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Unter dem Abgrenzungsproblem auch Demarkationsproblem versteht man in der Wissenschaftstheorie spatestens seit Karl Popper das Problem ein Kriterium fur die Unterscheidung zwischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft oder aber enger gefasst zwischen empirischer Wissenschaft und anderen wissenschaftlichen oder pseudowissenschaftlichen Aktivitaten bzw Aussagen zu formulieren also ein Kriterium wonach etwa Behauptungen Satze Satzsysteme der empirischen Wissenschaft von Aussagen der Logik der Mathematik der Metaphysik oder auch von Mythen unterschieden werden konnen 1 Popper schlagt vor die Falsifizierbarkeit einer Aussage durch Basissatze als Abgrenzungskriterium zu wahlen Laut Popper hatte schon David Hume das Problem bearbeitet aber erst durch Immanuel Kant wurde die Frage nach den Grenzen der wissenschaftlichen Erkenntnis in den Mittelpunkt gestellt 2 was und wie viel kann Verstand und Vernunft frei von aller Erfahrung erkennen 3 Popper schlug deswegen ursprunglich auch die Bezeichnung Kantsches Problem vor Allerdings betonte er dann spater dass die Grenze der empirischen Wissenschaft nicht die Grenze des vernunftig und rational Diskutierbaren darstelle 4 Bereits Aristoteles indes hatte ein Kriterium angegeben wonach die empirische Wissenschaft das zeitlich Veranderliche nichtempirische Wissenschaften wie Mathematik hingegen das Unveranderliche behandelten 5 Inhaltsverzeichnis 1 Falsifizierbarkeit Widerlegbarkeit 2 Andere Demarkationskriterien 3 Anforderungen an empirische Aussagen 4 Quellen 5 LiteraturFalsifizierbarkeit Widerlegbarkeit BearbeitenHauptartikel FalsifikationismusFur Karl Popper ist das Humesche Problem der Induktion die Frage nach der Geltung der Naturgesetze Sie entstand durch den scheinbaren Widerspruch zwischen der Grundthese des Empirismus Nur Erfahrung kann uns uber die Wahrheit oder Falschheit einer Wirklichkeitsaussage belehren Popper schlug zur Losung der Frage vor die implizite Voraussetzung fallen zu lassen dass Satze voll entscheidbar sein mussen Er sieht stattdessen Naturgesetze wie Theorien als teilentscheidbar an d h zwar nicht verifizierbar hingegen durch empirische Tatsachen falsifizierbar bzw dadurch kritisierbar In fruhen Ausfuhrungen dazu trug er eine sehr radikale Abwandlung von Einsteins Diktum vor die die theoretisch beschreibbare Realitat mit dem Falsifizierbaren gleichsetzte eine Position die er spater so nicht mehr vertrat Insofern sich die Satze einer Wissenschaft auf die Wirklichkeit beziehen mussen sie falsifizierbar sein und insofern sie nicht falsifizierbar sind beziehen sie sich nicht auf die Wirklichkeit 6 Daraus ergibt sich fur Popper als Abgrenzungskriterium die Falsifizierbarkeit einer Behauptung durch empirische Tatsachen Ein empirisch wissenschaftliches System muss an der Erfahrung scheitern konnen 7 Das Falsifizierbarkeitskriterium hat erstens mit der logischen Struktur von Aussagen zu tun wie diese logisch scheitern konnen und zweitens mit deren methodologischer Verwendungsweise wie sie dazu gebracht werden konnen an der Erfahrung zu scheitern 8 Poppers Abgrenzungsproblem ist nicht zu verwechseln mit der seinerzeit im Wiener Kreis zuvor diskutierten Problemstellung die auf Ludwig Wittgenstein zuruckgeht namlich wie sinnvolle Satze von Unsinn zu unterscheiden seien Verifikationskriterium des Sinnes 9 Durch Poppers Losung der Fragen der Induktion und der Abgrenzung ergeben sich folgende Konsequenzen Metaphysische Aussagen werden nicht von vornherein fur sinnlos erklart 6 Naturgesetze sind weil weder endgultig verifizierbar noch falsifizierbar nichts weiter als Vermutungswissen Sie bilden genau genommen nicht ein System unseres Wissens sondern ein System von Hypothesen 10 Das Kriterium dafur wann eine Theorie erfahrungswissenschaftlich ist bzw einen empirischen Gehalt aufweist d h wann sie eine wissenschaftliche Aussage uber die Realitat macht hat sich auch ausserhalb des von Popper entwickelten Kritischen Rationalismus durchgesetzt wenn auch nur teilweise und in mehr oder weniger abgewandelter Form In der Analytischen