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Als Uberforderungseinwand bezeichnet man Einwande gegen verschiedene ethische Theorien und Prinzipien dass eine kritisierte Theorie oder ein kritisiertes Prinzip zu viel verlangt mehr Opfer von einem fordert als vernunftigerweise gefordert werden konnen und daher nicht akzeptabel ist Der Einwand wird haufig im Zusammenhang mit konsequentalistischen Theorien und Forderungen globaler Hilfspflichten wie sie etwa Peter Singer vertritt diskutiert Er wurde auch gegen viele weitere Theorien und Prinzipien vorgebracht Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 2 Definition 2 1 Formulierungen 2 2 Abgrenzung 3 Entgegnungen 4 Ethische Theorien 4 1 Konsequentialismus und Utilitarismus 4 2 Weitere Theorien und ethische Prinzipien 5 Angewandte Ethik 5 1 Weltarmut 5 2 Klimawandel 6 Siehe auch 7 Literatur 8 Weblinks 9 EinzelnachweiseGeschichte BearbeitenDer Uberforderungseinwand gilt als ein zentraler Einwand gegen konsequentialistische Theorien und besonders gegen den klassischen Utilitarismus der verlangt unvoreingenommen stets das Wohlergehen aller von einer Handlung Betroffenen zu berucksichtigen und es zu maximieren 1 Es wird haufig angenommen dass der Uberforderungseinwand als Reaktion auf den Konsequentialismus entstand Marcel van Ackeren und Michael Kuhler weisen jedoch darauf hin dass Uberforderung schon vorher diskutiert wurde 2 So kritisierte Immanuel Kant den Grad der Tugend die die Stoa fur erforderlich und erreichbar hielt als uberfordernd Dadurch hatten sie das moralische Vermogen des Menschen unter dem Namen eines Weisen uber alle Schranken seiner Natur hoch gespannt und etwas das aller Menschenkenntniss widerspricht angenommen Kant 3 Im Zusammenhang mit dem Utilitarismus war William Godwin 1793 einer der ersten die uber zu hohe Forderungen nachdachten John Stuart Mill behandelte in seinem Werk Der Utilitarismus Uberforderungseinwande Der erste Einwand zielt auf die begrenzten kognitiven Fahigkeiten von Menschen Er besagt dass es zu viel verlangt sei in jeder Handlung alle moglichen Konsequenzen fur alle Menschen zu berechnen und abzuwagen 4 Der Standard des Utilitarismus ware zu hoch fur die Menschheit es ware zu viel verlangt dass Menschen stets aus dem Antrieb handeln sollten die allgemeinen Interessen der Gesellschaft zu fordern so gibt Mill den Einwand wider Mill entgegnet dass bei Weitem nicht jede Handlung aus diesem Motiv getan werden muss Er nennt es ein Missverstandnis die utilitaristische Denkweise aufzufassen als eine die beinhalten wurde dass Menschen ihre Uberlegungen an einer so weit gefassten Allgemeinheit wie der Welt oder der gesamten Gesellschaft festmachen sollten In den meisten Fallen genugt es nach Mills Auffassung sich auf die direkt betroffenen Personen zu konzentrieren und zusatzlich sicherzustellen nicht die Rechte weiterer Personen zu verletzen 5 Dem zweiten Einwand der auf die Unparteilichkeit zielt und besagt dass fortwahrende unvoreingenommene unparteiische Nutzenmaximierung zu sehr in private Entscheidungen Projekte und die Lebensgestaltung eingreift halt Mill seine Auffassung entgegen dass das unparteiische Anstreben von Nutzenmaximierung nicht Pflicht ist sondern mehr als die Pflicht verlangt 6 Peter Singer fachte 1972 mit seinem Aufsatz Famine Affluence and Morality 7 anhand der Frage der Weltarmut die Debatte um zu hohe Forderungen konsequentialistischer Theorien erneut an Singer entwickelte das Gedankenexperiment eines ertrinkenden Kindes Er nahm an dass jeder eine Pflicht von Passanten das Kind bei vergleichsweise kleineren eigenen Opfern retten zu mussen bejahen wurde Er folgerte Wenn es in unserer Macht steht etwas sehr Schlechtes zu verhindern ohne dabei etwas