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Der Utilitarismus bzw Utilitarismus engl Originaltitel Utilitarianism heisst ein 1861 erstmals veroffentlichter Text des englischen Philosophen John Stuart Mill 1806 1873 Er erlautert hierin seine Variante des Utilitarismus und verteidigt sie gegen Vorwurfe Inhaltsverzeichnis 1 Entstehungsgeschichte 2 Inhalt 2 1 Einleitung 2 2 Darlegung des Utilitarismus 2 3 Motivation zum utilitaristischen Handeln 2 4 Beweis des Nutzlichkeitsprinzips 2 5 Nutzlichkeit und Gerechtigkeit 3 Literatur 4 Weblinks 5 EinzelnachweiseEntstehungsgeschichte BearbeitenDie ethische Position des Utilitarismus war seit dem spaten 18 Jahrhundert insbesondere von Jeremy Bentham aber auch von dessen Freund und John Stuarts Vater James Mill entwickelt und verbreitet worden James Mill erzog seinen ersten Sohn privat und schottete ihn als Kind systematisch von Gleichaltrigen ab um ihn vor schlechten Einflussen zu schutzen 1 John Stuart wurde so schon fruh zu einem vielseitig gebildeten Intellektuellen der sich insbesondere mit dem Utilitarismus auseinandergesetzt hatte Sein Verhaltnis zu seinem Vater und auch zu dessen Philosophie blieb jedoch psychologisch komplex vorbelastet 2 Als 14 Jahriger verbrachte er ein Jahr in Frankreich bei Jeremy Benthams Bruder Samuel und schrieb bereits uber die utilitaristischen Werke Benthams und seines Vaters 3 Nach seinem Studium verfasste er in den 1830ern mehrere Essays die sich kritischer mit der von Bentham und seinem Vater vertretenen Variante des Utilitarismus auseinandersetzten 4 Nachdem er sich in den folgenden Jahren starker auf seine theoretische Philosophie und Okonomie konzentrierte begann er Mitte der 1850er sich wieder starker mit politischer Philosophie zu beschaftigen 1859 veroffentlichte er den Text On Liberty 1861 dann den Text Utilitarianism zunachst im Frasers Magazine zwei Jahre spater auch als Buch 5 Das letzte Kapitel des Buches war ursprunglich als unabhangiger Essay geplant und wurde erst spater in das Werk eingearbeitet 6 Spateren Auflagen wurden von Mill nur kleinere Anderungen hinzugefugt Inhalt BearbeitenDer verhaltnismassig kurze Text gliedert sich in funf Kapitel Zunachst stellt Mill seine Theorie in der Einleitung in einen Gesamtzusammenhang der moralphilosophischen Debatte uberhaupt Im zweiten Kapitel erlautert er sein Verstandnis des Utilitarismus im dritten und vierten Kapitel geht er auf die Frage der Letztbegrundung moralphilosophischer Systeme im Allgemeinen und des Utilitarismus im Besonderen ein und im letzten Kapitel stellt er einen Zusammenhang zum Begriff der Gerechtigkeit her Einleitung Bearbeiten Die Frage welches das hochste Gut summum bonum und welches das erste Prinzip first principle der Moral sei treibe die Philosophie seit ihren Ursprungen an Mill behauptet bereits Platon habe diesbezuglich eine utilitaristische Position vertreten 7 Kant habe dagegen das allgemeine Vernunftsgesetz als erstes Prinzip angesetzt sei aber dabei schon fast grotesk 8 gescheitert hieraus wirkliche moralische Regeln abzuleiten Mill mochte die utilitaristische Theorie erklaren und beweisen wobei ein Beweis nur in dem Sinne moglich sei eine strittige Aussage aus einer unstrittigen Aussage herzuleiten 9 Darlegung des Utilitarismus Bearbeiten Die grundlegende These des Utilitarismus ist das Prinzip des grossten Glucks Eine Handlung ist genau dann richtig wenn sie das Gluck fordert und falsch wenn sie das Gegenteil tut Mit Gluck sei hierbei Freude und die Abwesenheit von Schmerz gemeint Es sei seine Theorie des Lebens theory of life dass ausser Freude und Freiheit von Schmerz nichts fur