Philosophie taucht es als Widerlegbarkeitskriterium auf 11 Eine These die prinzipiell nicht falsifiziert werden kann gilt als nicht wissenschaftlich da sie keine durch empirische Beobachtungen uberprufbaren Aussagen macht bzw keine falsifizierbaren Voraussagen trifft Daher konnen jedes analytische Ergebnis und jeder empirische Befund als Beleg zur Bestatigung einer derartigen These aufgefasst werden Die Etablierung der Falsifizierbarkeit als ein zentrales Kriterium fur Wissenschaftlichkeit bedeutet dass Hypothesen und Theorien stets prufbar sein mussen Wenn Falsifikation nicht moglich ist entsteht Abschottung d h Immunisierung gegen alternative Standpunkte und widersprechende Fakten Indes bedeutet nicht jede experimentelle Widerlegung dass eine wissenschaftliche Lehre aufgegeben werden muss So kann etwa die methodische Korrektheit eines Experiments fraglich sein Auch ist es moglich stutzende Hypothesen einzufuhren die eine Theorie absichern Beispiel Um die Umlaufbahn des Uranus zu bestimmen wandten Astronomen Newtons Gravitationsgesetz an Die Beobachtungen widersprachen allerdings den Erwartungen Anstatt nun das Newtonsche Gesetz fur widerlegt zu betrachten bildeten sie die Ad hoc Hypothese dass es einen anderen noch unbekannten Planeten geben musse was sich spater auch bestatigte 12 Durch die Einfuhrung von Ad hoc Hypothesen wird der Falsifizierbarkeitsgrad einer empirischen Aussage verringert Popper schlug daher in Logik der Forschung die Regel vor auf Ad hoc Hypothesen vollig zu verzichten Der Wissenschaftstheoretiker Imre Lakatos hingegen vertrat die Auffassung eine Theorie bzw ein Forschungsprogramm erst dann als degeneriert und somit als unwissenschaftlich zu betrachten wenn sie praktisch bei jedem signifikanten Test widerlegt wird Andere Demarkationskriterien BearbeitenNeben dem Kriterium der Falsifizierbarkeit werden in der Wissenschaftstheorie auch andere Kriterien vorgeschlagen um Wissenschaft von Nicht Wissenschaft abzugrenzen so durch den Positivismus die Induktion und Verifikation Fur Martin Gardner sind Bestatigung einer Theorie durch Beweise und Kompetenz der Forscher ausschlaggebend 13 Paul R Thagard schlagt das Vorhandensein der Faktoren Theorienbildung Forschungsgemeinschaft und historischer Kontext als Demarkationskriterium vor 14 Der Wissenschaftshistoriker Thomas Samuel Kuhn betonte den Fortschritt im Sinne einer Progression verschiedener Phasen Er lehnte Poppers Vorschlag der Falsifizierbarkeit zur Demarkation ab und griff lediglich die Forderung nach konkreten Vorhersagen auf Anstelle der Falsifizierbarkeit schlug er die Moglichkeit der Weiterentwicklung als Abgrenzungskriterium vor Innerhalb einer Theorie musse es moglich sein Normalwissenschaft zu betreiben also kleinere Probleme innerhalb des gewahlten Paradigmas zu losen Ratsellosen Bei nicht wissenschaftlichen Lehren sei genau diese Verbesserung nicht moglich So schreibt er uber die Astrologie They had rules to apply they had no puzzles to solve and therefore no science to practice 15 Imre Lakatos sieht die Progressivitat eines Forschungsprogramms als das Schlusselkriterium an 16 Martin Mahner befurwortet eine Abgrenzung auf Basis einer Checkliste die auf Fachbereiche angepasst werden kann aber kein scharfes Kriterium bildet Er begrundet dies mit der Notwendigkeit der Burger einer zivilisierten und gebildeten Gesellschaft wissenschaftlich informierte Entscheidungen zu treffen 17 Unabhangig davon wo die Linie eines Abgrenzungskriteriums gezogen wird halt Mahner es fur wichtig eine Line zu ziehen um nicht in Relativismus Beliebigkeit und Irrationalismus zu verfallen 18 Anforderungen an empirische Aussagen BearbeitenAls Kriterien Sollvorgaben die Aussagen einer empirischen Wissenschaft erfullen sollen werden von verschiedenen Stromungen der Wissenschaftstheorie angefuhrt Innere Widerspruchsfreiheit Hypothesen oder Theorien sollen in ihrem Aufbau keine logischen Widerspruche aufweisen Aussere Widerspruchsfreiheit Hypothesen oder Theorien sollen mit bereits akzeptiertem Wissen kompatibel sein externe Konsistenz oder angeben wo bislang als gesichert anzunehmendes Wissen in