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Als Gehlen Prozess wird eine Reihe von Gerichtsprozessen in der Deutschen Demokratischen Republik bezeichnet die in den Jahren 1953 1956 gegen mutmassliche Agenten der Organisation Gehlen der Vorlaufer Organisation des BND stattfanden Dabei handelte es sich teilweise um Geheimprozesse wie den gegen Elli Barczatis die Chefsekretarin des Ministerprasidenten Otto Grotewohl und ihren Freund Karl Laurenz der 1955 mit Todesurteilen fur die Angeklagten endete Andere Prozesse wurden als Schauprozesse gross angelegt und bis ins Detail vorausgeplant Dazu gehoren das Verfahren gegen Werner Wilhelm Haase und sechs weitere Angeklagte vom Dezember 1953 das mit hohen Freiheitsstrafen endete und das Verfahren gegen Karli Bandelow Ewald Misera und 5 Mitangeklagte in dem Anfang November 1954 fur die beiden Genannten Todesurteile gesprochen wurden Das erklarte Hauptziel der Schauprozesse war die Organisation Gehlen in der Offentlichkeit als kriegstreiberisch und als Verbrecherbande darzustellen 1 132 Auch fur die Urteilsbegrundung selbst war dies notwendig da es in der DDR bis zum Strafrechtserganzungsgesetz StEG vom 1 Februar 1958 keinen Spionagetatbestand gab und deshalb auf andere Anklagepunkte zuruckgegriffen werden musste 2 Ein weiteres wesentliches Ziel der Schauprozesse war es die Bedeutung der Staatssicherheit hervorzuheben und sie in der Bevolkerung zu verankern In der Presse wurde immer wieder grossere Wachsamkeit gefordert 3 1001 Nach dem Aufstand vom 17 Juni 1953 war dem Ministerium Versagen vorgeworfen und es zum Staatssekretariat fur Staatssicherheit heruntergestuft worden Die Staatssicherheit unter ihrem neuen Leiter Ernst Wollweber setzte alles daran Erfolge vorzuweisen um ihr Ansehen wiederherzustellen 4 Am 24 November 1955 wurde das Staatssekretariat wieder in ein Ministerium umgewandelt Inhaltsverzeichnis 1 Der Prozess gegen Bandelow und andere vom November 1954 1 1 Vorbereitung 1 2 Propaganda 1 3 Ablauf 1 4 Nachwirken 2 Historische Quellen 3 Literatur 4 Weblinks 5 EinzelnachweiseDer Prozess gegen Bandelow und andere vom November 1954 BearbeitenIn diesem Prozess wurden sieben Personen angeklagt und verurteilt Der Bauingenieur und Hauptreferent im Staatssekretariat fur Kraftverkehr und Strassenwesen der DDR Karli Bandelow der Handlungsgehilfe Ewald Misera der Vertriebskaufmann Vitalis Dalchau der Finanzbuchhalter Gottfried Schroer der Fischer Christoph Komorek der Dreher Werner Laux und die Stenotypistin Kathe Dorn Die meisten von ihnen gehorten zu den uber 500 Verhafteten der Aktion Pfeil der Staatssicherheit Die Auswahl der Angeklagten fur diesen Schauprozess erfolgte ausschliesslich aus Grunden politischer Zweckmassigkeit und agitatorischer Nutzanwendung Ausser Karli Bandelow und Kathe Dorn die befreundet gewesen waren hatten sie einander nicht gekannt 1 130 134 Vorbereitung Bearbeiten Der Schauprozess wurde einschliesslich der Urteile generalstabsmassig im Politburo der SED vorausgeplant 3 1000f Dieses befasste sich erstmals am 24 August 1954 mit der Sache Laut Protokoll Nr 22 54 erstattete Willi Stoph damals Mitglied des Politburos und Minister des Innern unter Tagesordnungspunkt 18 Bericht uber die Verhaftung sogenannter Gehlen Agenten 1 130ffDie propagandistischen Vorbereitungen wurden zeitlich koordiniert mit einem diplomatischen Vorgehen des Hohen