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Die Familiensoziologie ist eine Spezielle Soziologie die Familien aus soziologischer Perspektive untersucht Hill und Kopp definieren Familie als fachwissenschaftlichen Begriff als auf Dauer angelegte Verbindung von Mann und Frau mit gemeinsamer Haushaltsfuhrung und mindestens einem eigenen oder adoptierten Kind Das ist die klassische Definition der Kernfamilie 1 Josef Bruderl schlagt dagegen eine weiter fassende Definition im Sinne einer Soziologie der privaten Lebensformen vor 2 Inhaltsverzeichnis 1 Gegenstandsbereich und Methoden 2 Geschichte 2 1 Vorlaufer 2 2 Konservative und sozialreformerische Wurzeln der Familiensoziologie 2 3 Strukturell vergleichende und funktionalistische Familiensoziologie 2 4 Individualisierung der Gesellschaft und Soziologie privater Lebensformen 3 Siehe auch 4 Literatur 5 EinzelnachweiseGegenstandsbereich und Methoden BearbeitenZum Gegenstandsbereich der Familiensoziologie der sich immer weiter differenziert gehoren u a Partnerwahl Heirats und Fertilitatsverhalten Familienformen Geschlechterverhaltnis in der Familie Eltern Kind und intergenerationale Beziehungen in spateren Phasen der Familie Verwandtschaftsbeziehungen innerfamiliale Kommunikation familiale Sozialisation Rollenbilder und Arbeitsteilung Alltagsorganisation Familienbudget Scheidung und die sozialen Auswirkungen des demographischen Wandels und familienrechtlicher Regulierung auf die privaten Lebensformen Zu den Methoden der Familiensoziologie gehoren neben Sekundaranalysen der amtlichen Statistik quantitative und qualitative empirische Untersuchungen sowie der internationale Vergleich Neben sozialstrukturellen Merkmalen werden immer starker subjektive und kulturelle Einflussfaktoren analysiert Oft werden biographische Methoden und Langsschnittuntersuchungen verwendet 3 Geschichte BearbeitenVorlaufer Bearbeiten Bereits Aristoteles stellt in der Nikomachischen Ethik Betrachtungen uber Verwandtschaft Partnerschaft und Freundschaft sowie uber Liebe und Tauschbeziehungen in Partnerschaften an die als ethisch gepragte Vorlaufer familiensoziologischer Untersuchungen angesehen werden konnen 4 Bis zum Zeitalter der Aufklarung erschien die Funktion der Familie weitgehend auf die Produktion von Nachkommen und auf den Fortbestand des Namens und Besitzes beschrankt Mit Beginn der Industrialisierung fuhrten wachsende Angste vor Uberbevolkerung zu einer Befassung mit dem Fertilitatsverhalten Thomas Robert Malthus pladierte fur Enthaltsamkeit und spate Heirat um das Bevolkerungswachstum in den Griff zu bekommen aber auch fur eine verbesserte Bildung als Instrument zur Senkung der Geburtenrate 5 In der zweiten Halfte des 19 Jahrhunderts stieg im Zuge der Verbreitung der Erkenntnisse der Evolutionstheorie das Interesse an Ursprung und Entwicklung der Familie 6 Johann Jakob Bachofen stellte die Universalitat des Patriarchats infrage Karl Marx betonte die Rolle der Familie fur die Reproduktion der Arbeitskraft und untersuchte die Folgen der Trennung von Produktion und Reproduktionssphare die unter vorindustriellen Verhaltnissen weitgehend vereint waren Konservative und sozialreformerische Wurzeln der Familiensoziologie Bearbeiten Frederic Le Play den man oft als ersten Familiensoziologen bezeichnet entwickelte unter dem Einfluss der katholischen Soziallehre die monographische Methode zur Erforschung der Lage der Familien in Frankreich bei der nicht das Individuum sondern die Arbeiter