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Der Dekan Aus Spencer C Spencers hinterlassenen Papieren Gesammelt und herausgegeben von Dr Elizabeth Ney Bibliothekarin am Humanities Research Center The University of Texas at Austin ist ein Roman von Lars Gustafsson Die schwedische Ausgabe erschien erstmals unter dem Titel Dekanen im Jahr 2003 die deutsche Ubersetzung von Verena Reichel 2004 im Carl Hanser Verlag unter der ISBN 3 446 20530 6 Der Verlag bezeichnete das Werk als einen philosophischen Thriller uber das Bose 1 Inhaltsverzeichnis 1 Inhalt 1 1 Rahmenhandlung 1 2 Spencers Bericht 2 Motive 2 1 Macht und Nichts 2 2 Die Natur 2 3 Schlaf und Tod 3 Literarische und biographische Bezuge 4 Kritiken 5 EinzelnachweiseInhalt BearbeitenRahmenhandlung Bearbeiten Wie schon in Der Tod eines Bienenzuchters gibt Gustafsson vor dass die Aufschriebe des eigentlichen Erzahlers nach dessen mutmasslichem aber nicht bestatigten Tod von einer dritten Person herausgegeben worden sind Spencer C Spencer einst Dozent spater ausserordentlicher Dekan an der University of Texas hat an einem hektischen Nachmittag 2 uber den nichts Naheres berichtet wird seine Bankkonten geleert und sich in ein Motel in der Chihuahua Wuste zuruckgezogen wo er unter dem Vorwand geologische Forschungen zu betreiben offenbar unter falschem Namen lebt Hier verfasst er ein Manuskript uber die zuruckliegenden Jahre das er zunachst im Sekretar seines Zimmers verwahrt das jedoch spater unter dem Reserverad seines verlassenen Wagens gefunden wird durch Feuchtigkeitsschaden zum Teil unleserlich geworden und wie Gustafsson die fiktive Herausgeberin im Juni 2002 vermuten lasst auch von vornherein unvollstandig Spencer selbst bleibt verschwunden Der Roman ist also als Fragment angelegt und stellt den Leser bewusst vor Leerstellen Spencers Bericht Bearbeiten Spencer C Spencer hat als er den Dekan Paul Chapman kennenlernt bereits vier Jahre an der Universitat in Austin unterrichtet Er ist von Haus aus Philosoph gibt jedoch auch Kurse uber Schreiben und Literatur Eines Tages wird er zum Dekan gerufen der ihm das Angebot macht als ausserordentlicher Dekan zu arbeiten eine glanzvolle Stelle die Spencer von dem Angebot uberrumpelt annimmt obwohl er vorher nie an eine solche Umorientierung gedacht hat Schon in dem kurzen Gesprach in Chapmans Buro wird deutlich dass er von nun an zwei Rollen zu spielen hat Einerseits sind die Dekanatsaufgaben zu erledigen andererseits wird er zum jederzeit verfugbaren Zuhorer und Gesprachspartner fur den Dekan Dies wird schon in dem ersten Gesprach zwischen den beiden deutlich Chapman geht auf Spencers Condillac Forschungen ein und entwirft ein Gegenbild Wahrend Condillac das Bild einer Statue erdacht hat die nach und nach mit Sinneswahrnehmungen ausgestattet wird und immer differenziertere Begriffe von sich und der Welt gewinnt denkt Chapman an eine Figur die nach und nach reduziert wird bis sie sich ein blosser Duft nicht mehr von der sie umgebenden Welt unterscheidet Spencer findet diese Vorstellung melancholisch ohne zu ahnen dass ihm ein ahnliches Schicksal bevorsteht Im Verlauf des Gesprachs fallt die Aussage er sei eigentlich Atheist was dem Dekan offenbar gefallt nbsp Aus Piranesis Zyklus Carceri d InvenzioneNachdem Spencer sein Aufgabenfeld gewechselt hat liegt ihm daran sich uber die Person seines Vorgesetzten ein Bild zu