www.wikidata.de-de.nina.az
Die Pataria war eine ekstatische religiose Bewegung im 11 Jahrhundert in Oberitalien Der Ursprung des Namens ist ungeklart 1 Die Bewegung die Mitte des 11 Jahrhunderts in Mailand entstanden war und spatestens seit 1075 als Pataria bezeichnet wurde breitete sich vom Zentrum Mailands bis nach Cremona Piacenza und Brescia aus und besass auch Verbindungen nach Florenz Der Name Patarener wurde in spaterer Zeit pauschal und ohne historische Kontinuitat fur die Katharer weiterverwendet Inhaltsverzeichnis 1 Bedeutung 2 Entstehung Aufstieg Scheitern 3 Offentlichkeit Stadtische Gemeinschaft Volksversammlung 4 Neubeginn 5 Spaltung 6 Gottesurteil 7 Quellenlage 8 Literatur 9 EinzelnachweiseBedeutung BearbeitenEntstehung und Entwicklung der Pataria sind eng verwoben mit den grossen Konfliktlinien des 11 Jahrhunderts Von zentraler Bedeutung war auch hier der Streit zwischen Papst und Konigtum um die Investitur der Bischofe Er wurde zum Ende des 11 Jahrhunderts zu einem grundsatzlichen Konflikt zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt Vor diesem Hintergrund ist das Wirken der Pataria einer religiosen Bewegung in mehreren oberitalienischen Stadten zu sehen Radikale Kleriker und in der ubergrossen Mehrheit Laien nahmen in Mailand Cremona Piacenza und Brescia gegen den ortlichen Bischof bzw Erzbischof und den jeweiligen stadtischen Klerus die sittliche und religiose Erneuerung in die eigenen Hande Insbesondere der Reichtum des hoheren Klerus das Konkubinat vieler Kleriker und die Simonie waren Gegenstand ihrer Kritik 2 Dabei nutzten sie geschickt die bestehenden fruhkommunalen Strukturen fur ihre Agitation und die Durchsetzung ihrer Ziele So erfuhren die bereits bestehenden Formen gemeinschaftlicher Willensbildung und Entscheidungsfindung eine deutliche Aufwertung Das Wirken der Pataria wurde zu einem Beschleuniger der kommunalen Entwicklung in Oberitalien Entstehung Aufstieg Scheitern BearbeitenDer Verlauf der ersten Pataria und ihres Kampfes zur Reinigung und sittlichen Hebung des Mailander Klerus kann grob in zwei Phasen eingeteilt werden Seit ungefahr 1055 lasst sich Ariald der Begrunder der Pataria nachweisen Sein erstes Auftreten entsprach den Reformbestrebungen der Mitte des 11 Jahrhunderts Er predigte teilweise unter dem Einfluss romischer Reformideen eine radikale Sauberung des Mailander Weltklerus dem vor allem die Sunde der Simonie vorgehalten wurde Von zentraler Bedeutung war die Unterstutzung durch den Domkleriker und Abkommling aus einer der fuhrenden Mailander Adelsfamilien Landulf Cotta Die verschiedenen Quellen heben besonders seine Redekunst hervor Ihm gelang es den Mailandern Burgern in oft drastischer Sprache zu vermitteln dass ein kauflicher und unkeuscher Klerus ihr aller Seelenheil bedrohe Als grosster Erfolg dieser Zeit gilt mit Hilfe einer papstlichen Legation unter der Fuhrung von Petrus Damiani und Anselm von Lucca spater Papst Alexander II die Erzwingung eines Eides mit dem Erzbischof Wido 1045 1071 und die Gesamtheit des Mailander Domklerus der Simonie entsagten Nachdem Landulf um 1062 an den Spatfolgen fruherer Misshandlungen gestorben war begann mit dem Auftreten des Laien Erlembald seines machtigen und angesehenen Bruders 1064 eine neue Phase der Pataria die bis zu dessen Tod im Fruhjahr 1075 anzusetzen ist Sie ist gekennzeichnet durch die deutliche und von vielen Mailandern durchaus kritisch gesehene Anlehnung der Patarener an die romischen Reformer und lang andauernde Auseinandersetzungen um die Neu Besetzung des erzbischoflichen Stuhls Mit Erlembald waren auch seine Vasallen und Lehnsleute in die Pataria eingebunden die damit seit 