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Der Brief der Vierzig estnisch Neljakumne kiri war ein offentliches Schreiben von vierzig estnischen Intellektuellen vom Herbst 1980 Sie forderten darin von den sowjetischen Behorden die Respektierung der estnischen Sprache und Kultur sowie ein Ende der Russifizierung Estlands Jaan Kaplinski der Hauptinitiator des Briefs der Vierzig hier in einer Aufnahme von 2009 Inhaltsverzeichnis 1 Sowjetische Besetzung 2 Brief der Vierzig 3 Unterzeichner 4 Literatur 5 Weblinks 6 EinzelnachweiseSowjetische Besetzung BearbeitenDie Rote Armee hatte infolge des Molotow Ribbentrop Pakts im Zweiten Weltkrieg Estland besetzt und als Estnische SSR der Sowjetunion einverleibt Wie uberall in der Sowjetunion folgte ein Umbau des Staats und Gesellschaftssystems nach sowjetischem Vorbild Stalin liess einen Grossteil der burgerlichen und intellektuellen Elite Estlands nach Sibirien deportieren Die sowjetische Politik zielte in der Folgezeit auf eine zunehmende Russifizierung Estlands Zu diesem Zweck wurden russische ukrainische und weissrussische Arbeiter aus anderen Teilen der Sowjetunion in Estland angesiedelt Nach der offiziellen Bevolkerungsstatistik 1941 waren in Estland 1941 insgesamt 90 8 der Bevolkerung Esten und 7 3 Russen Nach den veroffentlichten Zahlen der sowjetischen Volkszahlung von 1979 waren es 64 7 Esten und 30 3 Russen Die sowjetischen Behorden forcierten in den 1970er Jahren auf Geheiss Breschnews eine Dominanz des Russischen innerhalb der Estnischen SSR Die Spannungen zwischen der estnischsprachigen Bevolkerung und den russischsprachigen Zuwanderern spitzten sich weiter zu Die estnische Sprache wurde durch die Politik des im Januar 1980 ernannten Chefideologen im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Estlands EKP Rein Ristlaan im offentlichen Leben immer weiter zu Gunsten des Russischen zuruckgedrangt Der Festakt zum 40 jahrigen Bestehen der EKP fand rein in russischer Sprache statt Im Sommer 1980 entliessen die sowjetischen Behorden den estnischen Bildungsminister Ferdinand Eisen und setzten die Russin Elsa Gretskina als seine Nachfolgerin ein Sie wurde mit ihrer streng linientreuen Politik zu einem Feindbild vieler estnischer Schuler Der sowjetische Afghanistan Krieg fur den auch estnische Wehrpflichtige an die Front geschickt wurden trug ab 1980 zur weiteren Unzufriedenheit bei den estnischen Jugendlichen bei Erstmals kam es am 17 Mai 1980 nach einer Filmvorfuhrung in Parnu zu spontanen Jugendprotesten Die etwa funfzig Teilnehmer riefen sowjetfeindliche Parolen Im September 1980 eskalierte die Situation Das kurzfristige Auffuhrungsverbot gegen die regimekritische estnische Punk Rock Band Propeller um Peeter Volkonski am 22 September 1980 am Rande eines Fussballspiels im Dunamo Stadion fuhrte zu Ausschreitungen von 200 bis 500 Jugendlichen in Tallinn Zahlreiche Jugendliche wurden anschliessend von der Schule verwiesen oder vorlaufig festgenommen In den Schulen formierten sich im Gegenzug Solidaritatsgruppen mit den Festgenommenen Sie forderten zu Demonstrationen am 1 Oktober auf Die folgenden Jugendproteste Anfang Oktober 1980 in Tallinn Tartu und Parnu wandten sich vor allem gegen die Russifizierungspolitik der sowjetischen Behorden Die ca 5 000 jugendlichen Teilnehmer an den Protesten wurden von der sowjetestnischen Staatsanwaltschaft als Hooligans verfolgt 1 Zahlreiche Jugendliche wurden von der Polizei und vom KGB vorlaufig festgenommen verprugelt oder eingeschuchtert In Tartu und Tallinn kam es auch zu Arbeitsniederlegungen den ersten in der Estnischen SSR Durch wirtschaftliche Verbesserungen in den Betrieben gelang es den sowjetischen Behorden die Arbeitsniederlegungen unter Kontrolle zu bringen Die sowjet estnischen Organe furchteten vor allem Entwicklungen wie nach den August Streiks 1980 in Polen Brief der Vierzig BearbeitenDie Protestbewegung beeindruckte auch die estnischen Intellektuellen Im Herbst 1980 unterzeichneten vierzig estnische Intellektuelle einen Offenen Brief aus der Estnischen SSR Avalik kiri Eesti NSV st Der offene Brief wurde spater im Volksmund Brief der Vierzig genannt Er tragt das Datum vom 28 Oktober 1980 Das Schreiben der estnischen Intellektuellen war an die sowjetischen Zeitungen