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Entscheidung des BundesverfassungsgerichtsBenetton I Benetton IIEntscheidungsdatum 8 November 2000 11 Marz 2003Aktenzeichen 1 BvR 1762 95 amp 1 BvR 1787 951 BvR 426 02Verfahrensart VerfassungsbeschwerdeEntscheidung BeschlussFundstelle BVerfGE 102 347BVerfGE 107 275Angewandtes Recht 1 UWG Art 1 und 5 GGDie Benetton Entscheidungen auch bekannt unter den Bezeichnungen Benetton IundII oder Schockwerbung oder HIV Positive IundHIV Positive II sind eine Reihe von Entscheidungen des deutschen Bundesverfassungsgerichts mit denen Werbeverbote zu Gunsten der Presse und Meinungsfreiheit aufgehoben wurden Die Zentrale zur Bekampfung unlauteren Wettbewerbs e V hatte ab Anfang der 1990er Jahre uber mehrere Instanzen bis hin zum Bundesgerichtshof wiederholt ein Verbot des Abdrucks von umstrittenen Werbeanzeigen des italienischen Modeunternehmens Benetton in einer deutschen Zeitschrift erwirkt Das vom Zeitschriften Verlag angerufene Bundesverfassungsgericht ordnet in den Benetton Entscheidungen jedes Grundrecht als Konkretisierung der Menschenwurde an und stellt besondere Anforderungen fur seine Einschrankung auf soll sie gerade mit Hinweis auf die Menschenwurde erfolgen durfen Gleichwohl entwickelt es seine standige Rechtsprechung weiter wonach der Meinungsfreiheit unter demokratischen Aspekten eine besondere Rolle zukommt und dieses Grundrecht daher besonders intensiv zu schutzen ist Inhaltsverzeichnis 1 Sachverhalt 2 Die Entscheidung Benetton I 3 Die Entscheidung Benetton II 3 1 Erneute Revisionsentscheidung des BGH 3 2 Erneute Verfassungsbeschwerde und Entscheidung des Verfassungsgerichts 4 Quellen 5 Siehe auchSachverhalt BearbeitenMit Verfassungsbeschwerden wandte sich der Verlag der Zeitschrift stern gegen das gerichtliche Verbot Werbeanzeigen der Firma Benetton Group abzudrucken und zu verbreiten Im Einzelnen handelt es sich um ganzseitige Bildmotive olverschmutzter Vogel Kinderarbeit nacktes menschliches Gesass mit dem Stempelabdruck HIV Positive jeweils als grossflachige Aufnahmen mit einem blossen grunen Logo UNITED COLOURS OF BENETTON Nachdem der Verlag 1994 von der Zentrale zur Bekampfung unlauteren Wettbewerbs e V welche ihrerseits wiederum seit 1992 gerichtlich gegen die Firma Benetton vorgegangen war 1 abgemahnt und aufgefordert wurde eine Veroffentlichung der Benetton Werbung zu unterlassen der Stern Verlag sich jedoch weigerte erliess das zustandige Zivilgericht im Jahr 1995 auf Antrag der Zentrale ein Verbot aller drei Motive und drohte fur den Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld von 500 000 DM an 2 3 Der Verlag focht das Verbot durch eine Sprungrevision an Diese wies der Bundesgerichtshof BGH jedoch zuruck und stellte fest Wer Gefuhle des Mitleids in so intensiver Weise wie in den beanstandeten Anzeigen zu kommerziellen Zwecken ausnutzt handelt wettbewerbswidrig 4 5 Die Benetton Kampagne die auch von anderen Verlagen und Medien mitgetragen wurde wurde vor und wahrend des Rechtsstreits auf breiter Basis kontrovers diskutiert Die Entscheidung Benetton I BearbeitenDas vom Stern Verlag Gruner Jahr angerufene Bundesverfassungsgericht hob im Jahr 2000 die Urteile der Zivilgerichte auf weil sie den Verlag in seiner Pressefreiheit verletzen 6 Dem liegen folgende Erwagungen zu Grunde Auch die Veroffentlichung einer fremden