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Unter Zuschauereffekt auch Bystander Effekt englisch bystander effect auch non helping bystander effect oder Genovese Syndrom versteht man das Phanomen dass Augenzeugen eines Unfalls oder kriminellen Ubergriffs weniger oft eingreifen oder Hilfe leisten wenn weitere Zuschauer engl bystander Dabeistehender anwesend sind bzw hinzukommen Der Ausdruck Genovese Syndrom bezieht sich auf die US Amerikanerin Kitty Genovese die 1964 auf dem Weg zu ihrem Wohnhaus in New York City einem Mord zum Opfer fiel der sich uber etwa eine halbe Stunde hinzog und an verschiedenen Orten geschah Mindestens 38 Personen aus der Nachbarschaft sollen den Mord bemerkt und den Uberfall beobachtet haben ohne dass der jungen Frau jemand zu Hilfe kam Diese Annahme beruht allerdings auf einer Falschmeldung Aufgrund des Grundrisses des Gebaudes und der Tatsache dass jeder Angriff durch Genoveses Versuch ihrem Angreifer zu entkommen an einem anderen Ort stattfand war es keinem Zeugen moglich gewesen den gesamten Angriff mitzuverfolgen Die meisten horten nur Teile des Geschehnisses ohne den Ernst der Lage zu erkennen einige wenige sahen nur einen kleinen Teil des anfanglichen Ubergriffes und es gab keine Zeugen die die Vergewaltigung und den Angriff im ausseren Flur sahen der zu Genoveses Tod fuhrte Trotzdem veranlasste der Mord an Genovese die Psychologen John M Darley von der New York University und Bibb Latane von der Columbia University das Nichteingreifen der Zeugen wissenschaftlich zu untersuchen 1 Als Hauptursachen des Verhaltens identifizierten sie Aufteilung der Verantwortung und Pluralistische Ignoranz Die Arbeiten von Darley und Latane motivierten zu etlichen weiteren sozialpsychologischen Studien uber prosoziales Verhalten Forschungen zu den Grunden unterlassener Hilfeleistung betonen in starkem Masse auch die Bedeutung von Gruppenprozessen und Gruppendynamik Inhaltsverzeichnis 1 Theorien zur Ursache 2 Der 5 Stufen Prozess 2 1 Situation wahrnehmen 2 2 Situation interpretieren 2 3 Verantwortung ubernehmen 2 4 Entscheidung welche Hilfe erforderlich ist 2 5 Hilfe durchfuhren 3 Urban Overload Hypothese 3 1 Definition 3 2 Stanley Milgram 1970 3 3 Studie von Amato 3 4 Uberblicksstudie von Nancy Steblay 1987 3 5 Feldstudien von Robert Levine 1994 4 Kritik des Effekts 5 Siehe auch 6 Literatur 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseTheorien zur Ursache BearbeitenDie Notwendigkeit oder Dringlichkeit der Hilfeleistung kann von dem Umstehenden nicht eindeutig eingeschatzt werden Die Personen unterlassen Hilfeleistung weil sie befurchten dass sie sich blamieren wenn sie in einer Situation eingreifen die fur die betroffene n Person en nicht bedrohlich ist Bei einer grosseren Zahl von Umstehenden wird die Bereitschaft grosser die Situation nicht als Notfall einzuschatzen pluralistische Ignoranz Die anderen Umstehenden sehen offenbar auch keinen Notfall denn niemand sonst hat bisher eingegriffen 2 Bei einer grosseren Zahl von Umstehenden kommt es zu einer Verantwortungsdiffusion Verantwortungsteilung auf die Zahl der Zuschauer bezogen mit gleichzeitiger Abnahme der Eigenverantwortung Es wird darauf gewartet dass eine andere Person eingreift bzw den ersten Schritt einer Intervention wagt Nach der Reaktanz Theorie fuhlt sich eine um Hilfe gebetene Person von dieser Bitte in ihrer Entscheidungsfreiheit eingeengt Als Gegenreaktion wird sie dazu tendieren Hilfe zu verweigern Der 5 Stufen Prozess BearbeitenUm den Effekt des Nicht Handelns der Augenzeugen Bystander besser zu verstehen entwickelten Latane und Darley ein Entscheidungsmodell fur Hilfeverhalten model of bystander intervention 3 Das Modell umfasst funf Stufen die uber das Hilfeverhalten entscheiden Jede einzelne von