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Andrias scheuchzeri ist ein ausgestorbener Riesensalamander der vom obersten Oligozan bis zum Pliozan in Mitteleuropa vorkam Ein erstes nahezu vollstandiges Fossil dieser Art wurde 1725 in den Ohninger Kalken bei Ohningen am Sudhang des Schiener Berges gefunden und 1726 vom Zurcher Stadtarzt und Naturforscher Johann Jacob Scheuchzer als Homo diluvii testis lateinisch der die Sintflut bezeugende Mensch beschrieben Andrias scheuchzeriFossil von Andrias scheuchzeri im Berliner Museum fur Naturkunde Berlin Zeitliches AuftretenOligozan oberstes Chattium 1 bis Pliozan Zancleum 2 23 03 bis 3 6 Mio JahreFundorteEuropa Deutschland Osterreich Tschechien Ukraine Systematikohne Rang Amphibien Lissamphibia Ordnung Schwanzlurche Caudata Uberfamilie CryptobranchoideaFamilie Riesensalamander Cryptobranchidae Gattung Asiatische Riesensalamander Andrias Art Andrias scheuchzeriWissenschaftlicher NameAndrias scheuchzeri Holl 1831 Inhaltsverzeichnis 1 Forschungsgeschichte 2 Merkmale und Problematik der Taxonomie 3 Fossilbericht und stratigraphische Verbreitung 4 Palaookologie 5 Sonstiges 6 Einzelnachweise 7 WeblinksForschungsgeschichte BearbeitenDie Art wurde erstmals durch den Schweizer Arzt und Naturforscher Johann Jacob Scheuchzer im Jahre 1726 als Homo diluvii testis beschrieben 3 Er glaubte das Skelett eines sundigen Menschen aus der Zeit vor der Sintflut vor sich zu haben und bezeichnete es als Beingerust eines verruchten Menschenkindes um dessen Sunde willen das Ungluck uber die Welt hereingebrochen sei An der Scheuchzer schen Deutung gab es jedoch schon recht bald Zweifel Johannes Gessner vermutete 1758 in Scheuchzers homo diluvii testis die fossilen Uberreste eines Welses Silurus glanis und Camper sah darin einen Vertreter der Lacerta also der Eidechsen 4 1802 erwarb Martinus van Marum das Original Fossil fur das Teylers Museum in Haarlem Niederlande 5 Einige Jahre spater besuchte Georges Cuvier das Museum in Haarlem und erhielt von van Marum die Erlaubnis das Fossil genauer zu untersuchen Dabei gelang es ihm die noch im Gestein verborgenen Knochen der vorderen Gliedmassen freizulegen und den vermeintlichen menschlichen Zeugen der Sintflut zutreffend als Vertreter der Amphibien zu identifizieren 6 Als wissenschaftlicher Erstbearbeiter gilt heute Friedrich Holl der die Art 1831 als Salamandra scheuchzeri wissenschaftlich gultig beschrieb 7 Etwa zur selben Zeit wurden durch Siebold in Europa die ersten Exemplare des Japanischen Riesensalamanders bekannt Die Ahnlichkeit der rezenten Art aus Ostasien mit den europaischen Fossilien war sofort offensichtlich und Johann Jakob von Tschudi fuhrte 1837 die Gattung Andrias ein 8 nach altgriech ᾰ ndrῐᾱ s Statue Bildnis eines Mannes Menschen Andrias scheuchzeri dementsprechend etwa Scheuchzers Menschenbild Das ursprunglich von Scheuchzer beschriebene Exemplar befindet sich noch heute unter der Inventarnummer 8432 als Lectotypus im Teylers Museum in Haarlem nbsp Fossilien von Andrias scheuchzeri im Teylers Museum in Haarlem Niederlande Das Exemplar in der Bildmitte mit der Inventarnummer 8432 ist der ursprunglich von Scheuchzer beschriebene homo diluvii testis 4 Merkmale und Problematik der