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Unter dem Druck der nationalsozialistischen Politik zur Separierung von judischen und arischen Stadtbewohnern welche in dem Gesetz uber Mietverhaltnisse mit Juden vom 30 April 1939 gipfelte richteten zahlreiche deutsche Gemeinden zwischen 1939 und 1942 rund 140 euphemistisch Judische Altenheime genannte Zwangsaltersheime ein 1 Ein solches Altenheim diente im NS Unrechtsstaat zur Unterbringung alterer Judinnen und Juden unter Anwendung unmittelbaren Zwangs sowie im Anschluss daran zur weiteren Deportation der zunachst in diese Hauser Verschleppten Bis zum am 1 Oktober 1941 von den Nationalsozialisten erlassenen Verbot der Auswanderung von Juden konnten nur rund 60 Prozent der deutschen Juden aus dem Land fliehen 2 Bereits zuvor wurden die jungeren in Deutschland verbliebenen Juden seit Beginn des Krieges gezwungen in sogenannte Judenhauser oder judische Ghettos umzuziehen Die ab 1939 eingerichteten Judischen Altenheime dienten hingegen der erzwungenen Unterbringung von judischen Senioren sowie alterer Angehoriger solcher judischen Familien deren jungere Mitglieder bereits ausgewandert waren Zugleich sollte von diesen Zwangsaltersheimen aus zentral die Deportation von Juden aus Deutschland in Ghettos und Konzentrationslager in Osteuropa und die Ermordung der Heimbewohnern dort eingeleitet werden Inhaltsverzeichnis 1 Einrichtung der Zwangsaltersheime 2 Leben in den Zwangsaltersheimen 3 Schicksal der Heimbewohner 4 Zwangsaltersheime in Wurttemberg 4 1 Herrlingen 4 2 Schloss Eschenau 4 3 Schloss Weissenstein 4 4 Schloss Dellmensingen 4 5 Schloss Oberstotzingen 4 6 Tigerfeld 4 7 Buttenhausen 5 Siehe auch 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseEinrichtung der Zwangsaltersheime BearbeitenIm Zuge der NS Politik der Ghettoisierung und der sogenannten Freimachung der Stadte betrieben viele Stadte und Gemeinden aktiv Vertreibungspolitik gegen Juden Es entstand ein regelrechter Wettbewerb um judenfreie Kreise und die Entjudung der Stadte 3 Am Beispiel von Wurttemberg zur Zeit des Nationalsozialismus lasst sich nachvollziehen dass seit 1939 die Gemeinden mit Unterstutzung des Wurttembergischen Innenministeriums der Gauleitung und der Gestapo Unterbringungsmoglichkeiten fur die judischen Senioren weit ausserhalb der Stadte und dicht besiedelten Gemeinden suchten Es wurden grosse leerstehende Gebaude wie renovierungsbedurftige Schlosser Landschulheime oder Amtshauser in abgelegenen Gemeinden mit Bahnanschluss ausgewahlt und dort die Altenheime eingerichtet In Wurttemberg geschah dies auch mit dem Ziel Juden aus den bereits zuvor bestehenden freien judischen Altersheimen in Stuttgart und Heilbronn zwangsweise dorthin umsiedeln zu konnen Leben in den Zwangsaltersheimen BearbeitenAus den Judischen Altenheimen in Wurttemberg ist bekannt dass die Lebensumstande sozial und hygienisch mangelhaft waren Die Heimbewohner hatten kaum Privatsphare da sie mit mehreren Personen in einem Zimmer untergebracht waren Durch die zwangsweise Umsiedlung in die Heime und durchgesetzte Ausgehverbote verloren die Betroffenen ihre verbliebenen familiaren und sozialen Kontakte ausserhalb des Heimes Schlechte hygienische Bedingungen knappe Lebensmittel kein Anspruch auf neue Kleidung und unzureichende Beheizung waren an der Tagesordnung Die Senioren wurden von judischen Pflegekraften betreut die unter denselben Bedingungen leben mussten Alle Juden wurden in der Judenkartei erfasst Schicksal der Heimbewohner BearbeitenKranke oder gebrechliche Heimbewohner wurden auf Anweisung der Gestapo in Heil und Pflegeanstalten eingewiesen wo sie im Rahmen der T4 Aktion ermordet wurden Die Judischen Altenheime in Wurttemberg wurden im August 1942 aufgelost und die verbliebenen Juden mit Zugen zum Stuttgarter Killesberg gebracht von wo am 22 23 August 1942 insgesamt 1078 4 Juden aus Baden und Wurttemberg in das KZ Theresienstadt deportiert wurden viele davon aus den wurttembergischen Zwangsaltersheimen 5 Theresienstadt wurde in der NS Propaganda als angebliches Altersghetto fur deutsche Juden dargestellt diente aber als Transitlager auf dem Weg in die grossen Vernichtungslager