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Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft ist der Titel einer akademischen Qualifikationsschrift Ralf Dahrendorfs die er wahrend seines Postdoc Studiums an der London School of Economics erarbeitete und mit der er sich an der Universitat des Saarlandes in Saarbrucken habilitierte Die Erstausgabe erschien 1957 Die Schrift basiert auf einer Auseinandersetzung mit der Marxschen Klassentheorie die Dahrendorf unter Berucksichtigung des seit Marx eingetretenen gesellschaftlichen Wandels auf neuer Grundlage weiterzuentwickeln trachtete Theoretisch schlug er dabei einen eigenen Weg zwischen Marxismus und Strukturfunktionalismus ein der zu einer originaren Konflikt und Herrschaftstheorie fuhrte Dahrendorf hat die Schrift in Deutschland nur in der ersten Auflage veroffentlicht wahrend sie in Grossbritannien in mehreren auch veranderten und erweiterten Auflagen bis in die 1970er Jahre erschien und vielfach als Lehrbuch verwendet wurde Gewidmet ist die Buchveroffentlichung David Lockwood und den gemeinsamen Freunden aus der Zeit des Donnerstagabend Seminars an der London School of Economics 1952 54 1 Inhaltsverzeichnis 1 Inhaltsubersicht 1 1 Kapitel I Das Modell der Klassengesellschaft bei Marx 1 2 Kapitel II Strukturwandlungen der industriellen Gesellschaft seit Marx 1 3 Kapitel III Neuere soziologische Theorien des Klassenkonflikts 1 4 Kapitel IV Klassenbegriff und Klassentheorie als Werkzeuge soziologischer Analyse 1 5 Kapitel V Soziale Struktur Klasseninteressen und sozialer Konflikt 1 6 Kapitel VI Gibt es noch Klassen 2 Rezeption und Kritik 3 Erstausgabe 4 Englische Ausgaben 5 Sekundarliteratur 6 Einzelnachweise 7 WeblinkInhaltsubersicht BearbeitenI Das Modell der Klassengesellschaft bei MarxII Strukturwandlungen der industriellen Gesellschaft seit MarxIII Neuere soziologische Theorien des KlassenkonfliktIV Klassenbegriff und Klassentheorie als Werkzeuge soziologischer AnalyseV Soziale Struktur Klasseninteressen und sozialer KonfliktVI Gibt es noch Klassen Kapitel I Das Modell der Klassengesellschaft bei Marx Bearbeiten Dahrendorf geht mit Theodor Geiger von der Erkenntnisabsicht hinter dem Klassenbegriff aus Diese richte sich nicht auf die Beschreibung eines bestehenden Gesellschaftszustands sondern auf die analytische Erfassung der Entwicklungsgesetzlichkeit einer Gesellschaft S 17 Darauf beruhe das oft kritisierte Zweiklassenmodell das Marx seiner dynamischen Theorie zugrundelegte ebd selbstverstandlich kannte er auch andere Klassen z B Grundbesitzer Kleinburgertum Der letzte Bestimmungsgrund fur die Bildung von Klassen bilde fur Marx das Eigentum an Produktionsmitteln bzw der Ausschluss von diesen Dahrendorf fragt Versteht Marx unter den Eigentums bzw Produktionsverhaltnissen die Verhaltnisse faktischer Kontrolle und Unterordnung in den Betrieben der industriellen Produktion oder nur die Herrschaftsverhaltnisse insofern sie auf dem Rechtstitel des Eigentums beruhen S 19 Ist anders gefragt die Autoritatsstruktur des industriellen Betriebes die entscheidende Determinante fur die Klassenbildung oder das verbriefte Besitzrecht in Verbindung mit Kontrollbefugnissen uber die Produktion Fur die Marxsche Klassenbestimmung gelte Letzteres erst als Eigentumsverhaltnisse sind sie Herrschaftsverhaltnisse S 20 Kritischer Angelpunkt der Marxschen Klassentheorie sei die Identifizierung von wirtschaftlicher und politischer Macht S 21 Fur Marx gehe die politische Herrschaft einer Klasse aus den Produktionsverhaltnissen hervor industrielle Klassen sind eo ipso auch soziale Klassen der industrielle Klassenkonflikt politischer Klassenkonflikt ebd Diese Marxsche Annahme beruhe auf der verallgemeinerten Behauptung eines absoluten und prinzipiellen Primats der Produktion ebd Der Bildungsprozess der Klassen verlaufe nach Marx uber mehrere Stufen Zunachst schaffe der Besitz bzw Nichtbesitz von fungierendem Privateigentum je spezifische Klassenlagen mit gleichen