Taxonomie BearbeitenSofern nicht anders angegeben Beschreibung in Anlehnung an Bottcher 1987 9 Andrias scheuchzeri war ein grosswuchsiger Vertreter der Schwanzlurche aus der Familie der Riesensalamander Cryptobranchidae der Kopf Rumpf Langen von bis zu uber 1 m erreichen konnte Der Schadel ist breit und abgeflacht und nimmt etwa 20 25 der Kopf Rumpf Lange ein 10 Die Form der Augenhohlen Orbitae scheint variabel rundlich bis oval Im Gegensatz zu den verwandten nordamerikanischen Schlammteufeln steht das Wangenstuck Pars facialis des Oberkieferknochens Maxilla in Kontakt mit dem Stirnbein Os frontale dem Os praefrontale und dem Nasenbein Os nasale Ein Tranenbein Os lacrimae fehlt Der Oberkiefer tragt 60 110 Zahne der Unterkiefer 65 101 Die Zahne selbst sind bicuspid zweihockrig mit einer dominierenden zungenformigen zur Mundhohle gekrummten Hauptspitze und einer sehr schwach ausgepragten Nebenspitze durch eine Ringnaht in Sockel und Krone geteilt und pleurodont nicht innerhalb des Kieferknochens verwurzelt sondern seitlich aufsitzend am Innenrand des Kiefers befestigt Die Rippen sind abgeflacht 4 11 Die Wirbel sind tief amphicoel d h mit trichterformigen Einbuchtungen an beiden Enden und zeigen in seitlicher Ansicht einen rechteckigen Umriss Die Einbuchtungen sind asymmetrisch mit ihren Enden dorsalwarts zum Rucken hin verschoben Die Enden der Einbuchtungen beruhren sich fast und sind nur durch eine dunne Knochenwand getrennt 12 Die Gliedmassen sind kurz mit vier Zehen an den Vorderbeinen und funf Zehen an den Hinterbeinen Hand Carpus und Fusswurzel Tarsus waren wie bereits Tschudi 1837 bemerkte 8 offenbar nur knorpelig ausgebildet Da Knorpel nur schlecht fossil erhaltungsfahig ist erscheinen selbst bei gut erhaltenen artikulierten d h im Verbund erhaltenen Skeletten die Finger bzw Zehenknochen eigentumlich abgesetzt von den ubrigen Knochen der Gliedmassen Carpus bzw Tarsuslucke Bis zum Ende des 19 Jhd waren aus verschiedenen Fundstellen und Fundhorizonten Mitteleuropas insgesamt drei fossile Arten der Gattung Andrias beschrieben worden Andrias scheuchzeri Holl 1831 Andrias tschudii V Meyer 1859 Andrias bohemicus Laube 1897Eine vergleichende Analyse des vorhandenen Belegmaterials durch Westphal 4 13 zeigte jedoch dass die einzelnen Arten keinerlei artspezifischen Skelettmerkmale aufwiesen die eine Abgrenzung von den anderen Arten gerechtfertigt hatten und die Arten Andrias tschudii und Andrias bohemicus wurden gemass der Prioritatsregel als Synonyme in das Taxon Andrias scheuchzeri ubernommen Wie zudem bereits Westphal 1958 4 bzw 1959 13 feststellte weist keines der bislang gefundenen Exemplare von Andrias scheuchzeri Skelettmerkmale auf die eine eindeutige Unterscheidung zu den rezenten Formen des Chinesischen Riesensalamanders Andrias davidianus oder des Japanischen Riesensalamanders Andrias japonicus ermoglichen wurden Auch die rezenten Arten Andrias davidianus und Andrias japonicus lassen sich anhand allein osteologischer Merkmale nicht voneinander unterscheiden Die arttypischen Merkmale liegen hier im Detail der Weichteilanatomie nicht im Skelettbau Zudem wurde festgestellt dass Andrias davidianus und Andrias japonicus zwar nahe genug miteinander verwandt sind dass sie