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Die Strukturen der Landwirtschaft und des Landbesitzes in Lateinamerika waren bis ins 20 Jahrhundert hinein stark gepragt von kolonialen Einflussen Bis heute ist der Sektor gespalten zwischen den riesigen Landgutern der Grossgrundbesitzer und einer grossen Zahl von Subsistenzwirtschaft betreibenden Kleinbauern sowie landlosen Landarbeitern Inhaltsverzeichnis 1 Encomienda und Repartimiento 1 1 Ziele der spanischen Krone 1 2 Encomienda System 1 3 Repartimiento 2 Hacienda und Fazenda 2 1 Latifundien 2 2 Sklaverei und Abhangigkeit 3 Grossgrundbesitz als Entwicklungshemmnis 3 1 Brache 3 2 Geldlose Wirtschaft 3 3 Extraktive Wirtschaftsinstitutionen 4 Landreformen 5 Literatur 6 EinzelnachweiseEncomienda und Repartimiento Bearbeiten Hauptartikel Encomienda Schon kurz nach der europaischen Entdeckung Amerikas 1492 begann die kastilische Krone mit der Siedlungskolonisation da profitabler Handel mit der dortigen indigenen Bevolkerung unmoglich war Ziele der spanischen Krone Bearbeiten Ziel war auf der einen Seite ein profitbringendes Kolonialwesen der Aufbau einer exportorientierten Landwirtschaft insbesondere Zuckerrohr eignete sich fur das dortige Klima bestens die Erschliessung der Kolonien und die Sicherung der Kontrolle uber die Indianer Zum anderen versuchte die Krone zu verhindern dass sich in Amerika eine autonome politische Macht entwickelte Statt durch einen autonomen und machtigen Erbadel sollten die Gebiete durch einen burokratischen Apparat von Sevilla aus gesteuert werden So musste jahrhundertelang aller Handel selbst zwischen den einzelnen Kolonien uber die dortige Casa de Contratacion abgewickelt werden Encomienda System Bearbeiten Zu diesem Zweck wurde 1503 von Konigin Isabella I von Kastilien das sogenannte Encomienda System spanisch fur Anvertrauung geschaffen 1 Dabei wurden den Konquistadoren sehr grosse Landguter mitsamt der darin lebenden indigenen Bevolkerung treuhanderisch ubertragen Die Encomienda Casa Grande in Peru hatte etwa die Grosse des heutigen Belgien Lehnsherr der indigenen Bevolkerung war formal das spanische Konigspaar das den Auftrag zu deren Missionierung hatte Es beauftragte den Encomendero Auftragnehmer damit fur den Schutz und die Missionierung der dort lebenden Indigenen zu sorgen Um den Einfluss der Krone zu sichern wurden Encomiendas zumindest anfangs nur fur eine Generation vergeben waren also nicht erblich Da sich das kastilische Gewohnheitsrecht als im Rahmen der Conquista nicht anwendbar erwies wurde 1512 13 eine Versammlung in Burgos abgehalten aus der neue Gesetze hervorgingen die Leyes de Burgos Burgos Gesetze Nach diesen waren die indigenen Einwohner der Encomiendas grundsatzlich frei und nicht Eigentum der Encomenderos also keine Sklaven Sie konnten zur Arbeit gezwungen werden mussten aber in Geld oder Naturalien entlohnt werden Kriegerische Unterwerfung indigener Bevolkerung war nur zulassig wenn diese sich weigerte getauft zu werden 2 Es reichte aus wenn sie die ihnen vorgelesenen Artikel zur zwangsweisen Bekehrung nicht verstanden um sie mit Gewalt zu unterwerfen In seiner praktischen Umsetzung war das Encomienda System das immer wieder umgestaltet wurde allerdings nichts anderes als lebenslange Zwangsarbeit 3 Pedro de Valdivia hatte bei Concepcion in Chile eine Encomienda mit angeblich 40 000 Encomiendados die in der Goldwascherei arbeiteten und keine Zeit hatten ihre eigenen Lebensmittel anzubauen Zeitgenossen wie Bartolome de las Casas aber auch heutige Historiker sahen und sehen das System als noch menschenverachtender als Sklaverei an da die Unterdruckten