www.wikidata.de-de.nina.az
Dezisionismus ist eine politische und juristische Theorie die die Entscheidung und den Entscheider in den Mittelpunkt der Uberlegungen stellt Sie halt weniger den Inhalt und die Begrundung einer Entscheidung fur wichtig als die Entscheidung an sich Ihr zufolge kann es keine allgemein verbindlichen Begrundungen fur Werte oder moralische Positionen geben Daher sei die Entscheidung von Menschen fur diese oder jene Handlung letztlich willkurlich und nicht mit den Mitteln logischer Analyse oder anhand ethischer Kriterien zu rechtfertigen Der Terminus Dezisionismus ist von Dezision lat decisio fur Entscheidung abgeleitet Der Begriff wurde insbesondere von Carl Schmitt in die staats und verfassungstheoretische Diskussion eingebracht Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 2 Wirkung und Rezeption 2 1 Im juristischen Diskurs 2 2 In der Moralphilosophie 2 3 In den Sozial und Politikwissenschaften 3 Literatur 3 1 Primarliteratur 3 2 Sekundarliteratur 4 Weblinks 5 EinzelnachweiseGeschichte BearbeitenDem Dezisionismus liegt die im Kern schon im mittelalterlichen Universalienstreit formulierte Meinung zugrunde dass ethische und moralische Postulate nicht auf platonischen ewigen Wesenheiten beruhen die wir zu erkennen und anzuerkennen haben sondern geistige Vorstellungen sind fur oder gegen die entschieden werden kann und muss Das Gute ist das Gute weil Gott es in seiner Allmacht so wollte Er hatte auch anders entscheiden konnen sonst ware er nicht allmachtig schrieb sinngemass Wilhelm von Ockham Daran anknupfend betonte Thomas Hobbes dass die gesellschaftliche Geltung jeder Norm auf der Entscheidungsmacht beruht Diese wies er dem Staat zu in der Erwartung durch staatliche Entscheidung die Gefahr religioser Burgerkriege zu bannen Auctoritas non veritas facit legem Autoritat bestimmt das Gesetz nicht Wahrheit entzog jedem die Legitimation der fur seine Wahrheit andere zu todeswurdigen Ketzern oder Verbrechern erklarte Der wertfreie rein wissenschaftliche deskriptive Dezisionismus Panajotis Kondylis besagt dass im zwischenmenschlichen Leben ausnahmslos alle ethischen moralphilosophischen und rechtstheoretischen Forderungen auf der Entscheidung konkreter Menschen fur oder gegen ihre Geltung beruhen Es gibt keine hoheren Machte oder Instanzen die uns die Last der Entscheidung wie auch die Freiheit zur Entscheidung abnehmen Wirkung und Rezeption BearbeitenDie dezisionistische Grundthese wurde geistesgeschichtlich in sehr unterschiedlich ambitionierten Ideologien als Baustein verwendet Das war moglich weil sie eo ipso aus sich heraus wertfrei ist und selbst in antagonistische Weltbilder integriert werden kann Dabei treten immer dann Selbstwiderspruche auf wenn eine solche Ideologie formal dezisionistisch ansetzt aber inhaltlich normative Komponenten enthalt Eine existentialistische oder voluntaristische Theorie beispielsweise die besagt Alle Normen gelten erst qua Entscheidung fur sie also sollen wir entscheiden enthalt einen Widerspruch in sich weil die dezisionistische These Alles ist Entscheidungssache mit der normativen Komponente also sollen wir entscheiden unvereinbar ist Zu den Vielen die dezisionistische Grundannahmen in ihren Theorien anwandten gehort Carl Schmitt Seine Anschauungen beruhen auf einem primar katholischen Weltbild dessen Glaubensinhalte Schmitt als Wahrheiten voraussetzt und keiner dezisionistischen Entscheidung aussetzt Darum war Schmitt in keiner seiner Schaffensphasen konsequenter Dezisionist sondern nutzte dezisionistische Argumente zeitweise zur Stutzung jeweiliger inhaltlicher Positionen Besonders im Rahmen seiner christlichen Glaubenspostulate benutzte er dezisionistische Argumente und verachtet im Anschluss an Juan Donoso Cortes die kompromissbereite diskutierende Klasse mit ihrem Liberalismus und Parlamentarismus weil es aus Glaubenssicht widersinnig ist uber feststehende Wahrheiten zu diskutieren oder sie einem Kompromiss auszusetzen Im ubrigen erscheint der Dezisionismus in verschiedenen Kontexten dem rechtstheoretischen dem moralphilosophischen und dem sozialwissenschaftlichen Kontext Im juristischen Diskurs Bearbeiten In der juristischen Diskussion besagt der Dezisionismus dass Rechtsnormen niemals kraft menschlicher Setzung entzogenen ubergesetzlichen Normen gelten sondern erst durch einen Rechtsetzungsakt eines konkreten menschlichen Gesetzgebers in Geltung gesetzt werden also letztlich durch willkurliche freie Entscheidung Der Dezisionismus sieht sich daher dem Vorwurf ausgesetzt letztendlich subjektiv und willkurlich zu sein Es ist aber keineswegs Inhalt der