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Der Friedhof in Prag OT Il cimitero di Praga ist der sechste Roman von Umberto Eco Er erschien 2010 die deutsche Ubersetzung von Burkhart Kroeber kam im Oktober 2011 im Carl Hanser Verlag heraus Der Titel Der Friedhof in Prag bezieht sich auf die Legende dass der jahrhundertealte judische Friedhof in Prag seit jeher ein beliebter Treffpunkt fur Spione und Agenten gewesen sei die angeblich dort Plane zur Beherrschung der Welt vereinbart hatten In Ecos Roman geht es um die Entstehung und Verbreitung von Verschworungstheorien und die Wirksamkeit des lediglich Behaupteten vor dem Hintergrund der Leichtglaubigkeit der Menschen im 19 Jahrhundert und spater Inhaltsverzeichnis 1 Handlung 2 Erzahlhaltung 3 Simoninis Personlichkeit 4 Fiktion und Wirklichkeit 5 Themen und Motive aus Ecos Romanen 6 Rezeption 7 Editionen 8 Weblinks 9 EinzelnachweiseHandlung BearbeitenDer Protagonist aus dessen Sicht heraus die Handlung uberwiegend dargestellt wird ist der fiktive 1830 in Turin geborene Simon Simonini ein Jurist der seine Karriere mit dem Falschen von Testamenten beginnt Sein einschlagiges Talent bringt ihn in Kontakt mit diversen Geheimdiensten die ihn an die Schauplatze der italienischen und der franzosischen Politik im 19 Jahrhundert fuhren und zu deren geheimen Drahtzieher machen Von Turin aus fuhren Simonini seine Beschaftigungen an der Seite von Alexandre Dumas und im Gefolge der Freischarler Giuseppe Garibaldis nach Sizilien spater nach Munchen und nach Paris wo er die langste Zeit seinen Wohnsitz hat Simonini erlebt als eine Art Forrest Gump des 19 Jahrhunderts 1 zentrale Ereignisse seiner Zeit Der judische Hauptmann Dreyfus verkauft angeblich geheime Papiere an die deutsche Botschaft Dreyfus Affare 2 piemontesische franzosische und preussische Geheimdienste schmieden noch geheimere Plane Freimaurer Jesuiten und Revolutionare werden in Simoninis Dokumenten als Verschworer aktiv und am Ende tauchen zum ersten Mal die Protokolle der Weisen von Zion auf ein gefalschtes Dokument fur die judische Weltverschworung zu denen Simonini entscheidende Vorlagen liefert Die Handlung endet mit dem Plan eines Bombenanschlags auf die im Bau befindliche Pariser U Bahn den Simonini selbst auszufuhren gedenkt eine Tat die ihn mit einem Schlag wieder jung machen soll bei deren Durchfuhrung er aber vermutlich stirbt Das lasst sich daraus schliessen dass der Roman mit der Ankundigung dieses Vorhabens endet nachdem Simonini alkoholisiert und euphorisiert die letzten Anweisungen seines Bombenbastlers in den Wind schlagt Ecos deutscher Ubersetzer Burkhart Kroeber gibt Simoninis Lebenszeit im Anhang des Buchs mit 1830 1898 an Erzahlhaltung BearbeitenDie Aufgabe die Handlung zu erzahlen hat der Autor auf drei verschiedene Rollentrager ubertragen auf Simon Simonini als Ich Erzahler der ein Tagebuch fuhrt auf den Abbe Dalla Piccola der Simoninis Beitrage erganzt weiterfuhrt und mit Simonini teilweise in eine Art schriftlichen Dialog eintritt sowie einen anonymen Erzahler der auf einer Metaebene die Tagebucheintragungen kommentiert und erganzt Hintergrund der Erzahltechnik ist der Versuch Simoninis eine Amnesie zu uberwinden die einen Grossteil seiner Erinnerung ausgeloscht hat Dabei folgt er der Empfehlung des jungen Nervenarztes Doktor Froide d h Sigmund Freuds den er in Paris kennengelernt hat durch Aufschreiben dessen woran er sich erinnert sein Gedachtnis wiederzuerlangen Es stellt sich heraus dass ihm der Abbe dem er merkwurdigerweise nie personlich begegnet standig in die Quere kommt Schon fruh kommt Simonini der Verdacht dass Dalla Piccola eine zweite Identitat seiner selbst sein