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Im Fall Fritz Hanke wurde am 11 Oktober 1963 das erste und fur etwa zehn Jahre einzige bundesdeutsche Urteil in einem Prozess gegen einen Schutzen an der innerdeutschen Grenze gesprochen 1 An der innerdeutschen Grenze am Harzer Wurmberg wurde am 5 Juni 1962 der 19 jahrige Peter Reisch niedergeschossenFritz Hanke war ein Stabsgefreiter der NVA der im Februar 1963 aus der Deutschen Demokratischen Republik in die Bundesrepublik Deutschland floh und dort nach wenigen Wochen in Freiheit wegen versuchten Totschlags verhaftet wurde weil er ein Jahr zuvor einen DDR Burger bei einem Fluchtversuch niedergeschossen hatte Der um diese Tat gefuhrte umstrittene Prozess in dem das Stuttgarter Schwurgericht Hanke im Oktober 1963 wegen versuchten Totschlags zu einer Gefangnisstrafe von 15 Monaten verurteilte 2 galt als Musterprozess und wurde in der Offentlichkeit auch im Vorfeld durch Medienberichte wahrgenommen 3 Nach dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung kam es von 1991 bis 2004 zu einer Reihe von Gerichtsprozessen fur die sich der Begriff Mauerschutzenprozesse etablierte Inhaltsverzeichnis 1 Fall 1 1 Vorfall 1 2 Verfahren 1 3 Diskussion 2 Entwicklung der Rechtslage 3 Der Fall Fritz Hanke in der Kunst 4 Weblinks 5 Literatur 6 Siehe auch 7 EinzelbelegeFall BearbeitenVorfall Bearbeiten Am 5 Juni 1962 hatte Hanke damals ein 21 Jahre alter Grenzsoldat an der Demarkationslinie bei Schierke im Harz auf Befehl seines Postenfuhrers hin aus 120 Metern Entfernung auf den fluchtenden Egelner Arbeiter Peter Reisch geschossen Der 19 Jahrige starb am 13 Juli an schweren Kopfverletzungen Genaue Umstande zu Zeit Art und Ort seines Todes waren zum Zeitpunkt des Prozesses in der Bundesrepublik vollig unklar In der DDR hatte der Schutze fur sein Handeln die Medaille fur vorbildlichen Grenzdienst und eine Pramie von 200 Mark erhalten 3 Hanke gab spater an in die Bundesrepublik gefluchtet zu sein um nicht noch einmal in eine ahnliche Lage zu geraten Mit seiner dortigen Verhaftung habe er nicht gerechnet Kompaniekameraden hatten westdeutschen Zollnern uber die Grenze hinweg Hinweise auf Hanke gegeben 3 Bei der 1961 in Salzgitter eingerichteten Zentralen Erfassungsstelle von Verbrechen zonaler Grenzorgane bei der bereits eine umfangreiche Akte zu dem Fall vorlag konnte daraufhin dem bis dahin noch unbekannt gebliebenen Schutzen Hankes Name zugeordnet werden Verfahren Bearbeiten Die Stuttgarter Richter urteilten nach bundesdeutschem Recht und erkannten in der DDR geltende Anordnungen und Gesetze die den Schiessbefehl auf Republikfluchtige zum Inhalt hatten nur als schuldmindernd an Ihrer Ansicht nach hatte sich aber der Angeklagte auch nach DDR Recht des versuchten Totschlags schuldig gemacht 4 Die naheren Umstande der angeklagten Tat konnten in dem knapp eine Woche dauernden Schwurgerichtsverfahren nur in groben Zugen 5 aufgeklart werden Aus Sicht der Anklage musste eine Strafe gegen Hanke u a die Aufgabe erfullen abschreckend zu wirken und andere Grenzpolizisten davon abzuhalten auf ihre Landsleute zu schiessen Die Verteidigung warf dagegen in die Waagschale dass der Wunsch nach Wiedervereinigung durch eine Verurteilung in weiten Kreisen der Zonenbevolkerung geschwacht werden konnte die ein zweites Nurnberg furchten mussen 6 Die Staatsanwalt beantragte am Ende eine Gefangnisstrafe von drei Jahren wegen vollendeten Totschlags Die Verteidigung pladierte auf Freispruch 7 Eine der im Stuttgarter Prozess wesentlichen erorterten Fragen war die ob Befehlsnotstand vorgelegen hatte oder nicht Ein dreimaliger