sich selbst erstrebenswert sei 10 Wer eine solche Theorie nur Schweinen fur wurdig halte der stelle sich selbst in ein schlechtes Licht weil er behaupte dass den Menschen nicht qualitativ hochwertigere Quellen der Freude zuganglich seien als Schweinen Tatsachlich sei es mit dem Utilitarismus durchaus kompatibel dass einige Quellen der Freude wertvoller seien als andere 11 Mill bietet einen Test an um den Wert zweier Freuden zu vergleichen Wenn eine Person geistig korperlich in der Lage ist zwei Freuden zu erleben und nachdem sie beide erlebt hat einer den klaren Vorzug gibt dann sei diese Freude wertvoller als die andere 12 So werde sich immer ergeben dass diejenigen Freuden vorzugswurdig sind die intellektuell ansprechender seien 12 Da die Voraussetzung fur das Erleben solcher Freuden hohe geistige Kapazitaten sind sei es besser ein unzufriedener Sokrates zu sein als ein zufriedener Dummkopf 13 Hierbei sei zu beachten dass sich Personen gegen das intellektuelle Vergnugen entscheiden weil das korperliche Vergnugen naher liegt Diese Personen seien dann aber nicht oder nicht mehr auf der notigen intellektuellen Hohe um kompetente Beurteiler competent judges zu sein 14 Die Verwirklichung des Glucks sei als permanenter Zustand uberhaupt unmoglich Jedoch gehe es dem Utilitarismus auch nur um ein quantitatives und qualitatives Maximum an moglichem Gluck dies sei auch fur jeden Menschen ein akzeptables Ziel 15 Der Utilitarismus fuhre zu einer Vermehrung der Bildung und des Wissens und auch zu einer Vermehrung etwa der Nachstenliebe Nur seien solche Ziele im Utilitarismus nicht selbst ein Gut sondern ein notwendiges Mittel zur Vermehrung des Glucks 16 Mill diskutiert auch den Vorwurf es sei eine zu hohe Anforderung bei allen Handlungen stets den gesamtgesellschaftlichen Nutzen im Auge haben zu sollen Dies sei bei keiner Moraltheorie gefordert und auch tatsachlich unrealistisch Dennoch seien auch solche Handlungen richtig die nicht aus moralischer Motivation heraus getatigt werden trotzdem aber das Gluck zumindest nicht mindern Das moralische Urteil uber eine Handlung soll laut Mill davon abhangen ob die handelnde Person eine Vermehrung oder Verminderung des Glucks beabsichtigt habe 17 Um den utilitaristischen Anforderungen gerecht zu werden sei es richtig sich Tugenden anzueignen Dies verhindere die Nachlassigkeit in Bezug auf moralisches Handeln insofern ist es eine moralisch richtige Handlung sich Tugenden anzueignen 18 Es bleibt an dieser Stelle unklar ob Mill insgesamt als Aktutilitarist oder Regelutilitarist zu betrachten ist 19 Ein verwandter Vorwurf zur moralischen Uberforderung des Einzelnen ist der der praktischen Uberforderung Es sei nicht moglich die Folgen aller Handlungen hinreichend genau abzuschatzen und gegeneinander abzuwagen Mill antwortet hierauf dass die Menschheit seit Beginn ihrer Existenz Erfahrungen mit den Folgen menschlichen Handelns gemacht habe und aus diesem Erfahrungswissen schopfen konne Die Abwagung aller Folgen ist nur die veranschaulichende Darstellung der utilitaristischen Forderung und muss nicht wirklich detailliert ausgefuhrt werden 20 Motivation zum utilitaristischen Handeln Bearbeiten Die Frage nach dem Grund unserer Verpflichtung moralisch zu handeln ist bei Mill identisch mit der Frage wodurch wir zu diesen Handlungen motiviert werden 21 Wie in allen anderen Moraltheorien werde die handelnde Person im Utilitarismus durch externe und interne Beweggrunde angetrieben Mit externen Beweggrunden sind die Hoffnung auf Anerkennung und Lob und die Angst vor Bestrafung durch andere Menschen oder auch durch Gott gemeint Ausserdem zahlt