www.wikidata.de-de.nina.az
Mit Primarprozess werden in mancher psychoanalytischen Literatur alle Vorgange des unbewussten Seelenlebens bezeichnet die nach dem Lustprinzip ablaufen Freud der den Begriff im letzten Kapitel der Traumdeutung der Sache nach eingefuhrt hat spricht in seinem Werk durchgangig von Primarvorgang 1 Lustprinzip und seelische InstanzenDemgegenuber bestimmen Sekundarprozesse die Beziehung zwischen Vorbewusstem und Bewusstem 2 Von Primarprozessen wird die fruhe Kindheit ganz erfullt spater sind diese Vorgange hauptsachlich in Traumen Phantasievorstellungen und Tagtraumen anzutreffen 3 Die seelische Energie Libido fliesst bei den Primarprozessen frei von einer Vorstellung zur anderen bei den Sekundarprozessen sind dabei Zensuren wirksam die sich im Sinne des Realitatsprinzips in Form von Abwehrvorgangen auswirken 2 Die Primarprozesse decken sich also weitgehend mit dem Lustprinzip Inhaltsverzeichnis 1 Charakteristika 1 1 Materialisierte nicht formalisierte Logik 1 2 Ontogenese und Universalgeschichte 2 Ein bekanntes Beispiel 3 Enantiodromie 4 Konkretismus 5 EinzelnachweiseCharakteristika BearbeitenMaterialisierte nicht formalisierte Logik Bearbeiten nbsp Vernachlassigung von Gegensatz und Widerspruch durch den Primarprozess Traumelemente sind Knotenpunkte fur vielfache Vorstellungskreise 4 Die Charakteristika des Primarprozesses sind Verdichtung Kompression und Verschiebung der Denkinhalte Zeitlosigkeit Fortfall der ausschliessenden Logik zugunsten einer alles verbindenden Logik die keine Widerspruche kennt Abb 2 1 Der Satz vom Widerspruch gilt also bei den Primarprozessen nicht in einem ausschliessenden sondern in einem verbindenden Sinne des Sowohl als auch Paradoxe Logik nach Erich Fromm 5 Die seelische Energie Libido die sich offenbar gerade an Widerspruchen und Gegensatzen entfaltet geht von sog Urmotiven aus Diese sind im klassischen Falle der fruhkindlichen Entwicklung dadurch ausgezeichnet dass eine Trennung zwischen Subjekt und Objekt noch nicht stattgefunden hat 6 Die Befriedigung grundlegender biologischer Bedurfnisse wie z B der Nahrungsaufnahme ist von der nahezu bedingungslosen Nahe zu Bezugspersonen abhangig deren verstandnisvoller weder zu strenger noch zu verwohnender Umgang gerade in diesem noch labilen Entwicklungsstadium vorausgesetzt wird und entscheidend fur die Auspragung stabiler seelischer Instanzen ist Der vollzogenen Entwicklung dieser Instanzen entspricht das Drei Instanzen Modell Abb Lustprinzip und seelische Instanzen In den Instanzen werden affektive Beziehungsmuster und erfahrene Handlungsschemata ebenso festgehalten wie in der seelischen Reprasentanz der Bezugspersonen selbst Imago Eine ahnliche Differenzierung im Sinne der psychischen Entwicklung ist auch die Ausbildung eines eigenen Korperschemas und damit die Trennung zwischen einer Innen und Aussenwelt 7 der u a die Erfahrung von Hingabe und Trennung der Bezugspersonen zugrunde liegt Abbildungen Der Gegensatz zwischen korperlichen und psychischen Bedurfnissen ist fur das psychosomatische Spannungsfeld wesentlich Dies ist das gerade im Falle der Nahrungsaufnahme von grosster Bedeutung wo zu unterscheiden ist zwischen korperlichen z B Nahrungsaufnahme und seelischen menschliche Zuwendung und Nahe Bedurfnissen Abb 8 Im Falle der Traumarbeit oder von Phantasievorstellungen ist die Auseinandersetzung des Ichs mit den Einflussen der Umwelt in einer ahnlichen Art und Weise herausgefordert 6 9 Ontogenese und Universalgeschichte Bearbeiten Der Primarprozess ist kennzeichnend fur die individuelle menschliche Ontogenese als fruheste kindliche Entwicklungsphase In diesem Sinne ist es entsprechend dem psychogenetischen Grundgesetz erstaunlich dass die Charakteristik des Primarprozesses auch von der Sprachforschung bestatigt wurde Hier hat bereits Freud auf den Gegensinn von Urworten hingewiesen 1 In den altesten Sprachen gibt es sog Urworte die eine in sich gegensatzliche Bedeutung enthalten so z B altgriechisch lὁgos logos leeres Gerede Geschwatz Wertschatzung Vernunft Insofern kommt die Technik der Traumarbeit auch in der Sprachentwicklung bzw in der allgemeinen Sprachgeschichte zum Ausdruck 10 Auch neuerdings ist auf die Oppositionsworte von Jurgen Habermas hingewiesen