Meinungsausserung fallt unter den Schutzbereich der Pressefreiheit Hieran andert sich nichts wenn sie kommerziell oder bei reiner Wirtschaftswerbung geschieht Hierzu zahlen auch vielsagende Bilder Einem Presseorgan darf die Veroffentlichung einer fremden Meinungsausserung nicht verboten werden wenn dem Meinungstrager selbst ihre Ausserung und Verbreitung zu gestatten ist Das Gericht folgt allerdings nicht dem Argument des Verlags 1 UWG auf den der BGH sein Verbot gestutzt hat sei nicht bestimmt genug oder einer Anwendung auf Falle der vorliegenden Art von vornherein nicht zuganglich Die in 1 UWG enthaltene Generalklausel wonach Wettbewerbshandlungen die gegen die guten Sitten verstossen verboten sind ist verfassungsrechtlich unbedenklich Der BGH hat jedoch bei seiner wettbewerbsrechtlichen Bewertung der Anzeigen Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit verkannt Eine Einschrankung der Meinungsfreiheit setzt namlich eine Rechtfertigung durch wichtige Gemeinwohlbelange oder Rechte Dritter voraus Solche hat der BGH weder festgestellt noch sind sie sonst ersichtlich Die Benetton Anzeigen wird als sittenwidrig bewertet weil mit der Darstellung schweren Leids von Mensch und Tier Gefuhle des Mitleids erweckt und dieses Gefuhl ohne sachliche Veranlassung zu Wettbewerbszwecken ausgenutzt wurden Ein derartiges Wettbewerbsverhalten durfte tatsachlich von weiten Teilen der Bevolkerung abgelehnt werden In der Konfrontation des Betrachters mit unangenehmen oder mitleiderregenden Bildern liegt aber keine derartig intensive Belastigung dass sie die grundrechtsbeschrankende Wirkung rechtfertigen konnte Auch aus dem Umstand dass zwischen den mit suggestiver Kraft wirkenden Bildern und den beworbenen Produkten kein Zusammenhang besteht kann eine derartige Belastigung nicht abgeleitet werden Diese Zusammenhanglosigkeit zeichnet einen Grossteil der heutigen Imagewerbung aus wenn auch herkommlicherweise mit Bildern die z B an libidinose Wunsche oder Sehnsuchte appellieren Dass moglicherweise die Verbraucher an derartige positive Bilder eher gewohnt sind ist fur eine Grundrechtseinschrankung nicht massgeblich Auch Gemeinwohlbelange sind nicht betroffen Werbung die inhumane Zustande und Umweltverschmutzung anprangert fordert nicht Verrohungs oder Abstumpfungstendenzen in unserer Gesellschaft Andererseits greift das Verbot schwerwiegend in die Meinungsfreiheit ein Dabei kommt es nicht darauf an ob die Anzeigen der Firma Benetton zur Auseinandersetzung uber die von ihnen aufgezeigten Missstande nichts Wesentliches beitragen Auch das blosse Anprangern eines Missstandes steht unter dem Schutz des Art 5 Abs 1 GG Das Motiv HIV Positive ist vom BGH auch deshalb fur wettbewerbswidrig gehalten worden weil diese Anzeige in grober Weise gegen die Grundsatze der Wahrung der Menschenwurde verstosse in dem sie Infizierte und Kranke als abgestempelt und damit als aus der menschlichen Gesellschaft ausgegrenzt darstelle Es steht aber keineswegs fest dass die Anzeige in diesem Sinne zu verstehen ist Mindestens genauso naheliegend ist namlich eine Deutung wonach mit der Anzeige gerade auf die befurchtete oder stattfindende Ausgrenzung Infizierter anklagend hingewiesen werden sollte Der BGH hatte sich daher mit den verschiedenen Deutungsmoglichkeiten auseinandersetzen und fur die gefundene Losung Grunde angeben