fur die Gutsherren keinerlei okonomischen Wert darstellten weil sie weder von ihnen gekauft werden mussten noch ihnen gehorten und dementsprechend leichtfertig zu Tode geschunden wurden Allerdings wurden z T Sklaven aus den portugiesischen Kolonien erworben 4 Die spanische Krone fuhrte Mitte des 16 Jahrhunderts eine Reihe von Indianerschutzgesetzen ein um den Fortbestand der sich rasch dezimierenden Bevolkerung zu sichern Sie war sich bewusst dass ohne Indios auch keine Indias der damalige Name der Neuen Welt existieren konnten Neben diesen okonomischen waren auch moralische Grunde ausschlaggebend So war Karl V nach dem Disput von Valladolid 1550 bei dem de las Casas die morderischen Arbeitsbedingungen anprangerte kurz davor das gesamte Kolonisationsunternehmen aufzugeben Ab 1536 standen den Encomenderos nur noch Tributzahlungen nicht aber die Arbeitskraft der indigenen Bevolkerung zu Ein Jahr spater errichteten die Dominikaner mit Unterstutzung Spaniens das erste Missionsreservat im Norden Guatemalas in dem die Bewohner unbehelligt von spanischen Siedlern blieben Mit den 1542 und 1543 erlassenen Leyes Nuevas spanisch fur neue Gesetze die unter anderem auf die Kritik von Las Casas reagierten wurde der Versuch unternommen die Auswuchse des Encomienda Systems einzudammen und die sklavische Behandlung der indigenen Bevolkerung zu beenden Das umfangreiche Gesetzespaket verbot unter anderem erneut die Indianersklaverei und raumte der indigenen Bevolkerung einen Status vergleichbar mit dem von Minderjahrigen ein 5 Die Leyes Nuevas fuhrten zu heftigen Protesten und einem Aufstand der Encomenderos unter Fuhrung von Gonzalo Pizarro zwischen 1544 und 1548 in dessen Verlauf der Vizekonig von Peru Blasco Nunez Vela 1546 gesturzt und getotet wurde Infolgedessen wurden die Reformen drastisch eingeschrankt und das Encomienda System de facto weitergefuhrt Auch der Passus der die Erblichkeit der Encomiendas verbot wurde 1545 gestrichen 6 Auch schon zuvor verhinderten die immense Distanz zu Sevilla die schlechten Verkehrswege im Inland der Kolonien und die daraus resultierende Kommunikationsdauer von bis zu zwei Jahren dass die Schutzgesetze wirksam umgesetzt werden konnten Nach dem Motto gehorchen aber nicht befolgen wurden die Gesetze zwar anerkannt aber weder angewendet noch Verstosse wirksam geahndet Praktisch fuhrte das Encomienda System zur Ausrottung der indigenen Bevolkerung in der Karibik 7 Sie wurden durch aus Afrika importierte Sklaven ersetzt Repartimiento Bearbeiten Die Institution der Encomienda bestand formal bis 1791 In der Praxis wurde sie aber vielerorts nach den Auseinandersetzungen zwischen Vizekonig und Encomenderos unter dem Druck der katholischen Kirche durch das modifizierte System des Repartimiento zu Deutsch Zuteilung abgelost Das Jahr 1549 wird vielfach als Jahr des Systemwechsels angesehen wenn auch die Encomiendas in einigen Gegenden noch lange Zeit fortbestanden in Chile beispielsweise bis in die zweite Halfte des 17 Jahrhunderts und oder parallel zum Repartimiento System existierten Im Repartimiento System waren indianische Gemeinschaften die durch die Konquista auf spanisch gewordenem Territorium lebten verpflichtet Manner aus ihren Reihen fur zeitlich begrenzte Projekte dem Staat als Arbeitskraft zur Verfugung zu stellen Der Umfang dieser Arbeitskraft betrug zwei bis vier Prozent der mannlichen Bevolkerung Der sogenannte Oberste Burgermeister span Alcalde Mayor der zustandigen Verwaltung war dann fur die Zuteilung der abgestellten Arbeiter auf Landwirtschaft Bergbau etc zustandig Hacienda und Fazenda BearbeitenIm Zuge der Unabhangigkeitsbewegungen