ihnen muss erfolgreich durchlaufen werden damit eine Person Hilfe leistet Auf den Stufen 2 3 und 5 kann die Anwesenheit anderer Personen dazu fuhren dass sich die Wahrscheinlichkeit der Hilfeleistung verringert Die Tabelle erlautert die funf Stufen anhand einer Situation in der die Gefahr einer Vergewaltigung besteht Stufe Hindernis Einflusse1 Das Ereignis bemerken Das Ereignis wird nicht bemerkt Larm und andere Ablenkungen Konzentration auf das eigene Handeln2 Einschatzen der Situation als Eingreifen erforderlich Fehler bei der Einschatzung dass das Ereignis ein hohes Risiko darstellt Unklarheit bezuglich des Gefahrenpotenzials Untatigkeit weiterer Zeugen Pluralistische Ignoranz Ignorieren von Anzeichen fur eine strafbare Handlung3 Verantwortung ubernehmen Versagen bei der Ubernahme personlicher Verantwortung Unklarheit uber die Verantwortlichkeit Verantwortungsdiffusion Wahrscheinlichkeit wachst mit Anzahl der Personen 4 Entscheiden wie zu helfen ist Versagen beim Eingreifen aufgrund mangelnder Fahigkeit Aktionsignoranz nicht wissen was man sagen oder tun sollte um einzugreifen 5 Helfen Versagen beim Handeln Angst wegen der Konsequenzen Einschatzung ob Eingreifen die Situation verschlimmernd oder selbstgefahrdend Soziale Normen widersprechen EingriffSituation wahrnehmen Bearbeiten Bevor Hilfe geleistet werden kann muss die Person einen Notfall registrieren Die Wahrnehmung kann durch zeitliche und raumliche Trennung verhindert werden Auch die Lebhaftigkeit und Art des Notfalls kann die Wahrnehmungsmoglichkeit beeinflussen Es wurde gezeigt dass bei lebhaften Notfallen in 89 der Falle geholfen wird und bei nicht lebhaften Notfallen nur in 13 der Falle Eine weitere Studie zeigt dass die Wahrnehmung auch durch die eigene Stimmung beeinflusst werden kann McMillen Sanders und Solomon 1977 versetzten Teilnehmer in gute oder schlechte Stimmung durch die Ruckmeldung wie gut sie eine Aufgabe losten Wahrend einer weiteren Aufgabe haben sie dann die Reaktionen der Versuchspersonen auf ein Gerausch in unterschiedlicher Lautstarke beobachtet Diese Beobachtungen zeigen dass Menschen in guter Stimmung schon bei wenigen Dezibel auf ein Gerausch reagieren und somit einen Notfall unter Umstanden viel fruher wahrnehmen konnen McMillen Sanders und Salomon fuhrten die Studie zusatzlich in einer abgewandelten Form durch Die Voraussetzung ob gute oder schlechte Stimmung wird wie in Studie 1 hergestellt Im zweiten Durchgang wurde die Hilfsbereitschaft beobachtet Auch hier zeigt sich dass Menschen in guter Stimmung eher und ohne Aufforderung helfen Darley und Batson 1973 legten einen scheinbar verletzten Menschen an die Strassenseite und beobachteten das Hilfsverhalten von Theologiestudenten die zu einem Seminar gingen Selbst wenn sie im Seminar uber das Thema Der barmherzige Samariter zu referieren hatten hatte Zeitdruck einen viel grosseren Einfluss auf das Hilfeverhalten Von den Studenten die unter Zeitdruck gesetzt wurden halfen dem Opfer nur 4 jene die unter keinem Zeitdruck standen zu 63 4 Situation interpretieren Bearbeiten Nachdem die Situation wahrgenommen wurde muss sie auch als Notfall interpretiert werden Erst dann kann die Person die nachsten Stufen durchlaufen Dies ist meist situationsabhangig Ist ein Notfall eindeutig wie ein Autounfall kann er leichter als Notfall interpretiert werden Eine weitere Studie von Latane und Darley 1970 versucht aufzudecken inwiefern sich Menschen in einer unklaren Situation durch die Handlung anderer Menschen beeinflussen lassen sog informativer sozialer Einfluss Die so genannte Rauchstudie untersucht wie die Versuchspersonen auf Rauch reagieren der durch einen Turspalt in den Raum eindringt Die Personen werden verschiedenen Bedingungen zugeordnet Entweder sitzen sie alleine im Raum