mussen um Art 5 Abs 1 GG gerecht zu werden Die Entscheidung Benetton II BearbeitenGemass dem Tenor von Benetton I wurde die Sache an den BGH zuruckverwiesen Denn das Verfassungsgericht kann als Spezialgericht bei dem ausserordentlichen Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde keine Sachentscheidung treffen sondern pruft nur die Entscheidungen anderer Organe auf die Verletzung von Verfassungsrecht Heck sche Formel 7 Erneute Revisionsentscheidung des BGH Bearbeiten Der BGH hatte uber das Verbot erneut zu entscheiden und er hat die Veroffentlichung der HIV Positive Anzeigen 2001 erneut verboten 8 In dem Verfahren in dem es um andere Anzeigen Kinderarbeit und olverschmutzte Ente ging hat der I Zivilsenat das Verbot aufgehoben und die Klage gegen den Verlag durch ein sog Verzichtsurteil abgewiesen nachdem die o a Zentrale auf den ihr vom Landgericht zuerkannten Anspruch verzichtet hat 9 Der BGH meint dennoch die Pressefreiheit des Verlags einschranken zu durfen und verweist auf die Menschenwurde Nach seiner Auffassung solle der Offentlichkeit mit der Anzeige die Stigmatisierung HIV Infizierter als gesellschaftlicher Missstand vor Augen gefuhrt werden Diese sozialkritische Meinungsausserung verfolge zugleich einen eigennutzigen Werbezweck weswegen sie sittenwidrig sei 1 UWG Ein solcher Zweck verletze automatisch die Menschenwurde Aufmerksamkeitswerbung die das Elend der Betroffenen zum eigenen kommerziellen Vorteil als Reizobjekt ausbeute sei mit Art 1 Abs 1 GG unvereinbar 10 Erneute Verfassungsbeschwerde und Entscheidung des Verfassungsgerichts Bearbeiten Das Verfassungsgericht hob auch dieses Verbot im Marz 2003 nach erneuter Verfassungsbeschwerde des Verlages auf und verwies die Sache an den BGH zuruck 11 12 13 Dem Beschluss liegen folgende Erwagungen zu Grunde Auch das zweite Verbot ist als Einschrankung verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt Der BGH verkennt Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit auf die sich der Verlag im Rahmen seiner Pressefreiheit berufen kann Einschrankungen des Grundrechts der freien Meinungsausserung bedurfen einer Rechtfertigung durch besonders gewichtige Gemeinwohlbelange oder schutzwurdige Rechte und Interessen Dritter Verbote auf Grundlage von 1 UWG setzen einen hinreichend wichtigen durch diese Norm geschutzten Belang voraus Die Menschenwurde setzt zwar der Meinungsfreiheit auch im Wettbewerbsrecht eine absolute Grenze Diese ist hier aber nicht verletzt Ausschlaggebend ist der systematische Zusammenhang zwischen Menschenwurde und Grundrechten Die Menschenwurde gilt absolut und ist mit keinem Einzelgrundrecht abwagungsfahig Die Grundrechte sind insgesamt Konkretisierungen des Prinzips der Menschenwurde Deshalb bedarf die Annahme dass der Gebrauch eines Grundrechts die unantastbare Menschenwurde verletze stets einer sorgfaltigen Begrundung zumal in diesem Fall die sonst notwendige Rechtfertigung des Eingriffs in die Meinungsfreiheit durch einen hinreichend wichtigen wettbewerbsrechtlich geschutzten Belang entfallt Nach diesem Massstab verletzt die Anzeige nicht die Menschenwurde Der Werbezweck verwandelt sie nicht in eine Botschaft die den gebotenen Respekt vermissen liesse indem sie etwa die Betroffenen verspottet verhohnt oder erniedrigt oder das dargestellte Leid verharmlost befurwortet oder in einen