gruppen In Abhandlungen aus dem Mathematischen Seminar der Universitat Hamburg 5 Jahrgang 1927 S 161 183 doi 10 1007 BF02952517 Siehe Wilhelm Magnus Moufang Ruth Max Dehn zum Gedachtnis In Mathematische Annalen 127 Jahrgang Nr 1 1954 S 215 227 doi 10 1007 BF01361121 SUB Gottingen siehe S 222 Schreier 1927 S 163 S 180ff Baer Levi Freie Produkte und ihre Untergruppen Compositio Mathematica Band 3 1936 S 391 398 Serre Groupes discretes Paris 1970 Kurt Reidemeister Einfuhrung in die kombinatorische Topologie Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1972 Nachdruck des Originals von 1932 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Satz von Nielsen Schreier amp oldid 237690106