www.wikidata.de-de.nina.az
Der Begriff Formalismus bezeichnet eine kunsthistorische Methode zur Interpretation eines Kunstwerkes Der Wert des Werkes liegt dabei in der Autonomie der Form Die formalistische Betrachtung von Kunst betont Qualitaten wie z B Komposition Farbe Linien und Textur Inhaltliche Aspekte und Bezuge wie Thema Entstehungsgeschichte des Werkes historischer Kontext und Biografie des Kunstlers sind sekundar bzw werden nicht behandelt Die Formalisten als wichtigste Vertreter Heinrich Wolfflin und Alois Riegl strebten eine vergleichende Stilanalyse an die frei von personlicher Wertung sei und das hermeneutische Problem der Kunstgeschichte zu losen vermoge Die formalistischen Ideen des 19 Jh dienten der Modernen Malerei als Impuls sich freier zu entfalten und auf die asthetische Wirkung von Form und Struktur zu konzentrieren Der Begriff des Formalismus lasst sich somit auch auf die Bildende Kunst ausweiten z B auf die Abstraktion Inhaltsverzeichnis 1 Anfange des Formalismus 2 Entstehung als kunsthistorische Methode 19 Jh 2 1 Heinrich Wolfflin 2 2 Alois Riegl 3 Moderner Formalismus 3 1 Clement Greenberg 4 Kritik am Formalismus 5 Anmerkungen 6 LiteraturAnfange des Formalismus BearbeitenDie Ursprunge des Formalismus sind bereits in der Antike zu finden z B in dem Gedanken dass das Universum von numerischen Beziehungen beherrscht wird Der Begriff der Form verstand sich in der Antike als Qualitat der Dinge die allem innewohnt Platon bspw erklart in seiner Ideenlehre die Wahrnehmung des eidos Gestalt oder Form eines Dinges als ein blosses Abbild des wirklich Seienden Einige Kunsthistoriker sehen dabei die Form der Kunst als Blick auf die Wirklichkeit Platons Schuler Aristoteles begriff die Kunst als ein Prozess der Formgestaltung analog zu den Prozessen der Natur Diese Uberlegungen wurden in der Renaissance weiterentwickelt Der humanistische Philosoph Benedetto Varchi definierte in einem Vortrag Due lezzione Florenz 1550 uber ein Sonette Michelangelos die Aufgabe des Bildhauers als Zeichner des Wirklichen aus dem potenziellen Sein Im Zeitalter der Aufklarung entstand die Annahme dass die Erfahrung eines Kunstwerks weder rein sinnlich noch rein rational sein konne und dass eine asthetische Erfahrung klar unterschieden werden musse von anderen Erfahrungsarten Bspw bei der Betrachtung eines Gemaldes mit der Darstellung der Anbetung der Konige ein bekanntes biblisches Bildmotiv ist man geneigt den religiosen Inhalt zu interpretieren und vernachlassige dabei laut der fruhen formalistischen Ideen die asthetische Erfahrung des Gemaldes Der Philosoph Immanuel Kant erkannte die Bedeutung des Formalismus in seiner Kritik der Urteilskraft 1790 So bestehe in aller schonen Kunst das Wesentliche in der Form 1 Des Weiteren raumte er ein dass Schonheit als Symbol des Guten und die asthetische Erfahrung eine moralische Resonanz hervorbringen konne Friedrich Schiller die Ideen des Aufklarers Kants in Richtung der Romantik treibend hob den geistig therapeutischen Charakter der asthetischen Erfahrung der Form und deren Moglichkeit die widerspruchlichen Aspekte der menschlichen Natur in Einklang zu bringen hervor Er sah sogar die Asthetik als ein Instrument der sozialen und politischen Reformen Bevor der Formalismus als kunsthistorischer Ansatz gepragt wurde war er vielmehr wie aus seiner Geschichte hervorgeht ein Thema der Philosophie und insbesondere der Asthetik Dies ist damit zu begrunden dass die Kunstgeschichte selbst erst im 19 Jh ihre Eigenstandigkeit unter den akademischen Disziplinen behaupten konnte John Ruskin u a Kunsthistoriker fuhrte mit The Stones Of Venice London 1851 die deskriptive Formanalyse zu ihrem ersten Hohepunkt Anhand venezianischer Kapitelle leitete Ruskin abstrahierte Grundformen ab konvexe und konkave Linien Daraus folgerte er soziale Bedingungen der jeweiligen Zeit 1890 schrieb der franzosische Maler Maurice Denis in