lacherlichen oder makabren Kontext stellt Allein der Aufmerksamkeitswerbezweck rechtfertigt den schweren Vorwurf einer Menschenwurdeverletzung nicht Ein Werbeverbot auf Grundlage des 1 UWG ist ohne dass es auf eine Gefahrdung des Leistungswettbewerbs ankame dann durch den Schutz der Menschenwurde gerechtfertigt wenn die Werbung wegen ihres Inhalts auf die absolute Grenze der Menschenwurde stosst Wird diese Grenze beachtet kann nicht allein der Werbekontext dazu fuhren dass eine ansonsten zulassige Meinungsausserung die Menschenwurde verletzt Eine Anzeige mag in einem solchen Fall als befremdlich empfunden oder fur ungehorig gehalten werden ein Verstoss gegen Art 1 Abs 1 GG liegt jedoch nicht vor Im Mai 2003 nahm die Zentrale zur Bekampfung unlauteren Wettbewerbs als Reaktion auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Klage zuruck 14 Der mehr als neunjahrige Rechtsstreit war damit beendet Quellen Bearbeiten Wettbewerbszentrale Zahl der bearbeiteten Falle stieg 1992 um knapp 10 auf 16508 textilwirtschaft de 19 Mai 1993 Benetton Der italienische Textilhersteller startete mit einer neuen provozierenden Werbe Kampagne 1 2 Vorlage Toter Link www textilwirtschaft de Seite nicht mehr abrufbar festgestellt im April 2018 Suche in Webarchiven nbsp Info Der Link wurde automatisch als defekt markiert Bitte prufe den Link gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis textilwirtschaft de 24 Februar 1994 Skandalwerbung Sieh Hier Hin Streit um Benetton spiegel de 15 September 2009 vgl Urteile vom 6 Juli 1995 Gz I ZR 180 94 und I ZR 110 93 Fundstelle BGHZ 130 196 Benetton Bundesgerichtshof Wettbewerbswidrig 1 2 Vorlage Toter Link www textilwirtschaft de Seite nicht mehr abrufbar festgestellt im April 2018 Suche in Webarchiven nbsp Info Der Link wurde automatisch als defekt markiert Bitte prufe den Link gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis textilwirtschaft de 13 Juli 1995 Nicht sittenwidrig Benetton Werbeverbot aufgehoben textilwirtschaft de 21 Dezember 2000 das Verfassungsgericht ist keine Superrevisionsinstanz so etwa Schlaich Korioth Rn 283 Gerichtsurteil Benetton Kampagne sittenwidrig spiegel de 6 Dezember 2001 Verzichtsurteil vom 6 Dezember 2001 Gz I ZR 283 00 PDF 27 kB Urteil vom 6 Dezember 2001 PDF 207 kB BVerfG 1 BvR 426 02 vom 11 Marz 2003 Absatz Nr 1 29 bundesverfassungsgericht de 11 Marz 2003 Verfassungsrichter kippen erneut Urteil zur Schockwerbung 1 2 Vorlage Toter Link www handelsblatt com Seite nicht mehr abrufbar festgestellt im Juni 2023 Suche in Webarchiven nbsp Info Der Link wurde automatisch als defekt markiert Bitte prufe den Link gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis handelsblatt com 2 April 2003 Verfassungsgericht erlaubt Benetton Schockwerbung textilwirtschaft de 25 Marz 2003 Jahrelanger Rechtsstreit um Benetton Werbung beendet Wettbewerbszentrale nimmt Klage gegen Benetton Anzeige im stern zuruck Memento vom 12 September 2009 im Internet Archive stern de 9 Mai 2003Siehe auch BearbeitenAufhebung von ahnlichen Werbeverboten Aktionsgemeinschaft Artenschutz Gz 1 BvR 952 90 und 1 BvR 2151 96 Schockwerbung Werbeselbstkontrolle uber Verbande und Organisationen Richterliches Prufungsrecht Superrevision Katzenstein Formel BVerfGE 55 72 Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Benetton Entscheidungen amp oldid 237775471