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Das Hochschullager Winterthur war eine Bildungseinrichtung auf Universitatsstufe fur die in der Schweiz internierten polnischen Soldaten im Zweiten Weltkrieg Es existierte von 1940 bis 1946 Insgesamt wurden in Winterthur wahrend des Krieges uber 500 polnische Soldaten unterrichtet Ahnliche Hochschullager existierten in Herisau und Freiburg Die so genannte Polentafel am Gewerbemuseum Winterthur erinnert an das Hochschullager Gedenktafel in der Herz Jesu Kirche in Winterthur MattenbachPolnische Internierte aus dem Hochschullager Winterthur bei ihrer Ausbildung in Elektrotechnik im alten Physikgebaude der ETH Zurich Ca 1942 Inhaltsverzeichnis 1 Ausgangslage 2 Betrieb des Hochschullagers 3 Freizeitgestaltung 4 Personliche Erinnerungen 5 Weblinks 6 Literatur 7 EinzelnachweiseAusgangslage BearbeitenZwischen dem 19 und 21 Juni 1940 uberschritten 20 000 franzosische und 12 500 polnische Soldaten die Schweizer Grenze im Jura Im Kampf gegen die deutsche Wehrmacht waren sie in der Gegend von Dijon in eine aussichtslose Lage geraten und konnten sich der drohenden Kriegsgefangenschaft durch die Flucht in die Schweiz entziehen Sie wurden in der Schweiz nach den Regeln der Haager Landkriegsordnung interniert Die franzosischen Soldaten konnten bereits nach wenigen Monaten zuruck in ihre Heimat Insgesamt waren in der Schweiz im Zweiten Weltkrieg 104 000 Soldaten fremder Heere interniert 1 Viele von ihnen waren gefluchtete Kriegsgefangene aus Deutschland und Italien die gegen Ende des Krieges kamen 2 Die polnischen Soldaten aber kamen bereits zu Beginn und blieben bis zum Ende des Krieges in der Schweiz Bereits im Sommer 1940 kam die Idee auf den jungeren unter ihnen die Fortsetzung ihrer Ausbildung zu ermoglichen um damit auch einen ideellen und geistigen Beitrag zu den Bewaltigung der Kriegsfolgen und des Wiederaufbaus nach dem Krieg zu leisten So entstanden die Hochschullager fur Internierte in Freiburg Herisau und Winterthur und fur eine kurze Zeit fur Franzosen und Belgier auch in Burgdorf Letzteres wurde jedoch nach der Repatriierung dieser Soldaten 1941 wieder aufgelost Ausserdem existierte in Wetzikon im Zurcher Oberland ein Gymnasiallager hier konnten die polnischen Soldaten ihr Abitur nachholen Fur die Zuteilung zu den verschiedenen Hochschullager war die Fachrichtung ausschlaggebend In Winterthur waren primar die Polytechniker Mediziner und Veterinare Alle ubrigen kamen zunachst nach Freiburg spater aber wegen Platzmangel ebenfalls nach Winterthur es handelte sich vor allem um Juristen und Padagogen 3 Finanziell wurden die Hochschullager vom Fonds europeen de secours aux Etudiants en 1942 1943 unterstutzt 4 Betrieb des Hochschullagers BearbeitenDie polnischen Soldaten im Hochschullager Winterthur unterstanden militarisch dem polnischen General Bronislaw Prugar Ketling dem Kommandanten der polnischen 2 Schutzendivision die auch eine Disziplinarordnung erliess Vor Ort war der polnische Oberstleutnant Reder verantwortlich Fur den Hochschulbetrieb setzte das 1940 gegrundete Eidgenossischen Kommissariat fur Internierung und Hospitalisierung EKIH den pensionierten ETH Rektor Charles Andreae ein Alle Hochschullager wurden unter die Aufsicht des Oberst i Gst Max Zeller Zeller gestellt Die Internierten Hochschullager IHSL Freiburg Winterthur und Herisau wurden ab 1942 in einem eigenen Verwaltungssektor des EKIH zusammengefasst 5 Die polnischen Soldaten wurden bei privaten Gastgebern untergebracht mussten aber ihre Mahlzeiten gemeinsam im Saal des Kirchgemeindehauses Winterthur einnehmen Der Unterricht fand zunachst in verschiedenen Lokalitaten in der Stadt Winterthur statt unter anderem im Chemiegebaude des Technikum in der