Interessen Klasse an sich Aber die blosse Diesselbigkeit von Interessen konne nur eine notwendige aber keine zureichende Bedingung zur Bildung von Klassen sein Erst im organisierten politischen Kampf von Klasse gegen Klasse Klassenkampf konstituiere sich die Klasse fur sich Eingebettet habe Marx seine Klassentheorie in eine umfassendere Theorie des Klassenkonflikts als Motor des Wandels ganzer Gesellschaftsstrukturen S 24 er formulierte damit eine Theorie des sozialen Strukturwandels durch Revolutionen auf Grund von Konflikten zwischen antagonistischen Interessengruppen ebd In der Marxschen Konstruktion soziale Konflikte als Wesensbestandteil jeder Gesellschaft zu begreifen und gesellschaftlichen Wandel durch strukturell erzeugte Konflikte zu erklaren sieht Dahrendorf ein sinnvolles Erkenntnisprinzip S 25 Dahrendorfs Kritik an der Marxschen Klassentheorie bezieht sich auf die philosophischen Elemente die der empirischen Uberprufung entzogen seien So verbinde Marx eine geschichtsphilosophische Konzeption der Abfolge von Gesellschaftsformationen von der kommunistischen Urgesellschaft uber Klassengesellschaften zur klassenlosen Gesellschaft mit der soziologischen Klassentheorie und behaupte die Universalitat des Klassenkonflikts in der bisherigen Menschheitsgeschichte Dahrendorf wertet das als Verrat der Soziologie 29 Kapitel II Strukturwandlungen der industriellen Gesellschaft seit Marx Bearbeiten In diesem Kapitel thematisiert Dahrendorf begriffliche Differenzen und empirische Entwicklungen die er gegen die Festlegungen und Annahmen von Marx ins Feld fuhrt Zunachst geht es um die terminologische Entscheidung Kapitalismus oder industrielle Gesellschaft Dahrendorf bevorzugt den Begriff der industriellen Gesellschaft fur die als Dominanzmerkmal die mechanisierte Guterproduktion in Fabriken und Betrieben gelte er halt ihn daher fur den weitergreifenden Begriff wahrend der des Kapitalismus nur eine spezifische Form industrieller Gesellschaft sei die in Europa und den USA vorherrsche Sodann umreisst Dahrendorf eine Reihe von strukturellen Veranderungen die er als Manifestationen normativer Wandlungen versteht Die veranderten sozialen Wertvorstellungen sind 1 die Entfaltung des okonomischen Rationalismus 2 die Durchsetzung des Leistungsprinzips 3 die Verallgemeinerung der staatsburgerlichen Gleichheitsrecht und 4 die Bildung von Formen der Stabilitat S 38 vorstellt Deren faktische Entsprechungen S 40 macht er fest an der Trennung von Eigentum und Kontrolle der differenzierter gewordenen Sozialschichtung der Arbeiterschaft dem Aufstieg eines neuen Mittelstandes von Angestellten und Beamten der gestiegenen sozialen Mobilitat einhergehend mit der wachsenden Bedeutung der Erziehungsinstitutionen die Durchsetzung juristischer politischer und sozialer Burgerrechte schliesslich die Institutionalisierung des Klassengegensatzes durch Einfuhrung von Verfahren der Konfliktregelung zwischen Kapital und Arbeit z B Tarifautonomie Als invariable Strukturelemente der industriellen Gesellschaft gelten ihm hingegen die Existenz einer sozialen Schichtung in Form einer Status Hierarchie und die Existenz einer ungleichen Verteilung der Autoritat oder legitimen Machtbefugnis S 74 Letztere manifestiere sich sowohl in der politisch legalen Herrschaft des Staates wie im Industriebetrieb als einem zweiten grossen Herrschaftsverband S 76 Kapitel III Neuere soziologische Theorien des Klassenkonflikts Bearbeiten Nach der vorwiegend deskriptiven Darstellung der Wandlungen der industriellen Gesellschaft im vorangehenden Kapitel uberpruft Dahrendorf in diesem eine Reihe von Theorien die an der Marxschen Klassentheorie ansetzen und sie zu modifizieren zu uberwinden oder zu widerlegen trachten Unter anderen diskutiert er folgende Theoriebeitrage die Loslosung des Klassenbegriffs vom Privateigentum Joseph A Schumpeter der Ubergang der Kontrolle der Produktionsmittel auf die Manager James Burnhams Revolution der Manager und Fritz Croners delegierte