ab 1810 wurden die geliehenen Grossgrundbesitzungen in Eigentumsverhaltnisse umgewandelt Die jetzt Hacienda spanisch beziehungsweise Fazenda portugiesisch genannten Farmen waren deutlich kleiner umfassten aber haufig immer noch tausende bis zehntausende Hektar Land Latifundien Bearbeiten Ein weitgehend synonymer Begriff ist in diesem Kontext das Latifundium auch Latifundie lateinisch latus weit fundus Boden Grundbesitz Der Begriff bezeichnete in der Antike den Grossgrundbesitz der romischen Senatoren seit dem 2 vorchristlichen Jahrhundert Diese antiken Latifundien wurden ursprunglich von Sklaven bewirtschaftet In Sudamerika und in Spanien wird das Wort bis heute fur Grossgrundbesitz gebraucht im Gegensatz zu Minifundium fur kleinbauerliche Subsistenzwirtschaft Sklaverei und Abhangigkeit Bearbeiten Sowohl vor als auch nach der Unabhangigkeit wurden afrikanische Sklaven vor allem auf den exportorientierten Plantagen im Karibischen Becken an der Pazifikkuste Perus und in Brasilien eingesetzt Typische Haciendas im Hochland sicherten sich die Abhangigkeit der Indigenas auf subtilere Weise In einem quasi feudalen System bekamen die Landarbeiter eine kleine Parzelle zugeteilt auf der sie Subsistenzwirtschaft betreiben durften Als Gegenleistung mussten sie fur den hacendado oder patron Arbeitsleistungen erbringen nichts anderes als Frondienste Im besten Fall fuhrte der Gutsherr seine Hacienda paternalistisch und ermoglichte so den Menschen ein ertragliches und gesichertes Leben ohne jedoch an der Fortdauer der stark hierarchischen Machtverteilung oder der Abhangigkeit etwas zu andern Die Sklaverei wurde in Brasilien erst 1888 und damit spater als in fast allen anderen Landern abgeschafft Die systematische Haltung von Abhangigen im sozial relativ geschlossenen Hacienden System dauerte bis weit in das 20 Jahrhundert hinein an Grossgrundbesitz als Entwicklungshemmnis BearbeitenDie von Grossgrundbesitzern dominierte Agrarstruktur ist bis heute eines der zentralen Hemmnisse fur die wirtschaftliche und soziale Entwicklung Lateinamerikas Brache Bearbeiten Haufig lagen und liegen grosse Teile der sudamerikanischen Grossgrundbesitze brach oder wird nur extensiv z B durch Schaf und Rinderzucht genutzt was erst bei naherer Betrachtung den hacendados nutzt Zum einen blockiert dies die potenzielle Anbauflache so dass die Arbeitskrafte nicht auf freies Land ausweichen konnen So ist das Brachland zwar unproduktiv gebundenes Kapital aber doch eine Sicherung gegen den Verlust der billigen Arbeitskrafte Zum anderen ist Landbesitz in Sudamerika seit der Kolonialzeit und zum Teil bis heute ein Statussymbol die Eintrittskarte in die elitare Oberschicht So kauften sich viele Handler oder spater Industrielle riesige Landereien zusammen ohne aber ein Interesse an einer Intensivierung der Landwirtschaft zu haben Geldlose Wirtschaft Bearbeiten Ausserdem behinderten Hacienda Strukturen die Industrialisierung weil sie keine Nachfrage erzeugten Die Arbeiter erhielten fur ihre Leistung eine Landparzelle mit der sie sich selbst versorgten wenn ihnen neben der Zwangsarbeit uberhaupt die Zeit dafur blieb aber keinen Lohn Damit wurde keine Nachfrage nach einfachen Handwerks oder Industriegutern geschaffen Der hacendado mit seinem immensen Reichtum ubte ebenfalls kaum Nachfrage nach einfachen im Land produzierbaren Gutern aus sondern liess vor allem Luxusguter aus Europa importieren Die massive Landflucht fuhrte jedoch seit 1860 in vielen Regionen zuerst wohl in Chile zum Zusammenbruch dieses Agrarsystems Die Weltwirtschaftskrise in den Jahren nach 1929 und erneut die Finanzkrise seit 2008 