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Imre Lakatos 9 November 1922 in Debrecen Ungarn 2 Februar 1974 in London England war ein ungarischer Mathematiker Physiker und Wissenschaftstheoretiker In seinen wissenschaftstheoretischen Beitragen vermittelte er zwischen dem Falsifikationismus Karl Poppers dem Konzept des Paradigmas von Thomas S Kuhn und dem epistemologischen Anarchismus Paul Feyerabends Imre Lakatos Inhaltsverzeichnis 1 Leben 2 Falsifikationismus 2 1 Grundproblem 2 2 Forschungsprogramme 3 Werke 4 Weblinks 5 EinzelnachweiseLeben BearbeitenLakatos wurde in Ungarn als Imre Lipschitz geboren Um der Verfolgung durch das Horthy Regime zu entgehen und sein Judentum zu verschleiern er konnte sich so den ungarischen Judengesetzen entziehen anderte Imre Lipschitz wahrend des Zweiten Weltkriegs seinen Namen zunachst in Imre Molnar und nach dem Krieg in Imre Lakatos Er studierte Mathematik Physik und Philosophie in Debrecen und vertiefte sein Wissen in Budapest und Moskau 1948 war er daran beteiligt die Lehre der Freudschen Psychoanalyse in Budapest zu verhindern 1 Er war wissenschaftlich und politisch sehr aktiv aber lange wegen Revisionismus inhaftiert Nach seiner Flucht in den Westen 1956 setzte er in Cambridge seine Studien fort Er bekam mehrere Anstellungen als Dozent und war Professor an mehreren Universitaten Neben Arbeiten zur mathematischen Beweistheorie welche durch die hegelsche und marxsche Dialektik beeinflusst waren versuchte Lakatos zwischen dem von Karl Popper vertretenen Falsifikationsbegriff und der Entwicklung von Wissenschaft wie sie von T S Kuhn dargestellt wurde Brucken zu schlagen Er starb 1974 an einer intrazerebralen Blutung Lakatos war mit Paul Feyerabend befreundet mit dem er u a in Briefen Debatten uber Wissenschaftstheorie fuhrte Die beiden sollen geplant haben ein gemeinsames Buch zu schreiben Against Method Feyerabends beruhmteste Veroffentlichung sollte sein Beitrag dazu sein Da Lakatos jedoch uberraschend verstarb ohne seinen Teil geschrieben zu haben konnte das geplante Buch nie entstehen 2 Falsifikationismus BearbeitenGrundproblem Bearbeiten Die Auffassung dass Theorien ganz aufgegeben werden mussen wenn sie falsifiziert d h von experimentellen oder empirischen Resultaten widerlegt werden verwarf Lakatos als naiven Falsifikationismus Seine Kritik betraf dreierlei Es gibt keine reinen Daten die nur aus Beobachtung bestunden Jede Aussage enthalt Theorie und jedwede Beobachtung ist nur moglich weil ihr eine Theorie zugrunde liegt Es ist kein ausreichender Grund eine Theorie zu verwerfen wenn sie mit den Daten nicht ubereinstimmt Vielmehr sind stets mehrere Aussagen zu betrachten die hierbei nicht in Einklang miteinander stehen Erstens die Theorie zweitens die Daten und drittens die Ceteris paribus Klausel und meistens noch weitere Aussagen Es ist daher keineswegs offensichtlich wenn die Gesamtheit aller zu betrachtenden Aussagen inkonsistent ist dass ausgerechnet die Theorie fallen gelassen werden muss Auch praktisch geht Wissenschaft nicht so vonstatten Lakatos sucht den realen Verlauf wissenschaftlicher Theorienentstehung logisch rational nachzuzeichnen Und in der Praxis verlauft es anders als der methodologische Falsifikationismus es vorzeichnet Nach Lakatos existieren vielmehr lediglich verschiedene Theorien aber keine reine Beobachtung Jede Theorie steht im Wettstreit mit anderen Theorien Eine neue Theorie sollte indessen stets einen epistemologischen und empirischen Gehaltsuberschuss gegenuber der alten Theorie haben progressive Problemverschiebung Eine ganz neue Theorie die nicht bloss Weiterentwicklung einer alten ist besitzt ausserdem eine positive und eine negative Heuristik Eine positive Heuristik ist nach Lakatos was eine Forschergemeinschaft hofft an Erkenntnissen mit der neuen Theorie zu erreichen Die negative Heuristik ist ein harter Kern an Grunduberzeugungen die unter keinen Umstanden und gegen keine Fakten aufgegeben werden durfen Raffinierten Falsifikationismus nennt Lakatos dieses Modell weil er es als Weiterentwicklung