sich kreuzen lassen die Hybriden jedoch nicht fortpflanzungsfahig sind Westphal 4 13 schlug vor die rezenten Formen Ostasiens und die fossilen Vertreter Europas zu einer Art Andrias scheuchzeri zusammenzufassen und die rezenten ostasiatischen Formen jeweils als Unterarten Andrias scheuchzeri davidianus bzw Andrias scheuchzeri japonicus zu werten und sie einer fossilen europaischen Unterart Andrias scheuchzeri scheuchzeri gegenuber zu stellen Dieser Vorschlag obwohl streng taxonomisch betrachtet korrekt stiess in der Fachwelt nur auf eher massiges Interesse und es hat sich eingeburgert die rezenten Formen als eigenstandige Arten Andrias davidianus und Andrias japonicus einer fossilen europaischen Art Andrias scheuchzeri gegenuber zu stellen obwohl diese aufgrund ihrer Skelettmerkmale nicht zu unterscheiden sind 9 Fossilbericht und stratigraphische Verbreitung Bearbeiten nbsp Lebendrekonstruktion von A scheuchzeriBekannte Fundorte sind nach Bohme et al 2012 14 Deutschland Willershausen Zancleum 2 Morgen Tortonium Tiefenried Tortonium 14 Derndorf Tortonium Eppishausen Tortonium Zeilarn Serravallium 14 Ohningen oberer Bruch Serravallium Typlokalitat 4 Kirchheim in Schwaben Serravallium 9 Hambach 6C Langhium Illerkirchberg 1 Burdigalium Illerkirchberg hor 3a Burdigalium 9 Ringingen Frontal 2 Burdigalium Langenau 1 Burdigalium 9 Ringingen Frontal 1 Burdigalium Eggingen Mittelhart Burdigalium Rott bei Hennef Chattium 4 Andrias tschudii V Meyer 1859 Oberleichtersbach Chattium 1 Viele Funde aus dem suddeutschen Raum stammen unmittelbar aus bzw aus dem Nahbereich der Graupensandrinne 9 Osterreich Gotzendorf Tortonium 11 Vosendorf Brunn Tortonium Mataschen Tortonium 15 Tschechien Brestany bei Bilina Burdigalium Andrias bohemicus Laube 1897 Ukraine Gritsev Tortonium 14 Der alteste fossile Nachweis von Andrias scheuchzeri stammt aus dem obersten Chattium Mammal Paleogene Zone MP30 von Oberleichtersbach in Bayern 1 Der bislang jungste Fund sofern man die beiden rezenten Formen Andrias davidianus und Andrias japonicus als eigenstandige Arten und nicht als Unterarten von Andrias scheuchzeri wertet stammt aus dem unteren Pliozan Zancleum von Willershausen im westlichen Vorland des Harzes 2 14 Palaookologie BearbeitenAuf Grund der weitgehenden Ubereinstimmungen in den Skelettmerkmalen kann darauf geschlossen werden dass Andrias scheuchzeri ebenso wie die rezenten ostasiatischen Vertreter der Riesensalamander zeitlebens eine fast rein aquatische Lebensweise pflegte Auch die Ernahrungsweise darf als weitgehend gleichartig vermutet werden Die Tatsache dass viele wenn auch nicht alle Fossilreste von Andrias scheuchzeri in den Ablagerungen von Stillgewassern gefunden wurden lasst sich auf unterschiedliche Weise interpretieren Andrias scheuchzeri lebte ebenso wie seine rezenten Verwandten Ostasiens bevorzugt in rasch fliessenden sauerstoffreichen Flussen und Bachen und die Kadaver der relativ grossen Tiere wurden in nahe gelegene Stillgewasser geschwemmt wo die Moglichkeiten zur Fossilerhaltung wesentlich gunstiger waren als im eigentlich bevorzugten Lebensraum 9 Im Gegensatz zu seinen rezenten ostasiatischen Verwandten lebte Andrias scheuchzeri nicht nur in schnell fliessenden Bergbachen