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Marianne Schmidl geboren 3 August 1890 in Berchtesgaden gestorben im April 1942 im Ghetto Izbica war eine osterreichische Ethnologin und Bibliothekarin Inhaltsverzeichnis 1 Familie und Ausbildung 2 Berufsleben 3 Karriereabbruch und Deportation 4 Marianne Schmidls Kunstbesitz und dessen Restitution 5 Schriften Auswahl 6 Literatur 7 Weblinks 8 Einzelnachweise und AnmerkungenFamilie und Ausbildung BearbeitenDie Eltern von Marianne Schmidl kamen aus zwei sehr gegensatzlichen Welten Die Mutter Maria Elisabeth Luise Friedmann 1858 1934 lebte in Munchen arbeitete hier fur den Schriftsteller Paul Heyse und stammte mutterlicherseits aus einer burgerlich konservativ gepragten Kunstlerfamilie So war Mariannes Schmidls Urgrossvater der Maler Friedrich von Olivier ein enger Freund von Julius Schnorr von Carolsfeld ihre Urgrossonkel waren die ebenfalls kunstlerisch tatigen Bruder Heinrich Olivier und Ferdinand Olivier Der Vater Josef Bernhard Schmidl 1852 1916 war ein Gerichtsadvokat aus Wien Sozialdemokrat und judischer Herkunft Kurz vor der Heirat am 23 Juli 1889 die seitens der Familie Friedmann heftig abgelehnt wurde konvertierte er zum Protestantismus 1 Marianne kam als alteste von zwei Schwestern in Berchtesgaden zu Welt wo die Familie ein Ferienhaus besass Sie wuchs jedoch in Wien auf und erhielt die damals fur Madchen bestmogliche Bildung So besuchte sie von 1905 bis 1909 die fortschrittliche Schwarzwaldschule der Padagogin und Saloniere Eugenie Schwarzwald Die Matura legte sie Graz ab wozu es keine naheren Quellen gibt 2 Ab 1910 studierte Marianne Schmidl an der Universitat Wien die Facher Mathematik und Theoretische Physik Im Wintersemester 1913 14 wechselte sie jedoch zur Ethnologie als Hauptfach Anthropologie und Prahistorischen Archaologie als Nebenfacher Kurz davor war sie dem Verein fur Osterreichische Volkskunde beigetreten und hatte sich mit Flachsbau und Flachsbearbeitung in Umhausen erstmals ein volkskundliches Thema erarbeitet 3 Zu ihren Lehrern zahlten Michael Haberlandt und Rudolf Poch 1916 wurde sie als erste Frau in Osterreich in der Disziplin Volkerkunde promoviert Unterstutzung erhielt sie dabei auch von Pater Ferdinand Hestermann 4 Berufsleben BearbeitenNach dem Studium arbeitete Marianne Schmidl zunachst am Berliner Museum fur Volkerkunde wo sie erstmals mit ihrem Lebensthema der afrikanischen Korbflechterei in Beruhrung kam Ab Herbst 1917 ging sie dann als Assistentin fur afrikanische Fragen zu Theodor Koch Grunberg an das Linden Museum nach Stuttgart Nach einer kurzen Episode im Grossherzoglichen Museum fur Kunst und Kunstgewerbe in Weimar fand Marianne Schmidl langer keine adaquate Anstellung mehr Michael Haberlandt stellte spater die Frage ob die beiden Eigenschaften weiblich und judisch fur die Besetzung einer Stelle innerhalb der Volkerkunde hinderlich waren 5 Schliesslich fand Marianne Schmidl wieder eine Stelle allerdings nicht in ihrem ureigensten Metier Von Marz 1921 an war sie an der Osterreichischen Nationalbibliothek tatig und wurde 1924 zur Beamtin ernannt Sie war an der Bibliothek als Referentin fur Anthropologie Naturwissenschaft Mathematik und Medizin tatig Daneben setzte sie ihre wissenschaftlichen Forschungen auf dem Gebiet der afrikanischen Kulturgeschichte fort wobei sie sich insbesondere auf Korbflechterei spezialisierte Ab 1926 arbeitete sie an einem Forschungsprojekt uber afrikanisches Kunsthandwerk des Museums fur Volkerkunde in Wien das vom Sachsischen Forschungsinstitut fur Volkerkunde in Leipzig finanziert wurde 6 In dessen Verlauf recherchierte sie in ethnographischen Museen in der Schweiz Frankreich England Belgien Deutschland und Italien Eine muhevolle kleinteilige Arbeit die sie neben ihrem Brotberuf leistete Karriereabbruch und Deportation BearbeitenNach dem Anschluss Osterreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich wurde Marianne Schmidl im Zuge der Repressionen gegen judische Beamte unter Halbierung ihrer Bezuge in den dauernden Ruhestand