www.wikidata.de-de.nina.az
Als finaler Rettungsschuss auch gezielter Todesschuss wird in Deutschland der gezielt todliche Einsatz von Schusswaffen durch die Polizei bezeichnet um im Sinne der Nothilfe Gefahr von Dritten abzuwenden falls keine anderen Mittel verfugbar sind Ein Einsatzbereich sind etwa Geiselnahmen bei denen weder Verhandlungen erfolgreich waren noch der Einsatz nichttodlicher Waffen eine realistische Aussicht auf Erfolg bietet In der Praxis kommt es sehr selten zum finalen Rettungsschuss In den zehn Jahren von 1988 bis 1997 wurden in der Bundesrepublik Deutschland bzw spater in Gesamtdeutschland funf Falle gezahlt Haufiger Grund fur Schusswaffengebrauch der Polizei in Deutschland gegenuber Personen sind nicht todliche Schusse zur Nothilfe Schusse aufgrund einer vermeintlichen oder echten Notwehrlage des schiessenden Polizisten das Verhindern von Straftaten oder der Flucht eines Straftaters 1 In Osterreich wird dies als zulassiger lebensgefahrdender Waffengebrauch Waffengebrauchsgesetz 1969 bezeichnet In der Schweiz existiert kein einheitlicher Begriff Der Begriff finaler Rettungsschuss wurde seit seiner ersten Verwendung als verharmlosend Euphemismus kritisiert und wird in den Polizeigesetzen der Bundeslander nicht verwendet Inhaltsverzeichnis 1 Rechtliche Grundlagen 1 1 Deutschland 1 2 Osterreich 1 3 Schweiz 2 Rechtliche und ethische Bewertung 3 Literatur 4 Einzelnachweise 5 WeblinksRechtliche Grundlagen BearbeitenDeutschland Bearbeiten Die juristische Grundlage fur den gezielten Todesschuss wurde in Deutschland im Jahr 1973 infolge des Munchner Olympia Attentats 1972 entworfen 2 Wahrend es anfangs nur in Bayern Niedersachsen und Rheinland Pfalz Eingang in die Landesgesetze fand 3 haben es seitdem 14 der 16 Lander Ausnahmen Berlin und Mecklenburg Vorpommern in ihre Polizeigesetze aufgenommen die demnach das Grundrecht auf Leben Art 2 Abs 2 Satz 1 Grundgesetz einschranken Der finale Rettungsschuss muss nicht angedroht werden wenn die rechtzeitige Abwehr der Gefahr sonst nicht moglich ist Er ist auch gegen Personen unter 14 Jahren zulassig Ausnahme Bremen da er von der Vorschrift her schon das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwartigen Gefahr fur Leib oder Leben ist In den Polizeigesetzen Baden Wurttembergs 68 Absatz 3 PolG Bayerns Artikel 83 Absatz 2 Satz 2 PAG Brandenburgs 66 Absatz 2 Satz 2 PolG Hessens 60 Absatz 2 Satz 2 HSOG Niedersachsens 76 Absatz 2 Satz 2 NPOG von Rheinland Pfalz 63 Absatz 2 Satz 2 POG des Saarlands 57 Absatz 1 Satz 2 SPolG Sachsens 34 Absatz 2 PolG Sachsen Anhalts 65 Absatz 2 Satz 2 SOG LSA Schleswig Holsteins 258 Absatz 1 Satz 2 LVwG und Thuringens 64 Absatz 2 Satz 2 ThurPAG existieren quasi wortgleiche Regelungen In Hessen wo von einer statt der gegenwartigen Gefahr die Rede ist dem Saarland wo es Abwendung statt Abwehr heisst und Bayern wo Gefahr fur Leib oder Leben einer Person statt Lebensgefahr oder der gegenwartigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der korperlichen Unversehrtheit genannt ist weicht der Wortlaut leicht ab Nach den Vorschriften ist der finale Rettungsschuss nur als Ultima Ratio zur Abwendung einer akuten Gefahr fur Leib oder Leben zulassig Ein Schuss der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit todlich wirken wird ist nur zulassig wenn er das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwartigen Lebensgefahr oder der gegenwartigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der korperlichen Unversehrtheit ist Die Regelung in Bremen 46 Absatz 2 Satz 2 und 3 BremPolG unterscheidet sich im Wortlaut erheblich von denen der anderen Bundeslander Eine grundlegende Abweichung besteht vor allem darin dass ein Bremer Polizist generell nicht verpflichtet ist einen finalen Rettungsschuss auf Anordnung eines Weisungsberechtigten durchzufuhren Die Entscheidung ob diese Massnahme getroffen werden muss liegt ausschliesslich bei ihm Gebraucht der Polizeivollzugsbeamte die Schusswaffe als das einzige Mittel und die erforderliche Verteidigung um einen rechtswidrigen Angriff mit gegenwartiger Lebensgefahr oder gegenwartiger Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der korperlichen Unversehrtheit von sich oder einem anderen abzuwehren so ist sein Handeln auch dann zulassig wenn es unvermeidbar zum Tode des Angreifers fuhrt insoweit wird das Grundrecht auf Leben Art 2 Abs 2 Satz 1 des Grundgesetzes eingeschrankt 42 Abs 1 S 1 Handeln auf Anordnung findet im Falle des Satzes 2 keine Anwendung Im Hamburger Polizeigesetz 25 Abs 2 HbgSOG wird der finale Rettungsschuss ebenfalls von der Weisungspflicht ausgenommen Verlangt wird eine unmittelbar bevorstehende Gefahr fur seinen Einsatz Ein Schuss der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit todlich wirken wird ist nur zulassig wenn er das einzige Mittel zur Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden Lebensgefahr oder der unmittelbar bevorstehenden Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der korperlichen Unversehrtheit ist 20 Absatz 1 Satz 1 findet im Falle des Satzes 1 keine Anwendung Die Polizeigesetze in Berlin ASOG Mecklenburg Vorpommern SOG sowie das UZwG einschlagig fur alle Polizeibehorden des Bundes enthalten den finalen Rettungsschuss nicht Die gezielte Totung kann hier nur durch den Ruckgriff auf die Notwehr oder den Notstand gerechtfertigt werden Auch das nordrhein westfalische Polizeigesetz beinhaltet seit Februar 2010 eine Regelung zum finalen Rettungsschuss 63 II S 2 PolG NRW 4 5 Der Wortlaut entspricht den zuerst genannten Polizeigesetzen Zuletzt normierte das Land Schleswig Holstein Jahre 2021 in einer Novelle des Landesverwaltungsrechts LVwG den finalen Rettungsschuss Der erste finale Rettungsschuss in Deutschland wurde bei einem Hamburger Bankuberfall am 18 April 1974 ausgefuhrt Ein Kolumbianer hatte wahrend eines Bankuberfalles einen Polizisten getotet und Geiseln genommen Er wurde beim Verlassen der Bank gezielt erschossen Osterreich Bearbeiten In Osterreich ist der lebensgefahrdende Waffengebrauch im Rahmen der polizeilichen Zwangsbefugnisse durch das Waffengebrauchsgesetz 1969 WaffGebrG geregelt Separate Bestimmungen hinsichtlich eines Finalen Rettungsschusses wie in Deutschland existieren in Osterreich nicht samtliche Bestimmungen des WaffGebrG sind in einer derartigen Einsatzlage zu beachten Eine gezielte Totung eines Menschen unter Beachtung der Bestimmungen des 7 WaffGebrG ist in Extremsituationen Geiselnehmer droht die unmittelbar bevorstehende Totung einer Geisel an zulassig Nicht in Betracht kommt jedoch die gezielte Totung um jemanden widerstands oder fluchtunfahig zu machen oder um eine Flucht zu beenden Schweiz Bearbeiten In der Schweiz gelten aufgrund der Zustandigkeit der Kantone fur das Polizeiwesen fur den Schusswaffengebrauch die verschiedenen