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Der Reichston ist eine beruhmte Strophenmelodie also ein Ton im Repertoire des mittelhochdeutschen Spruchdichters Walther von der Vogelweide Die drei politischen Spruchstrophen die Walther zwischen 1198 und 1201 zum Teil vielleicht auch spater in diesem Ton verfasste die sogenannten Reichsspruche werden deshalb verkurzt ebenfalls als Reichston bezeichnet Das durch den Reichston inspirierte Bildnis Walther von der Vogelweides im Codex Manesse 1300 bis 1340 Inhaltsverzeichnis 1 Aufbau und Beschreibung 1 1 Erster Spruch Reichsklage 1 2 Zweiter Spruch Weltklage 1 3 Dritter Spruch Kirchenklage 2 Literatur 3 Einzelnachweise 4 WeblinksAufbau und Beschreibung BearbeitenDie drei Strophen im Reichston sind vor allem unter ihrer jeweiligen Anfangszeile ein Begriff Ich saz uf eime steine Ich sass auf einem Steine Reichsklage L 8 4 Ich horte diu oder ein wazzer diezen Ich horte die oder ein Wasser rauschen Weltklage L 8 28 Ich sach mit minen ougen Ich sah mit meinen Augen Kirchenklage L 9 16 Die Reichston Strophen sind politische Ausserungen zu dem um 1200 tobenden Streit um die Thronfolge zwischen dem Staufer Philipp von Schwaben und dem Welfen Otto IV Sie beziehen Stellung fur Philipp und gegen papstliche Interventionen Sie bilden jedoch kein zusammenhangendes Lied sondern eine lockere Strophen oder Versreihe die durch inhaltliche Bezuge zusammengehalten wird und sind wahrscheinlich nicht gleichzeitig entstanden Der bekannte erste Spruch Ich saz uf eime steine bringt eine allgemeine Klage uber die Rechtsunsicherheit der Zeit die nur durch ein starkes Konigtum gebessert werden konnte und ist daher nicht exakt datierbar Diese allgemeine Aussage kann auch abschliessend zu den beiden Spruchen mit konkreten aktuellen Themen hinzugedichtet worden sein Gut datierbar ist nur der zweite Spruch Ich horte diu wazzer diezen da er 1198 und zwar noch vor der Kronung Philipps am 8 September entstanden sein muss Der dritte Spruch Ich sach mit minen ougen entstand wohl anlasslich von Philipps Bannung im Jahr 1201 Diskutiert wird welche Monarchen mit den zwei betrogenen Konigen in Ich sach mit minen ougen gemeint sind Die vorherrschende Lehrmeinung geht davon aus dass Walther hier Philipp von Schwaben und Otto IV meinte Andere gehen von Philipp als dem deutschen Konig und dem jungen Friedrich als Konig von Sizilien aus die beide durch die Stellungnahme des Papstes fur Otto IV betrogen worden seien welchen Walther so die Vertreter dieser Auffassung zu Lebzeiten Philipps nicht als Konig anerkannt habe Nach einer dritten Auffassung soll der Spruch zehn Jahre spater entstanden sein und die beiden betrogenen Konige waren demnach Otto IV und Friedrich II Papst Innozenz III hatte nach Philipps Tod 1208 Otto im Jahre 1209 zum Kaiser gekront seine Meinung aber schon 1211 geandert und stattdessen fur Friedrich Stellung bezogen Diese Deutung ist die am wenigsten wahrscheinliche da die Charakterisierung des Papstes als zu jung doch nur bald nach seinem Amtsantritt 1198 Sinn ergibt Die Autorenbilder Walthers im Codex Manesse und in der Kleinen Heidelberger Liederhandschrift nehmen Bezug auf den Eingang des sogenannten ersten Spruches Ich saz uf eime steine Erster Spruch Reichsklage Bearbeiten nbsp Der erste und zweite Reichsspruch in der Ausgabe der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt 1972 nbsp Fortsetzung des zweiten Spruchs und Beginn des dritten nbsp Fortsetzung dritter Reichsspruch Ich saz uf eime steine und dahte bein mit beine dar uf satzt ich den ellenbogen ich hete in mine hant gesmogen min kinne und ein min wange do dahte ich mir vil ange wes man zer welte solte leben deheinen rat kunde ich gegeben wie man driu dinc erwurbe der deheinez niht verdurbe diu zwei sind ere und varnde guot daz dicke ein ander schaden tuot das dritte ist gotes hulde der zweier ubergulde die wolte ich gerne in einen schrin ja leider des enmac niht sin daz guot und weltlich ere und gotes hulde mere zesamene in ein herze komen stige und wege sint in benomen untriuwe ist in der saze gewalt vert uf der straze fride unde reht sint sere wunt diu driu enhabent geleites niht diu zwei enwerden e gesunt Ich sass