von vergleichbarer moralischer Bedeutung zu opfern so sollten wir dies moralisch gesehen tun Peter Singer Famine Affluence and Morality 1972 Der Uberforderungseinwand wurde bis heute gegen eine Vielzahl weiterer ethischer Theorien und Prinzipien angefuhrt zum Beispiel die Tugendethik den Kontraktualismus oder Kantianische Positionen In den vergangenen Jahren wurde der Uberforderungseinwand auch zu Themen der angewandten Ethik wie der Tierethik der Generationengerechtigkeit und dem Klimawandel diskutiert Auch der Idee einer weitgehenden Rolle ethischer Theorien im Leben und ethischen Theorien uberhaupt wurde beeinflusst durch Bernard Williams der Uberforderungseinwand entgegengehalten und sogar die Position eingenommen dass man Uberforderung nur vermeiden kann indem man ethische Theorien ganz vermeidet 8 Definition BearbeitenFormulierungen Bearbeiten Moralische Theorien und Prinzipien fordern von moralischen Agenten etwas zu berucksichtigen zu tun oder zu unterlassen Dabei kann es Konflikte zwischen den eigenen Zielen Interessen und dem Wohlergehen des Agenten und den moralischen Forderungen an ihn kommen Wurde der Adressat indem er dem moralisch Geforderten nachkommt seine personlichen Projekte und Ziele nicht mehr ausreichend verfolgen konnen so eine Formulierung des Einwands dann fordert die moralische Theorie oder das moralische Prinzip zu viel Es konnte sogar die personliche Integritat des Adressaten verletzt werden Die moralischen Forderungen uberschreiten eine Grenze des Zumutbaren Liam Murphy definiert den Uberforderungseinwand so Der Uberforderungseinwand behauptet dass es eine Grenze gibt in welcher Hohe die Moral oder jedenfalls ein Wohltatigkeitsprinzip legitimerweise Opfer von Agenten verlangen kann 9 Haufig wird der Einwand auf Basis von Kosten bzw allgemeiner Belastungen formuliert die eine Pflicht verlangen wurde McElwee formuliert Uberforderungseinwande so Demandingness Objection The claim that the agent is morally obliged to do A should be rejected just because doing A is too costly to the agent given the moral considerations at stake to count as morally obligatory Uberforderungseinwand Der Anspruch dass der Agent moralisch verpflichtet ist A zu tun sollte zuruckgewiesen werden weil A zu tun unter Berucksichtigung der moralischen Erwagungen um die es geht zu belastend fur den Agenten ist um es als moralisch verpflichtend anzusehen McElwee Demandingness Objections in Ethics 2016 Beispiel Eine moralische Theorie besagt dass Jones der bergsteigt moralisch verpflichtet ist Alice zu helfen die in Lebensgefahr schwebt obwohl er es nur unter Verlust eines seiner Gliedmassen tun kann Jemand kritisiert die Theorie Er gesteht zu dass es richtig ware Alice zu helfen aber meint zugleich dass Jones nicht dazu moralisch verpflichtet ist weil es ihm zu viel abverlangen wurde ein Bein oder einen Arm zu verlieren Der Kritisierende erhebt damit den Uberforderungseinwand 10 Der Einwand eine moralische Theorie oder Pflicht sei uberfordernd ist bei positiven Pflichten also Pflichten anderen etwas zu verschaffen ihr Wohlergehen zu fordern besonders bedeutsam Negative Pflichten hingegen also Pflichten anderen nicht den Zugang zu einem Gut zu verwehren ihnen nicht zu schaden gelten hingegen als weniger anfallig fur den Einwand 11 Des Weiteren gilt strikte Unparteilichkeit also die Forderung nicht seine eigenen Interessen und die nahestehender Menschen hoher zu bewerten als die entfernter Menschen als wichtiger Grund fur Uberforderung 12 13 Abgrenzung Bearbeiten Der Uberforderungseinwand setzt immer eine Abwagung voraus die ein Missverhaltnis zwischen hohen moralischen Forderungen denen altruistische Uberlegungen zugrunde liegen auf der einen Seite und dem meist nicht