Kantonsschule im Rathaus sowie im Gewerbemuseum Winterthur Das Hochschullager Winterthur nahm seinen Betrieb im Oktober 1940 auf Bereits ab Herbst 1941 fand ein Teil des Unterrichtes an der Universitat Zurich und an der ETH Zurich statt ab dem Wintersemester 42 43 galt das fur alle Den Soldaten wurde erlaubt jeden Tag mit dem Zug dorthin zu fahren Die Studenten belegten Kurse in Architektur Bauingenieurwesen Maschineningenieurwesen Elektrotechnik Chemie Land und Forstwirtschaft Padagogik Jura Human und Veterinarmedizin und weiteren Fachern Die Soldaten erhielten zunachst nur Horerstatus Am Ende des Krieges wurde ihnen jedoch Diplome ausgestellt Rund 160 Studierende wurden diplomiert einige noch in den Jahren 1946 und 1947 6 Ein Teil dieser Diplome wurde nie abgeholt und befindet sich immer noch im Archiv der ETH Zurich Ein Teil der Diplomarbeiten druckte das EKIH in zwei Sammelbanden ab 7 Wahrend der Semesterferien wurden die Angehorigen des Hochschullagers zu verschiedenen Arbeitseinsatzen in der Landwirtschaft und im Strassenbau herangezogen Im Kanton Zurich in Seuzach Bassersdorf und Rickenbach im Kanton Graubunden in Chur Vals Cazis auf dem Glaspass im Safiental Man darf davon ausgehen dass sie beim Bau von verschiedenen Polenwegen namentlich im Kanton Graubunden mitgewirkt haben Ausserdem wurden Hilfsaktionen fur die Heimat aber auch fur polnische Kriegsgefangene organisiert 8 Nach Kriegsende konnten die Soldaten zuruck nach Polen die meisten reisten jedoch in ein Drittland aus Viele davon nach Frankreich aber auch in die USA 9 Freizeitgestaltung BearbeitenFur die Freizeit standen zwei Raume in der Altstadt zur Verfugung die von Clary und Kurt Schollhorn Dreyer zur Verfugung gestellt wurde Kurt Schollhorn war damals Direktor der Bierbrauerei Haldengut Sie befanden sich im Haus zum Grabeneck an der Kreuzung Marktgasse und Unterer Graben Die Raume wurden von polnischen Internierten mit heroischen Wandmalereien geschmuckt wie man auf den Fotos von Leszek Bialy gut erkennen kann Gundlach Protrowski Pregowksi Prohaska de Reck Sawka 10 11 Einige der Studenten widmeten sich auch kunstlerischen Tatigkeiten Zwischen 1943 und 1945 fanden im Gewerbemuseum Winterthur eine Reihe von Ausstellungen mit kunstlerischen Arbeiten von internierten Soldaten statt Dabei waren Werke von T Fuss M Kalitowicz Z Pregowski W Prochaska de Reck Stryienski Z Bern Z Stankiewicz M Piotrowski und N Rajchmann zu sehen Besonderen Stellenwert genoss die Musik Ein eigens gegrundeter Mannerchor gab uber 170 Konzerte in verschiedenen Teilen der Schweiz 12 Offiziell waren den Internierten personliche Kontakte zur Bevolkerung verboten Dieses Verbot wurde aber nicht durchgesetzt Zahlreiche Internierte hatten Liebesbeziehungen einige heirateten sogar nach dem Krieg Einige Soldaten und Offiziere flohen aus dem Hochschullager und gelangten via Frankreich oder Italien nach England wo sie sich dem Widerstand gegen Hitler Deutschland anschlossen Einige dieser Absetzungsbewegungen sind gut dokumentiert So etwa jene des Dozenten Jan Sawka 13 oder Bernhard Giberstein der auch eine Tochter zeugte 14 Die 1933 neu gebaute Herz Jesu Kirche im Winterthur Mattenbach Quartier wurde den mehrheitlich katholisch gepragten polnischen Soldaten zur spirituellen Heimat In einem Seiteneingang der Kirche erinnert eine Tafel an diese Zeit Personliche Erinnerungen BearbeitenEinige der internierten Soldaten haben sich spater zu ihrer Zeit im Winterthurer Hochschullager geaussert So erinnert sich Wiktor Stefaniak in seinem Buch Freiheit ist eine grosse Sache im Jahr 1984 Der Zug der an einem Oktobermorgen aus der Westschweiz Richtung St Gallen rollte brachte einige Hundert Internierte die gegen Abend in Winterthur ausstiegen