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Studie II ist eine einkanalige Mono elektronische Musikkomposition mit einer Lange von 3 20 Minuten von Karlheinz Stockhausen aus dem Jahr 1954 und bildet zusammen mit der Studie I sein Werk Nummer 3 Den Kompositionsauftrag gab der damalige NWDR in dessen Studio fur elektronische Musik Koln das Stuck entstand Die Urauffuhrung fand am 19 Oktober 1954 im Rahmen der Reihe Musik der Zeit zusammen mit Studie I und Werken anderer Komponisten in Koln statt Das Werk wurde bedeutsam weil es ohne Verwendung von elektronischen Instrumenten sondern aus reinen Sinustonen hergestellt wurde hier erstmals eine vollstandige kompositorische Kontrolle auch der Klangfarbe erreicht wurde es auf allen musikalischen Ebenen seriell organisiert ist und es als erste Partitur elektronischer Musik publiziert wurde Inhaltsverzeichnis 1 Vorgeschichte 2 Allgemeines 3 Material 4 Asthetik 5 Rezeption 6 Veroffentlichungen 7 Einzelnachweise 8 WeblinksVorgeschichte Bearbeiten1952 studierte Stockhausen in Paris bei Olivier Messiaen Auf Einladung von Pierre Schaeffer lernte er im Studio fur Konkrete Musik des franzosischen Rundfunks die Arbeit mit dem Tonband einer damals noch jungen Technologie kennen In wochenlanger Arbeit mit Schneiderei und Kleberei entstand sein Stuck Etude 1 Dabei lernte er die Beherrschung von Zeitdauern durch Rechnung in Tonbandmetern kennen Das Klangmaterial bestand aus Klangen verschieden praparierter mit Eisen angeschlagenen tiefen Klaviersaiten In Abgrenzung zur Musique concrete nahm sich Stockhausen anschliessend vor keine elektronischen Schallquellen zu benutzen die bereits zusammengesetzte Schallspektren Melochord Trautonium erzeugen sondern nur Sinustone eines Frequenzgenerators reine obertonfreie Tone 2 also weder elektroakustische Instrumente noch andere vorgefundene Klange verwenden Sein Ideal war es jeden Klang in allen Einzelheiten synthetisch zu erzeugen und damit selbst zu bestimmen Die bewusste musikalische Ordnung dringt bis in den mikroakustischen Bereich der Klangmaterie 2 S 22Er erprobte zunachst mit Studie I die Klangsynthese mit Sinustonen Es trat aber ein asthetisches Problem auf Anstatt einer Verschmelzung der Sinustone zu neuen komplexeren Klangen erscheinen die einzelnen Sinuston Komponenten separat horbar und sind damit leicht identifizierbar So entsteht statt einer neuen Klangqualitat eher der Eindruck von aus Sinustonen gebildeten Akkorden Zum anderen erhalten die einzelnen Sinustone dank ihrer leichten Identifizierbarkeit eine eigene Klangqualitat etwa vergleichbar dem spezifischen Klang eines einfachen Musikinstruments irgendwo zwischen Flote und speziellen Pfeifenorgel Registern 3 Diesen Klangeindruck beschrieb Theodor W Adorno Es hort sich an als truge man Webern auf einer Wurlitzerorgel vor 4 Um komplexere Klange zu erhalten dachte Stockhausen bei der Konzeption von Studie II zunachst an das Verfahren der Klanganalyse namlich der Zerlegung des weissen Rauschens in farbiges Rauschen 2 S 22 dazu waren aber elektronische Filtersysteme notig gewesen die es damals nicht gab Allgemeines BearbeitenKennzeichnend fur das Werk ist mit den Worten des Komponisten ein Streben nach Einheitlichkeit der Klangmaterie und ihrer Form 2 S 22 Jeder Klang und jedes Gerausch lasst sich durch Fourier Transformation als Uberlagerung von Sinustonen