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Birkenpech ist ein Pech und damit ein schwarzer teerartiger Ruckstand einer Destillation der aus der Birkenrinde gewonnen und seit der Urgeschichte als vielseitiger Klebstoff besonders bei der Schaftung verwendet wurde Eine Vorstufe bei der Destillation von Birkenpech ist Birkenteer Im Eintopfverfahren hergestelltes Birkenpech bestehend aus Teer und veraschter Rinde Auch zum Abdichten von Kanus und Schiffen wurde es genutzt Inhaltsverzeichnis 1 Archaologische Belege aus der Steinzeit 2 Einfache Herstellung von Birkenpech Entstehungsgeschichte der Technik 3 Spatere Herstellungsmethoden von Birkenpech 4 Verwendung 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseArchaologische Belege aus der Steinzeit Bearbeiten nbsp Eine von Otzis Pfeilspitzen die mit Birkenpech am Schaft befestigt wurde Bereits in den 1960er Jahren wurden bei Ausgrabungen am Fundplatz Konigsaue bei Aschersleben Sachsen Anhalt zwei in die mittlere Altsteinzeit datierende Pechstucke entdeckt Das geologische Alter der Fundschichten wurde mit mindestens 80 000 Jahren angegeben Zwei Beschleunigerdaten aus Oxford fur das Pech lieferten stattdessen Werte von 43 800 2 100 BP und 48 400 3 700 BP 1 2 3 4 Auf insgesamt 83 Feuersteingeraten eines mittelpalaolithischen Fundplatzes bei Inden Altdorf im Rheinischen Braunkohlengebiet der in die Eem Warmzeit vor etwa 120 000 Jahren datiert wurden organische Residuen identifiziert Mittels einer Kombination von optischer Mikroskopie Rasterelektronenmikroskopie sowie energiedispersiver Rontgenspektroskopie EDX erfolgte die Bestimmung der Residuen als Birkenpech deren im REM erkennbare Strukturen der Proben sowie der EDX Spektren sich sehr gut mit Resten auf mittelsteinzeitlichen und jungsteinzeitlichen Artefakten und experimentell erzeugten Birkenpechen vergleichen liessen 5 6 7 Mit derselben Methode wurden ca 30 000 Jahre alte Stichel aus der Aurignacien Fundstelle Les Vachons in Frankreich als mit Birkenpech geschaftete Projektilspitzen identifiziert 8 Der mit Abstand alteste Beleg fur Birkenpechherstellung und verwendung stammt aus Campitello in Italien oberes Arnotal Es handelt sich um zwei Steinartefakte mit anhaftendem Birkenpech die vor das MIS 6 Marine Isotope Stage und damit auf uber 200 000 Jahre vor heute datiert wurden 9 Birkenpech wurde an zahlreichen Lager und Siedlungsplatzen der Mittelsteinzeit etwa 9600 bis 5500 4500 v Chr und Jungsteinzeit etwa 5500 bis 2200 v Chr gefunden Hier kann beim Auffinden von Schaftungsresten in der Grossenordnung einiger Milligramm eine Analyse mittels Gaschromatographie erfolgen wobei der Betulin Nachweis die eindeutige Materialzuordnung als Birkenpech erlaubt 10 Birkenpech kann als der erste systematisch hergestellte Kunststoff der Menschheit bezeichnet werden Der kupfersteinzeitliche Mann vom Tisenjoch auch Otzi genannt der zwischen 3359 und 3105 v Chr starb und in der Neuzeit als Gletschermumie aufgefunden wurde befestigte die Spitzen aus Feuerstein auf den Pfeilschaften aus den Asten des Wolligen Schneeballs mittels Pflanzenfasern und Birkenpech In anderen Regionen in denen keine Birken vorkommen benutzten die Menschen andere Pflanzen mit ahnlichen Eigenschaften zur Herstellung von Pech Alvar Nunez Cabeza de Vaca beschreibt in seinem Buch Die Schiffbruche des Alvar Nunez Cabeza de Vaca dass Mitglieder seiner Expedition in der Lage waren aus den Baumen der Subtropen Pech herzustellen Damit haben sie die selbst gebauten Boote abgedichtet mit denen sie 1528 von Florida an der Kuste entlang bis nach Texas gesegelt sind Einfache Herstellung von Birkenpech Entstehungsgeschichte der Technik BearbeitenVersuche haben gezeigt dass innerhalb einer Feuerstelle ohne die Hilfe eines keramischen Gefasses kleinere Mengen an brauchbarem Birkenpech entstehen konnen Auch akeramische steinzeitliche Kulturen konnten so ausreichende Mengen von Birkenpech herstellen 11 Wie Forscher der Universitat Leiden erklaren standen bereits den Neandertalern verschiedene Moglichkeiten zur Verfugung um Birkenpech herzustellen Zudem stellten sie fest dass der Temperaturbereich in dem Birkenpech hergestellt werden kann zwischen 200 und 500 C liegt und