konnte dass er mithin eine dissoziative Identitatsstorung habe Dieser Verdacht bestatigt sich endgultig kurz vor Schluss des Romans und nachdem Simonini seine Identitat mit dem Abbe erkannt hat tritt dieser nicht mehr als Erzahler auf Die letzte Einsicht Simoninis besteht in den Worten I ch bin doch nicht schon gaga Simoninis Personlichkeit BearbeitenTatsachlich hat Simon Simonini am Schluss des Romans keineswegs die tiefgreifende Personlichkeitsstorung uberwunden die ihn sein ganzes Leben lang pragt Am starksten beeinflusst hat den Protagonisten der dominante Grossvater vaterlicherseits Dieser Anhanger des Ancien Regime der noch im 19 Jahrhundert Culotten tragt hasst alle Juden ihnen gibt er die Schuld an allen von ihm negativ bewerteten Vorgangen Diesen Antisemitismus ubertragt der Grossvater auf den Enkel Um ihn vor falschen Einflussen zu schutzen sorgt er dafur dass Simon Einzelunterricht durch Jesuiten erhalt Simons Vater dessen Einfluss auf die Erziehung seines Sohnes sich allerdings in Grenzen halt verachtet seinerseits die Jesuiten und ist ein gluhender Anhanger der staatlichen Einheit Italiens fur die er kampft und stirbt Der Grossvater wiederum halt uberhaupt nichts vom aufkommenden Nationalismus zumal in seinem Haus nicht nur Simons Mutter einer geburtigen Savoyerin wegen uberwiegend Franzosisch gesprochen wird wodurch es dem Jungen schwerfallt sich zu einer von zwei Nationen der italienischen oder der franzosischen zu bekennen Spater fallt es ihm schwer in den Sizilianern die er bei seiner ersten Mission im Auftrag des piemontesischen Geheimdienstes aufsucht und deren Dialekt er nur schwer versteht Landsleute zu sehen Die Erziehung zum Hass durch den Grossvater die Verklemmtheit seiner Privatlehrer und die Isolierung von Gleichaltrigen machen Simon zu einem Sonderling der mit seinen Mitmenschen nicht recht warm werden kann der Frauen hasst und aus dieser Not eine Tugend macht Als Ersatz fur Sexualitat dient ihm das Essen das er genusslich zelebriert immer wieder sind Rezepte aus der italienischen und franzosischen Haute Cuisine in seine Erzahlungen eingeflochten Gemass seiner Selbstreflexion am Anfang des Romans hasst und verachtet Simonini fast alle seine Mitmenschen genannt werden u a Juden Jesuiten Freimaurer Deutsche Franzosen Italiener die er in teilweise im 19 Jahrhundert ublichen stereotypen Bildern beschreibt Simonini glaubt zwar als Erwachsener uber den Dingen und auch uber dem Gesetz zu stehen wird aber letztlich zum Opfer seiner Verklemmtheit und seines Amoralismus Er ist fur mehrere Morde verantwortlich und damit erpressbar und er wird nicht mit dem Trauma fertig dass ihn eine psychisch gestorte sexuell zugellose Halbjudin wahrend einer Schwarzen Messe verfuhrt Dass er der fanatische Judenhasser bei dieser Gelegenheit einen Juden gezeugt haben konnte bringt Simonini um den Verstand Fiktion und Wirklichkeit BearbeitenIn Ecos Roman beruhen die meisten Behauptungen die Romanfiguren aufstellen auf nicht beweisbaren Vorurteilen und der ungepruften Ubernahme von Geruchten Viele der Figuren haben nachweislich wirklich gelebt und zwar unter den im Roman verwendeten Namen Die Hauptfigur Simon Simonini hat es aber vermutlich nie gegeben Die Idee fur die Namensgebung erhielt der Autor durch einen Hinweis auf eine Warnung durch einen Hauptmann Simonini von der Abbe Barruel ein Verschworungstheoretiker in seinem Hauptwerk schreibt welches in Ecos Roman zitiert wird Die im Roman erwahnten Ereignisse die im 19 Jahrhundert fur Schlagzeilen sorgten hat Umberto Eco realitatsnah beschrieben Themen und Motive aus Ecos Romanen BearbeitenEco hat den Hauptmann Simonini die Protokolle der Weisen von Zion