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Isorhythmie von griech ἴsos gleich und ῥy8mos Zeitmass etwa gleiche rhythmische Ordnung auch Isorhythmik genannt bezeichnet eine Satztechnik in der Mehrstimmigkeit des 14 und 15 Jahrhunderts bei der ein rhythmisches Muster bei wechselndem melodischen Gehalt in einer oder mehreren Stimmen wiederholt durchgefuhrt wird Die isorhythmische Motette stellt den Gipfel an rationaler Strukturierung in der gotischen Musik dar Zugleich schafft sie den Ausgleich zur expressiven Melodik und zur gesteigerten harmonischen Farbigkeit Chromatik Isorhythmie ubertrug man von der Motette auch in Messen und Kantilenensatze Der Begriff stammt nicht aus der Zeit sondern wurde erstmals zu Beginn des 20 Jahrhunderts von Friedrich Ludwig gepragt Das Kompositionsprinzip der Isorhythmie entspricht dem struktursuchenden Geist des Mittelalters und erweist sich vor allem in der isorhythmischen Motette der Ars Nova als eine der strengsten kunstvollsten und durchgebildetsten Formen der Musikgeschichte die in der Korrespondenz von klanglicher und textlicher Gefugigkeit von keiner spateren Gattung ubertroffen wird Dabei handelt es sich um dichteste Musik voll farbiger inniger neuartiger Klanglichkeit in ihrer Einheit von zwingender Struktur und unmittelbar uberzeugender Wirkung ein vollendetes Kunstwerk 1 Inhaltsverzeichnis 1 Satztechnik 2 Historische Entwicklung 3 Literatur 4 EinzelnachweiseSatztechnik BearbeitenEine Komposition ist isorhythmisch wenn ihr Tenor in rhythmische Taleae von altfranzosisch taille Abschnitt Form und melodische Colores von lat color Farbe Schmuck gegliedert ist und diese unabhangig voneinander kombiniert werden Das musikalische Grundprinzip der Isorhythmie besteht somit in der Wiederkehr gleicher rhythmischer Strukturen in veranderter melodischer Gestalt Das sich wiederholende rhythmische Modell die Talea korrespondiert ublicherweise mit der strophischen Form des Textes Sie muss allerdings nicht immer streng in allen Stimmen durchgefuhrt werden und tritt vor allem in den Cantus firmus Stimmen also im Tenor und bei Vierstimmigkeit im gleich gearteten Contratenor auf Es konnen aber auch andere Stimmen partiell oder vollstandig das Prinzip der Talea und Color Gliederung aufweisen Dies ist zuweilen an Abschnittsenden der Fall Des Ofteren entsprechen sich auch bestimmte Passagen der Oberstimmen im Rhythmus In der isorhythmischen Motette der Ars Nova werden Taleae und Colores nicht deckungsgleich verwendet sondern die melodischen und rhythmischen Phasen gegeneinander verschoben so dass sie sich uberlagern z B Aufteilung von zwei Colores auf drei Taleae Weiter erscheinen bei mehrteiligen Motetten in den Schlussteilen haufig Diminutionen in den Oberstimmen was in der Regel durch verschiedenartige Mensurwechsel ohne neue Tenornotierung gefordert wird Historische Entwicklung BearbeitenObwohl zunachst lateinisch geistlich wurde die von solistischen Mannerstimmen in hoher Lage gesungene und instrumental begleitete Motette bald franzosisch weltlich und zunehmend auch ausserhalb der Kirche aufgefuhrt Sie ist in der Regel dreistimmig von einem instrumentalen Tenor aus entworfen doppeltextig meist altfranzosisch oder lateinisch selten verschiedensprachige Texte auch gleichzeitig geistliche und weltliche Texte sind moglich und zeigt eine differenzierte Oberstimmenstruktur Die Texte handeln mehrheitlich von Liebe Politik Sozialem usw Oft tadelten sie auch den Klerus oder spielen auf zeitgenossische politische Ereignisse an Als Hauptgattung der artifiziellen Mehrstimmigkeit war die Motette stets Feld fur Neuerungen und Experimente Als Vorlaufer der Isorhythmie gilt die Isoperiodik der Motette der Ars antiqua die im spaten 13 Jahrhundert u a von Petrus de Cruce reprasentiert wird Im Gegensatz zur Isorhythmie werden hier die Taleae lediglich im Tenor wiederholt und der Periodenbau in den Oberstimmen entsprechend angepasst Kleine Abweichungen sind moglich Die Einteilung in gleiche Perioden