moralischen Eigeninteresse auf der anderen Seite ergibt Das ist zu unterscheiden von Einwanden die auf die moralischen Forderungen allein zielen dass das moralische Geforderte die vorgeblich moralische Pflicht nicht besteht oder unbedeutend ist Und er ist abzugrenzen von Einwanden die auf die der Abwagung zugrunde liegende Bewertung der Guter zielen dass eine moralische Theorie oder moralische Pflicht den moralischen oder aussermoralischen Gutern deren Berucksichtigung sie fordert eine falsche Wertigkeit beimisst oder sie in eine falsche Rangfolge bringt 10 Das Prinzip Sollen setzt Konnen voraus das eine Pflicht an die Voraussetzung bindet dass der Verpflichtete ihr uberhaupt gerecht werden kann verweist ebenfalls auf eine Grenze moralischer Pflicht Diese Grenze ist jedoch noch enger gefasst als beim Uberforderungseinwand Tut jemand mehr als es die moralische Pflicht verlangt spricht man von supererogatorischen Handlungen Statt von einer moralisch gebotenen Hilfspflicht wurde man von einem lobenswerten Akt der Barmherzigkeit sprechen Der Uberforderungseinwand eine moralische Forderung greife zu sehr in das eigene Leben ein ist zu unterscheiden von dem Einwand dass ihre Berucksichtigung die kognitiven Fahigkeiten oder das Wissen das ein moralischer Agent haben kann ubersteigt 13 14 So ware es im Beispiel des klassischen Handlungsutilitarismus zu viel verlangt vor jeder Entscheidung ein Hedonistisches Kalkul auszufuhren und darin alle Menschen gleichermassen zu berucksichtigen um diejenige Alternative zu finden die das grosste Gluck der grossten Zahl herbeifuhrt Weber Guskar nennt dies im Zusammenhang mit indirekten Wirkungen individueller Handlungen globaler Reichweite die epistemische Uberforderung es ist zum Beispiel unmoglich die bestehenden Kausalketten einer jeden einzelnen Handlung etwa beim Kauf eines T Shirts nachzuvollziehen 15 Daneben wird eine psychologische Uberforderung genannt Scheffler zufolge nehmen wir Unterlassungen nur unter besonderen Umstanden als Unterlassung wahr so in Singers Beispiel des direkt vor unseren Augen ertrinkenden Kindes aber nicht bei weltweit Millionen verhungernder Kinder Ortliche und zeitliche Distanz und unubersehbare indirekte Kausalketten lassen negative Wirkungen unseres Handelns irreal erscheinen Ahnlich irreal erscheinen positive Wirkungen von Hilfsleistungen die eine Vielzahl von Vermittlungsschritten erfordern Wir erleben uns nicht mehr als Handelnde Hinzu kommt dass eine grossere Zahl von Menschen die ebenfalls handeln konnte dazu verleitet keinen eigenen Beitrag zu leisten 16 Entgegnungen BearbeitenDecken sich die Interessen des Handelnden und das von ihm moralisch Gesollte so ist es nicht fordernd und kann mithin auch nicht moralisch uberfordern Peter Singer hat darauf verwiesen dass man zum Erhalt der Hilfsfahigkeit bestimmte eigene Interessen verfolgen muss darunter der Erhalt des eigenen Wohls und besonders auch soziale und familiare Bindungen 12 Hier gibt es also instrumentelle Grunde die das Eigeninteresse teilweise mit moralischen Forderungen in Einklang bringen Einige Philosophen vertreten die Position dass Moral nun einmal fordernd ist Wenn man ein grosses Ubel das einem anderen droht mit vergleichsweise geringeren eigenen Mitteln die aber dennoch fur einen selbst grosse Opfer darstellen abwenden kann dann soll man das tun 17 12 Einige entgegnen auf den Uberforderungseinwand dass man auch fragen muss ob die Kosten fur den Geschadigten nicht zu hoch sind ob er also nicht der Uberforderte ist Ergo muss derjenige der den Uberforderungseinwand erhebt die Asymmetrie zwischen den Kosten fur den Agenten und den Geschadigten begrunden 18 McElwee schlagt eine Sichtweise vor die sich an der Moglichkeit von Schuldzuweisung