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Der Mannheimer Kasinosturm war ein gewaltsamer Uberfall auf eine katholische Demonstration und Versammlung am 23 Februar 1865 in Mannheim Durch gewalttatige Gegendemonstranten wurden mehrere Teilnehmer verletzt einer durch einen Messerstich Die Veranstaltung musste abgebrochen werden und eine grossere Teilnehmergruppe floh von den Gewalttatern verfolgt uber die Landesgrenze ins damals bayerische Ludwigshafen am Rhein Inhaltsverzeichnis 1 Vorgeschichte 2 Die Kasinobewegung 3 Ablauf 3 1 Mannheim 3 2 Fortsetzung in Ludwigshafen 4 Auswirkungen 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseVorgeschichte BearbeitenDie Deutsche Revolution 1848 1849 hatte zu einer Aktivierung der katholischen Kirche gefuhrt die sich aus der Abhangigkeit vom Staat befreien wollte Allenthalben regte sich katholisches Selbstbewusstsein und es wurden sogenannte Piusvereine initiiert Diese nach dem damaligen Papst Pius IX benannten Vereine untersuchten die fur Kirche und Gesellschaft neu gewahrten Rechte setzten sie zum Nutzen der Kirche um und wachten uber deren Einhaltung gleichzeitig war es ein Erwachen des politischen Katholizismus In Baden kam es 1853 54 zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Regierung auf deren Hohepunkt eine gerichtliche Untersuchung gegen Erzbischof Hermann von Vicari wegen Amtsmissbrauchs erfolgte und dieser unter Hausarrest gestellt wurde Der Fall mundete in Verhandlungen zwischen der Badischen Regierung und dem Heiligen Stuhl die im Jahre 1859 zum Abschluss einer Konvention fuhrten welche der katholischen Kirche gemessen an den bisherigen Verhaltnissen ein relativ grosses Mass an Freiheit bei der kirchlichen Stellenbesetzung der Theologenausbildung und der Vermogensverwaltung einraumte Dies stiess auf den heftigen Widerstand der Liberalen welcher sich zunachst in Protestversammlungen und Petitionen ausserte schliesslich aber immer grosseren Einfluss auf die Regierung und Grossherzog Friedrich I gewann Der muhsam beigelegte Konflikt brach erneut auf und weitete sich zum so genannten Badischen Kulturkampf aus Von Seiten der Politik wurden einerseits von den Konservativen Vorstellungen von einem Staatskirchentum und einer Staatskirchenhoheit vertreten wahrend liberale Protagonisten eine Trennung von Kirche und Staat und eine Minimierung des kirchlichen Einflusses auf die Politik forderten Die Auseinandersetzungen bewerkstelligten auf Regierungsseite hauptsachlich August Lamey bis 1866 Innenminister Julius Jolly seit 1862 Ministerialrat und ab 1866 Lameys Nachfolger als badischer Innenminister sowie Johann Caspar Bluntschli einflussreicher Parlamentarier aus Heidelberg Durch die von ihnen forcierte totale Trennung von Kirche und Staat nahmen sie gewissermassen den preussischen Kulturkampf vorweg Der offene Kampf begann mit dem Schulstreit in dem es vornehmlich um die Verdrangung der Kirche bzw der Geistlichen aus der Volksschule ging Zum Direktor des Oberschulrates berief Innenminister Lamey den freigeistigen Protestanten Karl Knies einen der scharfsten Gegner der Kirchen Konvention von 1859 was von den Liberalen als positives Signal gewertet und lebhaft begrusst wurde Knies arbeitete Vorschlage zur Volksschulreform aus die er der Offentlichkeit als Diskussionsgrundlage prasentierte und dadurch heftige Reaktionen ausloste was zum ersten Hohepunkt im Schulstreit fuhrte Die Empfehlung dass ausschliesslich der Staat fur die Leitung und Beaufsichtigung des Volksschulwesens verantwortlich sein sollte womit das de facto bestehende kirchliche Aufsichtsrecht abgeschafft worden ware machte die katholische Kirche zum erklarten Gegner von Knies Entwurfen Mit seiner scharfen Reaktion auf die 1864 erfolgte Verabschiedung dieses Schulgesetzes loste Erzbischof Hermann von Vicari eine derart starke Bewegung innerhalb der katholischen Bevolkerung Badens aus wie man sie bis dahin nicht gekannt hatte In einem besonderen Hirtenbrief erklarte er das