1064 deutlich kriegerische Zuge erhielt Erlembald erreichte 1066 in Rom die Exkommunikation des Mailander Erzbischofs Wido unterschatzte aber anscheinend die Heftigkeit der Gegenreaktionen innerhalb Mailands Ariald musste noch im selben Jahr die Stadt verlassen und wurde auf der Flucht von seinen Gegnern ermordet Nach dem Martyrertod Arialds war die Pataria nun auf Erlembalds alleinige Fuhrung ausgerichtet Erlembald der sich immer wieder auf seinen papstlichen Auftrag berief stand zum Schluss zwar zunehmend isoliert da weil seine radikalen Aktionen von der Mehrheit der Stadtbevolkerung immer weniger gutgeheissen wurden dominierte aber mehrere Jahre die Mailander Politik Erst ein Grossbrand im Jahre 1075 gab seinen Gegnern die immer wieder als Legitimation die Eigenstandigkeit der Mailander gegenuber der romischen Kirche betonten Ambrosianischer Ritus die Moglichkeit ihn zu sturzen Es gelang ihnen den Brand gegenuber den Mailandern als Strafgericht Gottes fur Erlembalds Taten darzustellen Am 15 April 1075 wurde Erlembald im Strassenkampf getotet Mehrere der engsten Anhanger Erlembalds wurden getotet oder verstummelt anderen gelang die Flucht nach Cremona einigen vielleicht sogar nach Florenz Nicht zu unterschatzen ist die soziale Komponente dieser Auseinandersetzungen Zwar kamen die Anhanger der Pataria aus allen Standen aber alle Quellen auch die patariafreundlichen betonen die breite nichtadlige Anhangerschaft wahrend die adligen Familien aus deren Reihen der Mailander Domklerus stammte Gegner der Pataria waren Das propatarenische Engagement Erlembalds und Landulf Cottas Angehorigen der Mailander Fuhrungsschicht stellt somit eine Ausnahme dar Offentlichkeit Stadtische Gemeinschaft Volksversammlung BearbeitenBei der Untersuchung des Wirkens der Pataria in den Jahren von 1057 bis 1075 tritt nicht nur die Aufwertung der stadtischen Gemeinschaft als eine in sich zusammenhangende Struktur deren Teile funktional aufeinander abgestimmt und bezogen waren immer deutlicher hervor sondern auch die Bedeutung von Offentlichkeit als Raum in dem die Auseinandersetzungen zwischen Patarenern und Vertretern der ambrosianischen Ordnung ausgetragen wurden War die stadtische Gemeinschaft Mailands sowohl der Geltungsbereich als auch der Trager und Garant der bestehenden Ordnung so bedeutete Offentlichkeit die demonstrative Beteiligung und Verpflichtung aller bzw die Prasenz der standigen sozusagen alltaglichen Lebensgemeinschaft D h das zu Behandelnde und zu Entscheidende stand jedermann offen und bei wichtigen alle betreffenden Massnahmen Entscheidungen Vertragen und Einungen hatte Offentlichkeit konsensstarkenden und begrundenden Charakter Damit verbunden war auch ein Wachstumspotenzial der Bedeutung offentlicher Rede Weitgehende Massnahmen waren daher in den tiefgreifenden Auseinandersetzungen um die Reinheit der Mailander Kirche auch von den machtigsten stadtischen Gruppierungen nur im Zusammenwirken mit der Stadtgemeinde in der Volksversammlung durchsetzbar Sollte uber die Gemeinschaftsbildung Arialds und dem hastigen Aktionismus der fruhen Jahre hinaus eine Etablierung und Wirkung der Pataria auf Dauer erreicht werden so war dies die Instanz auf die eingewirkt werden musste Aus diesem Grund war es keineswegs ein Zufall dass die Patarener wiederholt die Volksversammlung und die Orte wo sie stattfand fur ihre Agitation wahlten Hier bestand die Moglichkeit moglichst rasch eine grosse Zahl von Einwohnern zu informieren und zu vereinigen Das Mittel der Vollversammlung wurde durch das Wirken der Pataria von einer schon lang eingeubten zur breit beanspruchten Praxis Die benutzten Handlungsmuster werden schon fur