darstellen Sie konnen daher als die Elemente als die kleinsten nicht weiter reduzierbaren Teile der akustischen Erscheinungen aufgefasst werden Das gleichzeitige Erklingen von Sinustonen ergibt Tongemische Anders als die im August 1953 realisierte Studie I wurden die Tone in Studie II zu ubergeordnete n Klangfarben 5 gruppiert und verschmolzen In diesem Sinne treten bei diesem Stuck Formkriterien hoherer Ordnung in den Vordergrund Stockhausen spricht von Reihenvariationen uber ein Tongemisch 5 S 44 dazu siehe Unterpunkt Asthetik Das Werk ist der Seriellen Musik zuzuordnen da nicht nur Tonhohe und dauer sondern auch mathematisch aufschlusselbare Details der Klangfarbe mittels Reihentechniken komponiert sind die auch die Struktur Form des Stuckes bestimmen Die technische Realisation hat es moglich gemacht dass vom kleinsten Detail bis zur Gesamtform eine strenge zugleich einheitliche und in sich hochdifferenzierte Zahlenstruktur wirksam ist 6 In die Komposition gehen die praktischen Erfahrungen ein die Stockhausen bei der Realisation elektronischer Musik gemacht hatte statt die Tongemische durch Ubereinanderkopieren zu erstellen was das Bandrauschen sehr stark werden lassen wurde benutzte er einen Hallraum der die Sinustone simultan vermischt Damit wollte Stockhausen wenigstens indirekt einem Klangergebnis naherkommen das auf direktem Wege mangels hinreichend differenzierter Filter sich technisch nicht realisieren liess Die verhallten Tongemische mit ihren unterschiedlichen Intervallweiten sollten ahnlich klingen wie unterschiedlich breit gefilterte Rauschbander 6 Hervorstechend sind die Schwebungen zwischen den Sinustonen im tiefen Frequenzbereich unterhalb 200 Hz Weiteres wichtiges Gestaltungsmittel des Stuckes ist der dynamische Verlauf der Klange Hullkurven die diesen Verlauf beschreiben fuhren zu neuen klanglichen Strukturen indem sie das Kommen und ineinander uber Gehen der einzelnen Klange festlegen Anders als in Studie I wurden somit dynamische Hullkurven und Verhallungen Bestandteil der Komposition Es ist das erste Stuck elektronischer Musik von dem eine Partitur veroffentlicht wurde bei der Universal Edition Wien Sie gibt dem Tontechniker alle fur eine klangliche Realisation notigen Daten und moge Musikern und Liebhabern als Studienpartitur dienen vor allem in Verbindung mit der Musik 2 S 37Material BearbeitenFur dieses Stuck fuhrte Stockhausen eine 81 stufige aquidistante Tonhohenskala ein die bei 100 Hz beginnt und bis 17247 Hz reicht Die Abstande zwischen den aufeinanderfolgenden Tonstufen beruhen alle auf dem Frequenzverhaltnis 5 25 displaystyle sqrt 25 5 nbsp mit andern Worten das Intervall 5 1 zwei Oktaven plus reine grosse Terz wird in 25 gleiche Teile geteilt Dies unterscheidet sich vom traditionellen temperierten Tonsystem in dem eine Oktave aus zwolf Abschnitten besteht der Abstand zweier Stufen also durch das Verhaltnis 2 12 1 displaystyle sqrt 12 2 1 nbsp definiert ist Die Intervalleinheit in Stockhausens Tonraster ist ca 10 grosser als der temperierte Halbton des Zwolftonsystems 2 Stockhausen produzierte Tongemische die als aus Tonen beliebiger Frequenzen zusammengesetzter Schall 7 definiert sind In diesem Fall waren die Frequenzen nicht beliebig sondern nach seriellen Proportionen berechnet Diese Tongemische bestehen aus je funf Teiltonen Sinustonen die unterschiedlich weit im