Schulaufsichtsgesetz beruhe auf einem grossen Irrtum und einem schweren Unrecht weshalb er diesem die Anerkennung verweigern musse Zugleich beschwor Vicari die Katholiken zusammen mit ihm und den Geistlichen alle rechtlichen und christlich erlaubten Mittel anzuwenden um die katholische Schulaufsicht und die ebenfalls in Frage gestellten Konfessionsschulen zu erhalten Die Kasinobewegung BearbeitenDie so genannte Kasinobewegung entwickelte sich Anfang 1865 direkt aus dem Widerstand gegen das Badische Schulaufsichtsgesetz Schon 1862 auf dem Aachener Katholikentag empfahl man den Glaubigen sich wegen ihrer zunehmend bedrangten Lage zu festen Gemeinschaften zusammenzuschliessen Man nannte diese ortlichen Katholikenvereine unter Gebrauch eines damaligen Modewortes Kasinos Der Heidelberger Kaufmann und spatere Reichstagsabgeordnete Jakob Lindau folgte jener Empfehlung und grundete in seiner Heimatstadt im Herbst 1862 ein Kasino als gesellige Vereinigung von Katholiken die zu Diskussions und Vortragsabenden zusammenkamen Solche Katholischen Kasinos fanden in der Folge starke Verbreitung Ablauf BearbeitenMannheim Bearbeiten Einen dramatischen Hohepunkt erreichte die Kasino Bewegung am 23 Februar 1865 im liberal dominierten Mannheim wo es zu schweren Ausschreitungen kam Bereits im Vorfeld hatten die Liberalen in der Presse mit einem Aufruf und einer Gegenveranstaltung gegen die geplante katholische Kundgebung agitiert Das Anti Kasino bei dem am 22 Februar unter dem Vorsitz von Oberburgermeister Ludwig Achenbach etwa 2000 Kasinogegner zusammenkamen verabschiedete eine Adresse an Grossherzog Friedrich I Dort hiess es u a eine Kirche die mit dem Syllabus errorum Positionen vertrete die mit samtlichen Grundsatzen des Staatslebens in unversohnlichem Widerspruch standen habe den Anspruch auf die Leitung der Volkserziehung verwirkt Aus diesen Grunden protestiere man gegen die geplante Katholikenversammlung zur Abschaffung des Schulgesetzes Aufgrund der angespannten Atmosphare schloss man es unter Berufung auf informierte Kreise bereits einige Tage vor der katholischen Veranstaltung nicht aus dass die Interessen des Staates eventuell sogar durch ein Stuckchen Faustrecht zur Geltung gebracht und auf diese Weise die Versammlung verhindert wurde 1 Fur eine zusatzliche Aufheizung der Stimmung sorgten mehrere Anzeigen im Mannheimer Anzeiger speziell eine am Veranstaltungstag erschienene mit der Bemerkung es treffe heute eine Partie Schwarzwildbret zum Aushauen ein 2 Eine ungluckliche Verscharfung bedingte ausserdem die kurzfristig ergangene Regierungsanordnung welche den Katholiken die Benutzung der Mannheimer Kirchen zum Zwecke der Veranstaltung untersagte und dazu fuhrte dass die Kasino Teilnehmer mit den Gegendemonstranten auf offener Strasse zusammenstiessen nbsp Der spatere Reichstagsabgeordnete Jakob Lindau aus Heidelberg Er ging an der Spitze des uberfallenen Kasinozuges und leitete die Veranstaltung Laut dem Mannheimer Studienprofessor Karl Alois Fickler neutraler Augenzeuge der Vorgange Mitunterzeichner der Petition gegen die Veranstaltung hatte bereits am Morgen des Vortages der Zuzug von katholischen Mannern aus der Gegend von Wiesloch und Bruchsal der badischen und hessischen Bergstrasse und dem Odenwald begonnen Gegen Mittag des 23 Februar 1865 versammelten sich etwa 3000 Teilnehmer des katholischen Kasinos am Hauptbahnhof Mannheim Die meisten Auswartigen waren am Kundgebungstag per Bahn angereist was damals die gangigste Reiseart fur weitere Strecken darstellte Nach Angaben Ficklers und aller anderen Zeugen liess die Regierung die Eingange beider Mannheimer Pfarrkirchen uberwachen Sowohl am Portal der St Sebastianskirche am Marktplatz als auch an der Jesuitenkirche nahe dem Rheinubergang hatte man je eine Wachmannschaft unter einem Polizeikommissar postiert Die Kasinoteilnehmer stellten sich in Reihen auf und die Geistlichen sowie der Veranstalter Jakob Lindau traten an die Spitze Dann setzte sich der Zug durch die Stadt in