versetzt Ihr Forschungsprojekt konnte sie aus Krankheitsgrunden nicht termingerecht zum Abschluss bringen worauf der Projektleiter Otto Reche ein uberzeugter Nationalsozialist von ihr die Ruckzahlung von Fordermitteln verlangte Im Marz 1939 musste sie ihre gesamten Arbeitsunterlagen abliefern die Ergebnisse wurden nicht publiziert 7 Um die sogenannte Judenvermogensabgabe bezahlen zu konnen war Marianne Schmidl gezwungen im Familienbesitz befindliche Kunstwerke zu verkaufen Freunde legten ihr nahe zu emigrieren dazu fehlten ihr jedoch die finanziellen Mittel Im April 1942 wurde sie in das in Polen liegende Ghetto Izbica und von dort vermutlich in die Konzentrationslager Belzec oder Sobibor deportiert ihr letztes Lebenszeichen datiert vom Mai 1942 Die Umstande und das genaue Datum ihres Todes sind unbekannt 1950 wurde Marianne Schmidl fur tot erklart Marianne Schmidls Kunstbesitz und dessen Restitution Bearbeiten nbsp An der Isar Zeichnung von Friedrich Olivier 1844 restituiert vom Munchner LenbachhausMarianne Schmidl ist heute nicht nur als erste promovierte Ethnologin Osterreichs im Gedachtnis sondern auch weil sie im Zuge der 1998 auf der Washingtoner Konferenz gefassten Grundsatze zur Restitution von Raubkunst als ursprungliche Besitzerin vieler in verschiedenen Museen verstreuter Zeichnungen der Bruder Olivier und Julius Schnorr von Carolsfeld ausgemacht werden konnte Nach dem Tod der Mutter 1934 erbte sie da die Schwester Franziska 1891 1925 bereits gestorben war die gesamte Familiensammlung von Zeichnungen der Bruder Olivier und von Schnorr von Carolsfeld Es war der Wunsch der Mutter dass sie einmal einer Kunstanstalt vermacht wurde damit sie der Allgemeinheit erhalten bliebe 8 Nach dem Anschluss Osterreichs war Marianne Schmidl gezwungen am 30 September 1938 eine Vermogensanmeldung uber ihren Kunstbesitz einzureichen der nun versteuert werden musste Die Sonderabgaben fur Juden die Ruckzahlung der Fordergelder fur ihre Forschung das reduzierte Gehalt all das liessen Maria Schmidl keine andere Wahl als die Sammlung von Zeichnungen zu verkaufen Die Abwicklung ubernahm ihr verwitweter nicht judischer Schwager Karl Wolf der das Konvolut dem Wiener Handler Christian M Nebehay brachte der sie wiederum an das Leipziger Aktionshaus C G Boerner weiterreichte Dort wurden am 28 April 1939 19 Blatter anonym als Sammlung W heute identifiziert als Sammlung Wolf was schliesslich die Zuordnung zu Marianne Schmidl ermoglichte versteigert Die Albertina in Wien entdeckte durch eigene Provenienzforschung 8 Blatter von Friedrich Olivier die sie 2013 an die Erben der Familie zuruckgab 9 2014 folgten zwei weitere Zeichnungen von Olivier aus dem Kupferstichkabinett Berlin 10 2015 zwei Blatter aus dem Kupferstichkabinett in Dresden 11 2016 das Blatt Zweig mit welken Blattern von Julius Schnorr von Carolsfeld aus der National Gallery of Art 12 sowie 2019 je eine Zeichnung von Friedrich und von Ferdinand Olivier 13 aus dem Bestand des Lenbachhauses in Munchen Es wurde bekannt dass die restituierte Zeichnung Welke Ahornblatter von Friedrich Olivier 2014 bei der Versteigerung im Berliner Auktionshaus Bassenge anstatt der veranschlagten 120 000 Euro 2 6 Millionen einbrachten 14 der Zweig mit welken Blattern von Julius Schnorr von Carolsfeld Schatzpreis 450 000 Euro wurde fur 1 7 Millionen ersteigert 15 Schriften Auswahl BearbeitenFlachs Bau und Flachs Bereitung in Umhausen In Zeitschrift fur Osterreichische Volkskunde Band 19 1913 S 122 125 Zahl und Zahlen in Afrika In Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien Band 45 1915 S 166 209 Diese Arbeit Dissertation war grundlegend fur einen neuen Ansatz der damit Schluss machte die Mathematik als eine universelle von Kultur und Gesellschaft unabhangige Wissenschaft zu betrachten Sie konstatierte dass es vielmehr vollig andere Arten und Ausdrucksformen des Zahlen und Rechnens gibt 16 So konnte sie bereits mit ihrer Doktorarbeit in der akademischen Welt Ansehen erwerben Altagyptische Techniken an afrikanischen