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Als Urevangelium wird ein hypothetisches Evangelium bezeichnet das den bekannten vier kanonischen Evangelien vorausgegangen sein soll und aus dem insbesondere die drei Synoptiker Markus Lukas und Matthaus geschopft haben sollen als sie ihre Evangelien niederschrieben Mit der Annahme eines solchen Urevangeliums sollte erklart werden dass trotz der grossen Ubereinstimmung der synoptischen Evangelien in den Grundzugen ihrer Erzahlung von den Reden und Taten Jesu Christi dennoch Abweichungen und Varianten bestehen die nicht miteinander ubereinstimmen Das Urevangelium so die gangige Annahme habe nur kurze kursorische Angaben enthalten und diese waren von den Evangelisten eigenstandig oder unter Heranziehung von uberliefertem Traditionsmaterial weiter ausgefuhrt worden Inhaltsverzeichnis 1 Antike Uberlieferung 2 Neuzeitliche Forschung 3 Diskrepanz und Losungsvorschlage 4 Das Urevangelium heute 5 FussnotenAntike Uberlieferung BearbeitenDie Annahme eines vom Apostel Matthaus in hebraischer oder aramaischer Sprache verfassten Ur Evangeliums geht auf die Darstellung der fruhchristlichen Kirchenvater zuruck Aus diesem Grund beginnt das Neue Testament mit dem Matthausevangelium Die einflussreichste Aussage uber ein von Matthaus verfasstes Urevangelium stammt von Eusebius von Caesarea der sich seinerseits auf Papias von Hierapolis beruft Matthaus hat die Logien von Jesus also in hebraischer Sprache zusammengestellt es interpretierte sie ein jeder aber so gut er es vermochte 1 An anderer Stelle schreibt Eusebius Matthaus der zunachst unter den Hebraern gepredigt hatte schrieb als er auch noch zu anderen Volkern gehen wollte das von ihm verkundete Evangelium in seiner Muttersprache denn er suchte denen von welchen er schied durch die Schrift das zu ersetzen was sie durch sein Fortgehen verloren 2 Eine ahnliche Sicht vertreten auch viele andere kirchliche Autoren der Antike 3 Uber alle vier Evangelien schreibt Augustinus von Hippo zuerst Matthaus dann Markus als Dritter Lukas zuletzt Johannes 4 Unter diesen vier wird in der Tat nur von Matthaus angenommen dass er in hebraischer Sprache geschrieben habe die anderen in griechischer Und wenn es auch so erscheint als ob jeder von ihnen einer personlichen Ordnung der Erzahlung folgt darf man nicht annehmen dass jeder einzelne Schriftsteller sich entschieden hatte in Unkenntnis dessen was seine Vorganger getan hatten zu schreiben 5 Dieser Annahme der Grosskirche standen divergierende Ansichten von Vertretern heterodoxer oft gnostisch beeinflusster Stromungen gegenuber So soll das von Marcion verbreitete Evangelium eine von ihm gesauberte Fassung des Lukasevangeliums gewesen sein die ubrigen Evangelien verwarf er Tatian verfasste eine Evangelienharmonie die sehr weit verbreitet war und besonders im Osten des Romischen Reichs gelesen wurde Wahrend diese Harmonie auf den vier kanonischen Evangelien beruhte sollen nach 70 verbliebene judenchristliche Gruppen Eusebius zufolge der sich hier auf Hegesippus stutzt eigene Evangelien verwendet haben Hebraerevangelium Ebionitenevangelium Nazaraerevangelium Deren Verhaltnis zu dem angenommenen hebraischen Urevangelium des Matthaus bleibt in den antiken Quellen unklar und widerspruchlich Neuzeitliche Forschung BearbeitenIm 18 Jahrhundert begann die textkritische Bearbeitung der synoptischen Evangelien und damit auch die Beschaftigung mit dem synoptischen Problem 6 7 In der Forschung gilt heute als sicher dass das kanonische Matthausevangelium auf Griechisch verfasst wurde also nicht in einer hebraischen Urform existierte 8 9 Die Synoptiker sind untereinander abhangig Heute ist die Zweiquellentheorie der synoptischen Evangelien die im 19 Jahrhundert unter anderem von Christian Hermann Weisse 1838 10 und Heinrich Julius Holtzmann 1863 entwickelt wurde die noch immer am weitesten verbreitete literarkritische Hypothese des Neuen Testaments die die Abhangigkeiten zu erklaren versucht Ihr zufolge sind Lukas und Matthaus jeweils vom Markusevangelium und einer verlorenen Spruchquelle Q abhangig die eine Sammlung mit Spruchen und Reden Jesu enthielt Wie das Urevangelium lasst sich aber auch das Vorhandensein dieser Logienquelle Q historisch nicht nachweisen Diskrepanz und Losungsvorschlage BearbeitenDie Angaben der antiken Kirchenvater und die Ergebnisse der neuzeitlichen Bibelforschung passten in vielen Punkten nicht zusammen weshalb unterschiedliche Hypothesen vertreten wurden um diese Diskrepanzen zu versohnen Unter diesen Losungsvorschlagen befinden sich auch sogenannte Urevangeliumshypothesen die von einem nicht kanonischen ersten Evangelium ausgehen Richard Simon vermutete