sondern auch in grosseren ruhenden Gewassern und ist dort fossil erhalten geblieben Sauerstoffreiche Bache und Flusse wurden nur zur Fortpflanzung aufgesucht 15 Andrias scheuchzeri war vermutlich von Habitaten mit frostfreien Wintern abhangig 15 In der Palaoklimatologie werden Fossilien von Andrias scheuchzeri als Proxy indirekter Klimazeiger fur erhohte Werte der durchschnittlichen jahrlichen Niederschlagsmenge gt 900 mm gewertet 14 Sonstiges BearbeitenIn Karel Capeks Science Fiction Roman Der Krieg mit den Molchen 1936 befindet sich die Menschheit im Krieg mit fiktiven Nachfahren dieser ausgestorbenen Amphibie Einzelnachweise Bearbeiten a b c M Bohme Ectothermic vertebrates Teleostei Allocaudata Urodela Anura Testudines Choristodera Crocodylia Squamata from the Upper Oligocene of Oberleichtersbach Northern Bavaria Germany In Courier Forschungsinstitut Senckenberg Band 260 2008 S 161 183 Digitalisat a b c Frank Westphal Erster Nachweis des Riesensalamanders Andrias Urodela Amphibia im europaischen Jungpliozan In Neues Jahrbuch fur Geologie und Palaontologie Monatshefte 1967 S 67 73 J J Scheuchzer Homo diluvii testis Zurich 1726 Digitalisat a b c d e f g h Frank Westphal Die Tertiaren und rezenten Eurasiatischen Riesensalamander In Palaeontolographica Abteilung A Band 110 1958 S 20 92 Cor F Winkler Prins Das palaontologische Erbe in den Niederlanden In Berichte der Geologischen Bundesanstalt Band 52 2000 S 75 82 zobodat at PDF G Cuvier Recherches sur les ossements fossiles de quadrupedes Band I 1812 S 83 Digitalisat F Holl Handbuch der Petrefactenkunde Dresden 1831 a b Johann Jakob Tschudi Uber den Homo diluvii testis Andrias Scheuchzeri In Neues Jahrbuch fur Mineralogie Geognosie Geologie und Petrefaktenkunde Volume 5 1837 S 545 547 Digitalisat a b c d e f g R Bottcher Neue Funde von Andrias scheuchzeri Cryptobranchidae Amphibia aus der suddeutschen Molasse Miozan In Stuttgarter Beitrage zur Naturkunde Serie B Geologie und Palaontologie Nr 131 1987 38 Seiten Digitalisat R K Browne H Li Z Wang P M Hime A McMillan M Wu R Diaz Z Hongxing D McGinnity amp J T Briggler The giant salamanders Cryptobranchidae Part A palaeontology phylogeny genetics and morphology In Amphibian and Reptile Conservation Volume 5 No 4 2012 S 17 29 Digitalisat Memento des Originals vom 3 Mai 2017 im Internet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot ag purdue edu a b P M Miklas Die Amphibienfauna Amphibia Caudata Anura der obermiozanen Fundstelle Gotzendorf an der Leitha sudliches Wiener Becken Niederosterreich In Annalen des Naturhistorischen Museums Wien Band 103 A 2002 S 161 211 Digitalisat Frank Westphal Neue Riesensalamander Funde Andrias Amphibia aus der Oberen Susswassermolasse von Wartenberg in Bayern In Mitteilungen der Bayerischen Staatssammlung fur Palaontologie und Historische Geologie Volume 10 1970 S 253 260 zobodat at PDF a b c Frank Westphal Die Tertiaren und rezenten Eurasiatischen Riesensalamander Genus Andrias Urodela Amphibia In Zeitschrift der Deutschen Geologischen Gesellschaft Band 111 1959 S 739 781 Abstract 1 2 Vorlage Toter Link www schweizerbart de Seite nicht mehr abrufbar festgestellt im Juni 2023 Suche in 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