und Lob orientiert und die nur beim Agenten vorliegt 10 In einigen Fallen liegt der Unterschied in verursachtem oder zugelassenem und erlittenem Schaden Moralische Theorien die primar negative Pflichten bejahen und positive verneinen wie es etwa fur einige libertare Stromungen gilt sind naturgemass dem Uberforderungseinwand weniger ausgesetzt 19 Dem Problem der Unparteilichkeit versuchen manche zu begegnen indem sie eigenen moralischen Gutern und denen nahestehender Menschen ein starkeres Gewicht zubilligen 18 20 Andere haben versucht ethische Theorien abzuschwachen bzw Kriterien fur Grenzen zu finden wie viel sie fordern durfen Liam Murphy schlug zum Beispiel das Kooperationsprinzip vor um eine Grenze begrunden zu konnen Es basiert auf einem Fairness Gedanken Moralische Prinzipien sollten nicht umso mehr von einem verlangen je weniger andere Menschen sich an die Prinzipien halten sie sollten also moglichst unabhangig davon sein inwieweit sie von anderen Menschen eingehalten werden Man muss nicht fur das Versaumnis anderer einstehen zum Beispiel nicht mehr tun um eine Hungersnot abzuwenden als man tun musste wenn jeder seinen Beitrag leistete Verschiedene Autoren verweisen jedoch auf Gegenbeispiele in denen es nicht unabhangig vom Verhalten anderer ist wie viel von uns moralisch gefordert wird etwa in einem konkreten Notfall in dem zwei Personen ohne grosse Schwierigkeiten je ein ertrinkendes Kind retten konnten Wenn aber einer endgultig nicht bereit ist seinen Teil zu tun und der andere wenn er beide Kinder retten wurde signifikante Nachteile hatte so stunde letzterer dennoch notgedrungen in der Pflicht das Leben beider Kinder zu retten 11 Ernst Tugendhat unter anderen vertritt die Ansicht dass Rechte der Hilfsbedurftigen gegenuber der Gemeinschaft bestehen und nicht gegenuber Individuen 21 Nicht das potentiell uberforderte Individuum sondern nationale und internationale Institutionen stehen demzufolge primar in der Pflicht 22 12 Ethische Theorien BearbeitenKonsequentialismus und Utilitarismus Bearbeiten Insoweit utilitaristische Theorien verlangen fremdem Wohlergehen die gleiche Bedeutung wie eigenem Wohlergehen und dem Wohlergehen einem nahestehender Personen zuzumessen also vollig unparteiisch zu sein und insoweit sie verlangen Nutzen zu fordern genauso wie Schaden zu vermeiden konnen sie eigene Projekte und das eigene Leben ganz dominieren Dies ist nach Ansicht mancher zum Beispiel Bernard Williams zu fordernd und ein Grund den Konsequentialismus zu verwerfen Haufig entgegnen Konsquentialisten auf den Einwand Mills Strategie siehe oben folgend dass man Entscheidungsmuster entwickeln kann und dass es effizienter ist sich dem Wohl kleiner Gruppen statt dem gesamten offentlichen Wohl zu widmen Dem entgegen stehen die wachsenden Moglichkeiten weltweit das Leben fremder Menschen zu beeinflussen oft mit vergleichsweise geringem Aufwand 13 Manche Utilitaristen halten dagegen dass wir tatsachlich moralisch verpflichtet sind unser Leben zu andern und viel mehr zu tun um das Gemeinwohl zu fordern Nicht so zu handeln ist demnach moralisch falsch Der Uberforderungseinwand laufe ins Leere weil er die Kosten des moralisch Verpflichteten und die des Hilfsbedurftigen unterschiedlich behandelt damit geht er jedoch nicht mehr von den Voraussetzungen eines Handlungs Konsequentialismus aus er ist kein unabhangiger Einwand mehr 18 Andere schwachen die Forderungen ab man soll zwar so handeln dass das Wohlergehen aller moglichst stark gefordert wird aber es ist nicht immer moralisch falsch dies nicht zu tun Manche gestehen einen Agenten relativen Standpunkt zu der es erlaubt einem selbst und nahestehenden Personen einen hoheren Wert beizumessen als entfernten Fremden