Prawda Rahva Haal und Sovetskaja Estonija gerichtet Eine offentliche Reaktion der drei Zeitungen blieb erwartungsgemass aus In dem Text prangern die Verfasser die fehlende Meinungsfreiheit in Estland an Sie bringen ihre Sorge daruber zum Ausdruck dass die Esten zu einem Minderheitenvolk im eigenen Land gemacht werden Die estnische Sprache werde uberall zu Gunsten des Russischen zuruckgedrangt Die sowjetischen Behorden propagierten in aggressiver Weise den Gebrauch der russischen Sprache in Kindergarten und Schulen Die staatlich gepriesene Zweisprachigkeit richte sich aber nur an die estnischsprachige Bevolkerung Zu fuhrenden Personlichkeiten werden Personen berufen die keine Kenntnisse oder Neigung zur estnischen Sprache oder Kultur haben Menschen die jahrelang in Estland leben ohne die estnische Sprache oder Kultur zu achten beleidigten die Menschenwurde der Esten Jeder Bewohner der Estnischen SSR musse das Recht haben sich mundlich und schriftlich der estnischen Sprache bedienen zu durfen Dieses Prinzip sollte gesetzlich festgeschrieben werden Die autochthone estnische Bevolkerung muss immer das entscheidende Wort uber die Zukunft ihres Landes und des Volkes haben Die sowjetische Industrialisierung nehme keine Rucksicht auf Belange des Umweltschutzes Der Brief wurde von den sowjetischen und sowjet estnischen Behorden in der Offentlichkeit totgeschwiegen Er erschien in gedruckter Form erstmals am 10 Dezember 1980 in der in Stockholm erscheinenden estnischen Exil Zeitung Eesti Paevaleht Einen Tag spater wurde er von der estnischsprachigen Redaktion von Radio Free Europe verlesen Spater erschienen auch Ubersetzungen in andere Sprachen In Estland verbreitete sich der Brief als Samisdat In Estland wurde der Brief erst 1988 unter Gorbatschow im Zeichen von Glasnost und Perestroika abgedruckt 2 Im November 1980 unternahm die sowjetestnische Fuhrung Gegenmassnahmen gegen die Unterzeichner des Briefs Diese wurden an der Arbeitsstatte zu Gesprachen eingeladen oder durch den KGB oder die Staatsanwaltschaft verhort Bei dem mutmasslichen Haupturheber des Brief Jaan Kaplinski fand eine Hausdurchsuchung statt Vier Unterzeichnern wurde der Arbeitsplatz entzogen Die Behorden ubten erheblichen Druck aus um die Unterzeichner zur Rucknahme ihrer Unterschrift zu bewegen Um ihr Leben mussten die Unterzeichner allerdings nicht furchten Der Brief der Vierzig war Ausdruck einer tiefsitzenden Unzufriedenheit der Esten mit dem sowjetischen Machtapparat Er war gleichzeitig ein offentliches Warnsignal dass selbst Intellektuelle die nicht in Fundamentalopposition zur Estnischen SSR standen mit der sowjetischen und sowjet estnischen Fuhrung nicht mehr einverstanden waren Die Wirkungen des Briefes blieben begrenzt Die Stagnationszeit in der Estnischen SSR setzte sich fort Erst mit den Liberalisierungsschritten Gorbatschows ergab sich aber die Chance wieder offentlich fur liberale Reformen einzutreten Unterzeichner BearbeitenDer Brief der Vierzig wurde unterzeichnet von Priit Aimla Kaur Alttoa Madis Aruja Lehte Hainsalu Mati Hint Fred Jussi Aira Kaal Maie Kalda Tonu Kaljuste Toomas Kall Jaan Kaplinski Peet Kask Heino Kiik Jaan Kloseiko Kersti Kreismann Alar Laats Aare Laht Andres Langemets Marju Lauristin Peeter Lorents Vello Lougas Endel Nirk Lembit Peterson Arno Pukk Rein Pollumaa Paul Eerik Rummo Rein Ruutsoo Tonis Ratsep Ita Saks Aavo Sirk Mati Sirkel Jaan Tamm Rein Tamsalu Andres Tarand Lehte Tavel Peeter Tulviste Aarne Ukskula Mati Unt Arvo Valton und Juhan Viiding Einige namhafte estnische Intellektuelle zahlen auffallend nicht zu den Unterzeichnern des Briefs unter anderem der bedeutendste estnische Schriftsteller Jaan Kross sowie der Filmemacher und spatere Staatsprasident der Republik Estland Lennart Meri Literatur BearbeitenSirje Kiin Rein Ruutsoo Andres Tarand 40 kirja lugu Tallinn Olion 1990 ISBN 5 450 01408 2 Sulev Vahtre Hrsg Eesti Ajalugu VI Tartu 2005 S 311 313Weblinks BearbeitenText des Briefs der Vierzig Ubersetzung des Briefs in EnglischeEinzelnachweise Bearbeiten http www postimees ee 333362 avalik kiri eesti nsvst ajalehtedele pravda rahva haal ja sovetskaja estonija Zeitschrift Vikerkaar 1988 Nr 7 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Brief der Vierzig amp oldid 205157052