machen In dessen geraumigem und sonnigem Buro ist ihm zunachst der Wandschmuck ins Auge gesprungen auffallend gute Abzuge von Piranesis Gefangnissen den Carceri d Invenzione Auch der Rest der Ausstattung ist gediegen und Professor Chapman selbst wie stets im tadellosen Anzug tragt eine Krawatte vom King s College in Cambridge Der Dekan Sohn eines Fussballtrainers hat ein bewegtes Leben hinter sich Vor die Entscheidung gestellt in den Vietnamkrieg zu gehen oder den Rest seines Lebens als Deserteur im neutralen Schweden zu verbringen hat er sich fur den Krieg entschieden brachte es bis zum Hauptmann und trug bei einer Verletzung durch Granatsplitter eine Querschnittlahmung davon Diese hindert ihn allerdings nicht unverhofft uberall in der Stadt und der Gesellschaft aufzutauchen Uber sein Privatleben erfahrt Spencer nicht viel doch offenkundig kennt Chapman zahlreiche einflussreiche Menschen und hat viele Bewunderer In der Universitat kann er seinen Willen und seine Etatwunsche stets durchsetzen und hat grosse Autoritat ausserhalb des Universitatslebens fallen besonders seine donnerstaglichen Besuche in einer Buchhandlung auf in der ein heterogener Kreis von Menschen sich trifft und Experimente mit Fliegenpilzen macht Einige Mitglieder dieser Gruppe sind anscheinend wie auch Chapman Vietnamveteranen und haben moglicherweise auch andere Drogenerfahrungen Ziel dieser Versuche ist offenbar die Verbindung mit der Unterwelt Spencer versucht Informationen uber Chapman von dessen vier Sekretarinnen zu erfahren Doch nur mit zweien Susan und Gertrude tritt Spencer in nahere Beziehungen ein Susan ist eine eher unkomplizierte Frau die ihm die eine oder andere Information ubermittelt Gertrude dagegen eine ausserlich kuhl und reserviert auftretende Schonheit lasst sich auch in einer intimen Situation nichts entlocken Sie scheint mit dem Dekan in enger Beziehung zu stehen und behandelt Spencer am Tag nach der Liebesnacht als sei nichts geschehen Eine weitere Frau die mit Chapman in Verbindung steht ist die Studentin Mary Elizabeth Sie ist zunachst wenn auch unregelmassig in einem von Spencers Seminaren erschienen und hat sich dann auch in den Sprechstunden Rat bei ihm geholt Mary Elizabeth mochte in einer Erzahlung den Faust Stoff neu bearbeiten und gerat mit Spencer in eine Debatte uber die Hauptperson dieses Werks Nachdem die beiden festgestellt haben dass Faust eigentlich eine hochst mittelmassige im Grunde leere Seele hat beschliessen sie ihn in dieser Neufassung als zunachst erfolglosen Fussballtrainer erscheinen zu lassen Schwieriger erscheint ihnen die Gestaltung des Mephisto zumal der Gedanke aufkommt ihn durch eine weibliche Versucherin zu ersetzen Mary Elizabeth ist nicht nur an der Universitat tatig sondern arbeitet auch in der erwahnten Buchhandlung Eines Nachmittags schickt der Dekan Spencer in die Buchhandlung um sich dort ein Buch zu beschaffen von dem Chapman meint er solle es lesen Es handelt sich um ein Werk einer verschollenen Lokalgrosse des Schriftstellers Anthony Travis Winnicott Chapman hat Spencer in den Laden geschickt damit er sich das Buch Die Pilzgottin und ihre Sohne holt das offenbar mit dem in seinen Kreisen betriebenen Schamanismus zu tun hat Doch auch der Titel Die Karten zerfallen in der Feuchtigkeit wird im Verkaufsgesprach erwahnt Dieser Titel taucht spater wieder im Mund des Dekans auf als er