Schiessbefehl den Hanke von seinem Unterfeldwebel erhielt sei nach Ansicht des Gerichts kein rechtmassiger gewesen und konne die Tat daher nicht rechtfertigen Auch Hanke hatte dies wissen mussen da er am ersten Prozesstag zugegeben habe dass er wusste dass er den Befehl eine Toilette mit der Zahnburste zu reinigen als unsinnig hatte verweigern konnen Um wieviel mehr hatte Hanke erkennen mussen dass er einen verbrecherischen Befehl nicht auszufuhren brauchte bei dem es um ein Menschenleben ging 6 hiess es in diesem Zusammenhang Roman Grafe zitiert in seinem Buch Deutsche Gerechtigkeit Prozesse gegen DDR Grenzschutzen und ihre Befehlsgeber 2004 eine weitere Aussage Hankes So sei ihm klar gewesen dass es sich bei dem Fluchtling nicht um einen Agenten Saboteur und gemeinen Verbrecher handelte sondern um einen Menschen der lediglich die DDR verlassen und andere Lebensbedingungen finden wollte Auf solche Menschen zu schiessen habe er vor der Tat als zu hart empfunden 1 Eine weitere viel erorterte Frage innerhalb des Verfahrens war die nach der Tater oder blosser Teilnehmerschaft Hankes an der Tat Hierzu entschied das Gericht auf Taterschaft des Angeklagten Hanke habe sich die amtlich verbreiteten Parolen des Zwangsregimes zu eigen gemacht Der Auftrag auf Menschen zu schiessen die nichts weiter taten als in die Freiheit zu fluchten sei ihm zwar unangenehm gewesen aber doch als notfalls zu erfullende Pflicht erschienen Damit sei Hanke zum Prototyp des willigen Befehlsempfangers geworden dessen Gedanken sich letztlich mit dem Bestreben der Machthaber deckten Hatte Hanke den rechtswidrigen Schiessbefehl auf harmlose Fluchtlinge wirklich innerlich missbilligt so ware es ihm nicht schwergefallen danebenzuschiessen Er habe den Schiessbefehl auch in den Wunsch zu treffen umgemunzt Er habe sorgsam gezielt und sei ein guter Schutze Er hatte den Befehl gar nicht zu verweigern brauchen Er hatte ihn befolgen konnen ohne zu treffen und ohne durch das Nichttreffen in eine Zwangslage zu kommen 5 Das Urteil tragt das Aktenkennzeichen Ks 14 63 Hanke wurde nach der Verbussung von zwei Dritteln seiner Strafe freigelassen 8 Diskussion Bearbeiten Das Urteil wurde kontrovers diskutiert Gerald Grunwald widersprach 1967 in einem wissenschaftlichen Aufsatz 9 der bis dahin geltenden Auffassung wonach Grenzschutzer der DDR in der Bundesrepublik nach westdeutschem Recht abgeurteilt werden durften Begehe ein Auslander im Ausland eine Straftat so kummerten sich die deutschen Gerichte im Allgemeinen nicht darum Sie konnten nur dann bestrafen wenn die Tat sowohl nach deutschem Recht wie nach dem Recht des Tatortes mit Strafe bedroht sei 10 Auch der CDU Bundestagsabgeordnete Hans Dichgans kam aus anderen Grunden in einem Aufsatz 11 zu demselben Ergebnis Die Vorschriften zum Schutz der Staatsgrenze der DDR seien nur Massnahmen der sowjetischen Besatzungsmacht die der deutschen Gerichtsbarkeit entzogen seien Entwicklung der Rechtslage BearbeitenDer Fall Hanke wurde auf der Grundlage der damals herrschenden Auffassung die DDR sei kein Ausland unter Anwendung nicht des internationalen sondern des interlokalen Strafrechts zwar nach dem Tatortprinzip aber eingeschrankt durch den Vorbehalt des ordre public entschieden Da am Tatort zwar die Grenz und Passgesetze der DDR galten dieses Grenzregime der DDR aber als rechtsstaatswidrig angesehen wurde konnte es die Schusse auf Fluchtende nicht rechtfertigen Nach dem Grundlagenvertrag 1972 mit dem die DDR staatsrechtlich anerkannt wurde gingen die Gerichte zur Anwendung des Internationalen Strafrechts uber 12 jedoch unter Anwendung