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Bei den Prillwitzer Idolen handelt es sich um mehrere Dutzend Bronzeskulpturen und bronzene Reliefplatten aus der Mitte des 18 Jahrhunderts Sie sind zugleich bemerkenswerte kunstlerische Innovationen ihrer Hersteller wie auch geschickte Falschungen sollten sie doch den Anschein erwecken mit dem historischen Ort Rethra in Verbindung zu stehen Historische Abbildung eines bronzenen Prillwitzer IdolsPortrat Gideon Sponholz 1745 1807 Regionalmuseum NeubrandenburgDie Lokalisierung von Rethra dem bei Thietmar von Merseburg erwahnten mittelslawischen Heiligtum des 11 Jahrhunderts war uber Jahrhunderte ein bevorzugtes Ziel nordostdeutscher Geschichtsforschung Im Jahr 1768 tauchten im Besitz der alteingesessenen Goldschmiedefamilie Sponholz in Neubrandenburg zunachst eine dann noch weitere kleine mit Runen beschriftete Bronzefiguren auf die man fur slawische Gotzenbilder hielt Den Angaben der Besitzer zufolge stammten diese Bronzen aus einem Bodenfund den ein Vorfahr der Sponholzfamilie angeblich beim Pflanzen eines Baumes im Pfarrgarten in Prillwitz gemacht hatte Diese Figuren versetzten die norddeutsche Gelehrtenwelt in helle Aufregung denn unter den angeblich wendischen Runen war vielfach das Wort Rethra zu lesen und Prillwitz galt zu dieser Zeit allgemein als Statte des sagenumwobenen Heiligtums Zunachst erwarb der Neubrandenburger Arzt und Antiquitatensammler August Friedrich Christian Hempel 1737 1804 1 35 dieser Figuren Spater gelangten 22 weitere neue Gotzenfiguren in den Besitz der Herzoge von Mecklenburg Strelitz Gideon Sponholz 1745 1807 jungster Spross einer Neubrandenburger Goldschmiedefamilie Privatier und ebenfalls Antiquitatensammler galt seither als Geschichtsexperte Er richtete in Neubrandenburg ein erstes privates Museum ein und durfte mit herzoglicher Genehmigung Schatzgrabungen durchfuhren Der regierende Herzog Karl II von Mecklenburg Strelitz sah in den Prillwitzer Idolen einen genealogiegeschichtlichen Glucksfall Er versuchte mit den Artefakten eine obotritische Ahnenlinie seines Herzogtums zu begrunden Der Neustrelitzer Hofmaler Daniel Woge wurde beauftragt die Figuren in einer Kupferstichsammlung zu dokumentieren Das fertige Werk Gottesdienstliche Alterthumer der Obotriten aus dem Tempel zu Rethra am Tollenze See widmete Karl seiner Schwester der Konigin von England In einem Begleittext erweckte der Neustrelitzer Superintendent Andreas Gottlieb Masch den Eindruck der Ausgrabungsort sei ein nordisches Herculaneum Die Prillwitzer Idole waren jahrelang Gesprachsthema beim europaischen Hochadel Im Sommer 1794 kam der polnische Graf Jan Potocki auf seiner Reise durch Mecklenburg in das archaologische Kabinett des Gideon Sponholz um hier die Reste des Slawenthums zu studieren Er publizierte die Sammlung in der ein Jahr spater auf Franzosisch verfassten Reisebeschreibung Voyage dans quelques parties de la Basse Saxe pour la recherche des antiquites Slaves etc Die preussische Konigin Luise liess sich nach dem Vorbild der Idole ein Diadem und ihre Schwester Friederike Ohrspangen anfertigen 2 Karl II betrachtete die Parklandschaft um Prillwitz und seinen benachbarten Landsitz Hohenzieritz mit einer grossen Zahl von bronzezeitlichen Hugel und Kastengrabern als eine Art archaologischen Park Fur den Maler Caspar David Friedrich waren die Prillwitzer Idole und diese Landschaft Anregung fur mehrere seiner Hunengrab Bilder 3 1803 erwarb Herzog Karl die Sponholzsche Sammlung und stellt diese im Gutshaus von Prillwitz aus Goethe zeigte ebenfalls grosses Interesse an den mecklenburgischen Altertumern Er liess sich von dem in Mecklenburg reisenden Achim von Arnim daruber berichten 4 Die Schilderungen von Armins Besuch im Prillwitzer Gutshaus verwandte der Dichter 1808 literarisch im zweiten Kapitel seiner Wahlverwandtschaften Fur einen bildlichen Eindruck von der Landschaft kaufte er Caspar David Friedrichs Sepia Hunengrab am Meer fur die Sammlung des Weimarer Herzogs an Obwohl es von Anfang an Zweifel an der Glaubwurdigkeit der Geschichte und an der Echtheit der nach ihrem angeblichen Fundort Prillwitzer Idole genannten Bronzen gab sorgten die Stucke bis weit ins 19 Jahrhundert hinein mehrfach fur heftigsten Gelehrtenstreit Friedrich Ruhs Historiker und Professor an der Berliner Universitat veroffentlichte 1816 sein Handbuch der Geschichte des Mittelalters in dem er die Echtheit der Prillwitzer Idole unmissverstandlich