Kommissars der UdSSR in Deutschland Georgi Maximowitsch Puschkin am 23 September und einer internationalen Pressekonferenz am 4 Oktober in Ostberlin die zwei Tage nach der ursprunglich vorgesehenen Urteilsverkundung stattfinden sollte Mit der Vorbereitung des Schauprozesses wurde Anton Plenikowski der Leiter der Abteilung Staatliche Verwaltung beauftragt Zu seiner entsprechenden Vorlage erklarte er am 25 September im Politburo Das Ziel der durchzufuhrenden offentlichen Prozesse ist die weitere Entlarvung der Organisation Gehlen als einer Bande von Kriegsverbrechern Faschisten und Revanchisten die nicht nur den Frieden des deutschen Volkes sondern den Frieden der Welt gefahrden 3 1001Am 28 September erortert das Politburo konkret die Durchfuhrung und Auswertung des Prozesses sowie dreier weiterer geplanter Prozesse vor den Bezirksgerichten Erfurt Frankfurt Oder und Magdeburg 1 132ff Das betraf die Zielsetzung den Verlauf und das Urteil Fur die Hauptangeklagten Bandelow und Misera plante das Politburo zunachst lebenslange Zuchthausstrafen Erich Mielke sollte die Argumentation fur die Referenten und Agitatoren uber die Organisation Gehlen vorbereiten Die Presse sollte an der Verhandlung teilnehmen und taglich daruber berichten Bestimmte Stellen sollten gefilmt werden Durch die Abteilung Agitation sollten 120 130 Personen als Prozess Zuhorer ausgewahlt werden um sicherzustellen dass die Teilnehmer an der Verhandlung die Ergebnisse in ihren Betrieben Verwaltungen und in Agitationseinsatzen verwerten 5 Aus politischen Grunden wurde der Prozess um einige Wochen verschoben Er sollte nun am 1 November beginnen und acht Verhandlungstage umfassen Weitere Details legte das Politburo in einer Sitzung am 26 Oktober fest Die Prozessfuhrung sollte entsprechend den Vorschlagen von Walter Ulbricht organisiert werden Die personliche Verantwortung sollte Plenikowski tragen In dieser Sitzung verscharft es das Strafmass fur Bandelow und Misera auf Todesstrafe Propaganda Bearbeiten Wie geplant begleitete massive Propaganda in den Zeitungen und im Rundfunk die gesamte Prozess Berichterstattung Am 2 November veroffentlichten die Tageszeitungen Neues Deutschland Berliner Zeitung und Neue Zeit grossere Auszuge aus der Anklageschrift des Generalstaatsanwalts Ernst Melsheimer Mit reisserischen Uberschriften wie Gehlen Verbrecher vor Gericht Scheussliche Verbrechen kommen ans Licht Ehrlose Schurken die Werkzeuge der USA Verbrechen gegen Deutschland Die harteste Strafe fur diese Subjekte Der Kriegsvorbereitung uberfuhrt 6 machten sie Stimmung in der Bevolkerung Parallel zur eigentlichen Berichterstattung wurde uber die Stimmung in der Bevolkerung berichtet die durch Agitatoren grundlich vorbereitet worden war Zu nahezu jedem Zeitungsartikel erschien ein Parallel Artikel mit Inhalten wie 2 000 Muchelner Kumpel und 900 Funkwerker in Dresden fordern in Resolutionen die strengste Bestrafung der Gehlen Agenten 7 Die Rundfunk Sender Berlin 1 Berlin 2 und der Deutschlandsender sendeten zudem tagliche Berichte zur besten Sendezeit die jeweils am nachsten Vormittag wiederholt wurden Noch 1954 erschien im Kongress Verlag ein propagandistisch aufbereiteter autobiografischer Roman von Hans Joachim Geyer mit dem Titel Am Anfang stand das Ende Geyer hatte als Doppelagent massgeblich zur Verhaftungswelle der Aktion Feuerwerk vor dem ersten Gehlen