Im Schulhaus Neuwiesen Tellstrasse fand die Verteilung derselben zu den einzelnen Wohnadressen statt Dank einer ausgezeichneten Organisation gelangten alle Internierten noch am gleichen Abend von Pfadfindern bzw Kadetten gefuhrt zu den zugeteilten Privatzimmern Die Logisgeber waren meistens altere wenig bemittelte Frauen Witwen denen das Zimmervermieten eine zusatzliche und willkommene Geldeinnahme bedeutete Mein junger Schutzengel fuhrte mich zuerst durch eine lange und breite Strasse bis wir im Stadtquartier Toss in einem Hinterhof die gesuchte Wohnung der Vermieterin fanden Meine Logisfrau war ein kleines alteres aber noch lebhaftes Mutterchen Durch die Kuche trat ich in das mir zugewiesene Zimmer ein das einfach mobliert aber sauber war Da ich einige Monate in Melchnau in einer riesigen Fabrikhalle verbracht hatte kam mir das neue Logis sehr klein und eng vor Ich schaute auf die Uhr und bemerkte dass ich eine halbe Stunde von der Sammelstelle bis hier unterwegs gewesen war Eine schone Strecke vom Zentrum dachte ich 15 WIKTOR STEFANIAK Freiheit ist eine grosse Sache 1984Der letzte der polnischen Internierten starb im Jahr 2020 im Alter von 100 Jahren Es war Edward Krolak Er erinnert sich an seine Zeit in Winterthur Es hiess zwar Lager aber im Gegensatz zu unseren Kameraden in den Barackenlagern wurde jeder von uns in einem Privatzimmer bei einer Schweizer Familie untergebracht In Winterthur gab es eher weniger zu essen deshalb ging ich ab und zu zum ortlichen Frauenverein Da bekam ich fur funfzig Rappen eine feine Rosti Anfangs hatte ich ein Zimmer in der Winterthurer Altstadt Die Dame des Hauses war eine Berner Kochin die es wirklich sehr gut mit uns meinte Manchmal wenn ich nach dem Mittagessen ins Zimmer kam stand auf meinem Tisch ein Teller Suppe Und zum Geburtstag bekam ich einen Cervelatsalat mit Brot Das war einfach himmlisch Uberhaupt waren uns die meisten Schweizer wohlgesinnt Ein Coiffeur verlangte von uns Polen nur funfzig Rappen fur einen Haarschnitt auch ein Kinobesuch kostete nur 50 Rappen 16 EDWARD KROLAK 2019Einige polnische Soldaten blieben bis Sommer 1946 in der Schweiz um ihre Studien abzuschliessen Ende Juni 1946 ubergaben sie der Stadt Winterthur eine Gedenktafel fur das Hochschullager Winterthur Die Tafel wurde vom polnischen Kunstler Pietrowksi Maciej gestaltet und Ende Juni 1946 Auf der dunklen Bronzetafel beim Gewerbemuseum heisst es Der gastfreundlichen Stadt Winterthur Die internierten polnischen Studenten Miastu Winterthur Studenci Polaci Die Sammlung Winterthur bewahrt ein grossformatiges Fotoalbum mit rund 50 professionell angefertigten schwarzweissen Fotos auf welche das Leben im Hochschullager Winterthur dokumentieren Sie stammen alle vom polnischen Soldaten Leszek Bialy Er hatte das Album fur die Gonnerin der internierten Soldaten Clary Schoellhorn Dreyer angefertigt 17 Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Hochschullager Winterthur Sammlung von Bildern Videos und Audiodateien Schlussbericht des Eidgenossischen Kommissariat fur Internierung und Hospitalisierung EKIH Online A Pospischil S Hasler Schweizerische Vereinigung fur Geschichte der Veterinarmedizin Zur Geschichte internierter polnischer Tierarzte in der Schweiz 1940 1947 Bern 2016 Online 75 Jahre nach Kriegsende Die Suche nach dem verschollenen Vater Fernsehbericht SRF vom 11 November 2020 Literatur BearbeitenUrs Altermatt Die Universitat Freiburg und Polen In Schweizerische Zeitschrift fur Religions und Kulturgeschichte 2004 98 147 157 Eidgenossisches Kommissariat fur Internierung und Hospitalisierung Hrsg Sammlung wissenschaftlicher Arbeiten der in der Schweiz internierten Polen 2 Bande Bern 1944 und 1945 Online Charles Andreae Die Hochschullager