des sog passiven Personalitatsprinzips 7 Abs 1 5 Nr 6 StGB auf DDR Burger Nach der Wiedervereinigung wurde im Grundlagenvertrag in Art 315 Abs 1 EGStGB die Anwendbarkeit des DDR Strafrechts auf Alttaten auf dem Territorium der DDR festgelegt aber mit der Einschrankung dass die Tat nach bundesdeutschem Recht ebenfalls strafbar und mit keiner milderen Strafe bedroht ware eingeschrankt wurde dies aber wiederum durch Art 315 Abs 4 EGStGB der insbesondere fur Verschleppung 234a StGB und politische Verdachtigung 241a StGB die Anwendung bundesdeutschen Rechts auch fur DDR Alttaten vorsah Danach war grundsatzlich auch die Verfassung der DDR anwendbar es wurde aber in den so genannten Mauerschutzenprozessen unter Berucksichtigung von Rechtsstaatsprinzip und Menschenwurde so ausgelegt dass todliche Schusse in der Regel als unverhaltnismassig und damit rechtswidrig angesehen wurden 13 14 Eine grundlegende Analyse des Falls Fritz Hanke hat der Historiker Guillaume Mouralis Centre Marc Bloch in seinem Buch Une epuration allemande La RDA en proces 1949 2004 vorgelegt Dort interpretiert er den Hanke Prozess als Ausdruck des deutsch deutschen justiziellen kalten Krieges 15 Der Fall Fritz Hanke in der Kunst BearbeitenJurgen von Manger schrieb einen kritisch satirischen Monolog Juristischer Kommentar 1963 den er in der Fernsehsendung Hallo Nachbarn in der Rolle eines Justizwachtmeisters in Art seiner Paraderolle Adolf Tegtmeier selbst vortrug und der auch im Druck erschien Kritisiert wurde hier im Kern eine Ausserung im Pladoyer des Staatsanwalts der Angeklagte habe es fertig gebracht als Deutscher auf einen Deutschen zu schiessen die implizit etwaige Schusse Deutscher auf Auslander etwa Neger oder Gastarbeiter relativiere Wolfgang Menge drehte ein Fernsehspiel uber das Hanke Urteil Begrundung eines Urteils 1966 Weblinks Bearbeiten Taktisch klug und richtig In Der Spiegel Nr 27 1991 S 52 71 online Literatur BearbeitenGuillaume Mouralis Une epuration allemande La RDA en process 1949 2004 Deutsche Sauberung Die DDR vor Gericht 1949 2004 Paris Fayard 2008 Siehe auch BearbeitenRadbruchsche Formel 1946 Fall Werner Weinhold 1975 Einzelbelege Bearbeiten a b Roman Grafe Deutsche Gerechtigkeit Prozesse gegen DDR Grenzschutzen und ihre Befehlsgeber 2004 LG Stuttgart JZ 1964 101 NJW 1964 63 a b c D Strothmann Der Tod am Stacheldraht In Die Zeit Nr 37 1963 zit n Roman Grafe Deutsche Gerechtigkeit Prozesse gegen DDR Grenzschutzen und ihre Befehlsgeber 2004 a b zitiert nach Das Urteil von Stuttgart Memento vom 8 August 2014 im Internet Archive In Hamburger Abendblatt 12 Oktober 1963 S 25 a b Das Urteil von Stuttgart Memento vom 8 August 2014 im Internet Archive In Hamburger Abendblatt 12 Oktober 1963 S 25 15 Monate fur Hanke Memento vom 8 August 2014 im Internet Archive In Hamburger Abendblatt 12 Oktober 1963 S 1 Der Fall Fritz Hanke ein Prazedenzfall zwischen Ost und West MDR 5 Januar 2017 abgerufen am 27 Mai 2021 Grunwald Ist der Schusswaffengebrauch an der Zonengrenze strafbar In JZ 1966 S 633 Hans Peter Bull Rechtsstaat zu Lasten Dritter In Die Zeit Nr 27 1967 Dichgans Zur Rechtsnatur des mitteldeutschen Regimes In NJW 1966 2255 BGHSt 30 1 BGHSt 39 1 sowie BGHSt 39 168 Fall Gueffroy Ralf Osterloh Jens Ph Wilhelm Die Mauerschutzenprozesse In Vergangenheitsbewaltigung durch Recht PDF 192 kB DAS 2000 S 13 Guillaume Mouralis Une epuration allemande La RDA en proces 1949 2004 Deutsche Sauberung Die DDR vor Gericht 1949 2004 Fayard Paris 2008 ISBN 2 213 63537 4 S 219 268 fayard fr Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Fall Fritz Hanke amp oldid 226000057