Autoritat die Entstehung einer neuen Dienstklasse Karl Renner die der Klassenspaltung entgegenwirkende Evolution staatsburgerlicher Gleichheitsrechte Thomas H Marshall die Ablosung der Klassenspaltung durch Schichtenbildung Theodor Geigers Klassengesellschaft im Schmelztiegel sowie die These Helmut Schelskys von der nivellierten Mittelstandsgesellschaft Dahrendorf findet in diesen Beitragen keine Losung der Aufgabe die Marxsche Klassentheorie den neuen Tatsachen der entwickelten Industriegesellschaft anzupassen Dass sie widerlegt sei steht fur ihn fest schon allein durch die Trennung von Eigentum und Kontrolle S 119f Kapitel IV Klassenbegriff und Klassentheorie als Werkzeuge soziologischer Analyse Bearbeiten Dieses Kapitel dient der Vorbereitung von Dahrendorfs eigener Klassentheorie insbesondere ihrer Hauptkategorien Dies geschieht in der Auseinandersetzung mit und der Abgrenzung von der Marxschen Theorie Ein Unterkapitel widmet sich dem Thema was Marx richtig sah ihm folgen sechs Unterkapitel die sich damit befassen was Marx falsch sah bzw was Marx ubersah Neben der Ablehnung der geschichtsphilosophischen Annahme eines sich revolutionar zuspitzenden Klassenkampfes wertet er als weitere grundlegende Schwachen der Marxschen Klassentheorie die Verbindung von Klassen und Eigentum sowie die Gleichsetzung von wirtschaftlicher und politischer Macht Kapitel V Soziale Struktur Klasseninteressen und sozialer Konflikt Bearbeiten In diesem Kapitel prasentiert Dahrendorf die Elemente seiner Theorie der sozialen Klassen und des Klassenkonflikts In Abgrenzung zur funktionalistischen Integrationstheorie mit ihrem prominentesten Vertreter Talcott Parsons geht er von einer Herrschaftstheorie der Sozialstruktur aus und wahlt als Struktureinheit einen durch Zwang zusammengehaltenen Herrschaftsverband der in sich den Keim zu seiner Uberwindung tragt insofern instabil in standigem Wandel begriffen ist S 159 Demnach umfasst jede Gesellschaft als Herrschaftsverband oder jede kleinere Einheit von der Natur eines Herrschaftsverbands S 162 zwei polare Aggregate sozialer Positionen bzw diesen zuordneter Rollen zum einen Autoritatsrollen die sich im Besitz legitimer Macht befinden Herrschaft zum anderen negative Autoritatsrollen die von legitimer Macht ausgeschlossen sind Unterordnung ebd Aus der Dynamik von Herrschaft und Unterordnung resultieren soziale Konflikte und sozialer Wandel Gegenstand des Klassenkonflikts sind die Aufrechterhaltung oder Veranderung der Herrschaftsstruktur Jeder Herrschaftsverband ist aufgespalten in zwei Gruppen mit objektiven Interessen von denen Dahrendorf der einen Gruppe das Interesse an der Beibehaltung der ihre Herrschaft begrundenden Struktur der anderen Gruppe das Interesse an deren Veranderung oder Uberwindung zuordnet S 167 Es handelt sich dabei jeweils um Rollen oder latente Interessen die erst als bewusste Zielsetzungen zu manifesten Interessen werden S 169 Wahrend latente Interessen ein Postulat zum Zweck der Analyse sind und insofern nicht existieren sind manifeste Interessen stets Realitaten in den Kopfen der Trager von positiven oder negativen Autoritatsrollen S 170 Erst das Bewusstsein dieser Interessen macht aus Quasi Gruppen soziale Klassen Die realen Trager des Klassenkonflikts sind die organisierten kleineren oder grosseren Interessengruppen innerhalb beliebiger Herrschaftsverbande z B Staat Wirtschaft Partei Unternehmung wobei auch die unterdruckten Klassen nicht als prinzipiell unorganisierte Massen ohne Wirkungsmoglichkeiten vorzustellen sind S 197 Herrschende Klassen sind zunachst nur herrschende Klassen innerhalb bestmmter Herrschaftsverbande Theoretisch kann es in einer Gesellschaft so viele konkurrierende konfligierende oder einander tolerierende herrschende Klassen geben wie es Herrschaftsverbande gibt S 195 Die Erkenntnisabsicht der Klassentheorie sieht Dahrendorf in der Erklarung des sozialen Strukturwandels der sich auf systemisch erzeugte Gruppenkonflikte innerhalb sozialer