von seinen Einsatzen in Vietnam und den im dortigen Klima zerfallenden durch Schimmelbildung neue Landschaften zeigenden und damit Desorientierung hervorrufenden Landkarten erzahlt Ein weiterer Titel Winnicotts Geh leise Sprich nicht mit den Fliegen scheint in seinem Titel nicht nur auf die Fliegenphobie des Dekans hinzuweisen die er vielleicht aus Vietnam mitgebracht hat sondern handelt auch wie Piranesis Carceri von der Gefangenschaft durch Illusion Mary Elizabeth weist Spencer noch auf ein weiteres Werk Winnicotts hin in dem es um einen Geheimagenten geht der sich ins Umfeld eines islamischen Diktators einschleichen soll dessen rechte Hand werden und ihn schliesslich ermorden soll Den Auftrag dazu erhalt er in einer Bibliothek Gewisse Parallelen zu dem Einstellungsgesprach Spencers bei Chapman und zu seiner weiteren Arbeit tun sich auf Angedeutet wird dass die Bucher nicht von dem verschwundenen Winnicott sondern von Chapman selbst geschrieben sein konnten Mary Elizabeth hat die Eigenheit immer wieder uber langere Zeitabschnitte zu verschwinden Einmal verliert Spencer sie fur drei Jahre aus den Augen und findet sie zufallig an einer Bushaltestelle wieder als sie gerade eine Krise durchzumachen scheint Er nimmt sie mit nach Hause und sie wird zu seiner Geliebten Doch bald darauf verliert er sie an seinen Cousin Derek Spencer der es in der IT Branche zu einem Millionenvermogen gebracht hat Der offenbar allwissende Dekan spricht Spencer eines Tages auf die Situation an Aber fugte er ganz uberraschend hinzu Da wir gerade von de Sade sprechen wollte ich Sie fragen ob Sie Ihre Freundin immer noch mit diesem Cousin teilen Ich war gelinde gesagt perplex Mir war schleierhaft wie er uber meine privaten Verhaltnisse so viel wissen oder uberhaupt eine Ahnung davon haben konnte Oder wenn man so will Missverhaltnisse Wer konnte getratscht haben Ich glaube schon antwortete ich Im selben Moment wurde ich mir naturlich meiner Dummheit bewusst Warum sollte ich verpflichtet sein auf eine solche Frage zu antworten Warum antwortete ich nicht einfach ganz hoflich ich hatte nicht den leisesten Schimmer wovon der Dekan spreche Doch er fuhr fort ebenso ruhig dozierend wie er angefangen hatte Eins durfen wir nicht vergessen Wir leben in einer vollkommen amoralischen Zeit 3 Im Verlauf des Gesprachs macht Chapman nicht zum ersten Mal deutlich dass er die Welt fur schlecht und das Bose fur gegeben halt Im Diesseits wurden Verbrechen entweder gar nicht oder nur in lacherlichem Verhaltnis zur Schwere der Tat bestraft Als Beispiel fuhrt er unter anderem Hitler an dessen Selbstmord im Vergleich zu dem Unheil das dieser Mann uber die Welt gebracht habe nicht ins Gewicht falle Im Grunde sei eine andere Welt notwendig als die vorhandene Spencer der immer noch verwirrt durch Chapmans Kenntnisse uber sein Privatleben ist kann Chapmans spekulativen Gedankengangen kaum folgen Doch den Appell am Schluss des Gesprachs uberhort er nicht Wenn ihn die Eifersucht wirklich so quale und ihm an dem Madchen etwas liege solle er sich seinen Cousin vorknopfen 4 Bei einem gemeinsamen Angelausflug macht der Dekan Spencer das Angebot ihm in dieser Angelegenheit zu helfen allerdings unter der Bedingung dass Spencer ihm selbst einen ahnlichen Gefallen tue uber die Sache werde anschliessend nie wieder geredet 5 Zu diesem Zeitpunkt wird der Dekan durch einen Besucher