Spiralwulstkorben In Festschrift fur Wilhelm Schmidt SVD S 645 654 Die Grundlagen der Nilotenkultur In Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien Band 65 1935 S 86 125 Der letzte von ihr veroffentlichte Aufsatz Posthum Afrikanische Spiralwulstkorbe In Katja Geisenhainer Maria Schmidl 1890 1942 Leipzig 2005 S 265 339 Literatur BearbeitenBettina Beer Schmidl Marianne in Bettina Beer Frauen in der deutschsprachigen Ethnologie Ein Handbuch Bohlau Koln 2007 ISBN 978 3 412 11206 6 S 192 196 Susanne Blumesberger Verlorenes Wissen Ein gewaltsam abgebrochener Lebenslauf am Beispiel von Marianne Schmidl In Helmut W Lang Hrsg Mirabilia artium librorum recreant te tuosque ebriant Phoibos Wien 2001 ISBN 3 901232 27 3 S 9 19 Doris Byer Marianne Schmidl In Brigitta Keintzel Ilse Korotin Hrsg Wissenschafterinnen in und aus Osterreich Leben Werk Wirken Bohlau Wien Koln Weimar 2002 ISBN 3 205 99467 1 S 655 658 Katja Geisenhainer Marianne Schmidl 1890 1942 In Zeitschrift fur Ethnologie Band 127 2002 S 269 300 Katja Geisenhainer Marianne Schmidl 1890 1942 Das unvollendete Leben und Werk einer Ethnologin Universitatsverlag Leipzig 2005 ISBN 3 86583 087 0 enthalt auch Schmidls unvollendet gebliebene Arbeit uber afrikanische Spiralwulstkorbe Katja Geisenhainer Judische Lebenslinien in der Wiener Volkerkunde vor 1938 Das Beispiel Marianne Schmidl in Andre Gingrich Peter Rohrbacher Hrsg Volkerkunde zur NS Zeit aus Wien 1938 1945 Institutionen Biographien und Praktiken in Netzwerken Phil hist Kl Sitzungsberichte 913 Veroffentlichungen zur Sozialanthropologie 27 1 Wien Verlag der OAW 2021 S 153 206 doi 10 1553 978OEAW86700 Katja Geisenhainer Verfolgung Deportation und Ermordung Die letzten Lebensjahre von Marianne Schmidl in Andre Gingrich Peter Rohrbacher Hrsg Volkerkunde zur NS Zeit aus Wien 1938 1945 Institutionen Biographien und Praktiken in Netzwerken Phil hist Kl Sitzungsberichte 913 Veroffentlichungen zur Sozialanthropologie 27 3 Wien Verlag der OAW 2021 S 1553 1582 doi 10 1553 978OEAW86700 Friederike Hillbrand Grill Schmidl Theresie Marianne In Osterreichisches Biographisches Lexikon 1815 1950 OBL Band 10 Verlag der Osterreichischen Akademie der Wissenschaften Wien 1994 ISBN 3 7001 2186 5 S 325 Ilse Korotin vorbehaltlich eines jederzeit zulassigen Widerrufes genehmigt Ausgrenzung und Verfolgung judischer Wissenschafterinnen und Bibliothekarinnen In Osterreichische Bibliothekarinnen auf der Flucht Verfolgt verdrangt vergessen Praesens Wien 2007 ISBN 978 3 7069 0408 7 S 103 126 Weblinks BearbeitenLiteratur von und uber Marianne Schmidl im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek Blogbeitrag des Lenbachhauses zu Marianne SchmidlEinzelnachweise und Anmerkungen Bearbeiten Katja Geisenhainer Marianne Schmidl 1890 1942 Das unvollendete Leben und Werk einer Ethnologin Leipziger Universitatsverlag GmbH Leipzig 2005 S 51 57 Katja Geisenhainer Marianne Schmidl 1890 1942 S 57 61 Katja Geisenhainer Marianne Schmidl 1890 1942 S 62 64 Andre Gingrich und Peter Rohrbacher Hrsg Volkerkunde zur NS Zeit aus Wien 1938 1945 Band 1 Verlag der Osterreichischen Akademie der Wissenschaften Wien 2021 S 161 zitiert nach Katja Geisenhainer Marianne Schmidl 1890 1942 S 117 National Gallery of Art Returns World War II Era Duress Sale Drawing to Heirs National Gallery of Art 19 August 2016 abgerufen am 2 Februar 2021 Schmidls Untersuchungen uber Afrikanische Spiralwulstkorbe erschienen erst 2005 innerhalb der Biografie von Katja Geisenhainer Marianne Schmidl 1890 1942 S 265 379 Cf Katja Geisenhainer Marianne Schmidl 1890 1942 S 196 Beschluss des Beirats gemass 3 des Bundesgesetzes uber die Ruckgabe von Kunstgegenstanden aus den Osterreichischen Bundesmuseen und Sammlungen vom 8 Marz 2013 https www preussischer kulturbesitz de fileadmin user upload SPK documents presse pressemitteilungen 2015 150128 JPK 01 Presseinformation pdf S 19 https www skd museum fileadmin userfiles Forschung Kunstbesitz Kunstverlust Objekte und ihre Herkunft 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