Bewegung Fickler konstatierte dass viele der Manner aufgrund der vorangegangenen Drohungen mit Stocken bewaffnet waren aber eine durchaus passive Haltung einnahmen Den Katholikenzug begleiteten etwa gleich viele Gegendemonstranten unter heftigen Beschimpfungen Geschrei Gejohle sowie mit Klappern und Ratschen wozu sie per Zeitungsannonce ausdrucklich aufgefordert worden waren Schon wahrend des Marsches zur Marktkirche gab es vereinzelt Gewalttaten gegen Teilnehmer Als man die Marktkirche St Sebastian polizeilich besetzt fand zog man weiter zur Jesuitenkirche unter hohnischen Zurufen auf die Katholiken wie Fickler schrieb Auch dort verwehrte die Staatsmacht dem Wanderkasino vehement den Zugang Daher forderte die Veranstaltungsleitung die Teilnehmer auf durch den Schlossgarten auf die nahe Rheinbrucke zu marschieren um uber den Rhein Ludwigshafen zu erreichen das damals in der bayerischen Rheinpfalz also im Ausland lag Dort wollte man die Demonstration beenden und in Wurde auflosen Schon an der Jesuitenkirche war es zu Tumulten gekommen die sich erst recht fortsetzten als man erkannte dass sich der Zug ins benachbarte Bayern absetzen wolle Bei den Teilnehmern setzte Verwirrung und Panik ein die Gegendemonstranten fielen uber sie her Karl Alois Fickler berichtete Im Gedrange bei den Bruckenhausern steigerten sich die Exzesse bis zu Verwundungen Es erhielt der Pfarrer von Ilvesheim Johann Hermann Thommes 3 ein mit Medaillen und Kreuzen geschmuckter Mann er war ehemaliger Feldgeistlicher im danischen Krieg 1849 eine Kopfwunde mit starker Hautverletzung Mittlerweile war eine Droschke mit Pfarrer Winterer aus Dossenheim und einigen anderen Geistlichen herangefahren Ein junger Geistlicher entzog sich den Misshandlungen durch Flucht uber die Landungswege der Dampfboote Ein Bericht im nicht katholischen Mainzer Abendblatt brachte die Erlebnisse eines Teilnehmers der u a erklarte Die Schuljugend Fabrikarbeiter schlecht gekleidetes Gesindel erhoben Erde bewarfen uns mit Kot und Steinen die Stocke ja verborgene Hammer kamen zum Vorschein da wird ein Pfarrverweser mir personlich als milder friedfertiger Charakter bekannt von einer Rotte vorwarts gestossen grosse Steine schleudern sie aus einer kleinen Entfernung auf den Rucken des Misshandelten Er dreht sich bleichen Angesichts um es hagelt Stockschlage auf ihn herab man reisst ihm den Hut herunter zertritt ihn Einige Schritte von uns schlagt man einem mit einem Orden dekorierten alten Geistlichen den Hut vom Kopf und wie der Kopf entblosst ist trifft ein halbfaustgrosser Stein seine Stirne Einem anderen Geistlichen schlagt ein Mann die Hand ins Gesicht und zertrummert seine Brille Im Badischen Beobachter heisst es Der Pobel riss an einzelnen Stellen das Pflaster auf warf auf die Katholiken mit Kot und Steinen uberfiel einzelne Geistliche und sonstige Leute schlug sie mit Steinen die in Sacktucher gewickelt waren warf Einzelne zu Boden und zog sie in den Gassen herum Einem Geistlichen wurden buchstablich die Kleider vom Leibe gerissen Fortsetzung in Ludwigshafen Bearbeiten Verfolgt von den Gegendemonstranten hatte der Rest des gesprengten Zuges immerhin noch uber 150 Personen unter Lindaus Fuhrung das bayerische Rheinufer erreicht und sammelte sich im Festsaal des Ludwigshafener Gasthofes Deutsches Haus Die Mannheimer Gewalttater blieben meist auf der Strasse vor dem Lokal und setzten dort ihre Drohungen fort Nur wenige wagten es sich in die Gaststatte zu begeben und weiter die Stimmung anzuheizen Schliesslich erschien der Polizeikommissar und verkundete es sei allen Leuten gestattet auf bayerischem Boden Asyl zu geniessen jeder konne in Ruhe und Sicherheit verweilen solange er wolle Es sei jedoch nicht erlaubt eine Versammlung mit Reden abzuhalten da dies einer Genehmigung bedurfe die jetzt ad hoc nicht mehr eingeholt werden konne Viele Priester blieben der Sicherheit wegen in Ludwigshafen und kehrten erst am nachsten Tag heim Andere gingen bereits abends wieder nach