wie Auschwitz Von den 1078 Menschen auf diesem Transport uberlebten nur 49 Menschen den Holocaust 4 Die Gedenkstatte Zeichen der Erinnerung am Nordbahnhof Stuttgart erinnert an die Ermordeten Bei der Raumung der Altenheime wurde die verbliebene Habe der Bewohner teilweise offentlich versteigert 6 Die Gewinne dieser Verwertung flossen an die Finanzamter die bereits zuvor uber Instrumente wie die Judenvermogensabgabe versucht hatten moglichst hohe Abgaben und Steuern von den judischen Rentnern einzunehmen 7 Zwangsaltersheime in Wurttemberg BearbeitenEine umfassende Aufarbeitung oder geschichtswissenschaftliche Analyse der NS Zwangsaltersheime fehlt bisher 1 Fur Wurttemberg zur Zeit des Nationalsozialismus fand in einigen Fallen eine regionalspezifische Aufarbeitung der sieben dort existierenden Judischen Altenheime teilweise explizit Zwangsaltersheime genannt statt Herrlingen Bearbeiten Hauptartikel Judisches Altersheim Herrlingen Als erstes der Heime wurde 1939 das Judische Altersheim Herrlingen eingerichtet 8 Die judischen Treuhander des leerstehenden Herrlinger Schullandheims erhielten am 27 April 1939 von der Gestapo in Stuttgart die Genehmigung zur Einrichtung eines judischen Altersheims Das geplante judische Altersheim wurde zu einem systemkonformen Zwangsaltersheim umfunktioniert Bereits Ende September 1939 war das Heim mit 70 Bewohnern voll belegt Weitere Zwangseinweisungen folgten so dass Ende des Jahres 1941 insgesamt 93 Bewohner im Judischen Altenheim Herrlingen leben mussten 9 Von Anfang Dezember 1941 an wurden Bewohner sowie Pflegepersonal einzeln oder in Kleingruppen deportiert unter anderem nach Riga und in das judische Ghetto Izbica das als Transitlager fur die Vernichtungslager Belzec Majdanek und Sobibor diente Die verbliebenen Bewohner wurden am 22 23 August 1942 nach Theresienstadt deportiert Schloss Eschenau Bearbeiten Im Dezember 1941 beschlagnahmte die SS das leerstehende Schloss Eschenau und richtete dort das Zwangsaltersheim Eschenau ein 10 Rund 100 altere Juden aus Stuttgart wurden nach Eschenau gebracht Das Schloss war fur diese Anzahl von Personen plus Pflegepersonal nicht geeignet weshalb die Verhaltnisse extrem beengt waren Die meisten Einweisungen in das Zwangsaltersheim erfolgten vom 20 Dezember 1941 bis zum 7 Januar 1942 Im Laufe des Jahres 1942 wurden weitere Juden aus Heilbronn zwangseingewiesen Insgesamt waren von Dezember 1941 bis August 1942 116 Menschen im Schloss untergebracht Von Januar bis August 1942 starben zwolf der Bewohner 11 12 Sie wurden auf dem Judischen Friedhof in Affaltrach bestattet Die verbliebenen Bewohner wurden ebenfalls am 22 23 August 1942 nach Theresienstadt deportiert Schloss Weissenstein Bearbeiten Ende 1941 machte die Stapoleitstelle Stuttgart das Schloss Weissenstein im Lautersteiner Stadtteil Weissenstein zu einem Altenheim In das Judische Altenheim Weissenstein wurden mindestens 58 judische Menschen zwangseingewiesen Von hier wurden am 1 Dezember 1941 einige Personen nach Riga am 24 April 1942 weitere Personen in das Ghetto Izbica und mit dem Transport am 22 23 August 1942 die verbliebenen Menschen nach Theresienstadt deportiert 5 13 Schloss Dellmensingen Bearbeiten Das judische Zwangsaltenheim im Schloss Dellmensingen wurde im Februar 1942 eingerichtet Vorausgegangen waren einige Instandsetzungen der Sanitaranlagen des fur den beabsichtigten Zweck ungeeigneten dreigeschossigen Schlosses Zwischen Februar und August 1942 wurden hier insgesamt 128 Juden aus Wurttemberg die meisten aus dem Raum Stuttgart untergebracht 17 Personen davon verstarben bereits in Dellmensingen und wurden auf dem judischen Friedhof in Laupheim bestattet 14 15 Die letzten 101 Bewohnerinnen und Bewohner des Zwangsaltenheims wurden am 19 August 1942 in zwei Gruppen uber Stuttgart Killesberg nach Theresienstadt deportiert 16 wo insbesondere die Alteren und Pflegebedurftigen unter den unmenschlichen Bedingungen in kurzester Zeit verstarben Nur vier Personen aus dem Schloss Dellmensingen uberlebten die Befreiung von Theresienstadt am 8 Mai 1945 durch die Rote Armee 17 Schloss Oberstotzingen Bearbeiten Beginnend im Jahr 1942 diente das Schloss