beunruhigt der unverhofft an der Universitat aufgetaucht ist Er nennt sich Douglas Melvin Smith und behauptet Chapman aus der Zeit in Vietnam zu kennen Er will ihn fur ein Buchprojekt uber den Umgang mit der Wahrheit im Vietnamkrieg interviewen Chapman jedoch legt keinerlei Wert auf diesen Kontakt nbsp Helikopter in Vietnam 1966Er hat Spencer einmal erzahlt wie es zu seiner Verwundung kam Das Geschwader war auf einer angeblich unbedrohten Lichtung gelandet doch im Dschungel entdeckten die Manner dann die niedergemetzelte Bevolkerung eines ganzen Dorfes Jemand musste also dem Bataillon zuvorgekommen sein Ausserdem war offensichtlich der Plan in der Lichtung zu landen verraten worden Beim Versuch sich einen Uberblick von der Lage zu verschaffen wurde Chapman beschossen und sein Ruckenmark verletzt Er schwor sich den Verrater zu bestrafen falls er seiner jemals habhaft werden sollte Zufallig entdeckte er ihn als er noch in Vietnam im Lazarett lag und hat ihn zusammen mit einem Freund eliminiert Offenbar weiss Smith von dieser Sache und konnte Chapman gefahrlich werden Spencers luckenhaften Aufzeichnungen ist nicht zu entnehmen was nach dem Gesprach am Fluss im Einzelnen geschehen ist doch vermutlich hat er seinem Vorgesetzten den Gefallen getan und Smith beseitigt sofern jedenfalls jener Fremde am Fluss der gegenuber der von Chapman bevorzugten Stelle Karpfen zu fangen pflegte uberhaupt mit Smith identisch ist Spencer hat sich mit einem Gewehr mit Zielfernrohr des Problems angenommen 6 Inzwischen ist Derek spurlos verschwunden was lange nicht weiter auffallt da Derek stets von einer Sitzung oder Filiale zur anderen gereist ist uberall erst im letzten Augenblick eingetroffen und eigentlich nie wirklich zu orten war Mary Elizabeth scheint kommentarlos zu Spencer zuruckgekehrt zu sein Diesen beiden mutmasslichen Morden durfte schon einige Zeit fruher ein dritter vorangegangen sein Als Chapman sich von einem neuen Verwaltungsbeamten missachtet und seine Etatwunsche nicht berucksichtigt sah schickte er ihm uber Spencer einen Brief dessen Inhalt nicht bekannt ist Zwei Tage spater hatte der Adressat sich erhangt und die Stelle wurde neu ausgeschrieben Warum Spencer sich schliesslich in die Wuste zuruckgezogen hat und dort inkognito lebt erfahrt man nicht in Einzelheiten Er reflektiert Und das alles um dem Dekan zu gefallen Aber dann konnte ich es nicht mehr ertragen Dass der Dekan alles wusste Dass er handereibend in seinem Rollstuhl sass und sich daruber freute alles zu wissen Nicht nur uber mich sondern uber alle Menschen uber den Verwaltungsdirektor uber den Rektor uber die anderen Dekane uber seine Sekretarinnen uber alle Alle sage ich So jemand darf es einfach nicht geben Das muss doch jeder verstehen 7 Nachdem er hier einen weiteren Mord einzugestehen scheint dekonstruiert Spencer dieses Verstandnis des Textes sofort wieder Ich habe die Losung gefunden Es ist eigentlich sehr einfach Kein Spencer Spencer hat einen anderen Menschen getotet Niemals Und schon gar nicht den Dekan Und wird es auch nicht tun Und zwar aus einem ganz einfachen Grund Auf den ich gerade gekommen bin Ich allein Ich bin nicht Spencer Spencer Eine Person wie Spencer Spencer hat es nie gegeben Eine solche Person kann es einfach nicht geben Und folglich existiert sie auch nicht 8 Motive BearbeitenMacht und Nichts Bearbeiten Spencers Losung am Schluss