das Jahr 1057 erkennbar als Boten schriftliche Aufrufe Arialds auf den Platzen der Stadt verlesen und damit zur Versammlung aufgerufen wurde Die Vorgeschichte dieser Aktion Nachdem ein Angehoriger des Mailander Domklerus Ariald nach beleidigenden Ausserungen uber die ambrosianische Geistlichkeit geschlagen hatte liefen Landulf und mehrere andere Patarener unter lautem Schreien zum Theater und von dort wurden dann die Boten ausgeschickt um alle zu versammeln Durch das laute Schreien des Opfers wurde nicht nur vor den Augen aller Anklage erhoben sondern es sollte auch die stadtische Gemeinschaft um Schutz und Bestrafung angerufen und das dafur notwendige sofortige Zusammenfinden der stadtischen Gemeinschaft bewirkt werden Selbst patarenerfeindliche Quellen vermerken hier keine Widerstande und Irritationen Alle Angehorigen der stadtischen Gemeinschaft fanden sich wie selbstverstandlich ein Offentlich am besten mit seinen Anhangern das angetane Unrecht zu beklagen darauf kam es an damit war Offentlichkeit geschaffen die stadtische Gemeinschaft zur Ordnungswahrung aufgerufen Gerade die Benutzung der legalen Versammlungsformen und foren sicherte daruber hinaus breiteste Aufmerksamkeit Auf diesem Wege konnten sich die Patarener und auch die Ambrosianer das notwendige Mass an Offentlichkeit sichern Es stand nicht von vornherein fest ob die erhoffte Art der Mobilisierung aller gluckte daher boten sich schon aus sehr praktischen Grunden das Theater der Dom oder S Ambrogio an traditionelle Versammlungsorte die durch Prestige und Architektur ein gewisses Mass an Kontrolle bzw erzwungene eidliche Verpflichtungen auch widerstrebender Anwesender gewahrleisten konnten Die in den Quellen oft beilaufig erwahnte Versammlung zum Beispiel im Theater war nicht nur der Ort offentlicher Debatten und gemeinsamer Entschliessungen sondern auch eine Art Anklageforum bei Verstossen gegen den stadtischen Frieden und gegen die idealiter von allen getragene stadtische Friedensordnung Dass wir hier nicht nur ein Abstraktionsprodukt sondern ein quellenmassig fassbares Bewusstsein vor uns haben und die qualitative Veranderung dessen was fruher und jetzt dort entschieden wurde fassbar wird zeigen ganz besonders Berichte des patariafeindlichen Landulf des Alteren zu Ubergriffen auf die Patarenerfuhrer Ariald und Landulf Sie machen deutlich dass gerade der Vorwurf der Verletzung des stadtischen Friedens wiederholt der Grund fur eine Einberufung der Volksversammlung war Auch wenn der Eindruck besteht dass die Patarener in von Landulf dem Alteren beschriebenen Fallen den Grund fur die Einberufung durch gezielte Provokationen selbst geschaffen haben konnten so wird dennoch deutlich dass eine solche Versammlung aller weder willkurlich einberufen werden konnte noch so ist zu vermuten einfach aufgelost bzw missachtet werden konnte Danach bemass sich nicht nur die Stellung des einzelnen Stadtburgers innerhalb der Stadtgemeinde sondern auch Erlembalds immer wieder zu aktualisierende Autoritat in der zweiten Phase der Pataria Die Volksversammlung ist damit nicht nur als Schauplatz spektakularer Ereignisse sondern auch als Ort politischer Entscheidungsfindung zu betrachten Die farbigen Berichte Landulfs uber die mit dem Wirken der Pataria verbundenen Ausschreitungen konnen nicht daruber hinwegtauschen dass in den von den Quellen beschriebenen mit Fanfaren und Glockengelaut einberufenen Versammlungen nicht unbestandiger Pobel sondern die Mailander Einwohnerschaft grundsatzliche fur alle bindende Entscheidungen getroffen und mitgetragen hat und sich durch das iuramentum commune zur Einhaltung verpflichtete Dies galt betont auch fur die