Satisfizierender oder progressiver Konsequentialismus schwachen auch die Forderungen ab man muss nur genug tun bzw wir sollten uns fortwahrend bemuhen mehr zu tun 23 Weitere Theorien und ethische Prinzipien Bearbeiten Thomas Nagel wendete gegen kontraktualistische ethische Theorien ein dass jedes mogliche Fursorgeprinzip dem alle Individuen zustimmen mussten angesichts des gegenwartigen Zustands der Welt mit ihren Eigentumsrechten entweder Reichen oder Bedurftigen je aus ihrer Sicht zu viel zumuten und daher zuruckgewiesen wurde 17 Uberforderungseinwande wurden auch fur Kant sche Ethik 24 und Tugendethik 25 diskutiert ebenso fur Nozicks Interpretation von Lockes Proviso dass eine Aneignung nur berechtigt ist wenn durch die Existenz von Privateigentum allgemein schwaches Proviso oder die durch diese Aneignung realisierte Uberfuhrung eines Gutes in Privateigentum starkes Proviso niemand schlechter gestellt wird 26 Angewandte Ethik BearbeitenWeltarmut Bearbeiten Der Uberforderungseinwand wurde haufig im Zusammenhang mit positiven Pflichten diskutiert dass man wohltatig sein und die Leiden und Armut in der Welt moglichst verringern muss Peter Singers klassischer Aufsatz aus dem Jahr 1972 war haufiger Anknupfungspunkt 11 Angesichts der Tatsache dass es viele extrem arme Menschen und viel Leid auf der Welt gibt wurde eine unbegrenzte Pflicht zu helfen bedeuten dass fur ein eigenes Leben ausserhalb dieser Pflicht kein Raum mehr bliebe Denn jeder fur Wohlhabende relativ kleine Beitrag ist geeignet fur sehr arme Menschen einen viel grosseren Nutzen zu stiften als er es beim Eigengebrauch durch den vergleichsweise Wohlhabenden konnte In Konsequenz durfte man erst dann aufhoren wenn es niemanden mehr gibt der armer ist als man selbst und dem man mit einem Transfer noch helfen konnte In diesem Zusammenhang spielt angesichts der begrenzten Moglichkeiten des Individuums der Verweis auf strukturelle Probleme die man nicht als Einzelner beheben kann und institutionelle Losungen eine entscheidende Rolle In der nicht idealen Welt in der ausreichend funktionsfahige Institutionen sowohl in den Staaten Hilfsbedurftiger als auch in denjenigen der Wohlhabenden nicht existieren gibt es weiter eine individuelle Verantwortung auf die Schaffung solcher Institutionen hinzuwirken und individuelle Beitrage zu leisten Hier besteht dann wieder die Gefahr einer Uberforderung 12 Weber Guskar weist darauf hin dass im Zuge der globalisierten Warenstrome auch negative Pflichte bedeutsamer geworden sind es sei nicht nur das Unterlassen von Hilfsleistungen das man den Wohlhabenden vorwerfen konne wegen der Verflechtungen trugen die Wohlhabenden mit einigen ihrer sogar alltaglichen Handlungen zur Not der Armen bei Mit Liam Murphys Kooperationsprinzip 27 wurde haufig versucht eine Grenze zu begrunden Sonderholm kritisierte jedoch das Kooperationsprinzip und verwies auf die billige Rettung Selbst wenn andere nicht ihren Teil tun ist man doch immer noch verpflichtet Leben zu retten wenn das mit fur wohlhabende Menschen vergleichsweise geringen Mitteln moglich ist 11 Richard Miller schlug ein Prinzip des Mitgefuhls vor das moralische Wohltatigkeitsforderungen begrenzen soll Man muss diesem Prinzip zufolge nur so weit wohltatig handeln dass man weiter seinen anderen Verpflichtungen nachkommen kann und gleichzeitig nicht signifikant Gefahr lauft sein Leben deutlich zu verschlechtern Eigene erstrebenswerte Ziele Interessen die das eigene Leben bereichern und denen man gut nachgehen kann darf man gelegentlich weiter verfolgen 28 Sonderholm halt Millers Prinzip fur viel zu wenig fordernd Denn es betrachtet die erstrebenswerten Ziele von keinem normativen Standpunkt jedes subjektiv erstrebenswerte Ziel auch extrem