seines Berichts die den Leser recht ratlos zurucklasst scheint auf ein Problem anzuspielen das im Verlauf des Romans immer wieder vom Dekan aufgegriffen wird die Frage was es eigentlich geben kann und was nicht und was sich unserer Wahrnehmung und Forschung entzieht Den Grundstein zu dieser Uberlegung scheinen bei Chapman die Gesprache gelegt zu haben die er als junger Mann im Alter zwischen sechzehn und achtzehn Jahren mit seinem Onkel Ingram gefuhrt hat Ingram war in einer psychiatrischen Anstalt interniert galt aber als physisch harmlos und durfte mit seinem Neffen spazieren gehen Dabei machte er ihn mit der Geschichte der Zahl Null bekannt die in Gestalt der arabischen Sifr in die Mathematik eingefuhrt wurde und diese revolutionierte Die Null so belehrte Ingram den jungen Paul Chapman reprasentiere etwas das einerseits nicht vorhanden andererseits aber unentbehrlich sei woraufhin er die Aussage des Fredegesius von Tours zitierte Videtur mihi nihil aliquid esse Mir scheint Nichts ist irgend etwas Von diesem Ansatz aus machte Ingram seinen Neffen mit den Vorstellungen der verschiedenen Epochen vom Vakuum vertraut um ihn schliesslich geradezu in die Aporie zu fuhren Ja sagte Ingram dem es mittlerweile offenbar vollig gleich war ob ich seinem Rasonnement folgen konnte oder nicht man musse ernsthaft in Frage stellen ob die Welt uberhaupt dafur konstruiert sei um vom Menschen verstanden zu werden Das Damonische das etwas Abschreckende an der wahren Naturwissenschaft sei dass sie dunkel die Ahnung von einer Welt vermittle mit der wir nicht das mindeste zu schaffen hatten die zu begreifen unserem Verstand nicht gegeben sei von einer Welt vor allem die absolut nicht zu unserem Besten eingerichtet sei In diesem Sinne fugte mein brillanter Verwandter hinzu sei naturlich die Physik und besonders die Elektrophysik als eine damonische Wissenschaft zu betrachten 9 Ingram tritt noch in einer etwas spateren Lebensphase Chapmans auf Er erscheint ihm als er im Morphinrausch im Lazarettzelt in Vietnam liegt Die Szene erinnert an den Teufelsauftritt in Thomas Manns Doktor Faustus Hier wie dort sitzt die Erscheinung zeitweise mit ubereinandergeschlagenen Beinen und spricht mit geschulter kultivierter und ungemein wandlungsfahiger Stimme und macht ihren Gesprachspartner darauf aufmerksam dass sie nur existiere weil dieser Gesprachspartner sie selber in seinem Gehirn mache Das Phantom des Onkels das im Gegensatz zu dem Stuhl auf dem es sitzt keinen Schatten auf die Zeltwand wirft unterhalt sich mit dem Neffen ohne dass dies fur die Umgebung wahrnehmbar ware zunachst uber das Wesen der Zeit Zeit so belehrt er ihn existiere gar nicht und die Schopfung sei eigentlich nur eine entsetzliche Unordnung was der Schopfer absichtlich so angelegt habe um gegenuber den Forschern seine Spuren zu verwischen Mit Raum mit der gesamten Welt sei es im Grunde nicht anders Stell dir vor wenn diese materielle Welt auf die ihr so stolz seid nur ein Missverstandnis ware 10 Nachdem er so das Wirklichkeitsverstandnis seines Neffen in Frage gestellt hat spielt Onkel Ingram selbst auf seine mephistophelische Rolle an Warum meinst du bin ich hier Warum dieses personliche Interesse fur einen Hauptmann der nicht starb Glaubst du ich ware darauf aus etwas zu holen Deine unsterbliche Seele vielleicht Woher weisst du dass sie unsterblich ist Und wenn sie es nun