in Zweifel zieht Aufgrund gerichtlicher Untersuchungen und fortschreitender Forschungsmethoden steht seit 1850 fest dass die Prillwitzer Idole oder wenigstens der uberwiegende Teil davon in der Werkstatt der Neubrandenburger Sponholz Bruder modelliert und gegossen worden sind Die zuletzt vollstandig in landesherrlichen Besitz gelangte Kollektion wurde bis 1945 als Teil der furstlichen Sammlungen in Neustrelitz gezeigt galt dann jahrzehntelang als Kriegsverlust und wurde erst gegen Ende der 1980er Jahre wiederentdeckt Heute gehoren die Stucke zum Sammlungsbestand des Mecklenburgischen Volkskundemuseums Schwerin Muess sind jedoch nicht Teil der standigen Ausstellung dort Die Prillwitzer Idole wirken mit ihrer willkurlichen Zusammenstellung unterschiedlicher Stilelemente eher skurril Ihre Entdeckungsgeschichte ging als Jahrhundertfalschung in die Geschichte Mecklenburgs ein Vor einigen Jahren liess sich Daniel Spoerri durch die Prillwitzer Idole zu eigenen Skulpturen inspirieren Frank Pergande Redakteur der FAZ machte ein Prillwitzer Idol zur Tatwaffe in seinem Regionalkrimi Der Fluch der Ente Literatur Auswahl BearbeitenAndreas Gottlieb Masch Daniel Woge Die gottesdienstlichen Alterthumer der Obotriten aus dem Tempel zu Rhetra am Tollenzer See Nach den Originalien auf das genaueste gemahlet und in Kupferstichen nebst Hrn Andreas Gottlieb Maschens Herzogl Mecklenb Strelitzischen Hofpredigers Consistorial Raths und Superintendentens Erlauterung derselben herausgegeben von Daniel Wogen Herzogl Mecklenb Strel Hofmahler Rellstab Berlin 1771 Digitalisat des Exemplars der Herzog August Bibliothek Jan Potocki Voyage dans quelques parties de la Basse Saxe pour la recherche des antiquites Slaves ou Vendes fait en 1794 par le comte Jean Potocki Hambourg 1795 Digitalisat Franz Boll Kritische Geschichte der sogenannten Prillwitzer Idole In Jahrbucher des Vereins fur Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde Bd 19 1854 S 168 286 Digitalisat ders Nachtrag zu der kritischen Geschichte der sogenannten Prillwitzer Idole In Jahrbucher des Vereins fur Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde Bd 20 1855 S 208 227 Digitalisat Rolf Voss Die Schein Heiligen von Prillwitz Regionalmuseum Neubrandenburg zeigt spektakulare Falschungen aus dem 18 Jahrhundert In Das Museumsmagazin 2005 S 34 35 Volltext Memento vom 9 Oktober 2007 im Internet Archive PDF Datei 197 kB Daniel Spoerri Prillwitzer Idole Kunst nach Kunst nach Kunst Anlasslich der gleichnamigen Ausstellung Staatliches Museum Schwerin 2 September 26 November 2006 Schwerin 2006 ISBN 3 86106 094 9 Rainer Szczesiak Auf der Suche nach Rethra Die Prillwitzer Idole Mit einem Reisebericht von Daniel Spoerri 2 uberarbeitete Aufl Neubrandenburg 2006 Schriftenreihe des Regionalmuseums Neubrandenburg Nr 39 Gundula Tschepego und Peter Schussler Hrsg Walter Karbes Kulturgeschichte des Landes Stargard von der Eiszeit bis zur Gegenwart Thomas Helms Verlag Schwerin 2008 ISBN 978 3 940207 02 9 Andrea Linnebach In den Sumpfen der Hypothesen Wissensvermittlung auf Irrwegen Die Prillwitzer Idole und die landesarchaologische Forschung in der Aufklarungszeit In Buchkultur und Wissensvermittlung in Mittelalter und Fruher Neuzeit Hrsg v Andreas Gardt Mireille Schnyder Jurgen Wolf Berlin Boston 2011 S 293 310 Frank Pergande Der Fluch der Ente Thomas Helms Verlag Schwerin 2011 ISBN 978 3 940207 58 6Einzelnachweise Bearbeiten Er war seit 1762 Arzt in Neubrandenburg ein Sohn des Neustrelitzer herzoglichen Leibarztes Joachim Jaspar Johann Hempel 1707 1788 Vgl Boll 1854 S 176 der doctor medicinae Hempel zu Neubrandenburg ein Sohn des damaligen herzoglichen Leibarztes Brief von Achim von Arnim an Goethe vor dem 28 Mai 1808 In Carl Schuddekopf Ooskar Walzl Goethe und die Romantik Briefe und Erlauterungen 2 Band Weimar 1898 Schriften der Goethegesellschaft Bd 13 S 111 f Detlef Stapf Caspar David Friedrich Die Biographie Okapi Verlag Berlin 2019 ISBN 978 3 947965 02 1 S 214 Johann Wolfgang von Goethe Weimarer Ausgabe WA Goethes Werke Herausgegeben im Auftrage der Grossherzogin Sophie von Sachsen Abtlg I IV 133 Bande in 143 Teilen Weimar 1887 1919 IV 20 S 279Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Prillwitzer Idole Sammlung von Bildern Videos und Audiodateien Literatur uber Prillwitzer Idole in der Landesbibliographie MVNormdaten Werk GND 7665621 4 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Prillwitzer Idole amp oldid 236504710