www.wikidata.de-de.nina.az
Der Ishango Knochen ist ein steinzeitliches Artefakt das vom belgischen Archaologen und Geologen Jean de Heinzelin de Braucourt 1920 1998 1950 im damaligen Belgisch Kongo der heutigen Demokratischen Republik Kongo entdeckt wurde Es handelt sich um einen etwa 10 cm langen Knochen auf dem in drei Spalten mehrere Gruppen von Kerben angeordnet sind Sinn und Zweck der Einkerbungen sind unklar Spekulationen zufolge wurde der Knochen als eine Art Rechenstab benutzt Eine Funktion als Kalender wird ebenfalls vorgeschlagen Ishango KnochenDas Alter des Artefakts wird heute auf etwa 20 000 Jahre bestimmt Es befindet sich im belgischen Museum fur Naturwissenschaften in Brussel Inhaltsverzeichnis 1 Fundort und Datierung 2 Beschreibung 3 Deutungen 3 1 Arithmetisches Spiel 3 2 Mondkalender 3 3 Rechenstab 3 4 Ursprung des Duodezimalsystems 4 Literatur und Quellen 5 Weblinks 6 BelegeFundort und Datierung BearbeitenDer Fundort Ishango liegt nahe der kongolesisch ugandischen Grenze am Nordwestufer des Eduardsees In dem hugeligen Gelande am Abfluss des Semliki fuhrte Jean de Heinzelin in den 1950er Jahren Ausgrabungen eines steinzeitlichen Wohnplatzes durch der durch einen Vulkanausbruch zerstort worden war Gefunden wurden hauptsachlich menschliche und tierische Uberreste Steinwerkzeuge und Harpunenspitzen Die durch den Vulkanausbruch erhohte Konzentration des Kohlenstoff Isotops 12C in der Umgebung verhinderte eine genaue Altersbestimmung der Funde mittels der C 14 Methode Aufgrund archaologischer und geologischer Anhaltspunkte ordnete de Heinzelin Ishango als mesolithischen Wohnplatz aus der Zeit zwischen 9000 v Chr und 6500 v Chr ein 1 1983 84 durch Noel Boaz sowie zwischen 1985 und 1990 durch Alison Brooks John Yellen und Kanimba Misago fanden nochmals Grabungen in Ishango und der naheren Umgebung statt bei denen unter anderem weitere Schalen von Weichtieren gefunden wurden Die Analyse dieser Schalen mit Hilfe der Aminosaure Razemisierungs Methode ergab ein Alter der Siedlung von mindestens 20 000 Jahren Selbst unter der Berucksichtigung des warmen afrikanischen Klimas ist ein Alter von weniger als 10 000 Jahren ausserst unwahrscheinlich so dass Ishango heute dem Jungpalaolithikum zugerechnet wird 2 Bei den diversen Forschungsgrabungen wurden auch zahlreiche Knochen geborgen die dem anatomisch modernen Menschen Homo sapiens zugeschrieben wurden Eine Besonderheit ist dass die Backenzahne dieser Menschen auffallend gross sind 3 Beschreibung Bearbeiten nbsp Die Einteilung der Kerben in Gruppen Die Quarzspitze ist im Bild oben Der Ishango Knochen ist ein ungefahr 10 cm langer gekrummter Pavianknochen 4 von ovalem Querschnitt An seinem schmaleren Ende ist ein Stuck Quarz angebracht so dass er als eine Art Griffel gedient haben konnte Fast die gesamte Oberflache des Knochens ist mit feinen quer verlaufenden Einkerbungen unterschiedlicher Lange versehen Die Kerben lassen sich in 16 Gruppen zusammenfassen die wiederum in drei Spalten angeordnet sind Die mittlere Spalte enthalt von der Quarzspitze aus betrachtet 3 6 4 8 10 oder 9 5 5 7 Folge A100000 in OEIS Kerben die linke Spalte 11 13 17 19 und die rechte Spalte 11 21 19 9 Kerben Deutungen BearbeitenDie Anfange des eigentlichen Zahlens und Rechnens losgelost von der reinen Notation konkreter Objekte sind nach allgemeiner Ansicht ab der Zeit der Sesshaftwerdung im Zuge der neolithischen Revolution zu finden Fruhere mit Ornamenten oder Einkerbungen versehene Artefakte werden als Zeugnisse einer Vorstufe des Zahlens betrachtet da das Vorhandensein eines abstrakten Zahlbegriffes vor der Jungsteinzeit nicht