Spektrum der 81 stufigen Skala gespreizt sind also verschieden grosse Intervalle bilden namlich 1 2 3 4 oder 5 mal 5 25 displaystyle sqrt 25 5 nbsp Zum Beispiel Tongemisch 1 hier ist die Intervalleinheit mit 1 multipliziert besteht aus den Tonen 100 107 114 121 129 Hz Tongemisch 6 hier ist die Intervalleinheit mit 2 multipliziert besteht aus den Tonen 100 114 129 147 167 Hz Tongemisch 11 hier ist die Intervalleinheit mit 3 multipliziert besteht aus den Tonen 100 121 147 178 217 Hz Stockhausen erhalt damit 193 verschiedene solcher Tongemische die das Klangmaterial des Stuckes bilden Die einzelnen Sinustone wurden mit Geraten der Messtechnik wie sie in der damaligen Rundfunktechnik gebrauchlich waren erzeugt und auf Tonband aufgenommen Stockhausen nahm zunachst die 5 Tone gleichen Intervallabstands die er verwenden wollte auf separate Bander auf schnitt sie dann in jeweils 4 cm lange Stucke und klebte diese aneinander sodass er ein 20 cm langes Tonband erhielt das er mit Weissband zu einer kleinen Endlosschleife machte Bei einer Laufgeschwindigkeit von 76 2 cm sek wurden die 5 Tone in einer Zeit von 0 26 Sekunden abgespielt und in einen Hallraum geleitet wo sie sich vermischten den resultierenden Klang nahm er auf ein weiteres Tonband auf Diesen Arbeitsprozess wiederholte er bis er die 193 Tongemische beieinander hatte Die funf Sinustone hatten dieselbe Lautstarke die der Tongemische konnte dann auf einer 31 stufigen Intensitatsskala zwischen 0 und 30 dB variiert werden Die Hullkurven sind entweder steigend oder fallend ausgelegt uber die Prinzipien der Anordnung hat sich Stockhausen nicht geaussert Asthetik BearbeitenDas allgemeine Problem elektronischer Kompositionen liegt im untrennbaren Ineinanderwirken von detaillierter mikroskopischer Anordnung und ubergeordneter makroskopischer Formvorstellung 5 S 58 In diesem Sinne muss sich die elektronische Musik einem umfassend neu einsetzenden Systematisierungsprozess 5 S 59 stellen Die Situation in der sich die Musiker und Verfechter dieser nie dagewesenen Musik befinden bringt die Verantwortung mit sich diese historische Aufgabe zu bewaltigen denn jene Entscheidung wird zeigen in welche Richtung sich der neu anzusetzende grosse Bogen spannt 5 S 59Stockhausen vertritt hier die Position dass die Entwicklung der elektronischen Musik eine Fortfuhrung der Musikgeschichte ist entgegen der nach seiner Ansicht dilettantischen Meinung einiger Komponisten die ihr Wesen auf Effekte wie der Erweiterung des Klangraums oder der zunehmenden Moglichkeiten fur die Klangphantasie reduzieren Mit Fortfuhrung der Musikgeschichte ist nicht gemeint konventionelle Formvorstellung zu ubernehmen sondern das Verhaltnis von Einzelnem und Ganzem von Element und Gestalt wie man es schon seit Jahrhunderten der Musikgeschichte zu perfektionieren strebt auf Mikro und Makroebene bewusst zu formen In Stockhausens Worten die einzelnen Grossen sind jeweils Vielfache einer gemeinsamen kleinsten Einheit sie sind miteinander verwandt Wie nun aus einer Reihe ein gesamtes Werk wachst wie in Gruppenreihen Tone zu Klangen Klange zu untergeordneten Formeinheiten diese wieder zu ubergeordneten Formeinheiten und diese endlich zur gesamten Werkeinheit komponiert werden so dass das ganze Werk die Vergrosserung der ursprunglichen Reihe ist dieses Problem beschaftigt wohl zur Genuge jeden Komponisten 5 S 