mit zwei weiteren Teilnehmern oder zwei Strohmannern In der ersten Bedingung melden 75 den Rauch in der zweiten Bedingung nur noch 38 Allerdings melden in der letzten Bedingung in der zwei Strohmanner anwesend sind welche den Rauch ignorieren nur noch 10 der Versuchspersonen den Rauch Diese Beobachtungen lassen erahnen wie sehr das Verhalten anderer das eigene Verhalten beeinflusst Dieses Phanomen dass Personen auch aus dem Nicht Handeln anderer Bystander schliessen dass es sich nicht um einen Notfall handelt nennt man Pluralistische Ignoranz Verantwortung ubernehmen Bearbeiten Wurde die Notfallsituation erkannt muss der Bystander personlich Verantwortung ubernehmen um eingreifen zu konnen Oft drucken sich Personen in dem Glauben dass andere besser qualifiziert seien Das Verantwortungsgefuhl nimmt in der Regel ab je hoher die Anzahl der Zuschauer ist Dieses Phanomen nennt man auch Verantwortungsdiffusion Moriarty 1975 zeigte diesen Effekt in seiner Studie Er untersuchte an einem Strand das Verantwortungsgefuhl von Personen In der einen Versuchsbedingung bat man die Strandbesucher explizit auf Sachen aufzupassen und in der Kontrollgruppe wurde lediglich darauf aufmerksam gemacht dass der Strohmann sein Handtuch verlasst Daraufhin klaute in beiden Bedingungen ein weiterer Strohmann ein Radio von dem unbeaufsichtigten Handtuch Es zeigt sich in den Ergebnissen dass Menschen sich verantwortlicher fuhlen wenn sie die Verantwortung personlich ubertragen bekommen denn unter dieser Bedingung helfen circa 94 und in der anderen nur 20 Entscheidung welche Hilfe erforderlich ist Bearbeiten Selbst wenn nach den ersten drei Schritten feststeht dass man helfen mochte wissen Menschen oft nicht wie Die Entscheidung welche Hilfe notwendig ist hangt von der Kompetenz und Erfahrung ab Shotland und Heinold 1985 zeigten in ihrer Studie dass Menschen die einen Erste Hilfe Kurs gemacht haben weitaus effizienter helfen konnen Auch der Schock kann bewirken dass eine Person nicht entscheiden kann was zu tun ist Eine Studie von Clark amp Word 1974 zeigte ebenfalls dass Wissen oder Kompetenz einen Einfluss auf die Effektivitat des Hilfeverhaltens haben Sie verabreichten einer Person im Beisein der Versuchsperson angeblich einen elektrischen Schock indem die Person ein elektrisches Drahtseil anfasst Menschen mit geringem oder fehlenden Wissen uber Elektrizitat rannten meist impulsiv zum Opfer und beruhrten es Dieses Verhalten hilft dem Opfer allerdings uberhaupt nicht sondern bringt den Helfer in die gleiche Gefahr und kann unter Umstanden zum Tod fuhren Hilfe durchfuhren Bearbeiten Bevor Zeugen Hilfe durchfuhren wagen sie haufig potentielle Kosten der Hilfeleistung ab Viele Menschen haben Angst sich strafbar zu machen Manchmal muss sich der Zeuge auch selber in Gefahr bringen Aber auch Scham oder die Angst etwas falsch zu machen konnen Grunde sein warum Personen nicht helfen Die Angst einer Person vor anderen einen schlechten Eindruck zu machen steigt mit der Anzahl der anwesenden Personen nennt man audience inhibition Urban Overload Hypothese BearbeitenDefinition Bearbeiten Menschen die in Stadten leben werden von Reizen bombardiert wobei sie um einen overload Uberfrachtung mit Reizen zu vermeiden eher fur sich alleine bleiben Stanley Milgram 1970 Bearbeiten Milgram geht davon aus dass der Ort an dem sich eine Person aufhalt ausschlaggebend fur ihr Verhalten sei Der so genannte urban overload fuhrt dazu dass Personen sich mehr auf sich konzentrieren damit sie sich in Grossstadten uberhaupt zurechtfinden konnen Dieses Schutzverhalten wirkt sich allerdings negativ auf das Miteinander in der Grossstadt aus Hilfeverhalten oder das Interesse fur seine Mitmenschen schrankt der Mensch in diesem Fall ein allerdings nicht aus boser Absicht