ware was meinst du wurde ich damit anfangen Man muss doch nicht immer geschaftlich unterwegs sein Du hast dich moglicherweise nie gefragt warum Mephisto sich fur eine so offensichtlich seichte und belanglose Seele interessiert wie die von Faust Ist so ein verdriesslicher kleiner Libertin wirklich zu etwas zu gebrauchen Und wo sollte Mephisto ihn hintun In eine Flasche Als Meeresleuchten vielleicht um nachts die Kajute zu erhellen wenn man nach dem Loffel und der Flasche mit der Hustenmedizin sucht 11 Das Gesprach nimmt dann eine andere Wendung als der Onkel den Neffen dazu auffordert sich Rechenschaft uber seine Kriegsteilnahme abzulegen Er weist ihm nach dass er diese bose Alternative durchaus freiwillig gewahlt und in gewissen Momenten auch Freude am Bosen gehabt hat Angeblich hat Ingram in diesen Morphiumgesprachen seinem Neffen noch weitere Aufschlusse gegeben doch weigert sich Chapman diese Dinge jemals zu wiederholen Jedenfalls hat er ihn dazu gebracht das Verstandnis von Wirklichkeit zu hinterfragen Jahrzehnte spater bringt Chapman im Gesprach mit Spencer die Frage der Existenz und des Wesens des Teufels die schon in dieser Halluzination Thema gewesen ist zur Sprache Er protestiert gegen die Umkehrung des ontologischen Gottesbeweises des Anselm von Canterbury Wenn ein Wesen das nicht existiert weniger vollkommen ist als eines das existiert und wenn der Teufel als das unvollkommenste Wesen anzusehen ist kann man daraus folgern dass er nicht existieren kann 12 Verargert fragt der Dekan nach wie man eigentlich darauf verfallen konne den Teufel als unvollkommen anzusehen Wenn es eine wirklich bose Macht in der Welt gab bestand dann tatsachlich ein Grund zu der Vermutung dass sie unvollkommen war Sprach nicht eher das meiste dafur dass sie wenn nicht vollkommen so doch zumindest auf dem Weg zur Vollkommenheit war 13 Die Natur Bearbeiten Der Vorstellung vom Vorhandensein und dem Erfolg des Bosen in der Welt entspricht auch das Bild das der Dekan von der Natur hat An zahlreichen Beispielen erlautert er immer wieder dass die Evolution auch ihre negativen Seiten hat Ich weise die Naturenthusiasten beharrlich darauf hin dass Gammastrahlung Gravitationskollapse und das Ebolavirus in ebenso hohem Mass Ausdruck fur die Grosse der Natur sind wie Sonnenuntergange und Edelweiss und die Be wohnbarkeit der Schweiz betrachte ich als einen Triumph des Menschen uber die Natur Eine Natur die im wesentlichen bose ist 14 Dass der Dekan seine eigene innere Natur mit der eigentlich bosen und unbewohnbaren Schweiz vergleicht und ausgiebig daruber zu sprechen beginnt sieht Spencer im Ruckblick als eines der ersten Indizien fur die beunruhigenden Geschehnisse die sich im Laufe der Zeit entwickelt haben an Zur Bewohnbarmachung der Natur gehort in erster Linie die Fahigkeit mit den Gefahren des Wassers umgehen zu lernen Schon fruh tritt dieses Motiv auf Spencer bemerkt dass der Dekan und seine Freunde eine enge Beziehung zum Colorado haben und gern von den alten Zeiten sprechen in denen er noch nicht bezahmt war und grosse Schaden anrichten konnte und es beschaftigt ihn was alles am Grund der spater angelegten Stauseen verborgen ist Der Dekan weist ihn spater darauf hin dass nicht nur in der Genesis sondern in zahlreichen Religionen der Sieg einer Gottheit etwa Marduk uber das Wasser den Beginn einer Weltordnung darstellt Der siegreiche