Familie bzw der Haushalt das Forschungsobjekt war Die Kleinfamilie erschien ihm jedoch als Verfallsprodukt die grundbesitzende patriarchalische Grossfamilie wurde von ihm als Familientypus absolut gesetzt In Deutschland verfolgte Wilhelm Heinrich Riehl ein ahnliches Ziel Beide Autoren verbindet ein quasi naturrechtlich begrundetes dichotomisches Geschlechterbild Emile Durkheim untersucht die Tendenz zur Kontraktion der Familie auf einen immer engeren Kreis Er halt dies fur ein Phanomen der Oberschichten wahrend die Unterschichten meist schon immer im Klein oder Gattenfamilien famille conjugale gelebt hatten Gegen Ende des 19 Jahrhunderts traten die Folgen der Kollision von Industrialismus und Familienstrukturen in den Vordergrund das Schicksal der Kinder Kinderreichtum erschien zunachst als Risikofaktor als Ursache fur das Abgleiten der unteren Schichten in Kriminalitat und Pauperismus dann wieder als patriotische Pflicht spater die zunehmende Frauenerwerbstatigkeit und die Emanzipation der Frauen 7 Strukturell vergleichende und funktionalistische Familiensoziologie Bearbeiten Vor dem Ersten Weltkrieg und in den 1920er Jahren entwickelte sich auch eine vergleichende strukturell orientierte Familienforschung innerhalb der Kulturanthropologie und Ethnologie Verwandtschaftssysteme wurden systematisch verglichen und zunehmend als soziale Konstrukte identifiziert So fand Bronislaw Malinowski Stammesgesellschaften vor die keine biologische Vaterschaft kannten oder sie ignorierten Nach dem Ersten Weltkrieg uberwogen in Europa und den USA pessimistische Einschatzungen der Chancen der Erhaltung von Ehe und Familie als Institutionen Robert MacIver wies zwar auf den Funktionsverlust der Klein Familie hin vertrat jedoch die Position dass diese Funktionen besser von anderen Organisationen in der Gesellschaft ubernommen werden konnten so dass die Familie entlastet werde und ihr Gefuhlsleben intensivieren konne In den 1940er Jahren wies Rene Konig jedoch auf die daraus resultierende Tendenz zur Uberforderung der Familienintimitat hin In der deutschen Nachkriegszeit standen zunachst der Aspekt der Schwachung der Verwandtschaftssysteme durch die strukturelle Isolation der Kleinfamilie und die Rolle der Frauenerwerbstatigkeit im Vordergrund von familiensoziologischen Untersuchungen In den USA entwickelte sich in den 1950er und 1960er Jahren die Familiensoziologie im Zuge des beschleunigten sozialen Wandels besonders sturmisch bei von der Psychoanalyse beeinflussten Autoren wie Erik H Erikson und Talcott Parsons traten die Themen der Sozialisation und Identifikation in der Familie sowie der familialen Mechanismen der Internalisierung von Normen in den Vordergrund Parsons gelangt dadurch zu allgemeinsoziologisch relevanten Aussagen uber die Bedeutung der familialen Sozialisation fur die Fundierung der sozial kulturellen Person und das Uberdauern der Familie Die Kernfamilie sei die einfachste Form eines sozialen Systems damit wird jedoch die Minimaldefinition zu einem idealtypischen Modell das die empirische Forschung behindern kann Damit wurde die Familiensoziologie auch mit der Kleingruppenforschung eng verknupft 8 Helmut Schelsky registrierte 1953 dass die Familie gegenuber diesem schnellen sozialen Wandel ins Hintertreffen gerate Diese Ruckstandigkeit gefahrde die Stabilitat der Familie und erfordere sozialpolitische Anpassungsmassnahmen der Familie an die moderne Gesellschaft 9 In den 1960er und 1970er Jahren ruckte Dieter Claessens