Oberstotzingen in Niederstotzingen als Judisches Altenheim 5 Tigerfeld Bearbeiten Im Pfronstettener Ortsteil Tigerfeld wurde ebenfalls ab 1942 von der Stapoleitstelle Stuttgart im alten Zwiefaltener Amtshaus ein Judisches Altenheim eingerichtet das bis zur Deportation der Bewohner im August 1942 betrieben wurde 5 Buttenhausen Bearbeiten In den Judischen Altenheimen Tigerfeld und dem nahegelegenen Buttenhausen wurden insgesamt 125 Personen zwangsuntergebracht und spater deportiert Die letzte judischen Bewohner des Altenheims in Buttenhausen wurde ebenfalls am 22 23 August 1942 nach Theresienstadt deportiert Keiner der Buttenhausener Juden uberlebte den Holocaust 18 Siehe auch BearbeitenJudisches Altersheim FunfbrunnenWeblinks BearbeitenDauerausstellung Judisches Zwangsaltenheim Eschenau in der ehemaligen Synagoge Affaltrach in der Datenbank der Landeszentrale fur politische Bildung Gedenkstatten in Baden Wurttemberg Judisches Zwangsaltersheim Herrlingen Stolpersteine fur Stuttgart Judenhauser Judenorte und Altersheime Einzelnachweise Bearbeiten a b Susanne Wein Rezension zu Ulmer Martin Ritter Martin Hrsg Das judische Zwangsaltenheim Eschenau und seine Bewohner Horb 2013 in H Soz Kult 12 Dezember 2013 abgerufen am 11 Mai 2019 Gerd Blumberg Flucht deutscher Juden uber die Grenze In Katharina Stengel Vor der Vernichtung die staatliche Enteignung der Juden im Nationalsozialismus Campus Verlag 2007 ISBN 978 3 593 38371 2 S 94 113 S 105 Martin Ulmer Martin Ritter Hrsg Das judische Zwangsaltenheim Eschenau und seine Bewohner Barbara Staudacher Verlag Horb Rexingen 2013 ISBN 978 3 928213 20 2 S 8 f und 28 a b Transport XIII 1 23 08 1942 Stuttgart Theresienstadt Holocaust cz Datenbank abgerufen am 11 Mai 2019 a b c d Ingrid Bauz Sigrid Bruggemann Roland Maier Hrsg Die Geheime Staatspolizei in Wurttemberg und Hohenzollern Stuttgart Schmetterling Verlag 2013 ISBN 3 89657 145 1 S 289ff Martin Ulmer Martin Ritter Hrsg Das judische Zwangsaltenheim Eschenau und seine Bewohner Barbara Staudacher Verlag Horb Rexingen 2013 ISBN 978 3 928213 20 2 S 145 f Christoph Raichle Die Finanzverwaltung in Baden und Wurttemberg im Nationalsozialismus Kohlhammer Verlag Stuttgart 2019 ISBN 978 3 17 035281 0 S 634 f Ulrich Seemuller Das judische Altenheim Herrlingen und die Schicksale seiner Bewohner 2 Auflage Ulm 2009 Ulrich Seemuller Herrlingen im Brennpunkt der Geschichte In Momente 2008 Nr 4 S 2 7 Martin Ulmer Martin Ritter Hrsg Das judische Zwangsaltenheim Eschenau und seine Bewohner Barbara Staudacher Verlag Horb Rexingen 2013 ISBN 978 3 928213 20 2 Martin Ulmer Martin Ritter Hrsg Das judische Zwangsaltenheim Eschenau und seine Bewohner Barbara Staudacher Verlag Horb Rexingen 2013 ISBN 978 3 928213 20 2 S 343 345 Polnischer Kulturverein bei der Polnischen Katholischen Gemeinde in Ludwigsburg e V Gedenkstatten in Baden Wurttemberg Memento des Originals vom 24 Juni 2018 im Internet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot www pkv ludwigsburg de PDF S 66 spricht von elf Verstorbenen Weissenstein Stadt Lauterstein Kreis Goppingen Judische Geschichte Alemannia Judaica Arbeitsgemeinschaft fur die Erforschung der Geschichte der Juden im suddeutschen und angrenzenden Raum abgerufen am 11 Mai 2019 Michael Koch Schloss Dellmensingen 1942 Ein judisches Zwangsaltenheim in Wurttemberg Hrsg Museum zur Geschichte von Christen und Juden Laupheim 2020 ISBN 978 3 00 066266 9 S 15 ff Letzte Reihen Abgerufen am 11 Januar 2021 Michael Koch Schloss Dellmensingen 1942 Ein judisches Zwangsaltenheim in Wurttemberg Hrsg Museum zur Geschichte von Christen und Juden Laupheim 2020 ISBN 978 3 00 066266 9 S 58 ff Michael Koch Schloss Dellmensingen 1942 Ein judisches Zwangsaltenheim in Wurttemberg Hrsg Museum zur Geschichte von Christen und Juden Laupheim 2020 ISBN 978 3 00 066266 9 S 67 f Wir als Juden konnen diese Zeit nie vergessen Die Juden von Buttenhausen Vom Leben und Untergang einer Landgemeinde in Wurttemberg Landeszentrale fur politische Bildung Baden Wurttemberg Renningen 2013 lpb bw de PDF 2 6 MB S 17 und S 56 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Judische Altenheime im Nationalsozialismus amp oldid 232341644