anzunehmen ist Die Anordnung der Kerben des Ishango Knochens legt die Vermutung nahe dass es sich bei dem Muster um kein rein zufalliges handelt und bietet Raum fur Deutungen die jedoch nach heutigem Forschungsstand als spekulativ gelten mussen 5 Arithmetisches Spiel Bearbeiten Jean de Heinzelin raumte zwar die Moglichkeit eines zufalligen Musters ein hielt aber selbst den Knochen fur ein arithmetisches Spiel einfache Rechnungen oder Notationen die auf dem Dezimalsystem basierten Grundlage fur seine Theorie waren folgende Beobachtungen 1 Die Paare 3 6 4 8 und 10 5 der mittleren Spalte werden aus einer Zahl und ihrem Doppelten gebildet Die letzten beiden Zahlen 5 und 7 passen allerdings nicht in dieses Schema Die Gruppen in der rechten Spalte bilden genau die Zahlen 10 1 und 20 1 Die linke Spalte enthalt genau die Primzahlen zwischen 10 und 20 Mondkalender Bearbeiten nbsp Marshacks Deutung des Knochens als Mondkalender 6 Ein anderer Ansatz stammt vom amerikanischen Journalisten Alexander Marshack der im Auftrag der NASA ein Buch uber die Geschichte der Naturwissenschaften schrieb 7 und in diesem Zusammenhang den Ishango Knochen mikroskopisch untersuchen konnte Er stellte Unterschiede der Tiefe Gestalt und Ausrichtung der Einkerbungen fest und sah sich in der Lage die Kerben in Ubereinstimmung mit den Mondphasen zu bringen Seiner Ansicht nach handelt es sich bei dem Artefakt eindeutig um einen Mondkalender Fur Marshacks Theorie spricht dass die Anzahl der Kerben der beiden ausseren Spalten sich jeweils zu 60 also fast genau der Anzahl der Tage zweier Mondmonate summieren und dass Parallelen zu Kalendern moderner Jager und Sammler Kulturen gezogen werden konnen 6 Marshacks Arbeiten sind umstritten 8 der italienische Anthropologe Francesco d Errico etwa weist die Methodik als unwissenschaftlich zuruck 9 10 Unterstutzt wurde Marshacks These hingegen von der amerikanischen Padagogin und Ethnomathematikerin Claudia Zaslavsky die als einen Grund fur die Zeitmessung im Rhythmus der Mondphasen den Menstruationszyklus der Frau anfuhrte 11 Rechenstab Bearbeiten Pletsers Additionstafel 12 M L R3 6 2 111 6 4 11 4 6 3 13 4 8 9 21 8 9 17 9 5 5 19 2 7 5 5 19 2 7 96 12 12 24 30 12 12 12 60 60Die zur Vollstandigkeit fehlenden Eintrage sind durchgestrichen Vladimir Pletser Wissenschaftler bei der ESA griff 1999 de Heinzelins Deutung des Ishango Knochens als mathematisches Objekt wieder auf Er bemerkte dass sich die Zahlen der ausseren Spalten durch Addition von aufeinanderfolgenden Zahlen der mittleren Spalte gewinnen lassen Liest man die unsichere Anzahl der funften mittleren Gruppe als 9 statt als 10 summieren sich beispielsweise die mittleren Gruppen drei bis funf zu 21 die Gruppen funf bis sieben zu 19 beides Werte die man auf ungefahr gleicher Hohe in der rechten Spalte findet Pletser schloss daraus dass der Knochen als Rechenstab gedient habe auf dem man durch einfaches Drehen die Summe bestimmter Zahlen ablesen konne Die Additionstafel die sich aus dieser Hypothese ergibt weist allerdings Lucken auf Pletser musste bei einigen Rechnungen zusatzliche Zahlen addieren um alle Werte der beiden ausseren Spalten darstellen zu konnen Im Gegensatz zu de Heinzelin unterstellt Pletser in seiner Deutung ein gemischtes Zahlensystem das auf den Basen 3 4 und daraus abgeleitet der Basis 12 beruht Die Basis 10 wurde moglicherweise parallel benutzt Vorteil dieser Annahme ist dass zur Erklarung der Zahlen 11 13 17 und 19 der linken Spalte nicht der Begriff der Primzahl bemuht werden muss sondern dass sie sich zusammen mit den fur de Heinzelin isoliert erscheinenden letzten beiden Zahlen 5 und 