Mannheim zuruck wobei drei von ihnen prompt am Rathaus uberfallen und erneut misshandelt wurden Auswirkungen Bearbeiten nbsp Titelseiten des Romans Die Schwarzen und die Roten der den Badischen Schulstreit zum Thema hat und in Mannheim spielt Ein Kapitel beschreibt ausschliesslich den Mannheimer Kasinosturm Obwohl die Versammlung nicht hatte stattfinden konnen war das Ziel uber alle Erwartungen hinaus erfullt namlich die Aufmerksamkeit der breiten Offentlichkeit zu erreichen nicht nur in Mannheim und Baden sondern im gesamten deutschen Sprachraum und daruber hinaus Nahezu alle deutschsprachigen Zeitungen brachten damals Berichte uber den Vorfall eine 30 seitige Abhandlung publizierten spater auch die Historisch Politischen Blatter fur das katholische Deutschland ein sehr renommiertes Magazin das im Auftrag der Eigentumerfamilie Gorres in Munchen erschien Ein Teilnehmer der Kirchenrechner von Eppelheim war durch Messerstich am Hinterkopf verletzt worden viele andere trugen Platzwunden Prellungen Abschurfungen und Blutergusse davon Im Mannheimer Journal vom 24 Februar 1865 heisst es Mannheim ist kein Boden fur die Schwarzkutten und ihren Anhang Im Mannheimer Anzeiger vom selben Tag verkundet ein spottisches Inserat Das angezeigte Schwarzwild ist reissend fortgegangen und nichts mehr vorhanden Die Polizeitruppe in Mannheim war am Tag der Demonstration trotz der zuvor angekundigten Krawalle nicht verstarkt worden wobei sich die meisten der eingesetzten Ordnungshuter ohnehin mit dem Absperren der Kirchen beschaftigten Es ist kein Fall bekannt in dem die Polizei aktiv zum Schutz eines angegriffenen Kasinoteilnehmers eingeschritten ware die Korperverletzungen spielten sich sogar teilweise unter den Augen der Gendarmen ab Von den vielen Gewalttatern wurden lediglich zwei namhaft gemacht und vor Gericht gestellt Beide hat man in erster Instanz freigesprochen auf Appellation der Staatsanwaltschaft erhielt wenigstens einer von ihnen ein auswartiger judischer Kommis Kanzleigehilfe sechs Tage Gefangnis Der Andere ein Mannheimer Burger christlichen Glaubens ging straffrei aus Das Konigreich Bayern machte die Angelegenheit zum Gegenstand einer diplomatischen Beschwerde Jakob Lindau referierte am 13 September 1865 auf dem 17 Deutschen Katholikentag in Trier personlich in einer Rede uber die Mannheimer Ereignisse und den Badischen Schulstreit Die Ansprache ist im offiziellen Bericht des Katholikentags abgedruckt der zudem die erganzende Dokumentation Tatsachen aus Baden zur Gesamtentwicklung enthalt 4 Der Speyerer Schriftsteller Joseph Eduard Konrad Bischoff widmete dem Mannheimer Kasinosturm ein eigenes Kapitel in seinem 1868 unter dem Pseudonym Conrad von Bolanden erschienenen Roman Die Schwarzen und die Roten Es tragt den Titel Mannheimer Pobel Im Zusammenhang mit dem Vorfall wurde hinsichtlich der Mannheimer Verhaltnisse auch das Schimpfwort Neckarschleim gepragt Literatur BearbeitenDer Kasino Sturm in Mannheim In Historisch Politische Blatter fur das Katholische Deutschland Bd 61 Gorres Munchen 1868 S 356 386 Conrad von Bolanden Die Schwarzen und die Roten Mainz 1868 und Pustet Regensburg 1873 Karl Anton Straub Mannheimer Kirchengeschichte Haas Mannheim 1957 S 91 99 Das Erzbistum Freiburg 1827 1977 Herder Freiburg 1977 S 167 168 Ulrich Tjaden Liberalismus im katholischen Baden Geschichte Organisation und Struktur der Nationalliberalen Partei Badens 1869 1893 Dissertation Freiburg 2000 OnlineWeblinks BearbeitenCarl zu Isenburg Die neue Ara in Baden Buchscan von 1866Einzelnachweise Bearbeiten Allgemeine Zeitung Augsburg 20 Februar 1865 Mannheimer Anzeiger 46 23 Februar 1865 Johann Hermann Thommes im Lexikon Westfalischer Autorinnen und Autoren abgerufen am 23 Februar 2015 Verhandlungen der siebzehnten Generalversammlung der Katholischen Vereine Deutschlands Verlag der Lintzschen Buchhandlung Trier 1865 Seiten 203 210 und 331 337 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Mannheimer Kasinosturm amp oldid 202896481