worden die noch die genetisch altere Eigentumlichkeit einer Vereinigung logisch unvereinbarer namlich kontrarer Bedeutung bewahrt haben Habermas vermutet dass diese Oppositionsworte auch die Ursituationen der Verhaltens und Einstellungsambivalenz festhalten 11 12 Es kann als Beitrag der Psychoanalyse zur Sprachforschung angesehen werden dass die scharf umrissene Bedeutung eines Worts sich zuletzt ausformt d h psychoanalytisch ausgedruckt ein spates Resultat des Sekundarprozesses ist In fruhen Stadien der individuellen menschlichen wie der stammesgeschichtlich kollektiven Ontogenese dagegen sind primarprozesshafte Vorgange am Werk denen ein extensionaler Charakter zukommt im Extremfall die symbolische Gleichsetzung bzw Vernachlassigung von Gegensatz und Widerspruch Sprache steht fraglos mit der spezifisch menschlichen Fahigkeit zur Symbolbildung in engem Zusammenhang 9 Ein bekanntes Beispiel Bearbeiten nbsp Die von Freud aufgezeigten Wege der Verschiebung mit dem Resultat der Verdrangung nbsp Die von Mario Erdheim aufgezeigten Mechanismen des Primar und SekundarprozessesEin bekanntes Beispiel ist das von Freud an sich selbst beobachtete und im Wege der Selbstanalyse dargestellte Vergessen des Eigennamens Signorelli Er meinte damit Luca Signorelli 1441 1523 den Meister von Orvieto Dieses Vergessen hat Freud in seiner Abhandlung uber die Psychopathologie des Alltagslebens ausfuhrlich geschildert 13 Darin wird der Mechanismus der Verschiebung und der in diesem Falle besonderen Form des Vergessens infolge von Verdrangung aus verstandlichen Motiven beschrieben Die konkreten Hintergrunde waren dabei folgende Wahrend eines Gesprachs fielen Freud anstelle des richtigen Namens Signorelli hartnackig die falschen Ersatznamen Botticelli und Boltraffio ein Er brachte dies in der eigenen Analyse in Verbindung mit verschiedenen fur ihn unangenehmen resignativen und z T definitiven Mitteilungen und Nachrichten die er bezuglich mehrerer seiner Patienten erhalten hatte und die um Leben und Tod handelten Eine dieser Nachrichten vom Freitod eines seiner Patienten hatte er in Trafoi erhalten Weiter hatte ihm der turkische Angehorige eines Kranken entgegnet Herr was ist da zu sagen Ich weiss wenn er zu retten gewesen ware hattest Du ihn gerettet Freud war weiter eine Anekdote zur Einstellung der Turken uber die Sexualitat bekannt Du weisst ja Herr wenn das nicht mehr geht hat das Leben keinen Wert Die Fehlleistung Freuds lasst sich anhand der Abbildungen grafisch rekonstruieren Dazu ist die Verschiebung von Signor zu Herr die einer Ubersetzung aus dem Italienischen entspricht sowie die Tatsache wesentlich dass auch beide falsch erinnerte Ersatznamen die von italienischen Malern sind Freud war auch bewusst dass der Meister von Orvieto die grossartigen Fresken von den letzten Dingen geschaffen hatte Damit sind die wesentlichen Bezuge genannt die den Weg innerhalb der Subsysteme des Bewusstseins Vorbewusst Unbewusst fur die Verdrangung in einem konkreten Falle bei Sigmund Freud kennzeichnen Zum Mechanismus des Vergessens bzw der Verdrangung ist wesentlich dass Freud hier von einem Motiv ausgeht was das einfache Vergessen von der Verdrangung unterscheidet Aber auch die Verschiebung der Denkinhalte bzw einzelner Elemente Wortbruchstucke lasst sich an diesem Beispiel demonstrieren 13 Dies hat in Erganzung zur Selbstanalyse Freuds Abb Mario Erdheim in ubersichtlicher Form getan Abb Das vorbewusste Element elli aus dem Namen Signorelli wird unverandert in den Namen Botticelli ubernommen Auf unbewusste Mechanismen wird zuruckgefuhrt dass das Element Signor aus Signorelli zunachst zu Herr verschoben wird und dann zu Trafoi bzw zu traffio Dieses Element Herr wurde ausserdem zu Bo verschoben ausgehend von der Assoziation Her zegowina und Bo snien Die Leistung des vorbewussten Systems wird von Erdheim als Sekundarprozess identifiziert ohne Verschiebung die des unbewussten Systems als Primarprozess mit Verschiebung Erdheim bezeichnet die durch primar und Sekundarprozess elaborierten Produkte die wieder Inhalte des Bewusstseins geworden sind als Phantasmen Ein solches Phantasma sei auch die hartnackige Produktion der Ersatznamen Botticelli und Botraffio im Falle Freuds 14 Enantiodromie