polnischer Internierten In Schweizerische Hochschulzeitung Heft 3 18 Jahrgang Zurich 1944 S 149 1954 Marie Isabelle Bill Interniert Polnisch schweizerische Familiengeschichten Zurich 2020 ISBN 978 3 0340 1589 9 May Broda Das polnische Internierten Hochschullager Herisau St Gallen In Appenzellische Jahrbucher 119 1991 S 25 54 Online Dominik Landwehr Internierte im Tosstal und Winterthur Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg Ruckblick auf eine bewegte Zeit 1940 1946 Schriften des Ortsmuseum Wila Herausgegeben von Wolfgang Wahl Wila 2020 J Leuthold Das polnische Internierten Hochschullager 1940 1946 Winterthur 1946 Ruben Mullis Die Internierung polnischer Soldaten in der Schweiz 1940 1945 Militargeschichte zum Anfassen Herausgegeben von Hans Rudolf Fuhrer Zurich 2003 A Pospischil S Hasler Schweizerische Vereinigung fur Geschichte der Veterinarmedizin Zur Geschichte internierter polnischer Tierarzte in der Schweiz 1940 1947 Online Madeleine Schadegg Ruck Spuren Von einer Vatersuche und Millionen nachtloser Strumpfe Eine Lebensgeschichte Wetzikon 2014 Selbstverlag Wiktor Stefaniak Freiheit ist eine grosse Sache Erinnerungen internierter Polen Simon Verlag 1985 Einzelnachweise Bearbeiten Georg Kreis Polen und seine Landsleute zwischen Fremdbestimmung und Selbstbestimmung Marie Louise Bill Interniert Polnisch schweizerische Familiengeschichten Chronos Verlag Zurich 2020 ISBN 978 3 0340 1589 9 S 249 262 Herve de Weck Internierungen in der Schweiz In Historisches Lexikon der Schweiz HLS 13 Mai 2008 abgerufen am 28 November 2021 Charles Andreae Die Hochschullager polnischer Internierten In Schweizerische Hochschulzeitung Band 3 Jg 18 Band 3 Bern 1944 S 151 A Blonay Le Fonds europeen de secours aux Etudiants en 1942 1943 In Comite International de la Croix Rouge CICR Hrsg Revue Internationale de la Croix Rouge et Bulletin international des Societes de la Croix Rouge Band 25 Genf 1943 S 992 995 May Broda Das polnische Internierten Hochschullager Herisau St Gallen In Gemeinnutzige Gesellschaft Appenzell Hrsg Appenzeller Jahrbuch Nr 119 Schlapfer amp Co Appenzell 1991 S 25 J Leuthold Das polnische Internierten Hochschullager in Winterthur Winterthur 1946 S 25 Diverse Autoren Sammlung wissenschaftlicher Arbeiten der in der Schweiz internierten Polen Hrsg Eidgenossisches Kommissariat fur Internierung und Hospitalisierung EKIH Brugg 1944 Johannes Wahl Nahrhafte Speise des Geistes fur das geknechtete Volk Die Hochschullager der internierten Polen im Zweiten Weltkrieg In ETH Heritage Blog ETH Bibliothek Zurich 2 Oktober 2020 abgerufen am 28 November 2021 Eidgenossischen Kommissariat fur Internierung und Hospitalisierung EKIH Schlussbericht 1947 abgerufen am 28 November 2021 J Leuthold Das polnische Internierten Hochschullager in Winterthur Winterthur 1946 Das Fotoalbum befindet sich in der Sammlung Winterthur J Leuthold J Leuthold Das polnische Internierten Hochschullager 1940 1946 Hrsg Stadt Winterthur Winterthur 1946 S 25 Dominik Landwehr Auf den Spuren von Jan Sawka der verschwand um gegen die Nazis zu kampfen In Der Landbote Tamedia AG 3 April 2021 abgerufen am 28 November 2021 Madeleine Schadegg Ruck Spuren Von einer Vatersuche und Millionen nachtloser Strumpfe Eine Lebensgeschichte Selbstverlag Wetzikon 2014 Viktor Stefaniak Wiktor Stefaniak Freiheit ist eine grosse Sache Erinnerungen internierter Polen Simon Verlag Zurich 1984 S 132 Marie Isabelle Bill Interniert Polnisch schweizerische Familiengeschichten Chronos Verlag Zurich 2020 ISBN 978 3 0340 1589 9 S 20 Fotos von Leszek Bialy In Sammlung Winterthur Stadtbibliothek Winterthur abgerufen am 28 November 2021 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Hochschullager Winterthur amp oldid 237597648