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Phyletismus oder Ethnophyletismus griechisch ἔ8nos ethnos Volk und fylh phyle Stamm bezeichnet eine Stromung in den orthodoxen Kirchen Im 19 Jahrhundert bildeten sich ausgehend von Sudosteuropa orthodoxe Nationalkirchen heraus die das Prinzip des Nationalismus auf die Kirche ubertrugen und Trager nationaler Identitat 1 wurden Obwohl die Synode in Konstantinopel 1872 den Phyletismus als Haresie verurteilte setzten sich phyletistische Tendenzen fort Sie fuhrten dazu dass hauptsachlich in der Diaspora voneinander unabhangige nach Ethnien getrennte orthodoxe Jurisdiktionen auf demselben Territorium nebeneinander bestehen Inhaltsverzeichnis 1 Geschichtlicher Hintergrund 2 Folgen des Phyletismus 3 Literatur 4 EinzelnachweiseGeschichtlicher Hintergrund Bearbeiten Hauptartikel Bulgarisch griechischer Kirchenkampf Eine historische Grundlage fur den Phyletismus war das Ideal der Symphonia der harmonischen Eintracht zwischen Kirche und Staat die im Byzantinischen Reich uber Jahrhunderte die Kirchenpolitik bestimmt hatte Das Reich war allerdings ein Vielvolkerstaat kein Nationalstaat auf ethnischer Grundlage 2 der Nationenbegriff wurde geografisch territorial aufgefasst 3 Der erwachende Nationalismus uberwiegend orthodoxer sudosteuropaischer Volker im Osmanischen Reich im 19 Jahrhundert fuhrte zur Entstehung nationaler Jurisdiktionen der dortigen orthodoxen Kirchen die zuvor meist dem Okumenischen Patriarchat von Konstantinopel angehorten oder unterstanden Die Entstehung unabhangiger Staaten auf dem vormaligen Gebiet des Osmanischen Reiches bedingte geradezu die Grundung unabhangiger Nationalkirchen weil der Konstantinopler Patriarch ein vom Sultan mit einem Berat eingesetzter Funktionar des osmanischen Staates war und die Fortdauer der kirchlichen Jurisdiktion des Patriarchen eine Beeintrachtigung der Unabhangigkeit bedeutete So entstand nach der Griechischen Revolution die Kirche von Griechenland Im Rahmen der Bulgarischen Wiedergeburt errichtete Sultan Abdulaziz durch einen 1870 verkundeten Ferman das Bulgarische Exarchat als autonome Kirche deren Oberhaupt jedoch vom Okumenischen Patriarchen sowie von der osmanischen Regierung bestatigt werden musste Als Amtssitz des Exarchen wurde vom Sultan die Kirche St Stefan in Konstantinopel bestimmt die bereits seit einiger Zeit als Kirche der bulgarischen Gemeinde in der Stadt galt Das Exarchat proklamierte im Mai 1872 unter dem Exarchen Anthim I einseitig seine Autokephalie 4 Eine im Spatsommer 1872 in Konstantinopel einberufene Synode an der die Patriarchen von Konstantinopel Alexandrien Jerusalem und Antiochien sowie der Erzbischof von Zypern teilnahmen erklarte dass das ethnisch nationale Prinzip fur die Bildung neuer Staaten sinnvoll sein konne fur die Kirche jedoch nicht annehmbar sei da die ethnische Herkunft der Glaubigen keine Rolle spiele 5 Wahrend die Bildung von Nationalkirchen in souveranen Staaten etwa der Kirche von Griechenland im unabhangigen Staat Griechenland legitim sei wurde die Idee zuruckgewiesen dass innerhalb eines Staates hier des Osmanischen Reiches verschiedene orthodoxe Kirchen nach ethnischen Gesichtspunkten entstehen konnten 6 Da das Oberhaupt der bulgarischen Orthodoxen seinen Amtssitz in Konstantinopel hatte sah die Synode auch das altkirchliche Territorialprinzip verletzt wonach in einer Stadt bzw einem Territorium nur ein einziger Bischof residieren konne 7 Im September 1872 beschloss die Synode Wir weisen zuruck verurteilen und verdammen den Phyletismus das heisst die Unterscheidung nach Rassen den ethnischen Streit die Zwietracht und die Trennungen in der Kirche Christi als einen Widerspruch zur Lehre des Evangeliums