BearbeitenDie in obiger Abbildung Vernachlassigung dargestellte Vereinigung von Gegensatzen rein begrifflicher bzw auch ontologischer Art in der Dyade wurde von C G Jung als Enantiodromie bezeichnet Dieser Terminus geht auf Heraklit zuruck In dem Ausgleichungsprozess zwischen Gegensatzen ist auch nach Jung ein Grundprinzip der Psychodynamik zu erkennen ahnlich dem der Physik Auch hier wird Energie ahnlich wie in der Physik nur im Ausgleich der Gegensatze etwa zwischen hoch und tief oder heiss und kalt usw gewonnen 15 Konkretismus BearbeitenJung hat den Terminus des Primarprozesses nicht gebraucht dafur aber ahnliche Phanomene mit Begriffen wie Konkretismus und Participation mystique beschrieben 16 Jung verweist in diesem Zusammenhang auf die Arbeiten von Lucien Levy Bruhl 1857 1939 der fur die logischen Auffalligkeiten des archaischen Denkens die Bezeichnung Pralogik gepragt hat 17 Einzelnachweise Bearbeiten a b c Sigmund Freud Die Traumdeutung 1900 online bei Gutenberg folgende Seitenangaben anhand der Taschenbuchausgabe der Fischer Bucherei Aug 1966 a zur Definition des Primarvorgangs Kap VII Zur Psychologie der Traumvorgange S 489 b zu einigen Charakteristika von Primarvorgangen Kap VI Die Traumarbeit S 234 ff c zu Urworten Kap VI Die Traumarbeit S 265 f a b Primarvorgange In Wilhelm Karl Arnold u a Hrsg Lexikon der Psychologie Bechtermunz Augsburg 1996 ISBN 3 86047 508 8 Sp 1680 Primarvorgange In Uwe Henrik Peters Worterbuch der Psychiatrie und medizinischen Psychologie Urban amp Schwarzenberg Munchen 1984 S 424 6 Auflage Elsevier Verlag Munchen 2007 books google de Sigmund Freud Bruchstuck einer Hysterie Analyse 1905 e 1901 G W Bd V S 161 ff S 226 Anm 2 S 245 252 259 Studienausgabe Bd VI S 83 ff S 137 Anm 1 S 151 158 164 Erich Fromm Die Kunst des Liebens 1956 Ullstein Frankfurt 1984 Buch Nr 35258 S 85 ff a b Thure von Uexkull Grundfragen der psychosomatischen Medizin Rowohlt Taschenbuch Reinbek bei Hamburg 1963 a zu Stw Urmotive und Subjekt Objekt Spaltung Kap 9 Die Motive und ihre Geschichte S 108 110 b zu Stw Urmotive und Instanzen Kap 11 Die verschiedenen Motivationsbereiche und ihre Interferenz S 114 116 Fussn 16 Sven Olaf Hoffmann G Hochapfel Neurosenlehre Psychotherapeutische und Psychosomatische Medizin 1999 Neurotische Storungen und Psychosomatische Medizin CompactLehrbuch Schattauer Stuttgart 2003 ISBN 3 7945 1960 4 S 16 36 Hilde Bruch Psychiatric Quarterly 35 1961 S 458 a b Wolfgang Loch Zur Theorie Technik und Therapie der Psychoanalyse S Fischer Conditio humana hrsg von Thure von Uexkull amp Ilse Grubrich Simitis 1972 ISBN 3 10 844801 3 a zu Stw diverse Aspekte der fruhen Strukturbildung Imago affektives Handlungsschema und Primarprozess S 30 f 34 67 72 84 f 109 f 137 f 161 167 213 255 b zu Stw psychoanalytischer Beitrag zur Sprachforschung Rolle des Primarprozesses S 59 K Abel Der Gegensinn der Urworte 1884 Jurgen Habermas Der Universalitatsanspruch der Hermeneutik 1970 In Zur Logik der Sozialwissenschaften Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 517 Frankfurt 1982 S 352 Arnold Gehlen Urmensch und Spatkultur Frankfurt 1964 a b Sigmund Freud Zur Psychopathologie des Alltagslebens 1904 Gesammelte Werke Band IV S Fischer Verlag Frankfurt am Main 1953 folgende Seitenangaben aus Taschenbuchausgabe der Fischer Bucherei Nov 1954 a zu Stw Gesamtschilderung der S 13 18 b zu Stw Verschiebung S 13 zu Stw Motiv S 17 18 Mario Erdheim Die gesellschaftliche Produktion von Unbewusstheit Eine Einfuhrung in den ethnopsychoanalytischen Prozess suhrkamp taschenbuch wissenschaft 456 Frankfurt am Main 1988 ISBN 3 518 28065 1 S 212 ff Jolande Jacobi Die Psychologie von C G Jung Eine Einfuhrung in das Gesamtwerk Mit einem Geleitwort von C G Jung Fischer Taschenbuch Frankfurt 1987 ISBN 3 596 26365 4 S 58 Carl Gustav Jung Definitionen In Gesammelte Werke Walter Verlag Dusseldorf 1995 Sonderausgabe Band 6 Psychologische Typen ISBN 3 530 40081 5 766 769 S 479 ff Karl Heinz Hillmann Worterbuch der Soziologie Kroners Taschenausgabe Band 410 4 uberarbeitete und erganzte Auflage Kroner Stuttgart 1994 ISBN 3 520 41004 4 S 489 zu Lexikon Lemma Levi Bruhl Schreibweise Levi dort mit i Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Primarprozess amp oldid 208018502