hierzu unser naturliches Mitfuhlen mit Anderen 22 Der interne Beweggrund besteht im Pflichtgefuhl Dieses so Mill speise sich aus einer sehr komplexen Mischung aus Erfahrungen und Gefuhlen 23 Dennoch gebe es eine naturliche Gemeinsamkeit aller Menschen Alle Menschen mussen uber soziale Gefuhle verfugen und sich selbst als Teil einer Gemeinschaft verstehen Da Menschen kooperieren und kollektiv handeln mussen um sich Vorteile zu verschaffen identifizieren sie auch ihre Ziele miteinander Durch die Bildung der Gemeinschaft wird es zunehmend gewohnlicher die Ziele Anderer mitzuverfolgen und Menschen nehmen irgendwann ganz selbstverstandlich aufeinander Rucksicht So wird es durch politischen Fortschritt laut Mill zur Pflicht eine Einheit mit den ubrigen Menschen zu bilden Dies wird auch etwa durch Religion und Bildung weiterverbreitet 24 Beweis des Nutzlichkeitsprinzips Bearbeiten Ein Beweis eines endgultigen Ziels im Sinne einer logischen Erschliessung sei nicht moglich so Mill Im Gegenteil The only proof capable of being given that an object is visible is that people actually see it In like manner I apprehend the sole evidence it is possible to produce that anything is desirable is that people actually do desire it Kap 4 Abs 3 Der Beweis fur den Utilitarismus konne also lediglich lauten dass schliesslich alle Menschen ihr eigenes Gluck wunschen 25 Nun wunschen Menschen aber neben Gluck auch noch beispielsweise Tugenden 26 Jedoch ist dies auch Mills Utilitarismus zufolge etwas Erstrebenswertes da Tugenden ja zum Gemeinnutzen beitrugen 27 Und schliesslich gabe es wenige Quellen des Glucks wenn nicht auch Dinge fur erstrebenswert gehalten wurden die zum Gluck beitragen oder in einer engen Verbindung dazu stehen 28 Nur das Gluck werde aber wirklich als solches gewunscht 29 Nutzlichkeit und Gerechtigkeit Bearbeiten Mill betrachtet Gerechtigkeit als Gefuhl oder Instinkt der genau wie Instinkte bei Tieren prinzipiell fehlbar sei Andererseits verlasse sich die Menschheit auch in anderen Fragen in denen sonst keine Evidenzen verfugbar sind auf subjektive Gefuhle 30 Folgende Aspekte sind laut Mill Teil unseres Gerechtigkeitsempfindens 31 das Befolgen der Gesetze wobei diese Intuition zumindest unklar werden kann wenn die Gesetze gegen andere Gerechtigkeitskriterien verstossen die moralischen Rechte jeder Person die durch Gesetze nicht verletzt werden sollen die austeilende Gerechtigkeit nach der jede Person bekommen solle was ihr zusteht die Vertragstreue und die Ablehnung des Ausnutzens von Gutglaubigkeit die Neutralitat des Rechtssystems und die Gleichheit vor dem GesetzUnter einer Pflicht versteht Mill alles was von Menschen abverlangt werden kann und dessen Nichtbeachtung bestraft wird sei es durch Gerichte oder nur durch Missbilligung der Mitmenschen Demgegenuber gebe es auch Handlungen die wir uns von Anderen zwar wunschen aber nicht von ihnen verlangen konnten Falsch nennen wir diejenigen Handlungen oder Handlungsunterlassungen von denen wir meinen dass sie bestraft werden sollten 32 Mill unterscheidet zwischen vollkommenen und unvollkommenen Pflichten Vollkommen sind diejenigen Pflichten die das Gegenuber vom Handelnden einfordern kann Unvollkommene Pflichten konnen nicht von einer bestimmten Person eingefordert werden sondern mussen nur in irgendwelchen Situationen erfullt werden wie z B Spenden Gerechtigkeit beziehe sich nun nur auf die vollkommenen Pflichten 33 Das Gefuhl der Gerechtigkeit so Mill habe zwei Zutaten Den Wunsch den Ungerechten zu bestrafen und das Wissen dass jemandem ungerechterweise geschadet wurde 34 Der Wunsch nach Bestrafung entstehe aus dem