Strukturen zuruckfuhren lasst S 203 Am Ende des Kapitels fasst er noch einmal die Kategorien seiner Klassentheorie formal zusammen Diese sind Strukturwandel sozialer Konflikt latente Interessen und Quasigruppen manifeste Interessen und Interessengruppen Herrschaft und Herrschaftsverband S 203f Kapitel VI Gibt es noch Klassen Bearbeiten Alle Versuche die moderne Gesellschaft als klassenlos zu beschreiben weist Dahrendorf entschieden zuruck Fur ihn gibt es soziale Klassen und Klassenkonflikt uberall dort wo Herrschaft innerhalb bestimmter Verbande unterschiedlich auf soziale Positionen verteilt sind S 213 Als Herrschaftsverbande bezeichnet er unter Anderen den Staat den Industriebetrieb und die Kirchen S 212 Ins Zentrum seiner Analyse stellt er den Industriebetrieb und seine Autoritatsstruktur Uberall wo Industriebetriebe existieren durfen wir eine Quasi Gruppe der Trager positiver Autoritatsrollen annehmen deren latente Interessen im Konflikt stehen mit denen der entsprechenden Quasi Gruppen der Trager negativer Autoritatspositionen S 218 Nach Dahrendorf lasst sich die Mehrzahl der Angestelltenrollen als differenzierte Leitungsrollen verstehen S 223 sie gehoren daher neben der Unternehmensleitung zur herrschenden Klasse im Industriebetrieb In den entwickelten Industriegesellschaften haben sich die Quasi Gruppen zu organisierten Interessengruppen Gewerkschaften und Unternehmerverbande transformiert Die empirischen Bedingungen fur die Austragung des industriellen Klassenkonflikts haben sich in den letzten hundert Jahren zwar so verandert dass sie zur Milderung und Institutionalisierung des Klassenkonflikts beitragen ohne dadurch zu verschwinden oder an Bedeutung zu verlieren ohne aber auch zum absoluten Kampf um alles oder nichts zu werden S 234 Im politischen Herrschaftsverband sprich dem Staat bilden die herrschende Klasse die Trager dreier Gruppen von Rollen die Inhaber der Abgeordnetensitze der Regierungsparteien der Ministerposten und der burokratischen Amter S 252 Durch die Trennung von Wirtschaft und Politik sind die politischen Herrschaftspositionen auch getrennt von den Tragern der industriellen Herrschaftspositionen den Kapitalisten und Managern S 256 Durch Parteibildung und demokratische Wahlen erhalt die beherrschte politische Klasse die Chance das Personal der herrschenden Klasse zu verandern S 257 Rezeption und Kritik BearbeitenAuf sozialwissenschaftliche Kritik stiess insbesondere Dahrendorfs Behauptung dass in entwickelten Industriegesellschaften wirtschaftliche und politische Konflikte institutionell isoliert seien Laut Tom B Bottomore sind diese Behauptungen empirisch viel leichter zu widerlegen als die von Marx in den europaischen Industriegesellschaften hingen politische Auseinandersetzungen weiterhin mit wirtschaftlichen Konflikten eng zusammen und seien noch stark an Klasseninteressen ausgerichtet 2 Erstausgabe BearbeitenSoziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft Ferdinand Enke Stuttgart 1957Englische Ausgaben BearbeitenClass and Class Conflict in Industrial Society Routledge London 1959 Neuauflagen 1961 1963 1965 1967 1969 1972 Sekundarliteratur BearbeitenEintrag Ralf Dahrendorf Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft In Georg W Oesterdiekhoff Hg Lexikon der soziologischen Werke Westdeutscher Verlag Wiesbaden 2001 S 144f Anthony Giddens Die Klassenstruktur fortgeschrittener Gesellschaften Suhrkamp Frankfurt am Main 1984 TB Ausgabe dort Unterkapitel 3 1 Die Klassen in der postkapitalistischen Gesellschaft bei Dahrendorf S 61 68 und Unterkapitel 4 1 Die neuere Kritik S 81 87 Einzelnachweise Bearbeiten Ralf Dahrendorf Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft Ferdinand Enke Stuttgart 1957 S V Tom B Bottomore Die sozialen Klassen in der modernen Gesellschaft Nymphenburger Verlagshandlung Munchen 1967 S 32 und 95 Weblink BearbeitenVollstandiger Text der englischen Ausgabe Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft amp oldid 237430437