auf einem Steine und deckte Bein mit Beine darauf der Ellenbogen stand es schmiegte sich in meine Hand das Kinn und eine Wange Da dachte ich sorglich lange dem Weltlauf nach und irdischem Heil doch wurde mir kein Rat zuteil wie man drei Ding erwurbe dass ihrer keins verdurbe Zwei Ding sind Ehr und zeitlich Gut das oft einander Schaden tut das dritte Gottes Segen den beiden uberlegen Die hatt ich gern in einem Schrein Doch mag es leider nimmer sein dass Gottes Gnade kehre mit Reichtum und mit Ehre zusammen ein ins gleiche Herz Sie finden Hemmungen allerwarts Untreue liegt im Hinterhalt kein Weg ist sicher vor Gewalt so Fried als Recht sind todeswund und werden die nicht erst gesund wird den drei Dingen kein Geleite kund Anmerkungen dahte Prateritum von decken ich deckte Bein mit Bein ich schlug ein Bein uber das andere dahte Prateritum von denken satzte Prateritum von setzen ange eng mit angstlicher Sorgfalt dehein irgendein hier aber kein der deheines niht deren irgendeines nicht deren keines jemals varndiu guot bewegliche wortlich fahrende Guter ubergulde was mehr gilt wert ist mac kann des en mac niht sin das kann nicht sein das ist unmoglich saze Hinterhalt vert fahrt zieht dahin diu zwei enwerden gesunt wenn die zwei nicht gesund wurden Konjunktiv Die Sasse auch Sasse ist ein naturliches Weghindernis abgelegen zwischen den Dorfern in Wald oder Wiesen eine Wegverengung in einer Mulde oft mit einer Pfutze in der die Wagenrader der Reisenden gerne im Schlamm versackten insbesondere wenn es gerade geregnet hatte Daher nutzten insbesondere Diebe diese Sassen um die Handelsreisenden zu uberfallen Fur diesen Spruch dient hier die Handschrift A Kleine Heidelberger Liederhandschrift als Leithandschrift Cormeau Bein wahlen B Reichert 1 druckt die Fassungsabweichungen in derselben Zeile wie den Text damit man sie sofort sieht in Apparaten am Seitenende werden sie leicht ubersehen Dass dieser Spruch als Erster Reichsspruch bezeichnet wird hangt mit seiner Bekanntheit zusammen und damit dass er die Vorlage fur das Bild Walthers in den Handschriften abgab es bedeutet aber nicht dass Walther ihn als ersten gedichtet haben muss Er konnte auch abschliessend als letzter entstanden sein Zweiter Spruch Weltklage Bearbeiten Ich horte diu wazzer diezen und sach die vische fliezen ich sach swaz in der welte was velt walt loup ror unde gras swaz fliuzet oder fliuget und bein zer erde biuget daz sach ich unde sage iu daz deheinez lebet ane haz daz wilt und daz gewurme die stritent starke sturme same tuont die vogele under in wan daz si habent einen sin si waeren anders ze nihte si schuefen starc gerihte si kiesent kunege unde reht si setzent herren unde kneht so we dir tiuschiu zunge wie stat din ordenunge daz nu diu mugge ir kunec hat und daz din ere also zergat bekera dich bekere die zirkel sint ze here die armen kunege dringent dich Philippe setze den weisen uf und heiz si treten hinder sich Ich horte die Wasser rauschen und sah die Fische schwimmen ich sah alles was in der Welt war Feld Wald Laub Rohr und Gras Alles was schwimmt oder fliegt oder Beine erdwarts biegt das sah ich und sage euch folgendes keines von denen lebt ohne Hass Das Wild und das Gewurm fechten schwere Kampfe aus ebenso tun es die Vogel untereinander nur in einer Hinsicht sind sie einer Meinung sie waren verloren wenn sie kein strenges Gerichtswesen einsetzten Sie wahlen Konige und Rechtsordnung sie bestimmen wer Herr und wer Knecht sein soll Deshalb wehe dir deutscher Reichsteil wie steht es um deine Ordnung Wo jede Mucke doch ihren Konig hat dass deine Ehre zergeht derart Bekehre dich bekehre Die Zirkel sind zu stolz oder ubermachtig und die armen Konige bedrangen dich Philipp setz den Waisen auf und befiehl ihnen zuruckzutreten Anmerkungen diezen larmen vliezen fliessen auch schwimmen kiesen wahlen gewurme Gewurm Schlangen Drachen Konig der Mucke der Adler als Konig aller fliegenden Tiere tiuschiu zunge Rechtsterminus der die Gebiete bezeichnet in denen auf den Reichstagen die deutsche Sprache Gerichtssprache ist also die Teile des Imperiums mit deutscher Gerichtssprache Deutschland im Gegensatz zu den italienischen und franzosischen Reichsteilen Keine der gangigen