Impuls zur Selbstverteidigung und der Empathie 35 Dieser Wunsch nach Vergeltung sei an sich nicht moralisch wohl aber seine Verwendung im sozialen Gefuge da so dem kollektiven Interesse gedient werde 36 Ein Recht ist fur Mill einfach etwas bei dessen Verletzung jemandem ein Schaden zugefugt wird wofur der Verursacher des Schadens bestraft werden soll 37 Rechte sollen von der Gesellschaft geschutzt werden da so das Nutzlichkeitsprinzip befolgt werde 38 Gerechtigkeit sei so Mill ein Name fur eine Klasse von sozialen Nutzeneffekten die in der Theorie des Utilitarismus einen hohen Stellenwert einnehmen da aus einer gerechten Gesellschaft ein grosser Nutzen fur alle erwachst Er gesteht jedoch zu dass es in bestimmten Situationen moglicherweise besser oder sogar geboten sei gegen Prinzipien der Gerechtigkeit zu verstossen etwa zu stehlen um so ein Leben zu retten Dann sei jedoch gewohnlich auch nicht von einer ungerechten Handlung die Rede sondern davon dass es in diesem Einzelfall gerecht sei so zu handeln 39 Literatur BearbeitenTextausgaben John Stuart Mill Utilitarianism Oxford 2004 John Stuart Mill Jeremy Bentham Utilitarianism and other essays London 1987 John Stuart Mill The Complete Text of John Stuart Mill s Utilitarianism in Henry West Hg Blackwell Guide to Mills Utilitarianism Oxford 2006 S 61 114 John Stuart Mill Utilitarianism Der Utilitarismus englisch deutsch ubersetzt von Dieter Birnbacher Stuttgart 2006 John Stuart Mill Utilitarismus ubersetzt und eingeleitet von Manfred Kuhn Hamburg 2009 Sekundarliteratur John Rawls Geschichte der politischen Philosophie Frankfurt a M 2008 Abschnitt Mill S 367 457 John Skorupski John Stuart Mill London 1991 Kapitel Utilitarianism S 283 336 Henry West Hg The Blackwell Guide to Mill s Utilitarianism Oxford 2006 Weblinks Bearbeitenenglischer Volltext bei Wikisource Utilitarianism als E Book bei Project Gutenberg digitalisierte Version der Erstauflage bei archive org digitalisierte deutsche Ubersetzung von Adolf Wahrmund von 1869 Abschnitt zu Utilitarianism im Artikel zu Mill s Moral and Political Philosophy in der Stanford Encyclopedia of Philosophy Abschnitt zu Utilitarianism im Artikel zu Mill in der Internet Encyclopedia of PhilosophyEinzelnachweise Bearbeiten Vgl Susan Leigh Anderson Mills Life in Henry West Hg Blackwell Guide to Mills Utilitarianism Oxford 2006 S 11 25 hier S 13 Vgl John Rawls Geschichte der politischen Philosophie Frankfurt 2008 S 369 Vgl Susan Leigh Anderson Mills Life in Henry West Hg Blackwell Guide to Mills Utilitarianism S 14f Remarks on Bentham s Philosophy 1833 Bentham 1838 und Coleridge 1840 Vgl Susan Leigh Anderson Mills Life in Henry West Hg Blackwell Guide to Mills Utilitarianism S 22f Dieter Birnbacher Nachwort zu Der Utilitarismus in John Stuart Mill Der Utilitarismus Stuttgart 1976 S 125 Vgl Kap 1 Abs 2 Mill verweist hier auf den Dialog Protagoras Vgl Kap 1 Abs 4 Vgl Kap 1 Abs 5 Vgl Kap 2 Abs 2 Vgl Kap 2 Abs 3 4 a b Vgl Kap 2 Abs 5 Vgl Kap 2 Abs 6 Vgl Kap 2 Abs 7 Vgl Kap 2 Abs 12 Vgl Kap 2 Abs 17 Vgl Kap 2 Abs 19 Vgl Kap 2 Abs 20 21 Vgl dazu auch David Brink Mill s Moral and Political Philosophy in Stanford encyclopedia of Philosophy Abschnitte 2 7 und 2 8 1 Vgl Kap 2 Abs 24 Vgl Kap 3 Abs 1 Vgl Kap 3 Abs 3 Vgl Kap 3 Abs 4 Vgl Kap 3 Abs 10 Vgl Kap 4 Abs 3 Vgl Kap 4 Abs 4 Vgl Kap 4 Abs 5 Vgl Kap 4 Abs 6 Vgl Kap 4 Abs 8 Vgl Kap 5 Abs 2 Vgl Kap 5 Abs 5 10 Vgl Kap 5 Abs 14 Vgl Kap 5 Abs 15 Vgl Kap 5 Abs 18 Vgl Kap 5 Abs 19 Vgl Kap 5 Abs 21 22 Vgl Kap 5 Abs 24 Vgl Kap 5 Abs 25 Vgl Kap 5 Abs 37 38 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Der Utilitarismus amp oldid 222479223