teure Luxusinteressen und reiner Geltungskonsum wurden damit gerechtfertigt werden Klimawandel Bearbeiten Der Uberforderungseinwand wurde im Zusammenhang mit der Frage diskutiert wie weit individuelle Pflichten reichen Treibhausgasemissionen zu vermeiden und auf politisches kollektives Handeln fur den Klimaschutz hinzuwirken Im Unterschied zu positiven Pflichten aus Wohltatigkeitsprinzipien liegen beim Vermeiden von Treibhausgasemissionen negative Pflichten vor 29 Ein gefahrlicher Klimawandel zu dem der Einzelne beitragt verursacht Schaden bis hin zu Menschenrechtsverletzungen 30 und dem vorzeitigen Tod Vieler 31 Fast alle moralischen Theorien bejahen eine negative Pflicht keinen Schaden zu verursachen Allerdings verursachen gegenwartig viele alltagliche Handlungen von denen manche kaum vermeidbar sind Treibhausgasemissionen entweder direkt etwa der motorisierte Verkehr oder indirekt etwa der materielle Konsum Wie weit reichen die Pflichten eigene Emissionen zu vermeiden ist es irgendwann zu viel verlangt Schwenkenbecher weist auf einen Unterschied zwischen Subsistenz und Luxusemissionen hin 32 Uber Subsistenzerfordernisse hinausreichende Emissionen liessen sich vermeiden oft bereits mit wenig Muhe und Aufwand Sie verweist ausserdem darauf dass dies auf regionaler bzw staatlicher Ebene sogar mit weiteren positiven Nebeneffekten einhergehen wurde etwa geringeren Gesundheitsrisiken durch Luftverschmutzung Eine weitere vorgeschlagene Grenze ist die langfristige Aufnahmekapazitat des Erdsystems ausser der Atmosphare und der Meere fur CO2 Dieses nachhaltige Mass bei der gegenwartigen Weltbevolkerungszahl und dem Zwei Grad Ziel liegt langfristig unter 1 2 t pro Person und Jahr 33 Sie ist Basis fur Lastenteilungsverfahren wie Kontraktion und Konvergenz Mittlerweile sind aber wegen weltweit steigender Emissionen und der Anreicherung von CO2 in der Atmosphare wahrscheinlich schon vorubergehend negative Emissionen notwendig also das Entfernen von Treibhausgasen aus der Erdatmosphare 34 Fruh und Hedahl nennen neben einer nachhaltigen Emissionsmenge pro Kopf noch Klimakompensation als eine weitere praktische Herangehensweise Indem man Klimaschutzprojekte an anderer Stelle finanziert kann man seine eigenen Emissionen ausgleichen Netto fuhrt das eigene Handeln bei langfristig wirksamen Kompensationsprojekten dann zu keinen hoheren Treibhausgaskonzentrationen Fruh und Hedahl befurchten dass fur arme Menschen auch diese Losung zu fordernd sein konnte wahrend reiche sich weiter einen emissionsintensiven Lebensstil leisten konnten Sie stellen zudem in Frage ob Kompensationsmassnahmen wirklich dem Prinzip gerecht werden anderen Menschen nicht aktiv durch eigenes Handeln zu schaden 35 Fruh und Hedahl schlagen daher ausserdem vor zwischen Pflichten traditioneller Gerechtigkeit und Pflichten systemischer Gerechtigkeit zu unterscheiden Traditionelle Rechte und Pflichten zwischen Personen sind Prima facie Pflichten sie bestehen sofort und mussen wenn dadurch nicht ein objektiv mindestens gleichwertiges Gut verletzt wird ohne Rucksicht auf die privaten Projekte des Verpflichteten erfullt werden Pflichten systemischer Gerechtigkeit liegen vor wenn der Schaden Nebeneffekt eines unkoordinierten aggregierten Handelns Vieler ist Solche Pflichten wurden dem Vorschlag gemass in Einzelfallen nicht entstehen wenn dadurch Projekte die fur die Identitat des Handelnden zentral sind unmoglich werden Beispielsweise kann die Flugreise eines Mekkapilgers der sich Klimakompensation nicht leisten kann wegen ihrer zentralen Rolle in seinem Leben und des systemischen Charakters der potentiellen Ungerechtigkeit moralisch erlaubt sein 35 Hohl und Roser vermuten fur die staatliche Ebene dass sich Emissionen