Ausgaben folgt bei diesem Spruch einer Leithandschrift sondern man wagt von Fall zu Fall zwischen A Kleine Heidelberger Liederhandschrift und BC ab B Weingartner Liederhandschrift und C Grosse Heidelberger Liederhandschrift bieten in den Reichsspruchen einen sehr ahnlichen Text stammen also aus einer gemeinsamen Vorlage Hier sind mehr BC Lesarten gewahlt als die auf Carl von Kraus zuruckgehenden Ausgaben Die wichtigste BC Lesart ist im ersten Vers diu wazzer statt ein wazzer A dem Charakter des universalen Anspruches alle Reiche der Natur zu kennen wird sie besser gerecht 2 In B und C ist dieser Spruch als dritter eingereiht Dritter Spruch Kirchenklage Bearbeiten Ich sach mit minen ougen manne und wibe tougen da ich gehorte und gesach swaz iemen tet swaz iemen sprach ze Rome horte ich liegen und zwene kunege triegen da von huop sich der meiste strit der e wart oder iemer sit do sich begunden zweien die pfaffen unde leien daz was ein not vor aller not lip und sele lag da tot die pfaffen striten sere doch wart der leien mere diu swert diu leiten si dernider und griffen zuo der stole wider si bienen die si wolten und niht den si solten do storte man diu goteshus ich horte verre in einer klus vil michel ungebaere da weinte ein klosenaere er klagete gote siniu leit Owe der babest ist ze junc hilf herre diner kristenheit Ich sah mit eigenen Augen heimlich unsichtbar alle Manner und Frauen so dass ich alles horen und sehen konnte was irgendjemand tat oder sprach In Rom horte ich lugen und zwei Konige betrugen Daraus erhob sich der grosste Streit den es je gegeben hat oder geben wird als sich entzweiten Kleriker und Laien Das war ein Ungluck grosser als alle anderen denn in diesem Kampf verlor man Leib und Seele zugleich Die Kleriker kampften heftig doch wurden die Laien immer mehr Da legten sie die Schwerter nieder und griffen wieder zur Stola Sie bannten die die sie wollten und nicht den den sie sollten Da storte man die Gotteshauser Ich horte in einer entlegenen Klause arges Gejammer dort weinte ein Klausner der klagte Gott sein Leid O weh der Papst ist zu jung hilf Herr deiner Christenheit Anmerkungen tougen heimlich leiten legeten Dieser Spruch wird nach den Handschriften BC mit geringfugigen Korrekturen nach A ediert Literatur BearbeitenAusgabenWalther von der Vogelweide Samtliche Lieder Hrsg von Friedrich Maurer Sechste unveranderte Auflage Wilhelm Fink Verlag Munchen 1995 ISBN 3 7705 0797 5 UTB 176 ISBN 3 8252 0167 8 Gunther Schweikle Walther von der Vogelweide Werke Zwei Bande Reclam Stuttgart 1998 Bd 1 ISBN 3 15 000819 0 Bd 2 ISBN 3 15 000820 4 ForschungsliteraturThomas Bein Walther von der Vogelweide Reclam Stuttgart 1997 ISBN 3 15 017601 8 Richard Kienast Walthers von der Vogelweide altester Spruch im Reichston Ich horte ein wazzer diezen In Siegfried Beyschlag Hrsg Walther von der Vogelweide Wege der Forschung Bd 112 Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1971 ISBN 3 534 03503 8 Eric Marzo Wilhelm Walther von der Vogelweide Zwischen Poesie und Propaganda Untersuchungen zur Autoritatsproblematik und zu Legitimationsstrategien eines mittelalterlichen Sangspruchdichters Regensburger Beitrage zur deutschen Sprach und Literaturwissenschaft Reihe B Untersuchungen Bd 70 Frankfurt am Main 1998 Helmut Lomnitzer Hans Dieter Muck Walther von der Vogelweide Die gesamte Uberlieferung der Texte und Melodien Litterae Bd 7 Goppingen 1977 ISBN 3 87452 136 2 Hermann Reichert Walther von der Vogelweide fur Anfanger Dritte uberarbeitete Auflage facultas wuv Wien 2009 ISBN 978 3 7089 0548 8 Jens Burkert Walthers von der Vogelweide Reichston Eine kritische Aufarbeitung der altgermanistischen und historischen Forschungsgeschichte Walther Studien Bd 8 Lang Frankfurt am Main 2015 Zugleich Diss RWTH Aachen 2015 Einzelnachweise Bearbeiten Reichert 2009 S 158f Reichert 2009 S 149f Weblinks Bearbeiten nbsp Wikisource Ich ſas vf eime ſteine Quellen und Volltexte nbsp Commons Reichston Sammlung von Bildern Ich saz uf eime steine gesungen von Hans Hegner Englische Versubersetzungen ausgewahlter Walther Lieder einschliesslich Ich saz uf eime steine Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Reichston amp oldid 235239420