kirchliche Ordnung der Stadt Aus der Perspektive Arnulfs eines anderen patariafeindlichen Autors und Landulfs des Alteren waren diese Versammlungen Ausdruck politischer Macht die von den Patarenern missbraucht werden konnten Aber auch von Seiten der Vertreter der altambrosianischen Partei erblickte man hier eine legitimierende Macht derer man sich bedienen konnte Neubeginn BearbeitenDer Tod Erlembalds 1075 war nicht das Ende der Pataria in Mailand Spatestens 1095 wird deutlich dass es wieder eine neue aktive Pataria gab Ihre Bedeutung innerhalb Mailands wurde von Arnulf III durchaus gewurdigt worauf die Erhebung der Gebeine des Patarenerfuhrers Erlembald durch Papst Urban II und Erzbischof Arnulf III im Mai 1095 verweist Man kann dieses zentrale Ereignis als Versuch des Erzbischofs werten zu einem Ausgleich mit den Patarenern zu kommen die nun wieder als feste Grosse im stadtischen Leben etabliert waren Demonstrativ wurde bald allen vor Augen gefuhrt dass sich die Verhaltnisse in Mailand geandert hatten Dass eine jetzt positive Bewertung der ersten Pataria auch fur ihre zweite Phase unter Erlembald zumindest bei Teilen der Mailander Bevolkerung eingesetzt hatte bzw beginnen sollte zeigt die anschliessende Translation des 1075 erschlagenen Patarenerfuhrers in die prachtige Basilika von S Dionigi mit dem in der Nahe liegenden von Erzbischof Aribert gegrundeten und reich ausgestatteten gleichnamigen Monasterium Damit war eine spektakulare Einbindung des Blutzeugen fur eine Ausrichtung nach Rom in die ambrosianische Tradition erfolgt die auch fur die Folgezeit Bestand hatte Auch die Agitationen begannen wieder Sie sind verbunden mit Liprand einem engen Vertrauten Erlembalds der nach dessen Tode verstummelt worden war Er hatte aber die erlittenen Misshandlungen uberlebt Petrus Crassus informiert in seiner Ende 1083 verfassten Defensio Heinrici regis uber das Weiterwirken der Pataria in Mailand wobei Liprand zwar als entstellt aber dennoch weiter agitierend beschrieben wird In einem Brief noch aus dem Jahre 1075 trostet Gregor VII Liprand nicht nur wegen der erlittenen Misshandlungen sondern drangt ihn auch weiterhin sein Priesteramt auszuuben Der ausdruckliche Hinweis dass er fur den Fall dass er nach Rom kame mit grossen Ehren aufgenommen wurde lasst nicht nur darauf schliessen dass sich Liprand weiterhin in Mailand befand sondern auch dass seine Rolle innerhalb der Pataria doch bedeutender war als es fruhere diffamierende Ausserungen des Chronisten Arnulf erscheinen lassen Dabei liesse sich auch argumentieren dass Liprand eine wichtige Rolle gespielt haben muss sonst hatte Arnulf sich wohl kaum die Muhe gemacht ihn herabzusetzen Gregor VII gewahrte Liprand zudem den papstlichen Schutz und verlieh ihm Ende 1075 das Appellationsrecht ein Privileg das spater von diesem Papst auch einigen Gonnern des seligen Ariald gewahrt wurde Dennoch scheint die Pataria ab 1075 langere Zeit keine bedeutende Rolle mehr zu spielen Spaltung BearbeitenAb 1096 erscheint sie dennoch wieder offen in Aktion als erneut eine konfliktreiche Neubesetzung des Mailander Bischofsstuhls anstand Die nun anstehenden Auseinandersetzungen um die Mailander Erzbischofe Anselm IV Grossolan und Jordanus zeigen erneut wie stadtische Parteiungen um die Unterstutzung der Stadtgemeinde ringen und in der Volksversammlung versucht wird diese Konflikte zu entscheiden und beizulegen Aber die Zeiten hatten sich auch fur die Pataria geandert Die Gemeinschaft der Patarener war von einem langfristigen Schisma betroffen das sie in zwei Gruppen unter Liprand und unter Nazarius Muricula aufspaltete Das fuhrte dazu dass jede der beiden Patarenergruppen in