dass das hebraische oder aramaische Matthausevangelium mit dem Nazaraerevangelium identisch sei 11 Gotthold Ephraim Lessing stellte 1778 die Hypothese auf dass sich die vier kanonischen Evangelien aus dem hebraischen Nazaraerevangelium entwickelt hatten 12 Die Griesbach Hypothese oder Zwei Evangelien Theorie versuchte die traditionelle aus den Angaben des Eusebius abgeleitete kirchliche Lehre zu stutzen Sie geht daher von Matthaus als dem ersten Evangelium aus auf dem das Lukas und das demgegenuber stark gekurzte Markusevangelium beruhten Die von Augustinus genannte Reihenfolge wird also etwas abgeandert Johann Gottfried Eichhorn vermutete 1804 das aramaische Urevangelium habe den drei Synoptikern in jeweils unterschiedlicher Form vorgelegen 13 Die Farrerhypothese 14 die sich gegen die Zweiquellentheorie wendet setzt wie diese das kurze Markusevangelium an den Anfang Von ihm hange das Matthausevangelium und von beiden das Lukasevangelium ab Weitere Theorien fassen die Aussage des Papias in ubertragenem Sinn auf So habe Matthaus nicht auf Hebraisch sondern nur im Stil der Hebraer geschrieben 15 Andere vermuteten Matthaus habe nicht ein sondern zwei Evangelien verfasst davon ein verlorenes auf Hebraisch 16 Das Urevangelium heute BearbeitenDrei neue Ansatze gehen erneut von einem Urevangelium aus James R Edwards 17 halt das verlorene Urevangelium des Matthaus fur die einzige Quelle aller judenchristlichen Evangelien Es liege auch dem Sondergut des Lukasevangeliums zugrunde Quelle L d i Material das nicht bei den anderen Synoptikern vorkommt Judas Phatre 18 geht davon aus die ursprungliche Spruchquelle sei nicht nur verlorengegangen sondern aktiv von der Kirche unterdruckt worden weil die darin dokumentierte Lehre Jesu eher der Gnosis zuzuordnen war die die Kirche ablehnte Deshalb seien die fur die Kirche akzeptablen Aussagen aus der Logienquelle in die Synoptiker eingeflossen andere Logien seien verandert oder ausgeschlossen weitere Spruche hinzuerfunden worden Der Text der am ehesten zu dieser von Phatre angenommenen Spruchquelle passt ist das wiederentdeckte Thomasevangelium das vermutlich ursprunglich keinen Verfassernamen trug Dass mehrere teils voneinander abweichende kanonische Evangelien anerkannt wurden soll Phatre zufolge ebenfalls eine gezielte Massnahme gewesen sein um das eigentliche Urevangelium zu einem unter vielen zu machen und damit seine Bedeutung zu verringern Unabhangig davon glauben andere ein traditionelles Urevangelium habe bereits um etwa 50 vorgelegen und die Ur Passionsgeschichte enthalten die in alle anderen Evangelien eingeflossen sei 19 Eine fruhe Passionserzahlung aus der Zeit vor der Zerstorung des Jerusalemer Tempels die sowohl von Markus als auch moglicherweise in einer anderen Fassung von Johannes benutzt wurde nehmen auch zahlreiche Forscher an die weiterhin die Zweiquellentheorie vertreten Fussnoten Bearbeiten Eusebius Kirchengeschichte III 39 Eusebius Kirchengeschichte III 24 J R Edwards The Hebrew Gospel amp the Development of the Synoptic Tradition Grand Rapids 2009 S 2 ff De consensu evangelistarum I 2 3 De consensu evangelistarum I 2 4 H Owen Observations on the Four Gospels London 1764 S 53 75 J J Griesbach Commentatio qua Marci evangelium totum e Matthaei et Lucae commentariis decerptum esse monstratur Jena 1789 H Olshausen Biblischer Commentar uber sammtliche Schriften des Neuen Testaments 2 Auflage Band 1 Konigsberg 1833 S 14 f H Koester Ancient Christian Gospels Their History and Development London 1990 S 318 C H Weisse Die evangelische Geschichte kritisch und philosophisch bearbeitet Zwei Bande Leipzig 1838 R Simon Histoire critique des versions du Nouveau Testament Rotterdam 1689 Gotthold Ephraim Lessing Neue Hypothese uber die Evangelisten als blos menschliche Geschichtsschreiber betrachtet J G Eichhorn Einleitung in das Neue Testament Gottingen 1804 1814 3 Bande A M Farrer On Dispensing with Q In D E Nineham Hrsg Studies in the Gospels Essays in Memory of R H Lightfoot Oxford 1955 S 55 88 verfugbar unter Archivierte Kopie Memento vom 1 Februar 2009 im Internet Archive Josef Kurzinger Papias von Hierapolis und die Evangelien des Neuen Testaments Regensburg 1983 S 21 E Nicholson The Gospel according to the Hebrews 1879 J R Edwards The Hebrew Gospel amp the Development of the Synoptic Tradition Grand Rapids 2009 J Phatre der Autorenname ist das Pseudonym eines unerkannt bleibenden Verfassers Die gute Botschaft der Menschenfresser Norderstedt 2014 Matthias Heine Jesus ist nie auferstanden weil er nicht starb In Die Welt 28 Januar 2019 abgerufen am selben Tag Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Urevangelium amp oldid 219701128