Gott zieht sich spater meist in seinen Wohnsitz auf einem Berg zuruck und lasst nicht mehr viel von sich horen Spencer ubertragt dieses Bild auf seinen machtigen Cousin Derek der sich ein schlossartiges Anwesen hoch uber den Windungen des Colorado errichtet hat und sein Imperium von einem Arbeitszimmer ganz oben im Turm aus regiert Spater nachdem Derek aus der Welt verschwunden ist ubernimmt Spencer dieses Bauwerk fur eine Weile und erlebt dort etwas was er als schamanistische Reise bezeichnet Offenbar handelt es sich um ein Drogenexperiment mit Fliegenpilzen das er nach der von Dr Chapman empfohlenen Literatur zusammen mit Mary Elizabeth durchfuhrt Ahnlich wie Chapman im Morphiumrausch erlebt er nun die Auflosung des Zeitbegriffs analysiert dies aber als Storung des Temporallappens die eine bekannte Wirkung des Pilzgenusses sei nbsp Satellitenaufnahme der Chihuahua WusteDoch Spencers eigentlichem Bild von der Natur entspricht nicht die bewohnbar gemachte Landschaft und das bezahmte Wasser sondern die ungeheure Wuste in die er sich zur Abfassung seines Berichtes zuruckgezogen hat Wenn er berichtet er befande sich hier in dem grossen Leeren dem grossen salzigen Trockenen dem grossen dummen Nichts 15 und so sehe die Welt grossenteils auch aus so verbindet er die Vorstellung des Dekans von der bosen Welt mit seiner Faszination vom Nichts Das aussere Bild der Wuste ubertragt er am Schluss seines Berichtes auf sein Innenleben und scheint plotzlich einen Ausweg zu finden An einem steilen durren Hang aus Nichts den ich Stunde fur Stunde zu erklimmen schien ein ausgetrocknetes Flusstal fand ich plotzlich im Boden der Seele ein Loch wie in einem alten Brunnen Und in diesem Brunnen war der Schlaf wie eine Dunkelheit ich trank der Schlaf rollte uber mich hin wie eine Flutwelle wie eine Uberschwemmung Scherte mich nicht darum wer ich war und wer ich hatte sein konnen Ja Ich schlief 16 Schlaf und Tod Bearbeiten Mit diesem Satz endet Spencers Bericht Der Vergleich des Schlafes mit der Flutwelle scheint die fruhen chaotischen Zustande der Welt vor der Ordnung durch einen Gott zu beschworen und der Verzicht auf Individualitat und spezielles Schicksal im Schlaf einen primitiven Urzustand zuruckzubringen wie ihn auch die anfangs zitierte Condillacsche Statue vor Gewinn der Erkenntnisfahigkeit und des Erkenntniswillens gehabt haben mag Der Schlaf bekanntlich ein Bruder des Todes wird jedoch nicht erst am Schluss des Buches thematisiert Schon in der Morphiumhalluzination Chapmans bezeichnet sich Ingram als Knabe Morpheus und Chapman selbst erklart ruckblickend er sei in der Zeit nach seiner Verletzung nicht nur bewusstlos sondern eigentlich tot gewesen Bei den Experimenten in der Buchhandlung sowie in dem Buch Geh leise Sprich nicht mit den Fliegen steht der Abstieg in die Unterwelt das Reich der Schatten im Vordergrund obwohl Chapman es eigentlich mit Nietzsche halt der ein Weiterleben im Jenseits ablehnt weil es sich dabei nur um eine ewige Wiederholung handeln konne Dennoch scheinen ihn die Versuche zu faszinieren Spencer wiederum erwahnt in seinem Bericht in der Nahe seines Motels in der Wuste gebe es bei einem alten Autofriedhof eine Offnung im Boden einen Abstieg in die Unterwelt und zahlreiche Menschen seien schon dort gewesen und zuruckgekehrt 17 Literarische und biographische Bezuge Bearbeiten nbsp Hauptgebaude der University