den folgenden Jahren einen anderen Kandidaten bei der Besetzung des Mailander Bischofsstuhl unterstutzte Wie zur Zeit der ersten Pataria spielte auch 1096 97 zusatzlich der sensible Bereich des Verhaltnisses zur romischen Kirche eine wichtige Rolle Das problematische Verhaltnis zu Urban II bzw zur romischen Kirche war es dann wohl das zur Spaltung der bestehenden patarenischen Gemeinschaft in einen romischen und mailandischen Flugel fuhrte 1097 standen die Patarener um Nazarius fur eine enge und bedingungslose Anlehnung an Urban II wahrend die Patarener um Liprand lediglich die Unterstutzung durch Urban II im Kampf zur Reinigung der Mailander Kirche verlangten und sich nicht als Instrument des Papstes sahen Der neue Erzbischof Anselm IV bemuhte sich um breiten Ruckhalt bei beiden patarenischen Gruppen Einen deutlichen Hinweis darauf gibt die 1099 von Anselm IV vorgenommene demonstrative Translation nun auch der Gebeine des Patarenerfuhrers Ariald nach S Dionigi Dies konnte der deutlichste Versuch gewesen sein nachtraglich die Unterstutzung der ihm ablehnend gegenuberstehenden Patarener unter Liprand zu gewinnen Mit den Translationen der Gebeine Erlembalds und Arialds vom alten Patarenerstutzpunkt S Celso zum prachtigen Monasterium S Dionigi der Grundung des zu diesem Zeitpunkt schon legendaren Erzbischofs Aribert aus der ersten Halfte des 11 Jahrhunderts war die Pataria innerhalb weniger Jahre zweimal durch die Mailander Erzbischofe aufgewertet und demonstrativ in die ambrosianische Tradition eingebunden worden Fur Anselm IV scheint die Erlangung der Unterstutzung aller Mailander Gruppen fur den bevorstehenden ersten Kreuzzug von besonderer Bedeutung gewesen zu sein Das Kreuzzugsunternehmen war wahrscheinlich nicht nur bei den Patarenern umstritten Dass es Anselm dennoch gelang eine breite Unterstutzung zu gewinnen zeigt der Aufbruch der zahlenmassig durchaus eindrucksvollen lombardischen Abteilung nach Kleinasien im Jahre 1100 Neben vielen anderen angesehenen Mailandern nahmen bezeichnenderweise auch ehemalige Gegner des neuen Erzbischofs daran teil Gottesurteil BearbeitenAnselm IV starb am 30 September 1101 in Konstantinopel nach dem spektakularen Scheitern der lombardischen Kreuzfahrer Die Erhebung seines Nachfolgers Grossolan war von Anfang an derart umstritten dass dieser sich bald gezwungenermassen einem von dem Patarenerfuhrer Liprand schon langer geforderten Gottesurteil unterzog das unter tumultahnlichen Bedingungen stattfand Liprand hatte nach Vorbild der Vallombrosaner in Florenz die Feuerprobe mit Simonievorwurfen gegen Erzbischof Grossolan begrundet und sich bereit erklart den Scheiterhaufen zu durchschreiten um die Richtigkeit seiner Anschuldigungen zu beweisen Die Quellen insbesondere Landulf der Jungere ein Neffe Liprands uberliefern ein vorangegangenes tumultuarisch verlaufendes offentliches Streitgesprach in dem sich der umstrittene Erzbischof im Vorfeld der Feuerprobe vergeblich gegen die Simonievorwurfe wehrte Wahrend Grossolan angeblich auf die hinter ihm stehende papstliche Autoritat vertraute gelang es Liprand in der Volksversammlung die Stadtgemeinde davon zu uberzeugen dass die Feuerprobe unbedingt durchgefuhrt werden musse Mit der Autoritat der Volksversammlung wurde dann das Gottesurteil vollzogen Besonderes charakteristisch am Verlauf des Gottesurteils ist dass seine Rechtmassigkeit als objektives Verfahren durch wahrscheinlich paritatisch ausgewahlte Beauftragte der Volksversammlung gewahrleistet wurde Die Mailander Stadtgemeinde nahm fur sich in Anspruch in einem objektiven Verfahren dem Gottesurteil dessen Rechtmassigkeit sie durch Teilnahme ihrer Beauftragten