fuhrten ebenfalls dazu dass viele Haziendas mit weniger ertragreichen Landereien aufgegeben wurden Extraktive Wirtschaftsinstitutionen Bearbeiten Die amerikanischen Politikwissenschaftler Daron Acemoglu und James A Robinson sehen in den extraktiven das heisst auf Ausbeutung der Masse der Bevolkerung angelegten Institutionen wie der Encomienda des Repartimiento oder der im Bergbau eingesetzten Mita eine wesentliche Ursache fur Entwicklungsruckstande Lateinamerikas Weil keinerlei Anreiz bestand die eigene Arbeitsleistung zu erhohen da der Gewinn ja nur den Encomenderos oder den Bergwerkseigentumern zugutegekommen waren blieb die indigene Bevolkerung jahrhundertelang bei ihrer zunehmend veralteten Agrartechnik Auch fur die Eliten bestand kein Anreiz zur Modernisierung da durch die verschiedenen Formen der Zwangsarbeit immer genug preiswertes Humankapital zur Verfugung stand Uber Pfadabhangigkeiten hatten sich diese entwicklungshemmenden extraktiven Strukturen bis in die Gegenwart fortgesetzt 8 Landreformen BearbeitenIn den meisten Landern Lateinamerikas gibt es heute Bestrebungen zu Landreformen Einigermassen wirksam umgesetzt wurden diese aber bisher erst in Venezuela Kuba und Peru in Nicaragua hatten die Sandinisten eine Landreform durchgefuhrt die heute jedoch zu bedeutenden Teilen wieder ruckgangig gemacht ist In Brasilien kampft die Landlosenbewegung Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra fur die Umsetzung der Landreform Literatur BearbeitenPeter Bakewell A History of Latin America Blackwell Malden MA u a 1997 ISBN 0 631 20547 0 Ernest Feder Erdbeer Imperialismus Studien zur Agrarstruktur Lateinamerikas Suhrkamp Frankfurt am Main 1980 ISBN 3 518 10977 4 Ernest Feder Agrarstruktur und Unterentwicklung in Lateinamerika Europaische Verlagsanstalt Frankfurt am Main 1973 ISBN 3 434 30145 3 Ernest Feder Hrsg Gewalt und Ausbeutung Lateinamerikas Landwirtschaft Hoffmann und Campe Hamburg 1973 ISBN 3 455 09100 8 Einzelnachweise Bearbeiten Auch zum Folgenden siehe Richard Konetzke Sud und Mittelamerika I Die Indianerkulturen Altamerikas und die spanisch portugiesische Kolonialherrschaft Fischer Weltgeschichte Band 22 Fischer Frankfurt am Main 1965 S 173 195 Richard Konetzke Sud und Mittelamerika I Die Indianerkulturen Altamerikas und die spanisch portugiesische Kolonialherrschaft Fischer Weltgeschichte Band 22 Fischer Frankfurt am Main 1965 S 175 180 Gabriel Paquette The European Seaborne Empires From the Thirty Years War to the Age of Revolutions Yale University Press New Haven London 2019 ISBN 978 0 300 24527 1 S 146 abgerufen uber De Gruyter Online Lawrence A Clayton Bartolome de las Casas A Biography Cambridge University Press Cambridge 2012 S 278 282 u o Lynn A Guitar Negotiations of Conquest In Stephan Palmie Francisco A Scarano Hrsg The Caribbean A History of the Region and Its Peoples University of Chicago Press Chicago 2013 S 121 Richard Konetzke Sud und Mittelamerika I Die Indianerkulturen Altamerikas und die spanisch portugiesische Kolonialherrschaft Fischer Weltgeschichte Band 22 Fischer Frankfurt am Main 1965 S 121 Eberhard Schmitt Hrsg Der Aufbau der Kolonialreiche Dokumente zur Geschichte der europaischen Expansion Bd 3 C H Beck Munchen 1987 S 44 f Michael Zeuske Handbuch Geschichte der Sklaverei Eine Globalgeschichte von den Anfangen bis heute De Gruyter New York Berlin 2013 S 231 f Daron Acemoglu und James A Robinson Warum Nationen scheitern Die Ursprunge von Macht Wohlstand und Armut S Fischer Frankfurt am Main 2013 S 37 40 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Agrarstrukturen in Lateinamerika amp oldid 226783194