Prozess 1953 beigetragen und war auch im November 1954 als Zeuge eingesetzt worden 8 Der Kongress Verlag veroffentlichte nach Ende des Prozesses ausserdem die Propagandaschrift Halt Das Urteil sprechen wir Uber die Tatigkeit imperialistischer Geheimdienste die sich hauptsachlich mit den Angeklagten und der Organisation Gehlen auseinandersetzt 9 Ablauf Bearbeiten Der zeitliche Ablauf des Prozesses lasst sich weitgehend anhand der Berichterstattung in den Tageszeitungen Neues Deutschland Berliner Zeitung und Neue Zeit nachvollziehen Gerichtsvorsitzender war Walter Ziegler Beisitzer waren Helene Kleine und Heinrich Lowenthal 1 134 Die Anklage vertrat der Generalstaatsanwalt Ernst Melsheimer Bandelow wurde vom Pflichtverteidiger Friedrich Wolff vertreten 1 138Vor Gericht wurden die Angeklagten nicht der Industriespionage beschuldigt was den konkret vorgeworfenen Taten entsprochen hatte Stattdessen warf die Staatsanwaltschaft ihnen vor Bombenanschlage zur Massenvernichtung der Bevolkerung und Zerstorung der DDR Wirtschaft geplant zu haben Die Angeklagten bestatigten die Anklage in allen Einzelheiten in einstudierten Aussagen und gestanden alles 3 1002Die geladenen Zeugen konnten zwar keine Aussagen zu den Vergehen der Angeklagten machen da sie diese nicht gekannt hatten berichteten aber eingehend uber die Arbeit der Organisation Gehlen Zu diesen Zeugen zahlten die Doppelagenten Wolfgang Hoher 10 und Hans Joachim Geyer die erst drei Tage vor Beginn der Hauptverhandlung vernommen worden waren sowie die vermeintlichen Uberlaufer Gerhard Kapahnke und Gerhard Prather Ein weiterer Zeuge war der von der Staatssicherheit in die DDR entfuhrte Verfassungsschutz Mitarbeiter Friedrich Karl Bauer der erst am 28 Oktober auf den Prozess vorbereitet worden war 1 136f Ausserdem wurde der Militarwissenschaftler Egbert von Frankenberg und Proschlitz als Gutachter aufgerufen Er bekundete dass jeder Auftrag an die Agenten in der DDR der direkten Kriegsvorbereitung auf deutschem Boden dienen sollte 11 Das Urteil vom 9 November 1954 entsprach der Vorgabe des Politburos Fur Karli Bandelow und Ewald Misera verhangte es die Todesstrafe Werner Laux und Kathe Dorn wurden zu lebenslanglich Gottfried Schroer und Vitalis Dalchau zu 15 Jahren und Christoph Komorek zu 12 Jahren Zuchthaus verurteilt 12 Nachwirken Bearbeiten Am 4 Marz 1992 hob das Kassationsgericht des Landgerichts Berlin das Urteil auf weil es auf einer schwer wiegenden Verletzung des Rechts beruhte und sprach alle im Prozess Verurteilten frei 13 Zum Zeitpunkt der Verurteilung war eine Strafbarkeit der Spionage auf dem Gebiet der DDR nicht gegeben Die Heranziehung der Bestimmung des Artikels 6 der DDR Verfassung und der Kontrollratsdirektive 38 stellt eine im Strafrecht verbotene Analogie dar die Normen hatten einen anderen Regelungszweck Das Oberste Gericht hatte die Betroffenen daher wegen der ihnen zur Last gelegten Taten nicht verurteilen durfen Mit langwierigen politischen Ausfuhrungen die einen erheblichen Teil des Urteils einnehmen sucht das Oberste Gericht die Organisation Gehlen zu einer faschistischen Organisation zu erklaren um unter Beugung des Rechts das Verhalten der Verurteilten dem Strafrecht zu unterwerfen Ersichtlich sollte hier mit Mitteln des Strafrechts allein politischen Erwartungen der Staats und Parteifuhrung Gehorsam erwiesen werden Historische Quellen