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Mutationismus auch Mutationstheorie oder Mendelismus ist eine Evolutionstheorie die die kreative und lenkende Rolle von diskontinuierlichen Mutationen in der Evolution hervorhebt Die Theorie zu deren Urhebern mehrere Grunder der modernen Genetik gehorten wurde am Anfang des 20 Jahrhunderts popular als die Mendelschen Regeln wiederentdeckt wurden und die experimentellen Resultate nicht mit der Darwinschen Evolutionstheorie vereinbar schienen Nachdem er es in den ersten Jahrzehnten des 20 Jahrhunderts zu grosserer Popularitat gebracht hatte verlor der Mutationismus an Bedeutung und galt als obsolet nachdem sich die Synthetische Evolutionstheorie durchgesetzt hatte Dennoch gibt es auch heute noch Wissenschaftler die mutationistische Standpunkte vertreten Inhaltsverzeichnis 1 Probleme mit Darwins Evolutionstheorie 2 Mutationismus als Alternative zum Darwinismus 3 Ubergang zur Synthetischen Evolutionstheorie 4 Rolle in der heutigen Biologie 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseProbleme mit Darwins Evolutionstheorie BearbeitenIn Darwins Evolutionstheorie war Naturliche Selektion der entscheidende Evolutionsfaktor Ausgehend von kontinuierlicher Variation die in einer naturlichen Population stets besteht ist die Selektion das treibende kreative Element das die Entstehung und Veranderung von Arten ermoglicht Darwin selbst konnte den Mechanismus der Variation nicht befriedigend erklaren er berief sich auf lamarckistische Erklarungsansatze und sah die kontinuierliche Fluktuation als Reaktion auf veranderte aussere Lebensbedingungen Die experimentelle Bestatigung fur die Erblichkeit der Variation im Sinne Darwins blieb aber aus Im ersten Jahrzehnt des 20 Jahrhunderts das spater auch als Dunkelzeit des Darwinismus Eclipse of Darwinism bezeichnet wurde 1 war Darwins auf naturlicher Selektion beruhende Evolutionstheorie daher keineswegs allgemein akzeptiert Konkurrierende Theorien zu denen neben dem Mutationismus der Neolamarckismus und die Orthogenese gehorten hatten ebenfalls eine bedeutende Anhangerschaft Die Wiederentdeckung der Mendelschen Regeln verscharfte die Krise des Darwinismus zunachst sogar Die Kreuzungsexperimente schienen zu belegen dass der Grossteil der sichtbaren Variation nicht erblich ist Diejenigen Eigenschaften die vererbbar waren wurden nach den Mendelschen Regeln hingegen diskontinuierlich vererbt Mutationismus als Alternative zum Darwinismus BearbeitenUnter dem Namen Mutationismus werden verschiedene Erklarungsansatze gefuhrt die allesamt die Rolle von Mutationen gegenuber der Selektion hervorheben sich aber in Details unterschieden Die bekannteste Mutationstheorie stammt von Hugo de Vries der ein experimentell orientierter Biologe war und sich von spekulativen Erklarungsansatzen abzugrenzen versuchte Seine Mutationstheorie bzw die von ihm um 1900 begrundete 2 Lehre von den Mutationen die auf Forschungen an Nachtkerzen basiert besagt dass die Merkmale von Organismen aus separaten und unabhangigen Einheiten bestehen 3 De Vries lehnte Darwins Gradualismus ab und vertrat stattdessen einen Saltationismus also sprunghafte Anderungen Hierzu stellte er Darwins kontinuierlicher Variation diskontinuierliche Makro Mutationen entgegen Unter Mutationen verstand de Vries singulare im Vergleich zu Darwins allgegenwartiger Fluktuation seltene Ereignisse die die treibende Kraft der Evolution sind Trotz dieser Gegensatze versuchte de Vries stets seine Theorie in die Tradition Darwins zu stellen 4 So bestritt er nicht die Wichtigkeit der Selektion und nannte sie sogar Das grosse Prinzip das Evolution von Organismen bestimmt 5 In seiner Theorie nahm Selektion dennoch nicht die zentrale Rolle ein wie bei Darwin kreatives Element der Evolution waren spontane Mutationen Thomas Hunt Morgan vertrat eine radikalere Version von De Vries Mutationstheorie In seiner Schrift Evolution und Adaptation von 1903 prasentierte er den Mutationismus ausdrucklich als Gegenbild zu Darwins Evolutionstheorie Fur Morgan hatte die Selektion nur noch die passive Rolle zu verhindern dass sich schadliche Mutationen durchsetzen Treibendes Element der Evolution waren Mutationen im Sinne de Vries 6 Andere bedeutende Genetiker die zu den Mutationisten gezahlt werden sind William Bateson Wilhelm Johannsen und