Regelungen der einzelnen Kantone Nur in wenigen davon besteht ein eigentliches Polizeigesetz und Fragen zum Waffengebrauch sind meist in Dienstinstruktionen der Verwaltung geregelt Absolute von der Bundesverfassung vorgegebene Grenze fur den Waffengebrauch der Polizei ist das Recht auf das Leben jedes Menschen und das bei allen Verwaltungsmassnahmen wie auch beim Schusswaffengebrauch einzuhaltende Prinzip der Verhaltnismassigkeit der eingesetzten Zwangsmittel Der finale Rettungsschuss ist in der Schweiz vor allem bekannt durch die Totung eines Amokschutzen in Chur im Marz 2000 Der verantwortliche kantonale Polizeikommandant wurde schliesslich vom Vorwurf der vorsatzlichen Totung freigesprochen 6 Rechtliche und ethische Bewertung BearbeitenDer finale Rettungsschuss ist umstritten Einige Kritiker sehen in der Bezeichnung finaler Rettungsschuss eine begriffliche Verharmlosung Euphemismus des Totens eines Menschen Der finale Rettungsschuss konnte alternativ gezielter Todesschuss genannt werden Erich Fried widmete sich dieser Thematik 1981 mit dem Gedicht Sprachliche Endlosung 7 Vor allem jedoch ist umstritten ob uberhaupt ein Bedarf fur eine positiv rechtliche Normierung des todlichen Rettungsschusses besteht da Notwehr und Notlage zum Schutze der korperlichen Unversehrtheit des Polizisten und von Dritten praktisch unbestritten sind sowie inwieweit eine solche uber Notwehr und Notstand hinausgehende Regelung uberhaupt zulassig und rechtspolitisch erwunscht ist Der Beamte erhalt durch die Regelung zwar einerseits mehr Rechtssicherheit 8 Andererseits werden aber auch Bedenken dahingehend geaussert dass eine gesetzliche Regelung die Polizei zu einer haufigeren Anwendung praktisch ermutige wogegen allerdings die geringe Anzahl des polizeilichen Schusswaffengebrauchs spricht 9 Insbesondere werde auch ohne gleichzeitige Verpflichtung zur Anwendung des weniger stark eingreifenden gezielten Schusses zur Herbeifuhrung nur einer Handlungsunfahigkeit beispielsweise auf Weichteile des Rumpfes oder der Gliedmassen statt des todsicheren Schusses auf lebensnotwendige Organe oder speziell den Kopf das grundlegende Verhaltnismassigkeitsprinzip zwischen angewandten Mitteln und anerkanntem Zweck der Handlung missachtet Ausserdem gibt es das prinzipielle Quantifizierungsverbot das hier tangiert wird 9 Es wird dagegen angefuhrt dass je nach Gefahrdungssituation das Abwenden der Lebensgefahr nur erreicht werden konne wenn das Einwirken auf einen Storer dazu geeignet ist die unmittelbare Handlungsunfahigkeit die sogenannte Mannstoppwirkung herbeizufuhren Dies bedeutet dass der Zeitrahmen vom Einwirken auf den Tater bis zum Erreichen der Handlungsunfahigkeit so kurz wie moglich zu halten sei um ein weiteres Handeln des Taters zu verhindern Sofortige Handlungsunfahigkeit konne jedoch nicht durch Schusse auf Gliedmassen oder Rumpf oder auf Organe Leber Nieren Herz hergestellt werden sondern nur durch Ausschalten des Zentralen Nervensystems ohne Zeitverlust was ausschliesslich durch Treffer in Klein oder Stammhirn zu erreichen sei 10 Rechtlich stehen einige wenige Autoren dafur dass in den Wesensgehalt des Lebensgrundrechts eingegriffen wird und dies nicht gerechtfertigt sein kann ein Rettungsschuss also mithin immer im Sinne des deutschen Grundgesetzes verfassungswidrig ist also in Deutschland nicht staatlicherseits durchgefuhrt werden darf Das Bundesverfassungsgericht