sondern zum Selbstschutz Milgram vermutet aber dass dieses Verhalten nur auf den Ort beschrankt ist an dem man sich aufhalt Ein Mensch aus der Grossstadt wird in einer Kleinstadt ebenfalls hilfsbereiter sein genau wie jemand der in einer Grossstadt zu Besuch ist sich entsprechend der Urban Overload Hypothese verhalten wird Studie von Amato Bearbeiten In einer Studie von P R Amato 1983 zeigte sich wie unterschiedlich das Hilfeverhalten zwischen Grossstadtern und Kleinstadtern gegenuber einem auf der Strasse gesturzten Mann ist Es zeigt sich dass in den Kleinstadten uber 50 der Zeugen halfen und in der Grossstadt lediglich 15 Amato fuhrt diesen Unterschied anders als Milgram auf die Personlichkeitsbildung zuruck Er glaubt nicht dass der Ort an dem ein Mensch sich befindet ausschlaggebend sei sondern der Ort an dem dieser aufgewachsen ist In landlichen Gegenden wurde die Ausbildung einer altruistischen Personlichkeit gefordert und die Netzwerke seien familiarer und nicht so anonym Diese Verbundenheit und Personlichkeitspragung macht Amato fur die Ergebnisse seiner Studie verantwortlich Uberblicksstudie von Nancy Steblay 1987 Bearbeiten In Situationen in denen Hilfe notwendig ist kommt es darauf an wo sich diese Begebenheit abspielt nicht welche Menschen anwesend sind 5 Feldstudien von Robert Levine 1994 Bearbeiten Bevolkerungsdichte korreliert mehr mit dem Hilfeverhalten als die Einwohnerzahl 6 Kritik des Effekts Bearbeiten2019 erschien eine Untersuchung auf der Grundlage von 219 Aufnahmen von offentlichen Kameras die zeigten dass in 91 der beobachteten Falle Opfern von Gewalt und Aggressivitat geholfen wurde 7 8 Ein Bericht von SWR 3 behauptet dass in dieser Studie ausdrucklich nicht der Zuschauereffekt untersucht worden ware 9 Es deutet jedoch nichts darauf hin dass der Sender hier korrekt recherchiert hat Die Studie schrankt lediglich ein dass die Situation in New York wohl eine andere ware dort konne man weniger haufig mit Hilfe rechnen Siehe auch BearbeitenZivilcourage FreiwilligendilemmaLiteratur BearbeitenAronson et al 2004 Kap 11 S 422 428 Kapitel 3 The Context S 65 85 Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Schaulustiger Sammlung von Bildern Videos und Audiodateien Zuschauer Effekt gibt es auch bei Ratten auf n tv vom 9 Juli 2020Einzelnachweise Bearbeiten Archivlink Memento vom 13 Mai 2015 im Internet Archive Originalartikel von Latane und Darley pdf Robert Cialdini Die Psychologie des Uberzeugens 2008 ISBN 978 3 456 84478 7 S 133 englisch Influence The Psychology of Persuasion Zitat everyone is likely to see everyone else looking unruffled and failing to act As a result and by the principle of social proof the event will be roundly interpreted as a nonemergency Latane B amp Darley J M 1970 The Unresponsive Bystander Why Doesn t He Help Century Psychology Series New York Appleton Century Crofts Darley amp Batson 1973 From Jerusalem to Jericho A study of situational and dispositional variables in helping behavior Journal of Personality and Social Psychology 27 S 100 108 N M Steblay 1987 Helping behavior in rural and urban environments A meta analysis Psychological Bulletin 102 S 346 356 R V Levine et al 1994 Helping in 36 U S cities Journal of Personality and Social Psychology 67 S 69 82 Bystander Effect Debunked In 91 Of Real World Cases Someone Helps Abgerufen am 28 Juni 2019 R Philpot L S Liebst M Levine W Bernasco M R Lindegaard Would I be helped Cross national CCTV footage shows that intervention is the norm in public conflicts In American Psychologist Band 75 Nummer 2020 S 66 75 doi 10 1037 amp0000469 Studie zu Zivilcourage Die meisten Menschen helfen in Notsituationen SWR 3 16 Februar 2020 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Zuschauereffekt amp oldid 238884130