Reginald Punnett Ubergang zur Synthetischen Evolutionstheorie BearbeitenNachdem sich die Synthetische Evolutionstheorie durchgesetzt hatte in der Genetik Populationsgenetik und Evolution in Einklang gebracht wurden nahm die Bedeutung des Mutationismus stark ab Die Synthetische Evolutionstheorie erkennt die Existenz von Mutationen zwar an sieht sie jedoch nicht als treibende oder gar kreative Kraft der Evolution an Das Schlusselkonzept war nun der Genpool der stets ein reiches Reservoir an kontinuierlicher Variation bereitstellt in welchem Selektion wirken kann Einzelne Mutationen sind in der Synthetischen Theorie keine zentralen Ereignisse weil stets ein Uberfluss an Variation im Genpool herrscht so dass die Selektion der beherrschende Evolutionsfaktor ist Ernst Mayr einer der Begrunder dieser Theorie druckte dies folgendermassen aus Evolution is not primarily a genetic event Mutation merely supplies the gene pool with genetic variation it is selection that induces evolutionary change Evolution ist nicht primar ein genetisches Ereignis Mutationen versorgen den Genpool lediglich mit genetischer Variation es ist die Selektion die evolutionare Veranderungen hervorruft Ernst Mayr 7 Rolle in der heutigen Biologie BearbeitenHeute wird die Synthetische Evolutionstheorie weiterhin von einer Mehrheit der Evolutionsbiologen unterstutzt Allerdings ist die Gewichtung der verschiedenen Evolutionsfaktoren umstritten und es gibt Forscher die Mutationen und Genetischer Drift ein starkeres Gewicht zuweisen als dies etwa Ernst Mayr tat Masatoshi Nei der auf dem Gebiet der molekularen Evolution forscht ist der bekannteste Vertreter dieser Ansicht Er stellt seine These dass Mutationen die lenkende Kraft der Evolution darstellen und Selektion nur die passive Rolle einnimmt schadliche Mutationen zu eliminieren und gute zu bewahren 8 ausdrucklich in die Tradition von Morgans Mutationismus 9 10 Literatur BearbeitenGarland E Allen Hugo de Vries and the reception of the mutation theory Journal of the History of Biology 2 1 S 56 86 1969 Peter J Bowler Hugo de Vries and Thomas Hunt Morgan The mutation theory and the spirit of Darwinism Annals of Science 35 1 S 55 73 1978 Masatoshi Nei Selectionism and Neutralism in Molecular Evolution Mol Biol Evol 22 12 S 2318 2342 2005 Masatoshi Nei The new mutation theory of phenotypic evolution Proc Natl Acad Sci 104 30 S 12235 12242 2007 Arlin Stoltzfus Mutationism and the dual causation of evolutionary change Evolution amp Development 8 3 S 304 317 2006 Arlin Stoltzfus amp Kele Cable Mendelian Mutationism The Forgotten Evolutionary Synthesis Journal of the History of Biology 2014 47 501 546 Naoyuki Takahata Molecular clock An anti neo Darwinian legacy Genetics 176 S 1 6 2007 Weblinks BearbeitenCurious Disconnect Essay von Arlin Stoltzfus zur Geschichte und Gegenwart des MutationismusEinzelnachweise Bearbeiten Julian Huxley Evolution the modern synthesis London Allen and Unwin 1942 OCLC 900758272 Paul Diepgen Heinz Goerke Aschoff Diepgen Goerke Kurze Ubersichtstabelle zur Geschichte der Medizin 7 neubearbeitete Auflage Springer Berlin Gottingen Heidelberg 1960 S 54 Garland E Allen Hugo de Vries and the reception of the mutation theory Journal of the History of Biology 2 1 1969 S 58 doi 10 1007 BF00137268 Peter J Bowler Hugo de Vries and Thomas Hunt Morgan The mutation theory and the spirit of Darwinism Annals of Science 35 1 1978 S 60 doi 10 1080 00033797800200141 The great principle which rules the evolution of organism Zitiert nach Peter J Bowler Hugo de Vries and Thomas Hunt Morgan The mutation theory and the spirit of Darwinism Annals of Science 35 1 1978 S 61 Peter J Bowler Hugo de Vries and Thomas Hunt Morgan The mutation theory and the spirit of Darwinism Annals of Science 35 1 1978 S 65 Ernst Mayr Animal species and evolution Harvard University Press Cambridge MA 1963 OCLC 318164950 Masatoshi Nei et al Darwin 200 Great expectations Nature 456 S 317 318 2008 doi 10 1038 456317a Masatoshi Nei The new mutation theory of phenotypic evolution Proc Natl Acad Sci 104 30 S 12235 12242 2007 doi 10 1073 pnas 0703349104 Masatoshi Nei Selectionism and Neutralism in Molecular Evolution Mol Biol Evol 22 12 S 2318 2342 2005 doi 10 1093 molbev msi242 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Mutationismus amp oldid 238303985