und andere Personen und Motive schon vorher namlich in seinem Roman Das Foucaultsche Pendel in den Kapiteln 91 96 behandelt Allerdings ordnet er dort die Protokolle in seine Templer Verschworung ein In Der Friedhof in Prag wird die Geschichte erneut aufgerollt aber mit deutlich anderer Wendung Rezeption BearbeitenDer Roman fand ein geteiltes Echo In der Welt lobte der Rezensent Ecos Technik der Spannungserzeugung hierin sei er genauso gut wie jeder Groschenheftautor und den hintersinnigen Witz mit dem er seine eigene poststrukturalistische These vom Tod des Autors im Roman unterbringe Bei aller Unterhaltsamkeit gehe es ihm aber letztlich um einen hochmoralischen Zweck Es geht ihm um Aufklarung 3 Der Oberrabbiner von Rom Riccardo Di Segni lobte die wunderbare Weise in der Eco die Geschichte der Falschung der Protokolle der Weisen von Zion aufgezeichnet hatte befurchtete aber dass die ausfuhrlich ausgebreiteten antisemitischen Lugen von unbedarften Lesern geglaubt werden konnten 4 Ahnliche Vorwurfe erhob die italienische Historikerin Anna Foa im Osservatore Romano 5 Die Rezensentin der taz fand dagegen die Antisemitismusvorwurfe abwegig da Simoninis judenfeindliche Tiraden allzu widerspruchlich und ganz deutlich Spiegelungen seiner selbst seien das Problem liege viel eher darin dass sich Eco nicht habe entscheiden konnen ob er ein Psychogramm des antisemitischen Falschers oder eine Analyse der Gesellschaft liefern wolle in der solche Falschungen geglaubt wurden Als eigenstandiger Roman sei Der Friedhof in Prag schwer verdaulich wenn er auch in der Weiterentwicklung von Themen seit dem Namen der Rose und dem Foucaultschen Pendel werkgeschichtlich von Interesse sei 6 Gustav Seibt befand in der Suddeutschen Zeitung der Roman vermoge als Literatur nicht zu uberzeugen weil seine besten Pointen aus den Quellen stammen 7 Editionen BearbeitenIl cimitero di Praga Bompiani Milano 2010 ISBN 978 88 452 6622 5 Originalausgabe Der Friedhof in Prag Deutsch von Burkhart Kroeber Hanser Munchen 2011 ISBN 978 3 446 23736 0 dtv Munchen 2013 ISBN 978 3 423 14227 4 Der Friedhof in Prag Der Horverlag Munchen 2011 ISBN 978 3 86717 793 1 Ungekurzte Horbuchausgabe gelesen von Jens Wawrczeck und Gert Heidenreich Weblinks BearbeitenUmberto Eco Wiki Wiki uber Der Friedhof in Prag auf deutsch und englisch Der Zettelkasten des Weisen von Mailand Frankfurter Allgemeine Zeitung 5 Oktober 2011 Rezension von Jurgen Kaube Weltkarriere einer Falschung Judische Allgemeine 27 Oktober 2011 Rezension von Christoph GutknechtEinzelnachweise Bearbeiten Hannes Stein Ecos Mythos von der judischen Weltverschworung Die Welt 10 Oktober 2011 Rezension Der Friedhof in Prag Der neue Roman von Umberto Eco Memento vom 3 August 2012 im Webarchivarchive today In Radio Bayen 2 4 Oktober 2011 Hannes Stein Ecos Mythos von der judischen Weltverschworung In Die Welt vom 10 Oktober 2011 online Zugriff am 22 Juli 2012 zitiert nach Christoph Gutknecht Der Friedhof in Prag Weltkarriere einer Falschung In Judische Allgemeine vom 27 Oktober 2011 Abgerufen am 7 Januar 2012 zitiert in Paul Badde Umberto Eco in der Schusslinie In Die Welt vom 5 November 2011 Abgerufen am 15 Oktober 2011 Christiane Pohlmann Mit padagogischer Absicht In taz vom 22 Oktober 2011 online Zugriff am 22 Juli 2012 Gustav Seibt Der Friedhof in Prag von Umberto Eco In Suddeutsche Zeitung vom 7 Oktober 2011 Abgerufen am 15 Oktober 2011 Romane von Umberto Eco Der Name der Rose Das Foucaultsche Pendel Die Insel des vorigen Tages Baudolino Die geheimnisvolle Flamme der Konigin Loana Der Friedhof in Prag Nullnummer Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Der Friedhof in Prag amp oldid 192642256