und zu den heiligen Kanones unserer gottseligen Vater die die heilige Kirche stutzen die ganze Christenheit ordnen und sie zur Gottesverehrung anleiten 8 Die bulgarische Kirche wurde fur schismatisch erklart erst 1945 kam es zur Versohnung 9 Der Verurteilung des Phyletismus durch die Synode 1872 war im weiteren Verlauf der Geschichte kein durchschlagender Erfolg beschert Auswanderungsbewegungen orthodoxer Christen ins westliche Europa und nach Ubersee fuhrten zur Entstehung von Auslandsjurisdiktionen der jeweiligen nationalen Heimatkirchen deren Zustandigkeitsgebiete sich unter Verletzung des alten territorialen Prinzips nach wie vor uberschneiden 10 Folgen des Phyletismus BearbeitenDie Folgen des Phyletismus sind weniger in den orthodoxen Stammlandern als vielmehr in der Diaspora spurbar Philip Saliba der Metropolit der antiochenisch orthodoxen Erzdiozese von Nordamerika wies 2007 exemplarisch darauf hin dass in Paris sechs und in New York City mehr als zehn orthodoxe Bischofe verschiedener Nationalkirchen mit sich deckenden oder uberlappenden Jurisdiktionsbezirken residieren und beklagte In my opinion and in the opinion of Orthodox canonists this is phyletism This is heretical How can we condemn phyletism as a heresy in 1872 and still practice the same kind of phyletism in the twenty first century here in North America Meiner Ansicht nach und nach der Ansicht orthodoxer Kanonisten ist das Phyletismus Das ist haretisch Wie konnen wir den Phyletismus 1872 als Haresie verdammen und noch immer dieselbe Art von Phyletismus im 21 Jahrhundert hier in Nordamerika praktizieren Erzbischof Philip Saliba 11 In den USA und Kanada als typischen Einwanderungslandern treten die Probleme der Zersplitterung besonders deutlich zu Tage In den USA sind die Orthodoxen die etwa 0 6 der Gesamtbevolkerung ausmachen 12 auf ungefahr 20 nebeneinander existierende Kirchen verteilt 13 Oft leben orthodoxe Christen weit entfernt von einer Kirchengemeinde ihrer Herkunftsnation wahrend andere Gemeinden naher liegen Mit unterschiedlichem Erfolg offnen sich die orthodoxen Kirchen in den USA mehr oder weniger fur Glaubensgeschwister anderer ethnischer Abstammung Englisch wird als Liturgiesprache mehr oder weniger intensiv eingesetzt 14 Das Selbstverstandnis dass alle orthodoxen Kirchen miteinander in vollstandiger Glaubens und Kirchengemeinschaft stehen wird insbesondere in Nordamerika konterkariert durch unterschiedliche und zum Teil gegensatzliche Regeln im Bereich der Seelsorge So erkennen manche Jurisdiktionen die Taufe Eheschliessung und zum Teil die Ordination nicht orthodoxer Kirchen etwa der romisch katholischen Kirche und protestantischer Kirchen ganz oder teilweise an andere anerkennen kein ausserhalb der Orthodoxie gespendetes Sakrament als gultig In etlichen Abstufungen gibt es Unterschiede bezuglich Ehescheidung und Wiederverheiratung Zulassung zum kirchlichen Begrabnis und anderen praktischen Vorschriften Manche Kirchen lassen Personen zum Empfang der Eucharistie zu die von einer anderen orthodoxen Kirche ausdrucklich davon ausgeschlossen wurden manche Kirchen nehmen Priester in ihren Dienst auf die von einer Schwesterkirche suspendiert oder endgultig des Amtes enthoben wurden 15 Eine ethnisch bedingte Aufteilung der orthodoxen Christen in zwei Kirchen auf demselben Territorium fand nach der Unabhangigkeit Estlands von der Sowjetunion statt 1993 kam es zur Wiedereinsetzung der autonomen Estnischen Apostolischen Orthodoxen Kirche unter der 1996 bestatigten Oberhoheit des Patriarchen von Konstantinopel die bereits vor 1945 existiert hatte Ihre Mitglieder sind seit 1993 uberwiegend ethnische Esten Der grosste Teil der in Estland lebenden orthodoxen ethnischen