seinem Artikel Definition du Neo Traditionnisme dass ein Gemalde im Wesentlichen eine Oberflache sei bedeckt von Farben in einer bestimmten Ordnung Denis sah die Malerei Skulptur oder Zeichnung selbst als bedeutend an nicht das Thema der kunstlerischen Arbeit Die Betonung der Form eines Werkes brachte den Bloomsbury Kunstkritiker Clive Bell dazu in seinem 1914 erschienenen Buch Art zwischen der wirklichen und der bedeutenden Form zu unterscheiden Die Techniken eines kunstlerischen Mediums hielten dabei das Essentielle des Werkes fest die bedeutende Form und nicht nur die blosse aussere Erscheinung 2 Entstehung als kunsthistorische Methode 19 Jh BearbeitenHeinrich Wolfflin Bearbeiten Wolfflin 1864 1945 strebte mit dem Bedurfnis der Kunstgeschichte eine feste Basis zu geben eine vergleichende Formanalyse und Stilgeschichte an Diese sollte frei von personlichem Werturteil sein Die Frage was es moglich macht einen Stil zu erkennen lag fur Wolfflin in der visuellen Erscheinung eines Kunstwerkes Form und der menschlichen Wahrnehmung Nach der Wahrnehmungspsychologie die in Wolfflins Zeit begrundet wurde bestimme die eigene Sinnesleistung der Organe die optische Erkenntnis Wolfflin ubertrug die Geschichte des Sehens auf die Form und somit Stilentwicklung Sowie sich die Wahrnehmung eines Neugeborenen zum Erwachsenen in Stadien entfalte so wurde sich nach Wolfflin auch die Form entwickeln Wolfflin unterschied zunachst in verschiedene Stile um sein Beschaftigungsfeld abzugrenzen Individueller Stil subjektives Sehen und Temperament bedingte Malweise eines Kunstlerindividuums Gruppen Stil gemeinsame Formensprache einer Schule eines Landes Kulturkreises Zeit Stil ubergeordnete reine Formensprache Letzterer war fur Wolfflin von Bedeutung da man nur an ihm die grosseren Entwicklungslinien aufzeigen konne Im Wandel der Form von einem Zeit Stil zum nachsten sei der Wandel der Lebensideale bzw Weltanschauung erkennbar Daher ist es im Sinne Wolfflins notig seine Methodik vergleichend auf zwei Kunstwerke anzuwenden weil nur so der gravierende Unterschied zweier Stile deutlich werden wurde Als Handwerkszeug dienen dazu seine funf Begriffspaare u a Linear und Malerisch weitere siehe Heinrich Wolfflin die er beispielhaft fur Werke der Renaissance und des Barock verwendet Wie in der Sehgeschichte vollzieht sich der Wandel vom Einfachen Flachigen und Objektumrissenen zum Raumlichen und Komplexen vereint in den jeweils der Einfachheit Lineare bzw Komplexitat Malerische zugeordneten Begriffen In der Kunst verlaufe diese Entwicklung zyklisch einer einfachen Formensprache Bsp Renaissance folge eine komplexe Formenfulle Barock und rufe daraufhin den Wunsch zur Ruckbesinnung auf die Einfachheit Klassizismus hervor 3 Alois Riegl Bearbeiten Alois Riegl 1858 1905 Vertreter der Wiener Schule der Kunstgeschichte ist der zweite grosse Formalist des 19 Jh Seine grossten Verdienste werden jedoch in der Beschaftigung mit der Denkmalpflege den sogenannten Verfallsepochen dem Kunstgewerbe und seiner vergleichenden empirischen Kunstgeschichte gesehen die in neuen Erkenntnissen der Stilgeschichte gipfelten siehe Alois Riegl Im Zentrum seiner Theorie steht der nur schwer fassbare Begriff des Kunstwollens Hans Sedlmayr der die Einleitung zu Alois Riegl Gesammelte Aufsatze schrieb definiert ihn als reale Kraft der die Stilanderungen nicht nur erklare sondern deren Ursprung sei 4 Seine Theorie wird von ahnlichen formalistischen Annahmen und Zielen wie die Wolfflins gestutzt Entwicklung der Form aus sich selbst heraus Unabhangigkeit von Kunstlergenies Verknupfung der Formentwicklung Stilgeschichte mit Wahrnehmungsgeschichte Der Ehrgeiz Kunstgeschichte als akademische Disziplin zu etablieren Ablehnung einer Metaphysik z B nach HegelEr unterteilt ebenso in Begriffspaare bzw Kategorien wie Wolfflin Sie beschreiben immer auch geistige Einstellung Vorliebe der Trager des Kunstwollens sowie