auch uber das faire Mass hinaus ohne Uberforderung reduzieren liessen Staaten also nach dem Kooperationsprinzip auch fur Versaumnisse anderer einspringen konnten und mussten 36 Angesichts mangelnder Klimaschutzbemuhungen auf institutioneller Ebene stellt sich die Frage ob Murphys Kooperationsprinzip auf Individuen anwendbar ist und ihre Pflicht zur Emissionsminderung also auf das faire Mass begrenzt ist das sich ergeben wurde wenn alle Staaten ihren Pflichten nachkamen Schwenkenbecher verneint dies das Prinzip ist nicht uber verschiedene Typen moralischer Agenten Individuen Organisationen und Staaten anwendbar Es wird aber fur einzelne Personen umso leichter ihre Emissionen zu reduzieren wie es kollektive Anstrengungen hierzu gibt Schwenkenbecher sieht je nach den Moglichkeiten des Einzelnen zusatzliche Pflichten zu solch einem kollektiven Handeln beizutragen 37 Elizabeth Cripps meint dass Verursacher ihre Emissionen soweit reduzieren mussen bis im Sinn eines Nicht Schadigungsprinzips weitere Vermeidung ihnen selbst so viel Schaden zufugen wurde wie die Emissionen anderen zufugen wurden Eine Untergrenze sind hier moralisch signifikante Lasten die sie sehr eng definiert Die auch zeitweise Beeintrachtigung zentraler Lebens und sozialer Funktionen namlich Leben Gesundheit korperliche Integritat die Aufgabe von Familienzugehorigkeit und engen sozialen Beziehungen 38 Siehe auch BearbeitenEffektiver Altruismus eine Bewegung individuelle Ressourcen und Zeit optimal zur Forderung des Gemeinwohls einzusetzenLiteratur BearbeitenBrian McElwee Demandingness Objections in Ethics In The Philosophical Quarterly 15 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Demandingness In Timothy Chappell Hrsg The Problem of Moral Demandingness New Philosophical Essays 2009 Josh Milburn The demandingness of Nozick s Lockean proviso In European Journal of Political Theory 2014 doi 10 1177 1474885114562978 Liam Murphy The Demands of Beneficence In Philosophy amp Public Affairs 1993 Richard Miller Beneficence Duty and Distance 2004 Nach Sonderholm World poverty positive duties and the overdemandingness objection 2013 Brian Berkey Climate Change Moral Intuitions and Moral Demandingness In Philosophy and Public Issues Band 4 Nr 2 2014 So unter vielen Henry Shue Human rights climate change and the trillionth ton 2011 Schatzungen die von den Durchschnittsemissionen eines US Amerikaners in seinem Leben ausgehen kommen zu dem Ergebnis dass er damit kumuliert mindestens das Leben eines anderen Menschen um mehrere Monate verkurzt siehe Simone Rocca und Des Gasper Is An Individual s Impact on Health Harm via Climate Change Ethically Negligible Paper presented to CERES conference on The Right to a Sustainable Future June 30 Utrecht University 2014 eur nl PDF Womoglich kosten sie kumuliert sogar ein bis zwei Menschenleben siehe John Nolt How Harmful Are the Average American s Greenhouse Gas Emissions In Ethics Policy amp Environment Band 14 Nr 1 2011 doi 10 1080 21550085 2011 561584 Vgl auch Henry Shue Subsistence emissions and luxury emissions 1993 Stephen Mark Gardiner Ethics and Global Climate Change In Ethics Band 114 Nr 3 2004 doi 10 1086 382247 Pete Smith u a Biophysical and economic limits to negative CO2 emissions In Nature Climate Change 2016 doi 10 1038 nclimate2870 a b Kyle Fruh und Marcus Hedahl Coping with Climate Change What Justice Demands of Surfers Mormons and the Rest of us In Ethics Policy amp Environment Band 16 Nr 3 2013 doi 10 1080 21550085 2013 843378 Sabine Hohl und Dominic Roser Stepping in for the Polluters Climate Justice under Partial Compliance In Analyse amp Kritik Band 33 Nr 2 2011 Anne Schwenkenbecher Is there an 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