die Familie noch einmal in einen grosseren kulturanthropologischen Analysezusammenhang In der Folgezeit wurde die institutionalistische Analyse der rechtlichen und Herrschaftsbeziehungen in der Familie immer mehr vernachlassigt Aus der nunmehr scheinbar vollig freien Partnerwahl folgen jedoch nach wie vor zahlreiche Entscheidungsprozesse die Einfluss auf Verwandtschaftsbeziehungen Eigentumsverhaltnisse Zugang zum Arbeitsmarkt sowie auf die berufliche Karriere haben Seit den 1980er Jahren verdrangte die mikrosoziologische Betrachtungsweise der Familie als spezifisches Interaktions System in Verbindung mit immer spezialisierteren Studien die Analyse der Familie im Kontext des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen makrosoziologischen Wandels Fur Niklas Luhmann ist das Kommunikationssystem der Familie den psychischen Systemen seiner Mitglieder geradezu ausgeliefert was zu enthemmter Kommunikation fuhre eine Kommunikation die zulasst dass zu jeder Zeit alles und jedes thematisiert wird ohne dass sie durch Codes und Programme strukturiert und gebandigt werden kann Die Gesamtheit der Familien ist fur Luhmann anders als fur Franz Xaver Kaufmann kein System im Sinne eines der grossen gesellschaftlichen Funktionssysteme Individualisierung der Gesellschaft und Soziologie privater Lebensformen Bearbeiten Wesentlich weiter bei der Dekonstruktion des Familienbegriffs geht der bereits in der Renaissance einsetzende im Postfordismus radikalisierte moderne Individualismus mit seiner Betonung der Autonomie des Einzelnen und der individuellen Optionen auf Kosten sozialer Bindungen Die rigorose Enttraditionalisierung aller Lebenszusammenhange und die Entstehung neuer privater Lebens und gleichgeschlechtlicher Partnerschaftsformen lasst die Zukunft einer speziellen Familiensoziologie fraglich erscheinen zu erwarten ist wohl eher ein Ruckbau der komplexen Ausdifferenzierung von Bindestrichsoziologien 10 Durch die Zunahme der Migration ware gleichzeitig ein gestiegener Bedarf an interkulturell vergleichender Familien und Jugendforschung zu erwarten der bisher jedoch kaum umfassend befriedigt ist reduziert sich die Forschung in diesem Bereich doch oft auf Umfragen Diese freilich weisen auf wichtige Forschungsdesiderate hin So hat die Familie fur Migrantenfamilien aus Sudeuropa vor allem eine emotionale Funktion fur turkische Migranten ist hingegen nach wie vor die okonomische Funktion der Familie wichtig sie stellt wichtiges Soziales Kapital dar 11 Die neuen privaten Lebensformen und ihre Implikationen z B gewollte Kinderlosigkeit Fernbeziehungen sinkende Haushaltsgrossen Armutsgefahrdung Alleinerziehender 12 sind bisher eher Gegenstand deskriptiver Studien mit geringem theoretischen Anspruch geblieben die zudem auf geringen Fallzahlen basieren Das vereinfachte Bild einer sich fortschreitend individualisierenden und pluralisierenden Gesellschaft verdeckt z B den Blick auf neue Standardisierungen wie die typische nichteheliche Lebensgemeinschaft junger Leute 13 Schon fruher empfahl Rene Konig eine Historisierung der Theorie in der Familiensoziologie um deren Blick auf die Wirklichkeit frei zu machen und sie zur Wahrnehmung der Vielfalt der familialen Lebensformen zu befahigen die sich am ehesten mit dem aus der Familienpsychologie entnommenen Begriff der Familienkonstellationen beschreiben lasst 14 Hinsichtlich der Pluralisierung der Familien bzw Lebensformen wird mittlerweile zwischen einer Pluralisierung der Sozialstruktur