dessen Grundformen und Ziele Es vollzieht sich also eine Entwicklung der Stile Wahrnehmung und Formen vom Einfachen zum Komplexen aus einer inneren Naturnotwendigkeit oder innerem Schicksal Hier nur einige Beispiele fur seine Begriffe optisch fehlende Raumwahrnehmung haptisch greifbar raumlich korperlich nahsichtig fernsichtig objektiv subjektiv organisch kristallin usw Im Gegensatz zu Wolfflin findet Riegl eine Erklarung fur Werke die sich aus seiner Stilgeschichte ausnehmen Stile entwickeln sich nicht nur nebeneinander sondern durchdringen sich gegenseitig und so kommt es zu zufalligen Momenten Anachronismus und Antizipation Sein Ideengebaude ist in all seinen Werken enthalten in einer Theorie zusammengefasst wurde es jedoch erst posthum in Historische Grammatik der bildenden Kunste Bohlau 1966 5 Moderner Formalismus BearbeitenClement Greenberg Bearbeiten Clement Greenberg 1909 1994 einer der einflussreichsten US amerikanischen Kunstkritiker des 20 Jh strebte stets eine Beurteilung von Kunst an die nur auf unmittelbar Wahrnehmbarem beruhen solle Er teilt somit die formalistische Grundannahme Er konzentrierte sich im Wesentlichen auf Materialien und Techniken die bei der Entstehung eines Kunstwerkes verwendet wurden Aus seinem Interesse fur die Form erwachst seine besondere Wertschatzung der Modernistischen Malerei die er im gleichnamigen Essay von 1960 begrundet Im Prozess der Selbstkritik dem Charakteristikum der Modernistischen Malerei stellt sich die Malerei den Problemen die sich aus ihrem eigenen Medium ergeben und behauptet somit ihre Eigenstandigkeit und Selbstbestimmung unter den Kunsten Die Besonderheit des Mediums Malerei liegt in der unvermeidlichen Flachigkeit Vor allem Abstrakte Malerei gabe sich nach Greenberg keiner Raumillusion hin und zeige nur die Wirklichkeit die Verteilung der Farben auf die Bildflache Art for Art Von den kunstlerischen Folgen seines Programmes enttauscht der radikalen Entledigung alles Unnotigen wandte er sich von der Selbstkritik ab und forderte die Beurteilung von Kunst nach ihrer Qualitat Diese Qualitat wiederum liesse sich nur anhand des Visuellen beurteilen also den formalen Eigenschaften eines Kunstwerkes 6 Kritik am Formalismus BearbeitenEine der Gemeinsamkeiten zwischen Riegl und Wolfflin die These der Wahrnehmungs und Formentwicklung wurde klar widerlegt Im Fall von Riegl belastete diese Annahme seine Theorie nachhaltig durch Ablehnung und Missverstandnisse obwohl sie nur ein geringer Teil seiner Lehren war Dies ist ein Grund warum sie teilweise in Vergessenheit geraten sind und nur wenige seiner Begriffe noch heute in der Kunstgeschichte existieren Doch fur die Kunstgeschichte des 19 20 Jh bedeuteten seine und Wolfflins Begriffe erstmaliges Verstehen bzw Erklaren der Wesenszusammenhange anstatt blosses Konstatieren der Stilformen Weitere Kritik wurde an dem Fehlen des sozialen Kontexts geubt der sich jedoch bei beiden indirekt in der Darstellung der Weltanschauung durch die Form ausdruckt Ein kunsthistorischer Einwand bezieht sich auf die Ungenauigkeit und Unvollstandigkeit der Begriffe die einer Erweiterung oder auch Neudefinierung bedurfen Wolfflins Methode unterliegt zudem einem Zirkelschluss da sich die Begriffe aus der empirischen Beschaftigung mit den Werken der Renaissance und des Barock ableiten Im Gegensatz zu Riegl liess Wolfflin auch weniger Freiraum fur Kunst die nicht in sein Schema passte Die Frage ob Wolfflins Begriffe uberhaupt das Wesentliche der Stilentwicklungen treffen sei dahingestellt denn sie dienen weiterhin als Bezugspunkte fur Kunsthistoriker wie Wilhelm Worringer Hans Sedlmayr und Otto Pacht Letztendlich bestand im weiteren Verlauf der Kunstgeschichte ab etwa 1918 kein besonderes Interesse mehr am Formalismus oder anderen grossen Methoden z B der Ikonographie von Erwin Panofsky Es starkte sich die Annahme dass die Darstellung der gesamten Stilgeschichte durch eine