ihrem Sinne zu korrigieren ist Aussagekraft Eine Theorie soll moglichst aussagekraftig sein und moglichst viele und prazise Prognosen machen d h es sollen moglichst viele logische Satze im Widerspruch zu den Theorien oder Hypothesen stehen die Theorie soll demnach so viel wie moglich verbieten Verstandlichkeit Theorien und Hypothesen sollen in einer moglichst einfachen und klaren Sprache formuliert werden Vorlaufigkeit Die Formulierung der Theorien und Hypothesen soll Schwachstellen nach Moglichkeit offenlegen und nicht dort Gewissheit vorspiegeln wo es keine geben kann Quellen Bearbeiten Die Aufgabe ein solches Kriterium zu finden durch das wir die empirische Wissenschaft gegenuber Mathematik und Logik aber auch gegenuber metaphysischen Systemen abgrenzen konnen bezeichnen wir als Abgrenzungsproblem Karl R Popper Logik der Forschung Wien 1935 Kapitel 4 Das Abgrenzungsproblem Teilweise erwahnt Popper nur Metaphysik Karl Popper Zwei Mitteilungen uber Induktion und Abgrenzung 1933 1934 In Karl R Popper Logik der Forschung Tubingen 8 verb u verm Aufl 1984 ISBN 3 16 944778 5 S 255 teilweise auch Pseudowissenschaft und Mythen Herbert Keuth Hrsg Karl Popper Logik der Forschung 3 bearb Auflage 2007 ISBN 978 3 05 004368 5 S 43 Karl R Popper Logik der Forschung Wien 1935 Kapitel 4 Das Abgrenzungsproblem Immanuel Kant Vorrede Kritik der reinen Vernunft Werkausgabe hrg von Wilhelm Weischedel Bd VI Frankfurt 1 Aufl 1974 S 16 ISBN 3 518 27655 7 K Popper Objektive Erkenntnis Hoffmann und Campe 1993 ISBN 3 455 10306 5 Kap 2 Anm 9 John Losee A historical introduction to philosophy of science Oxford University Press 1977 S 14 a b Karl Popper Zwei Mitteilungen uber Induktion und Abgrenzung 1933 1934 In Karl R Popper Logik der Forschung Tubingen 8 verb u verm Aufl 1984 ISBN 3 16 944778 5 S 256 Karl R Popper Logik der Forschung Tubingen 8 verb u verm Aufl 1984 ISBN 3 16 944778 5 S 15 Hans Jurgen Wendel Das Abgrenzungsproblem I Kap Abschn 4 In Herbert Keuth Hrsg Karl Popper Logik der Forschung Akademie Verlag Berlin 1998 ISBN 3 05 003021 6 S 46 Karl Popper Zwei Mitteilungen uber Induktion und Abgrenzung 1933 1934 In Karl R Popper Logik der Forschung Tubingen 8 verb u verm Aufl 1984 ISBN 3 16 944778 5 S 254 256 vgl S 15 Anm 3 Karl Popper Zwei Mitteilungen uber Induktion und Abgrenzung 1933 1934 In Karl R Popper Logik der Forschung Tubingen 8 verb u verm Aufl 1984 ISBN 3 16 944778 5 S 258 Wolfgang Balzer Die Wissenschaft und ihre Methoden Grundbegriffe der Wissenschaftstheorie Alber 1997 ISBN 3 495 47853 1 siehe hierzu z B Richard J McNally Is the pseudoscience concept useful for clinical psychology The Scientific Review of Mental Health Practice Fall Winter 2003 Vol 2 Nr 2 Gardner Fads and Fallacies In the Name of Science 1957 Paul R Thagard Why Astrology is a Pseudoscience In M Curd J A Cover Hrsg Philosophy of Science The Central Issues 1998 S 27 37 Thomas Kuhn Logic of Discovery or Psychology of Research 1970 S 8 Lakatos Falsifikation und die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme In I Lakatos A Musgrave Hrsg Kritik und Erkenntnisfortschritt 1974 Martin Mahner Science and Pseudoscience How to Demarcate after the Alleged Demise of the Demarcation Problem In Pigliucci Massimo Boudry Maarten Hrsg Philosophy of pseudoscience reconsidering the demarcation problem Chicago 2014 ISBN 978 0 226 05182 6 S 29 43 Martin Mahner Demarcating Science from Non Science In General Philosophy of Science Elsevier 2007 ISBN 978 0 444 51548 3 S 516 575 571 doi 10 1016 b978 044451548 3 50011 2 englisch Literatur BearbeitenImre Lakatos Alan Musgrave Hrsg Problems in the Philosophy of Science Proceedings of the International Colloquium in the Philosophy of Science London 1965 vol 3 Amsterdam 1968 Imre Lakatos Alan Musgrave Criticism and the Growth of Knowledge Cambridge 1970 Imre Lakatos Popper on Demarcation and Induction in Paul Arthur Schilpp Hrsg The Philosophy of Karl Popper Book I La Salle Ill 1974 Imre Lakatos The Methodology of Scientific Research Programmes Cambridge 1978 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Abgrenzungsproblem amp oldid 224426760