damit ohne gezielte Temperaturkontrolle durch steinzeitliche Feuerstellen erreicht werden konnte 12 Neuere Untersuchen aus dem Jahre 2019 kamen hingegen zu dem Schluss dass brauchbare Mengen an Birkenpech schon durch das Verbrennen von Birkenrinde nahe Stein oder Knochenoberflachen hergestellt werden konnen Kondensationsmethode 13 Diese sehr einfache Technik kann demnach z Zt als Ursprung der Birkenpechfunde aus dieser Zeit nicht ausgeschlossen werden und ist daher vermutlich die Technik die zur Entdeckung von Birkenpech gefuhrt hat weil die Entstehung rein zufallig geschehen kann 13 14 Gegen Ende ihrer Prasenz in Europa nutzten Neandertaler allerdings eine aufwendigere Technik um Birkenpech herzustellen Die Herstellungstechnik die fur zwei Birkenpechstucke aus Konigsaue verwendet wurde basierte auf einer Untergrund Ofenstruktur die es erlaubte die Sauerstoffzufuhr zu regulieren 15 Spatere Herstellungsmethoden von Birkenpech Bearbeiten nbsp Moderne Versuchsanordnung zur Birkenpechherstellung im Eintopfverfahren Chemische Untersuchungen und Experimente haben gezeigt dass Birkenpech im Mittelalter durch einen Verschwelungsprozess genauer durch eine sogenannte Pyrolyse hergestellt wurde 16 17 18 19 Bei den Experimenten unter Laborbedingungen wurde der Rohstoff Birkenrinde in einem luftdicht abgeschlossenen Behalter Glasretorte auf eine relativ konstante Temperatur zwischen 340 und 400 C erhitzt Dabei verschwelt die Birkenrinde im luftdichten Behalter nahezu vollstandig zuerst zu Birkenteer und einige Stunden spater 11 schliesslich im offenen Behalter zu Birkenpech Verwendung BearbeitenBirkenpech beziehungsweise Birkenteer war in der Steinzeit ein gebrauchlicher Allzweckklebstoff Er wurde vor allem zur Schaftung von Werkzeugen und Waffen verwendet und hat sich in Form von schwarzen Spuren an Geraten wie zum Beispiel Pfeilspitzen Pfeilschaften Messern und weiteren Werkzeugen erhalten Hierzu wurde das Pech durch Warme erweicht und so verarbeitbar gemacht Ausserdem wurde damit zerbrochene Keramik geflickt und wahrscheinlich auch Behaltnisse aus organischen Materialien Holz Rinde oder ahnlichem abgedichtet Schliesslich zeigen Zahnabdrucke auf Birkenteerklumpen dass Birkenpech gekaut wurde 20 Belege gibt es zum Beispiel vom mesolithischen Fundplatz Star Carr oder vom Bandkeramischen Brunnen Altscherbitz Ob dies zur Zahnpflege oder als Genussmittel Kaugummi geschah ist unbekannt Eine alternative Erklarung konnte sein dass Birkenpech auf diese Weise vor der endgultigen Verarbeitung weich gemacht worden ist Jedoch kann dies bereits durch Erwarmen erzielt werden Literatur BearbeitenJurgen Weiner Praktische Versuche zur Herstellung und Verwendung von Birkenpech In Archaologisches Korrespondenzblatt Bd 18 Nr 4 1988 S 329 334 Jurgen Weiner Wo sind die Retorten Uberlegungen zur Herstellung von Birkenpech im Neolithikum In Acta Praehistorica et Archaeologica Bd 23 1991 S 15 19 Jurgen Weiner European Pre and Protohistoric tar and pitch A contribution to the history of research 1720 1999 In Acta Archaeometrica Bd 1 Coburg 1999 S 1 109 Jurgen Weiner Another Word on Pitch Some Comments on a Sticky Issue from Old Europe In Bulletin of Primitive Technology Bd 29 H 1 2005 S 20 27 Jurgen Weiner Der alteste Kunststoff des Menschen Birkenpech In T Otten J Kunow M M Rind M Trier Hrsg Revolution Jungsteinzeit Schriften zur Bodendenkmalpflege in Nordrhein Westfalen 11 1 Darmstadt 2015 S 229 230 Klaus Ruthenberg Jurgen Weiner Some Tarry Substance from the Wooden Bandkeramik Well of Erkelenz Kuckhoven Northrhine Westphalia FRG Discovery and Analysis In W Brzesinski W Piotrowski Hrsg Proceedings of the First International Symposium on Wood Tar and Pitch 1997 S 29 33 Warszawa Andreas Kurzweil Jurgen Weiner Wo sind die Retorten Gedanken zur allothermen Herstellung von Birkenpech In Experimentelle Archaologie in Europa Bilanz 2013 Heft 12 2013 S 10 19 Unteruhldingen Alfred Pawlik Jurgen Thissen Hafted armatures and multi component tool design at the Micoquian site of Inden Altdorf Germany In Journal of Archaeological Science Bd 38 2011 S 1699 1708 Alvar Nunez Cabeza de Vaca Schiffbruche Bericht uber die Unglucksfahrt der Narvaez Expedition nach der Sudkuste