diachrone Methode unmoglich sei und zu einer mehr oder weniger falschen Vereinfachung fuhre Auch das Ziel in der Kunst Weltanschauungen aufzuzeigen verlagerte sich in andere Disziplinen Diesen Zusammenhang zwischen bildender Kunst und Weltanschauung im Einzelnen nachzuweisen ware nun nicht die Sache des Kunsthistorikers sondern diejenige und zwar die eigentliche Zukunftsaufgabe des vergleichenden Kulturhistorikers 7 Es folgten weitere Ansatze die sich mit der synchronen Betrachtung und Detailstudien begnugen mussten Der Begriff des kunsthistorischen Formalismus betrifft daher im Wesentlichen nur die Modelle von Wolfflin und Riegl wird aber nach deren Ende auch als Bezeichnung fur eine formalistische Grundeinstellung genutzt wie bei Greenberg Greenbergs Forderung Werke strikt nach ihrer Form zu beurteilen wurde in letzter Konsequenz zum Ausschluss der Geistigkeit dem intellektuellen Inhalt der Kunst fuhren Betrachtung von Kunst allein durch ein reines Auge wie es Greenberg formuliert ist jedoch unmoglich Seine Richtung des Formalismus wird daher von vielen Kunsthistorikern als dogmatisch gesehen und fand somit ahnlich wie Wolfflins und Riegls Methoden keine bestehende Zustimmung Dennoch provozieren und interessieren ihre Gedanken bis in die heutige Zeit was z B in der Veroffentlichung von Caroline A Jones Eyesight Alone Clement Greenberg s Modernism and the Bureaucratization of the Senses 8 deutlich wird Anmerkungen Bearbeiten zit n http www beyars com kunstlexikon lexikon 3048 html zur folgenden Darstellung vgl insbesondere Robert Williams Formalism Artikel aus der Online Ausgabe des Dictionary of Art Oxford University Press Ed 1996 http www groveart com und en Formalism art zur folgenden Darstellung vgl Heinrich Wolfflin Kunstgeschichtliche Grundbegriffe Das Problem der Stilentwicklung in der neueren Kunst 19 Aufl Schwabe 2004 Sowie Michael Hatt Charlotte Klonk Art history A critical introduction to its methods Manchester University Press 2006 vgl Man verankert damit gemeint ist das Kunstwollen die Anderung der Stilprinzipien in fundamentalen Anderungen des Geistesstruktur einer Gruppe von Menschen in Anderungen der Ideale in Umwertung der Werte und damit der moglichen Willensziele auf allen Gebieten Artur Rosenauer Hrsg Alois Riegl Gesammelte Aufsatze Wien Universitatsverlag 1996 S XX zu folgenden Darstellung vgl Artur Rosenauer Hrsg Alois Riegl Gesammelte Aufsatze S XIV XXVIII zur folgenden Darstellung vgl Karlheinz Ludeking Clement Greenberg Die Essenz der Moderne Ausgewahlte Essays und Kritiken 2 Aufl Philo amp Philo Fine Arts 1997 S 9 27 Zur kritischen Darstellung vgl Artur Rosenauer Hrsg Alois Riegl Gesammelte Aufsatze S XXI XXIV Zitat Ebd S XXV Caroline A Jones Eyesight Alone Clement Greenberg s Modernism and the Bureaucratization of the Senses University Of Chicago Press 2006 ISBN 978 0 226 40951 1 Literatur BearbeitenZur Einfuhrung Michael Hatt Charlotte Klonk Art history A critical introduction to its methods Manchester University Press 2006 ISBN 978 0 7190 6959 8 Vernon Hyde Minor Art History s History 2 Aufl Prentice Hall 2000 ISBN 978 0 13 085133 8 Hans Belting Heinrich Dilly Wolfgang Kemp Hrsg Kunstgeschichte Eine Einfuhrung 6 Aufl Reimer Berlin 2003 ISBN 3 496 01261 7 Lambert Wiesing Die Sichtbarkeit des Bildes Geschichte und Perspektiven der formalen Asthetik Frankfurt am Main New York Campus Verlag 2008 ISBN 978 3 593 38636 2 Zu den Formalisten Heinrich Wolfflin Kunstgeschichtliche Grundbegriffe Das Problem der Stilentwicklung in der neueren Kunst 19 Aufl Schwabe 2004 ISBN 978 3 7965 0288 0 Artur Rosenauer Hrsg Alois Riegl Gesammelte Aufsatze Wien Universitatsverlag 1996 Karlheinz Ludeking Clement Greenberg Die Essenz der Moderne Ausgewahlte Essays und Kritiken 2 Aufl Philo amp Philo Fine Arts 1997 ISBN 978 3 364 00355 9 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Formalismus Kunstgeschichte amp oldid 230900007