gewahrleistete uber die Rechtmassigkeit der Umstande der Erhebung und die Amtsfuhrung ihres Erzbischofs eine Entscheidung herbeizufuhren Grossolan verliess nach dem zu seinen Ungunsten verlaufenen Gottesurteil vom 25 Marz 1103 als Liprand anscheinend die Feuerprobe bestanden hatte fluchtartig die Stadt Er wandte sich nun selbst an Papst Paschalis II aber die romische Entscheidung zu seinen Gunsten aus dem Jahre 1105 wurde in Mailand ignoriert Auffallig ist dass sich auch Liprand spatestens um 1105 6 nicht mehr in Mailand befand Schon kurz nach der Feuerprobe waren namlich Zweifel aufgekommenen Nach mehreren Tagen immer noch aussergewohnlich schwere Verletzungen ohne sichtbaren Heilungsfortschritt an den Handen und Fussen Liprands zeigten nach Ansicht vieler dass auch er das Gottesurteil nicht bestanden hatte Die hilflose Erklarung dass ein Pferd noch nachtraglich auf Liprands Fuss getreten hatte scheint die Spannungen eher noch verstarkt zu haben Es kam erneut zu bewaffneten Auseinandersetzungen in deren Verlauf sich erneut ein grosser Teil der stadtischen Gemeinschaft eidlich verband Liprand musste bald nach Grossolan die Stadt verlassen und damit endet die uberlieferte Geschichte der Pataria in Mailand und Oberitalien Quellenlage BearbeitenFur den Zeitraum der ersten Pataria in Mailand gibt eine zeitgenossische ausserst reiche Uberlieferung wie sie sonst fur oberitalienische Stadte nicht existiert und die sich zum Teil zur Pataria sehr kritisch ausserte Die im Vergleich grosse Anzahl von Berichten uber das Wirken der Patarener ihre soziale Breitenwirkung und der durch sie verursachten Erschutterungen des religiosen und politischen Gemeinwesens hat seinen tieferen Grund in den heftigen emotionalen Reaktionen welche die Auseinandersetzungen in der lombardischen Metropole beherrschten und die zeitgenossischen Quellen in ihrer situationsbedingten Ausformung im Wesentlichen initiierten Besonders fur die Autoren die die alte Ordnung gegen die Patarener verteidigten gilt Die einzelnen Chronisten hielten bei der Reflexion der zeitgenossischen Ereignisse fur sie wichtige Ereignisse fest um aus ihnen nachahmenswerte oder abschreckende Beispiele politischen und sittlichen Verhaltens zu machen Die fur die Zeit der Patarener vorliegenden historiographischen und hagiographischen Berichte sind fast immer leidenschaftliche Stellungnahmen fur oder gegen die patarenische Bewegung In ihren historischen Wahrnehmungsweisen charakterisieren sie in ihren unterschiedlichen Perspektiven die interpretatorische Spannweite dieser Jahre und reprasentieren Geschichtsschreibung mit unmittelbarem Bezug zum Handeln Dabei galt gerade fur die Beurteilung der Pataria durch die Protagonisten der altambrosianischen Ordnung Eine derart bedrohliche Bewegung wie die Pataria konnte nicht einfach nur verurteilt werden Es musste auch versucht werden sie zu interpretieren denn die tieferliegenden Prinzipien des Handelns der Patarener haben bereits den Zeitgenossen und nicht minder den spateren Generationen Ratsel aufgegeben und Kontroversen hervorgerufen Das Phanomen der Pataria deren hervorstechendste Signatur ihre uberaus starke und viel kritisierte Mobilisierung und Beteiligung von Laien war bedurfte der Ver und Aufarbeitung Fur beide Seiten die Patarener und die Vertreter der uberlieferten ambrosianischen Ordnung galt es das Verhalten der eigenen Richtung verstandlich zu machen auch und vor allem durch Schilderung von Reden Verhandlungen Verabredungen und Einigungen Die Autoren waren durchweg Geistliche und ihr Blick konzentrierte sich auf den Zustand und die Bedrohung der Mailander Kirche bzw auf die Krise der ambrosianischen