nimmt jedoch keine Rucksicht auf das melodische Material zum Teil nicht einmal auf den Text Es handelt sich um eine absolut musikalische Gestaltungsweise Erste Ansatze von Isorhythmie mit mehrfach wiederkehrenden zahlenmassig streng geregelten Perioden zeigen sich in den Kompositionen von Philippe de Vitry Ihr Fundament liegt weiterhin im Tenor dessen Melodie meist einer zum Werk passenden Stelle des liturgischen Gesangs Gregorianischer Choral entnommen aber in Langmensur ganz willkurlich rhythmisiert wird Nach etwa 10 20 Grosstakten beginnt eine neue Periode mit derselben Rhythmus und Pausenfolge auch wenn die Tenormelodie noch nicht beendet ist Talea und Color decken sich oft oder stehen im einfachen Verhaltnis 1 n Uberschneiden sie sich jedoch z B in der Ordnung 2 Color 5 Talea so werden die Melodietone bei der Wiederkehr anders rhythmisiert Die Talea Notenfolge diente somit als Schema das mehrmals auftrat und auf beliebige Melodieteile in strenger Gleichform also isorhythmisch angewandt wurde Die Periodik des Tenors gilt auch fur die beiden Oberstimmen und einen etwaigen Contratenor so dass einheitliche Gesamtgliederung bei Ars Nova Motetten die Regel ist Anstelle der Langmensur mit Longa Brevis Werten im Tenor herrscht jedoch in den beiden Singstimmen freie Melodik mit Brevis Semibrevis Minima Bewegung Das Triplum ist meist lebhafter der Motetus Duplum etwas ruhiger und kurzer mitunter auch in einem anderen Takt gehalten Oft geht man dazu uber den gesamten Rhythmus anzugleichen also auch in den Oberstimmen die Perioden als ein Schema genau zu wiederholen 2 Besonders ausgepragt findet sich diese Art der Isorhythmie in den Werken Guillaume de Machauts 23 Motetten Messe de Nostre Dame Ihren Hohepunkt erreichte sie allerdings in der franzosischen Spatzeit Ars subtilior als man die Technik sogar auf Lied und Messkompositionen ubertrug Bis ins 15 Jahrhundert wurde das isorhythmische Prinzip noch fur festliche Anlasse verwendet so z B von Guillaume Dufay in seiner beruhmten Domweihemotette Nuper rosarum flores 1436 In der Folge wurde es allmahlich von der Satztechnik der Durchimitation siehe Franko flamische Vokalpolyphonie abgelost Transkription der isorhythmischen Tenorstimme des Anfangs aus dem Kyrie von Guillaume de Machauts Messe de Nostre Dame ca 1360 in moderne Notation Ein Color von 28 Tonhohen ist kombiniert mit einer Talea von vier Notenwerten die sich siebenmal wiederholt 28 4 7 Im 20 Jahrhundert wurde die Isorhythmie u a von Anton Webern Igor Strawinski und Witold Lutoslawski fur einige Kompositionen erneut genutzt Auch Gyorgy Ligeti lehnt die Kompositionsweise seines geistlichen Chorwerks Lux aeterna an isorhythmische Techniken an Im Bereich des Jazz beruft sich u a der Schweizer Pianist Christoph Stiefel mit seinem Soloprojekt Isorhythms for Solo Piano 2005 explizit auf dieses Prinzip 3 Literatur BearbeitenHeinrich Besseler Ars Nova In Friedrich Blume Hrsg Epochen der Musikgeschichte Barenreiter Kassel 1974 ISBN 3 423 04146 3 Friedrich Ludwig Die mehrstimmige Musik des 14 Jahrhunderts In Sammelbande der Internationalen Musikgesellschaft Bd 4 1902 03 S 16 69 Jon Michael Allsen Style and intertextuality in the isorhythmic motet 1400 1440 Dissertation University of Wisconsin Press Madison 1992 Laurenz Lutteken Guillaume Dufay und die isorhythmische Motette Gattungstradition und Werkcharakter an der Schwelle zur Neuzeit Dissertation Wagner Hamburg Eisenach 1993 ISBN 3 88979 062 3 Peter Schnaus Hrsg Europaische Musik in Schlaglichtern Meyers Lexikonverlag Mannheim 1990 ISBN 3 411 02701 0 Einzelnachweise Bearbeiten Peter Schnaus Hrsg Europaische Musik in Schlaglichtern Meyers Lexikonverlag Mannheim 1990 ISBN 3 411 02701 0 S 125 Heinrich Besseler Ars Nova In Friedrich Blume Hrsg Epochen der Musikgeschichte Barenreiter Kassel 1974 ISBN 3 423 04146 3 Christoph Stiefel Abgerufen am 8 Juni 2021 Normdaten Sachbegriff GND 4272856 3 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Isorhythmie amp oldid 227726960