dezisionistischen Theorie dass Gesetze willkurlich gesetzt werden sollten sondern nur die Feststellung dass es faktisch so ist Kritikern zufolge verkurze der juristische Dezisionismus den Begriff des Rechts auf einzelne Regeln Vielmehr musse man das Recht als Einheit aus Regeln und zugrunde liegenden Rechtsprinzipien begreifen Der Rechtsanwender musse nur anhand der Regeln und Prinzipien eine Entscheidung finden die sich mit den Mitteln einer juristischen Argumentation begrunden lasse Dem entgegnet der Dezisionismus dass es keine zugrunde liegenden Rechtsprinzipien gibt ausser eben solchen die zuvor als Rechtsprinzipien qua Willensaktes aufgestellt worden sind Siehe auch Uberpositives Recht und Rechtspositivismus In der Moralphilosophie Bearbeiten In der moralphilosophischen Diskussion besagt der Dezisionismus dass jeder Versuch der Moralbegrundung in letzter Hinsicht auf ihrerseits nicht weiter begrundbare Entscheidungen rekurrieren musse Er trifft sich damit mit der von dem Schmitt Schuler Ernst Wolfgang Bockenforde aufgestellten These wonach der moderne Rechtsstaat auf Voraussetzungen beruhe die er selbst nicht zu garantieren vermag das sogenannte Bockenforde Diktum In den Sozial und Politikwissenschaften Bearbeiten In der soziologischen und politologischen Diskussion insbesondere Habermas ist der Dezisionismus weniger an Carl Schmitt orientiert Er bezeichnet hier eine Rollentrennung zwischen Experten und Entscheidern Wissenschaftler sollten die Entscheidung uber Ziele und Mittel des Handelns der Politik uberlassen und sich selbst darauf beschranken Wissen zur Zielerreichung zur Verfugung zu stellen Im hermeneutischen Dezisionismus Bonnie Honigs liegt der Fokus auf interpretierender Rechtsanwendung statt Rechtssetzung Sie benutzt dafur das Beispiel von Louis F Post als Assistant Secretary im Arbeitsministerium der Vereinigten Staaten als Beispiel fur gelungene Subversion durch rechtshermeneutische Dezision 1 Literatur BearbeitenPrimarliteratur Bearbeiten Carl Schmitt Gesetz und Urteil 2 unverand Aufl Munchen 1969 Carl Schmitt Politische Theologie Vier Kapitel zur Lehre von der Souveranitat Duncker amp Humblot Munchen Leipzig 1922 Carl Schmitt Uber die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens Hanseatische Verlags Anstalt Hamburg 1934 Jurgen Habermas Verwissenschaftlichte Politik und offentliche Meinung 1963 In Jurgen Habermas Technik und Wissenschaft als Ideologie Suhrkamp Frankfurt am Main 1968 S 120 ff Sekundarliteratur Bearbeiten Andre Brodocz Die politische Theorie des Dezisionismus Carl Schmitt In Andre Brodocz Gary S Schaal Hrsg Politische Theorie der Gegenwart I Eine Einfuhrung Opladen 2002 S 281 315 Eckard Bolsinger Was ist Dezisionismus Rekonstruktion eines autonomen Typs politischer Theorie In Politische Vierteljahresschrift 39 1998 S 471 502 Ein Vergleich Carl Schmitt Hermann Lubbe und Panajotis Kondylis Panajotis Kondylis Macht und Entscheidung Die Herausbildung der Weltbilder und die Wertfrage 1984 Ernst Klett Verlag J G Cotta sche Buchhandlung Stuttgart 1984 Christian Graf von Krockow Die Entscheidung Eine Untersuchung uber Ernst Junger Carl Schmitt Martin Heidegger Stuttgart 1958 zugl Diss Klaus Kunze Mut zur Freiheit Rechtsphilosophie auf dem schmalen Grat zwischen Fundamentalismus und Nihilismus Uslar 1995 ISBN 3 933334 02 0 Katja Langenbucher Das Dezisionsargument in der deutschen und in der US amerikanischen Rechtstheorie In Archiv fur Rechts und Sozialphilosophie Band 88 Jahrgang 2002 S 398 ff Hermann Lubbe Dezisionismus eine kompromittierte politische Theorie In Schweizer Monatshefte 55 1976 S 949 960 Romano Minwegen Gleichheit im Lichte der Rechtslogik Eine Synthese zwischen Kognitivismus und Dezisionismus In Rechtstheorie Zeitschrift fur Logik und Juristische Methodenlehre Rechtsinformatik Kommunikationsforschung Normen und Handlungstheorie Soziologie und Philosophie des Rechts 36 Bd 2005 S 529 546 Weblinks Bearbeiten nbsp Wiktionary Dezisionismus Bedeutungserklarungen Wortherkunft Synonyme Ubersetzungen Wolfgang Ludwig Mayerhofer Dezisionismus In Internet Lexikon der Methoden der empirischen Sozialforschung 11 Mai 2003 archiviert vom Original am 5 Juni 2016 abgerufen am 11 Marz 2019 Micha H Werner Dezisionismus In Jean Pierre Wils Christoph Hubenthal Hrsg Lexikon der Ethik F Schoningh Paderborn 2006 S 52 59 Einzelnachweise Bearbeiten Oliver W Lembcke Entschiedene Unentscheidbarkeit Varianten dezisionistischer Demokratietheorie in Oliver W Lembcke et al Zeitgenossische Demokratietheorien Wiesbaden 2012 S 344 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Dezisionismus amp oldid 237520177