Ordnung Dass deren Zustand vor den Auseinandersetzungen keineswegs einwandfrei war wird dabei manchmal auch durch die proambrosianischen Autoren eingeraumt Die Quellen geben keine wie auch immer geartete Schilderung der Anfange der Kommune Aber die tiefgreifende Krise forderte auch einen breiten Raum zur Beschreibung weltlicher Ereignisse mit einigen fragmentarischen Erklarungsversuchen der sich verandernden strukturellen Rahmenbedingungen In der Literatur wird oft auf Auslassungen und Verfalschungen in den einzelnen Berichten hingewiesen Das kann aber nicht als hinreichender Bewertungsmassstab fur einzelne Autoren betrachtet werden diese Mangel verdeutlichen vielmehr die unterschiedlichen Wahrnehmungen der Vorgange durch die unmittelbar betroffenen Zeitzeugen Da die wichtigsten Quellen erst in den 1070er Jahren abgefasst wurden waren den Autoren ebenso wie den Adressaten ihrer Werke wohl kaum noch alle Einzelheiten der Fruhzeit der patarenischen Wirren seit den 1050er Jahren gegenwartig Als ausserst problematisch mussen Vorstellungen permanenten Aufruhrs und andauernder Kampfe von 1057 bis 1075 betrachtet werden auch wenn die immanente Auswahl und gedrangte Darstellung des zu Berichtenden vor allem bei Arnulf und Landulf dem Alteren eine derartige Sicht nahelegen Besonders der Bericht Landulfs des Alteren der die Auseinandersetzungen in Mailand extrem schildert ist durch sein Darstellungsziel deutlich gepragt Er versucht aufzuzeigen wie die gottgewollte und bewahrte alte Ordnung durch den Ansturm der Pataria bedroht wurde wie gefahrlich deren Umtriebe waren und wie knapp das Verhangnis noch einmal abgewendet wurde Seine systematische Darstellungsweise fuhrt dabei oft durch mehrere Jahre getrennte und unverbundene Ereignisse unter Verkurzung des zeitlichen Abstands zugunsten eines geschlossenen Bildes zusammen So entsteht schnell das Bild eines standigen Aktionismus der Strasse das durch die Konzentration auf die spektakularen Hohepunkte den Alltag fast vollig auszusparen scheint Aber auch bei Landulf dem Alteren ist auffallig wie sehr sich das eigentlich entscheidende Geschehen im weiteren Verlauf von der Strasse in die Versammlungen der Stadtbewohner verlagert Literatur BearbeitenHagen Keller Pataria und Stadtverfassung In Investiturstreit und Reichsverfassung Vortrage und Forschungen 17 Sigmaringen 1973 S 321 350 grundlegend Hagen Keller Olaf Zumhagen Pataria In Theologische Realenzyklopadie TRE Band 26 de Gruyter Berlin New York 1996 ISBN 3 11 015155 3 S 83 85 Paolo Golinelli La pataria Mailand 1984 Paolo Golinelli Pataria In Lexikon des Mittelalters Bd 6 Berlin 1993 Sp 1776f Olaf Zumhagen Religiose Konflikte und kommunale Entwicklung Mailand Cremona Piacenza und Florenz zur Zeit der Pataria Koln 2002 mit Beschreibung des Verlaufs der Pataria auch in den Nachbarstadten Gerd Tellenbach Die westliche Kirche vom 10 Bis zum fruhen 12 Jahrhundert Gottingen 1988 Anton Kruger Die Pataria in Mailand Die Pataria in Mailand I Breslau 1873 Digitalisat Die Pataria in Mailand II Breslau 1874 Digitalisat Einzelnachweise Bearbeiten Nach dtv Worterbuch der Kirchengeschichte von Carl Andresen und Georg Denzler dtv 3245 Munchen 1984 2 ISBN 3 423 03245 6 Pataria S 460 handelt es sich um ein Stadtviertel des mittelalterlichen Mailand nach dem die Patarener benannt sind Das dtv Worterbuch zur Geschichte dtv 3037 Munchen 1983 2 ISBN 3 423 03037 2 ubersetzt Pataria mit Lumpengesindel was der Worterklarung in der italienischsprachigen Wikipedia nahekommt Pataria in dtv Worterbuch zur Geschichte Band 2 dtv 3037 Munchen 1983 5 S 601 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Pataria amp oldid 238332267