60Diese neue Sichtweise ist mustergultig in Studie II durchgefuhrt Man konnte sie als Klangfarbenkomposition verstehen da Stockhausen die Unterscheidbarkeit verschiedener Tone zugunsten einer ubergeordneten Klangfarbe aufgibt die wiederum Glied einer ubergeordneten Klangfarbenreihe ist 5 S 61 Die klangliche Gestalt von Studie II ist die Konsequenz solchen Strukturdenkens Allerdings hat sich fur den Terminus Klangfarbenkomposition in den 1960er Jahren eine andere Bedeutung etabliert vgl Klangkomposition Rezeption BearbeitenStudie II war die allererste Konzert Vorfuhrung der im Kolner Studio des NWDR entstandenen Kompositionen 8 An diesem Abend horte die Offentlichkeit zum ersten Mal ein rein elektronisches Stuck auf der Basis von Sinustonen Entsprechend unvorhersehbar und neuartig war die Wirkung der Klange und Gerausche und der damit verbundenen Kompositionsmethoden auf das Publikum 9 Im weiteren Verlauf wurde Studie II nicht nur zu einem Meilenstein in Stockhausens fruhem Schaffen sondern in der Geschichte der Elektronischen Musik uberhaupt In seinem Gesang der Junglinge verwendete er neben der elektronischen Klangen auch Stimmklange spater baute er auf Gottfried Michael Koenigs Verfahren der transformierenden Vereinheitlichung des ursprunglich Verschiedenartigen auf als er auch im Orchesterstuck Mixtur sowie in den instrumentalen bzw vokalen Ensemblestucken Mikrophonie I und Mikrophonie II auch live gespielte Klange oder in der Tonbandkomposition Telemusik Aufnahmen traditionell erzeugter Musik in die Ringmodulation einbezog 6 Veroffentlichungen BearbeitenStudie II wurde zunachst mit anderen elektronischen Kompositionen von der Deutschen Grammophon auf Schallplatte veroffentlicht DG 16133 innerhalb der CD Gesamtausgabe des Stockhausen Verlags ist sie mit der Studie I dem Gesang der Junglinge Kontakte elektronische Version und Etude auf CD 3 enthalten Das Werk ist auch auf der Sammlung Musikkunde in Beispielen DG 136322 und auf einer Begleit CD des Buchs Musik der Zeit 1951 2001 Wolke Verlag Hofheim enthalten 10 Einzelnachweise Bearbeiten Karlheinz Stockhausen Etude in Textheft zu Stockhausen CD 3 S 5 8 a b c d e f Karlheinz Stockhausen TEXTE zur Musik Band 2 S 23 DuMont Koln 1964 Wolfgang Lack 8 Juni 2002 Elektronische Musik aus Koln Memento vom 11 Juli 2002 im Internet Archive Theodor W Adorno Das Altern der Neuen Musik 1954 in Dissonanzen in Gesammelte Schriften Bd 14 Suhrkamp Frankfurt Main 1973 160 a b c d e f g Karlheinz Stockhausen TEXTE zur Musik Band 1 S 44 DuMont Koln 1963 a b c Rudolf Frisius 1999 Elektronische Musik Elektronik pur Herbert Eimert Hans Ulrich Humpert Tongemisch aus Das Lexikon der elektronischen Musik Regensburg 1973 aus dem Programmheft der Urauffuhrung des Stuckes vom 19 Oktober 1954 Vgl Christoph von Blumroder Karlheinz Stockhausen 40 Jahre Elektronische Musik In Archiv fur Musikwissenschaft 50 1993 S 309 323 vgl auch Martin Thrun Bearb Klangraum 40 Jahre Neue Musik in Koln 1945 1985 Koln 1991 S 72 Stockhausen Diskographie I In Discogs Abgerufen am 12 Februar 2022 Weblinks BearbeitenStudie II mit Partitur fur Mac OS X und Windows XP Max MSP realisation Georg Hajdu Studie II MedienKunstNetz Studie II original Audio auf YouTube Studie II mit graphischer Darstellung Hajdu auf YouTube Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Studie II Stockhausen amp oldid 221038557