Russen entschied sich jedoch bei der estnischen Metropolie der Russisch Orthodoxen Kirche zu verbleiben die seit 1945 die fur ganz Estland zustandige orthodoxe Jurisdiktion war Bis zum im Jahr 2002 gefundenen Kompromiss hatte es wegen der kirchlichen Situation in Estland erhebliche Verstimmungen zwischen den Patriarchen von Moskau und Konstantinopel gegeben 16 In den 1990er Jahren hatte das Moskauer Patriarchat sogar vorubergehend die Kirchengemeinschaft mit Konstantinopel ausgesetzt 17 Wahrend ein Teil der orthodoxen Theologen und Amtstrager der Ansicht ist dass an einem Ort nur ein einziger Bischof das Oberhaupt aller orthodoxen Glaubigen sein konne strenges Territorialprinzip wird von anderen das Modell des Metropolitansystems vertreten wonach auf einem Kontinent oder in einem Land verschiedene orthodoxe Metropolien nebeneinander als Ausdruck historisch gewachsener Mannigfaltigkeit innerhalb der Diaspora akzeptabel seien 18 Literatur BearbeitenErnst Chr Suttner Der bulgarische Phyletismus ein geistliches oder weltliches Thema In Ostkirchliche Studien 48 1999 ISSN 0030 6487 S 299 305 Einzelnachweise Bearbeiten Anne Jensen Die Zukunft der Orthodoxie Konzilsplane und Kirchenstrukturen Benziger Zurich 1986 ISBN 3 545 24218 8 S 134 Anne Jensen Die Zukunft der Orthodoxie Konzilsplane und Kirchenstrukturen Benziger Zurich 1986 ISBN 3 545 24218 8 S 55 57 Anne Jensen Die Zukunft der Orthodoxie Konzilsplane und Kirchenstrukturen Benziger Zurich 1986 ISBN 3 545 24218 8 S 138 Anne Jensen Die Zukunft der Orthodoxie Konzilsplane und Kirchenstrukturen Benziger Zurich 1986 ISBN 3 545 24218 8 S 78 139 Anne Jensen Die Zukunft der Orthodoxie Konzilsplane und Kirchenstrukturen Benziger Zurich 1986 ISBN 3 545 24218 8 S 74 79 138f Ernst Chr Suttner Der bulgarische Phyletismus ein geistliches oder weltliches Thema In Ostkirchliche Studien 48 1999 ISSN 0030 6487 S 299 305 299 Anne Jensen Die Zukunft der Orthodoxie Konzilsplane und Kirchenstrukturen Benziger Zurich 1986 ISBN 3 545 24218 8 S 138f Deutsche Ubersetzung zitiert nach Ernst Chr Suttner Der bulgarische Phyletismus ein geistliches oder weltliches Thema In Ostkirchliche Studien 48 1999 ISSN 0030 6487 S 299 305 299 Anne Jensen Die Zukunft der Orthodoxie Konzilsplane und Kirchenstrukturen Benziger Zurich 1986 ISBN 3 545 24218 8 S 139 Anne Jensen Die Zukunft der Orthodoxie Konzilsplane und Kirchenstrukturen Benziger Zurich 1986 ISBN 3 545 24218 8 S 72 75 139 Philip Saliba Metropolitan Philip s Address to the 48th Archdiocesan Convention General Assembly auf der offiziellen Internetprasenz der Antiochian Orthodox Christian Archdiocese of North America abgerufen 16 Mai 2013 The Pew Forum on Religion amp Public Life U S Religious Landscape Survey abgerufen 16 Mai 2013 Anne Jensen Die Zukunft der Orthodoxie Konzilsplane und Kirchenstrukturen Benziger Zurich 1986 ISBN 3 545 24218 8 S 80 Saint Seraphim of Sarov Russian Orthodox Mission Freedom from Phyletism Memento des Originals vom 29 Juni 2008 imInternet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot www saint seraphim org abgerufen 16 Mai 2013 Josiah Trenham Orthodox Reunion Overcoming the Curse of Jurisdictionalism in America auf OrthodoxyToday org 2006 abgerufen 16 Mai 2013 U S Department of State Estonia International Religious Freedom Report 2003 abgerufen 16 Mai 2013 Ernst Chr Suttner Der bulgarische Phyletismus ein geistliches oder weltliches Thema In Ostkirchliche Studien 48 1999 ISSN 0030 6487 S 299 305 300 Fussnote 5 Ernst Chr Suttner Der bulgarische Phyletismus ein geistliches oder weltliches Thema In Ostkirchliche Studien 48 1999 ISSN 0030 6487 S 299 305 300 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Phyletismus amp oldid 230057442