Nordamerikas 1527 1536 2 vollig neu bearb Auflage Renner Haar bei Munchen 1963 S 44 Weblinks Bearbeiten nbsp Wiktionary Birkenpech Bedeutungserklarungen Wortherkunft Synonyme Ubersetzungen Teerschwelen Brandenburg1260 de Marca brandenburgensis anno domini 1260 mit Bildern Birkenpech Eintrag im Grabungsworterbuch auf Ausgraeberei de Elizabeth Aveling Chew chew that ancient chewing gum ArchaeologyUK org British Archaeology No 21 Februar 1997 Einzelnachweise Bearbeiten Judith M Grunberg Heribert Graetsch Ursula Baumer Johann Koller Untersuchung der mittelpalaolithischen Harzreste von Konigsaue Ldkr Aschersleben Stassfurt In Jahresschrift fur mitteldeutsche Vorgeschichte Band 81 1999 S 7 38 Johann Koller Ursula Baumer Dietrich Mania High Tech in the Middle Palaeolithic Neandertal manufactured Pitch Identified In European Journal of Archaeology Band 4 2001 S 385 397 Judith M Grunberg Middle Palaeolithic birch bark pitch In Antiquity Band 76 2002 S 15 16 Neubacher Breuer Landesamt fur Denkmalpflege und Archaologie Sachsen Anhalt Pech fur den Hobbychemiker Alfred Pawlik Jurgen Thissen Birkenpechgewinnung und Rentierjagd im Indetal In Archaologie im Rheinland 2007 2008 S 41 44 Theiss Verlag Jurgen Thissen Alfred Pawlik Steingerate mit Birkenpechresten Altester Klebstoff Mitteleuropas In Archaologie in Deutschland Heft 3 2010 4 Alfred Pawlik Jurgen Thissen Hafted armatures and multi component tool design at the Micoquian site of Inden Altdorf Germany In Journal of Archaeological Science Band 38 2011 S 1699 1708 doi 10 1016 j jas 2011 03 001 Robert Dinnis Alfred Pawlik und Claire Gaillard Bladelet cores as weapon tips Hafting residue identification and micro wear analysis of carinated burins from the late Aurignacian of Les Vachons France In Journal of Archaeological Science Band 36 2009 S 1922 1934 doi 10 1016 j jas 2009 04 020 Paul Peter Anthony Mazza Fabio Martini Benedetto Sala et al A new Palaeolithic discovery tar hafted stone tools in a European Mid Pleistocene bone bearing bed In Journal of Archaeological Science Band 33 Nr 9 2006 S 1310 1318 Herbert Funke Chemisch analytische Untersuchungen verschiedener archaologischer Funde Dissertation 1969 Universitat Hamburg a b Friedrich Palmer Die Entstehung von Birkenpech in einer Feuerstelle unter palaolithischen Bedingungen Memento vom 25 Mai 2016 im Internet Archive PDF 4 08 MB In Mitteilungen der Gesellschaft fur Urgeschichte Band 16 2007 S 75 83 P R B Kozowyk M Soressi D Pomstra G H J Langejans Experimental methods for the Palaeolithic dry distillation of birch bark implications for the origin and development of Neandertal adhesive technology In Scientific Reports Band 7 Nr 1 31 August 2017 ISSN 2045 2322 doi 10 1038 s41598 017 08106 7 nature com abgerufen am 1 September 2017 a b Schmidt P Blessing M Rageot M Iovita R Pfleging J Nickel K G Righetti L amp Tennie C Birch tar extraction does not prove Neanderthal behavioral complexity In PNAS 19 August 2019 doi 10 1073 pnas 1911137116 Make It Primitive Making primitive birch tar glue the simple way In YouTube 21 September 2020 abgerufen am 25 Juni 2021 Schmidt P Koch T Blessing M Karakostis F A Harvati K Dresely V amp Charrie Duhaut A Production method of the Konigsaue birch tar documents cumulative culture in Neanderthals In AASc 2023 doi 10 1007 s12520 023 01789 2 Andreas Kurzweil Dieter Todtenhaupt Das Doppeltopf Verfahren Eine rekonstruierte mittelalterliche Methode der Holzteergewinnung In Archaologische Mitteilungen aus Nordwestdeutschland Beiheft 4 1990 S 472 479 Rolf C A Rottlander Untersuchungen an der Kittmasse von geschafteten Feuersteinklingen In H T Waterbol W van Zeist Hrsg Niederwil eine Siedlung der Pfyner Kultur Band IV Holzartefakte und Textilien Academica Helvetica Band I 4 Paul Haupt Bern Stuttgart 1991 S 249 250 PDF Download Wilhelm Sandermann Untersuchungen vorgeschichtlicher Graberharze und Kitte In Technische Beitrage zur Archaologie Band 2 1965 S 58 73 Jurgen Weiner Praktische Versuche zur Herstellung und Verwendung von Birkenpech In Archaologisches Korrespondenzblatt Band 18 1988 S 329 334 DNA aus Birkenpech von Lolland 1 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Birkenpech amp oldid 237052225