von Poppers Falsifikationismus sieht Es wird jedoch bestritten dass dieses Modell im wissenschaftstheoretischen Sinn noch ein Falsifikationismus ist Lakatos spricht auch selbst beim raffinierten Falsifikationismus von einer historischen Falsifikation was etwa so viel bedeutet wie Die Geschichte und der in Lakatos Metaphorik darwinistische Kampf ums Dasein der an die Welt am besten angepassten Theorien falsifizieren sozusagen ruckwirkend die Theorien die sich als nicht praktikabel erwiesen Beispielsweise sind nach Lakatos die drei newtonschen Gesetze als Teil des Kernes der newtonschen Mechanik nicht widerlegbar Erst durch Einfuhrung zusatzlicher falsifizierbarer Gesetze Gravitationsgesetz Coulombsches Gesetz etc werden die newtonschen Gesetze zur testbaren Theorie erweitert Falsifizierung einer Theorie bestehend aus den newtonschen Gesetzen plus Kraftgesetzen fuhrt damit auch nicht zur Aufgabe der newtonschen Gesetze sondern nur zur Modifizierung der Kraftgesetze Prinzipiell aufgegeben wurde die newtonsche Mechanik erst als durch die spezielle Relativitatstheorie ein neues leistungsfahigeres Forschungsprogramm zur Verfugung stand Forschungsprogramme Bearbeiten Lakatos geht davon aus dass Theorien nie isoliert sondern nur als Teile grosserer Theoriensysteme und Methodenregeln sogenannter Forschungsprogramme beurteilt werden konnen Sein Begriff des Forschungsprogramms ist mit dem Paradigma Begriff Kuhns verwandt Theorien sind in der Regel als Forschungsprogramme strukturiert so dass sie weiterhin eindeutige Annahmen und Vorschriften enthalten wie sie aufgebaut sind und weiterentwickelt werden sollen Im Gegensatz zu Kuhn jedoch ist Lakatos der Auffassung dass verschiedene Forschungsprogramme rational verglichen und diskutiert werden konnen Die Wissenschaft kann Fortschritte machen und sich vernunftig entwickeln Lakatos betrachtet Fortschritt der Wissenschaft indes nicht als eine kontinuierliche Annaherung an die Wahrheit sondern als eine Reihe von Problemverschiebungen die uns standig auf eine hohere Stufe gelangen lassen Bestandteile eines Forschungsprogramms Harter Kern Grundannahme der Theorie Negative Heuristik Unantastbarkeit des harten Kerns und Vermeidung von Ad hoc Modifikationen des Schutzgurtels Es existiert hier keine degenerative Problemverschiebung Wie sollte man nicht vorgehen Schutzgurtel von Hilfshypothesen um den harten Kern Positive Heuristik Grobe Richtlinien wie das Forschungsprogramm entwickelt werden konnte Es existiert eine progressive Problemverschiebung Erklarung neuer Phanomene durch Anderung der Annahmen Wie sollte man vorgehen Durch weiteren Ausbau des Forschungsprogrammes bzw des Theoriensystems entstehen degenerative Problemverschiebungen Diese Immunisierung gegen die Falsifikation erlaubt eine Einfuhrung von Ad hoc Zusatzannahmen Obwohl sich diese Zusatzannahmen widersprechen konnen sind sie bezogen auf den harten Kern jedoch gultig und widerlegen ihn nicht Werke BearbeitenBeweise und Widerlegungen Die Logik mathematischer Entdeckungen Wissenschaftstheorie Wissenschaft und Philosophie Nr 14 Vieweg Verlag Braunschweig 1979 ISBN 3 528 08392 1 englisch Proofs and Refutations The Logic of Mathematical Discovery London 1976 Ubersetzt von Detlef D Spalt The Methodology of Scientific Research Programmes Philosophical Papers Volume 1 Cambridge University Press Cambridge 1977 Mathematics Science and Epistemology Philosophical Papers Volume 2 Cambridge University Press Cambridge 1978 Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Imre Lakatos Sammlung von Bildern Videos und Audiodateien Literatur von und uber Imre Lakatos im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek John J O Connor Edmund F Robertson Imre Lakatos In MacTutor History of Mathematics archive Alan Musgrave Charles Pigden Imre Lakatos In Edward N Zalta Hrsg Stanford Encyclopedia of Philosophy Matteo Motterlini Reconstructing Lakatos Discussion Paper Series DP 56 01 der LSE Einzelnachweise Bearbeiten Paul Harmat Freud Ferenczi und die 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