BearbeitenUrteil des Obersten Gerichts der Deutschen Demokratischen Republik vom 9 November 1954 Beilage zu Neue Justiz Heft 22 1954 Die Lehren aus dem Gehlen Prozess In Neue Justiz 8 Jg 1954 Heft 22 Berlin Ost S 645 ff Literatur BearbeitenRonny Heidenreich Daniela Munkel Elke Stadelmann Wenz Geheimdienstkrieg in Deutschland Die Konfrontation von DDR Staatssicherheit und Organisation Gehlen 1953 Veroffentlichungen der Unabhangigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945 1968 Band 3 Ch Links Verlag Berlin 2016 ISBN 978 3 86153 922 3 Richard J Evans Rituale der Vergeltung Die Todesstrafe in der deutschen Geschichte 1532 1987 1 Auflage Kindler Berlin 2001 ISBN 3 463 40400 1 S 995 ff Spionage Sabotage Diversion Die Nachwehen des 17 Juni Karl Wilhelm Fricke Roger Engelmann Konzentrierte Schlage Staatssicherheitsaktionen und politische Prozesse in der DDR 1953 1956 Ch Links Berlin 1998 ISBN 3 86153 147 X S 130 138 Kalter Krieg und Spionage der Fall Karli Bandelow Ewald Misera und andere Rudi Beckert Die erste und letzte Instanz Schau und Geheimprozesse vor dem Obersten Gericht der DDR Keip Goldbach 1995 ISBN 3 8051 0243 7 Reinhard Gehlen Der Dienst Erinnerungen 1942 1971 v Hase und Koehler Mainz Wiesbaden 1971 ISBN 3 920324 01 3 Weblinks BearbeitenTondokumente des Schauprozesses gegen Werner Haase und Weitere vom 18 bis 21 Dezember 1953 in der Stasi Mediathek der BStU BStU Themenbeitrag Geheimdienstkrieg in Deutschland Die Konfrontation von DDR Staatssicherheit und Organisation Gehlen 1953Einzelnachweise Bearbeiten a b c d e f g Karl Wilhelm Fricke Roger Engelmann Konzentrierte Schlage Staatssicherheitsaktionen und politische Prozesse in der DDR 1953 1956 Berlin 1998 Rudi Beckert Die erste und letzte Instanz Schau und Geheimprozesse vor dem Obersten Gericht der DDR Keip Goldbach 1995 ISBN 3 8051 0243 7 S 230 a b c d Richard J Evans Rituale der Vergeltung Berlin 2001 Ronny Heidenreich Daniela Munkel Elke Stadelmann Wenz Geheimdienstkrieg in Deutschland Die Konfrontation von DDR Staatssicherheit und Organisation Gehlen 1953 Veroffentlichungen der Unabhangigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945 1968 Band 3 Ch Links Verlag Berlin 2016 ISBN 978 3 86153 922 3 S 434 Protokoll Nr 27 54 S 1 SAPMO BA DY 30 J IV 2 2 A 380 zitiert nach Fricke Engelmann S 133 Neues Deutschland vom 3 4 5 7 und 9 November 1954 zitiert nach Fricke Engelmann S 135 Neues Deutschland vom 4 November 1954 zitiert Fricke Engelmann S 135 Rezension in Militarhistorisches Museum Hrsg Achtung Spione Geheimdienste in Deutschland von 1945 bis 1956 Sandstein Verlag Dresden 2016 ISBN 978 3 95498 208 0 S 382 386 Halt Das Urteil sprechen wir Uber die Tatigkeit imperialistischer Geheimdienste Nach Dokumenten und Gerichtsakten bearbeitet von Albert Hermann Kongress Verlag Berlin 1955 Wolfgang Hoher im marjorie wiki Aus dem Gutachten uber die militarische Bedeutung der Spionageauftrage fur die Gehlen Agenten in Neues Deutschland vom 7 November 1954 zitiert Fricke Engelmann S 135 Urteil des Obersten Gerichts der Deutschen Demokratischen Republik vom 9 November 1954 Beilage zu Neue Justiz Heft 22 1954 S 12 Beschluss des Landgerichts Berlin Kassationsgericht vom 4 Marz 1992 Aktenzeichen 552 506 Kass 453 91 3 Js 217 91 zitiert nach Fricke Engelmann S 133 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Gehlen Prozess amp oldid 214185196