z B Polarisierung zwischen kinderlosen Lebensgemeinschaften und Familien mit Kindern und einer Pluralisierung der Lebensformen im Zeitablauf unterschieden z B zeitliche Verschiebung wichtiger Lebensphasen Haufigkeit des Wechsels der Lebensformen 15 Ein hoher empirischer Forschungsbedarf ergibt sich auch aus der Notwendigkeit der Wirksamkeitskontrolle familienpolitischer Programme Aber auch institutionelle Probleme wie das der rechtlichen Legitimation von Familienstrukturen stellen sich erneut angesichts von Patchworkfamilien oder gleichgeschlechtlichen Partnerschaften Siehe auch BearbeitenKultur der Elternschaft Soziologie der KindheitLiteratur BearbeitenBecker Oliver Arranz Karsten Hank Anja Steinbach Handbuch Familiensoziologie Springer 2023 Paul Bernhard Hill Johannes Kopp Familiensoziologie Grundlagen und theoretische Perspektiven Springer 2013 Johannes Huinink Dirk Konietzka Familiensoziologie Eine Einfuhrung Campus Verlag 2007 Johannes Huinink Zur Positionsbestimmung der empirischen Familiensoziologie In Zeitschrift fur Familienforschung Journal of Family Research Band 18 Nr 2 2006 S 212 252 Rene Konig Soziologie der Familie In Rene Konig Hrsg Handbuch zur empirischen Sozialforschung Band 7 Familie und Alter Stuttgart 1976 Manfred Hermanns und Barbara Hille Familienleitbilder im Wandel Normative Vorgaben und Selbstkonzepte von Eltern und Jugendlichen Materialien zum Siebten Jugendbericht Band 3 Verlag Deutsches Jugendinstitut Munchen 1987 258 Seiten Einzelnachweise Bearbeiten Paul Hill Johannes Kopp 2013 Josef Bruderl Vorlesungsskript Familiensoziologie Memento vom 27 Mai 2016 im Internet Archive Universitat Mannheim 2008 Annette Eva Fasang Johannes Huinink Matthias Pollmann Schult Aktuelle Entwicklungen in der deutschen Familiensoziologie Theorien Daten Methoden In Zeitschrift fur Familienforschung H 1 2016 S 112 143 VIII Buch 14 Kapitel u a Thomas Robert Malthus Das Bevolkerungsgesetz dtv Munchen 1977 zuerst 1798 Z B Lewis Henry Morgan Ancient Society Or Researches in the lines of human progress from savagery through barbarism to civilisation zuerst 1877 Friedrich Engels Der Ursprung der Familie des Privateigentums und des Staates zuerst 1884 August Bebel Die Frau und der Sozialismus 6 Auflage Berlin 1973 zuerst Zurich 1879 Zweiter Abschnitt Konig 1976 S 1 14 Helmut Schelsky Wandlungen der deutschen Familie in der Gegenwart 5 Auflage Stuttgart 1967 zuerst 1953 Vgl die Beitrage in Gunter Burkart Zukunft der Familie Prognosen und Szenarien Zeitschrift fur Familienforschung Sonderheft 2009 Bundesministerium fur Familie Senioren Frauen und Jugend Hrsg Ehe Familie Werte Migrantinnen und Migranten in Deutschland Monitor Familienforschung Ausgabe 24 Berlin 2011 PDF Pluralisierung der Lebensformen Mehr Vielfalt und kleinere Haushalte Bundeszentrale fur politische Bildung 31 Mai 2012 Vgl auch den Reader von Laszlo Vaskovics Hrsg Familie Soziologie familialer Lebenswelten Soziologische Revue Sonderheft 3 Oldenburg 1994 Huinink 2006 S 218 Rene Konig Themenwandel in der gegenwartigen Soziologie der Familie In Bernhard Schnyder Hrsg Familie Herausforderung der Zukunft Freiburg Schweiz 1982 S 5 21 J Bruderl T Klein Die Pluralisierung partnerschaftlicher Lebensformen in Westdeutschland 1960 2000 In W Bien J Marbach Hrsg Partnerschaft und Familiengrundung Leske Budrich Opladen 2003 S 189 217 Normdaten Sachbegriff GND 4133736 0 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Familiensoziologie amp oldid 234855510