hat diese Ansicht bisher nicht bestatigt und auch keine landesrechtliche Regelung verworfen Auch die Mehrheit der Rechtswissenschaft geht von einer Verfassungsmassigkeit aus 11 Ein Argument fur diese Ansicht ist dass das Recht auf Leben im Grundgesetz ausdrucklich mit einem Gesetzesvorbehalt ausgestattet sei und dieser eine Begrenzung der Wesensgehaltsgarantie sei 12 Der finale Rettungsschuss wird u a von hohen Vertretern der katholischen Kirche als die einzige Moglichkeit unschuldiges Leben zu erhalten als ethisch gerechtfertigt geduldet Auch Amnesty International sieht den finalen Rettungsschuss als einen Akt der Selbstverteidigung des Staates an um unmittelbaren Schaden den die Gewaltanwendung Dritter hervorruft zu vermeiden 13 Literatur BearbeitenManuel Holder Der finale Rettungsschuss Polizeirechtliche Vorschriften und deren Verfassungsmassigkeit GRIN Verlag Norderstedt 2006 ISBN 978 3 638 71078 7 Jan Arno Hessbruegge Human rights and personal self defense in international law Oxford University Press New York NY 2017 ISBN 978 0 19 065502 0 Anton Georg Schuster Finaler Rettungsschuss Theologisch ethische Untersuchung zum finalen Rettungsschuss als lex specialis Lang Frankfurt am Main u a 1996 Forum interdisziplinare Ethik Band 14 ISBN 978 3 631 30203 3 Martin Wagner Auf Leben und Tod Das Grundgesetz und der finale Rettungsschuss Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 1992 Werte und Normen Ethik Religion Band 5 ISBN 3 525 78325 6 Einzelnachweise Bearbeiten Burgerrechte amp Polizei CILIP Paper Nr 62 online Krey Meyer In Zeitschrift fur Rechtspolitik 1973 S 1 ff Todesschuss Richtig drauflos In Der Spiegel Nr 46 1986 S 77 online Gesetz und Verordnungsblatt GV NRW abgerufen am 21 Juni 2010 Das neue Polizeigesetz in NRW Memento vom 1 Mai 2010 im Internet Archive abgerufen am 21 Juni 2010 Freispruch fur Polizeichef Memento vom 15 Oktober 2020 im Internet Archive swissinfo ch Gerd Fritz Einfuhrung in die historische Semantik Max Niemeyer Verlag 2005 ISBN 3 484 25142 5 Gesetzentwurf der Fraktion der SPD fur ein Achtes Gesetz zur Anderung des Hessischen Gesetzes uber die offentliche Sicherheit und Ordnung HSOG PDF Drucksache 16 00731 In starweb hessen de Hessischer Landtag 13 Oktober 2003 abgerufen am 14 Mai 2021 a b Norbert Putter Polizeilicher Schusswaffengebrauch Eine statistische Ubersicht CILIP 20 Februar 1999 abgerufen am 14 Mai 2021 Finaler Rettungsschuss Nur NRW warnt vor niederen Instinkten PDF 86 kB In Newsletter der Deutschen Polizeigewerkschaft Ausgabe Niedersachsen Nr 14 2003 S 4 1 2 Vorlage Toter Link download dpolg net Seite nicht mehr abrufbar festgestellt im April 2018 Suche in Webarchiven abgerufen am 14 Aug 2009 Der finale Rettungsschuss Rechtsfragen nach dem Knall In haufe de 30 November 2014 abgerufen am 14 Mai 2021 Nils Schaks Die Wesensgehaltsgarantie Art 19 II In Juristische Schulung JuS 2015 S 407 409 Argumente gegen die Todesstrafe Memento vom 9 Marz 2013 im Internet Archive amnesty de im Abschnitt Aber der Staat hat doch bestimmt manchmal keine andere Moglichkeit als einem Menschen das Leben zu nehmen Weblinks BearbeitenStatistik zum finalen Rettungsschuss Polizeibeamte nutzen Dienstwaffe seltener als gedacht In Strafakte de 18 September 2013 Osterreichisches Rechtsinformationssystem BKA RIS Abfrage BundesrechtBitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Finaler Rettungsschuss amp oldid 237524626