of Texas mit Inschrift Ye shall know the truth and the truth shall make you freeDieses Motiv der Jenseitsreise ist in ahnlicher Form schon in Gustafssons Werk Windy erzahlt das einige Jahre vor dem Dekan erschienen ist und hier ausdrucklich zitiert wird angelegt Dort werden die technischen Einzelheiten der modernen texanischen Nekyia von der Friseurin Windy ganz nebenbei im Gesprach mit einem Kunden geschildert man erkennt darin die Jenseitsreisen der Helden der Odyssee und der Aeneis Doch nicht nur diese Moglichkeit der Jenseitsreise auch die Buchhandlung die Werke Winnicotts und die Figur des Dekans sind in diesem Buch Gustafssons bereits vorhanden Gustafsson selbst unterrichtete viele Jahre lang an der University of Texas at Austin und zitiert in Der Dekan neben den bereits genannten Philosophen und anderen Schriftstellern noch zahlreiche weitere insbesondere die Ingram Episoden sind reich an literarischen Bezugen Unverkennbar spielt immer wieder das Faust Motiv eine Rolle wie ja der ganze Roman im Grunde das Wissen Wollen und das Nicht wissen Konnen sowohl der Figuren als auch der Leser aufzeigt In einer Notiz auf einem Vorsatzblatt des Romans der durchaus auch Zuge des Campus Romans aufweist und dessen fiktiver Verfasser einen so spiegelbildlichen Namen tragt wie Nabokovs Humbert Humbert verwahrt sich der Autor gegen mogliche Versuche den Dekan etwa als Schlusselroman zu lesen Er habe zwar in zwei Dezennien an der Universitat funf Dekane erlebt der originellste sei Bob King gewesen der ihn recht eigenmachtig zum Professor ernannt habe doch konne keine dieser Personen als Urbild der Dekansfigur gesehen werden Kritiken BearbeitenBei den Kritikern stiess der Roman haufig wegen seiner eloquenten und witzigen Passagen auf Zustimmung wegen der fragmentarischen Handlung jedoch auch auf Unverstandnis oder Ablehnung Martin Krumbholz bescheinigte dem Roman er sei wunderbar zu lesen 18 weil das rasante Spiel mit der Uneindeutigkeit den Rezipienten in Atem halte Auch Ulrich Greiner der den Roman in der Zeit vom 11 November 2004 rezensierte fand die Lekture zwar lohnend und unterhaltsam beanstandete aber das Verwirrspiel das Gustafsson mit seinen Lesern treibe Schlichtweg als literarisches Meisterstuck bezeichnete Andreas Dorschel den Dekan 19 Kurt Flasch richtete seine Aufmerksamkeit auf die Zeit in der das Buch verfasst wurde und siedelte es etwas asymmetrisch freilich zwischen Vietnam und Irak an 20 Neben den Uberlegungen zu seelischen Kriegstraumata interessierte ihn besonders das witzig behandelte Teufelsmotiv Die Idee des Verlags das Buch als Thriller zu vermarkten hielt Andreas Breitenstein 21 fur verfehlt Er sah in Der Dekan eher einen Thesenroman dessen Starke nicht der Plot sei sondern die essayistischen Einschube Einzelnachweise Bearbeiten Klappentext Der Dekan S 8 Der Dekan S 156 Der Dekan S 159 Der Dekan S 172 Der Dekan S 187 Der Dekan S 187 Der Dekan S 188 Der Dekan S 66 f Der Dekan S 114 Der Dekan S 115 f Der Dekan S 96 Der Dekan S 97 Der Dekan S 59 f Der Dekan S 71 Der Dekan S 188 f Der Dekan S 89 Frankfurter Rundschau 8 Dezember 2004 Im Zeitstrudel Suddeutsche Zeitung Nr 235 9 10 Oktober 2004 S 18 FAZ 28 August 2004 online unter Der Teufel ist los Lars Gustafssons Roman um Eifersucht und Machtgeluste NZZ 24 August 2004 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Der Dekan amp oldid 234655360