7 der mittleren Spalte als 12 1 1 12 1 und 1 12 1 ergeben 13 Ursprung des Duodezimalsystems Bearbeiten Der belgische Mathematiker Dirk Huylebrouck der mit Pletser zusammen die Rechenstab Hypothese vertritt ist der Ansicht dass im Ishango Knochen der Ursprung des Duodezimal und des verwandten Hexagesimalsystems zu erkennen ist Die Basen zwolf und sechzig finden sich bei den Sumerern Assyrern und Babyloniern spater im antiken Griechenland Die genaue Entstehung dieser Zahlweisen gilt bislang noch als ungeklart 14 Huylebrouck verweist auf Untersuchungen des britischen Anthropologen Northcote Whitridge Thomas der 1920 uber die Verwendung der Basis zwolf bei den Zahlwortern verschiedener Plateau Sprachen in Westafrika berichtet hatte 15 Thomas hatte in seinem Bericht die Frage aufgeworfen wie falls man keine unabhangige Entstehung der Zahlweisen annehmen mochte diese Verwendung in Westafrika in Beziehung zu den mesopotamischen Hochkulturen gesetzt werden konnte Huylebrouck glaubt die Antwort in de Heinzelins Arbeit gefunden zu haben Dieser hatte durch den Vergleich der Funde von Harpunenspitzen die zeitliche und geographische Ausbreitung der Ishango Kultur verfolgt und dabei im Wesentlichen zwei Richtungen festgestellt Ein Zweig fuhrte nach Westafrika der andere nilabwarts nach Agypten Das Duodezimalsystem konnte auf diesen Wegen von Ishango aus einerseits nach Westafrika und andererseits via Agypten ins Zweistromland gelangt sein der Ishango Knochen ware in diesem Fall das von Thomas gesuchte Bindeglied 12 Literatur und Quellen BearbeitenJean de Heinzelin Ishango In Scientific American 206 1962 S 105 116 doi 10 1038 scientificamerican0662 105 Dirk Huylebrouck The Bone that Began the Space Odyssey In The Mathematical Intelligencer 18 1996 S 56 60 doi 10 1007 BF03026755 Dirk Huylebrouck L os Ishango l objet mathematique le plus ancien o J PDF 0 4 MB Memento vom 6 Dezember 2008 im Internet Archive Vladimir Pletser Dirk Huylebrouck The Ishango artifact the missing base 12 link In Forma 14 1999 S 339 346 PDF 1 6 MBWeblinks BearbeitenHave you heard of Ishango Informationen des Royal Belgian Institute of Natural Sciences zum Ishango Knochen englisch mit zahlreichen Abbildungen Zuletzt abgerufen am 29 Juli 2021 Belege Bearbeiten a b De Heinzelin 1962 Alison S Brooks Catherine C Smith Ishango revisited new age determinations and cultural interpretations In The African Archaeological Review Band 5 1987 S 65 78 Eintrag Ishango in Bernard Wood Hrsg Wiley Blackwell Encyclopedia of Human Evolution 2 Bande Wiley Blackwell Chichester u a 2011 ISBN 978 1 4051 5510 6 Jeff Suzuki Mathematics in Historical Context The Mathematical Association of America Washington D C 2009 ISBN 978 0 88385 570 6 S 1 Hans Wussing 6000 Jahre Mathematik Springer Berlin u a 2008 ISBN 978 3 540 77189 0 S 6 ff a b Huylebrouck 1996 Alexander Marshack The Roots of Civilization MacGraw Hill New York 1972 ISBN 0 07 040535 2 James Elkins Impossibility of Close Reading The Case of Alexander Marshack In Current Anthropology 37 1996 S 185 226 Francesco d Errico Palaeolithic Lunar Calendars A Case of Wishful Thinking In Current Anthropology Band 30 Nr 1 1989 S 117 118 doi 10 1086 203721 Alexander Marshack Francesco d Errico On Wishful Thinking and Lunar Calendars In Current Anthropology Band 30 Nr 4 1989 S 491 500 doi 10 1086 203773 Claudia Zaslavsky Women as the First Mathematicians In International Study Group on Ethnomathematics Newsletter 7 Nr 1 1992 a b Pletser Huylebrouck 1999 Pletser Huylebrouck 1999 siehe auch Huylebrouck o J Vgl etwa Georges Ifrah Universalgeschichte der Zahlen Campus Frankfurt am Main 1993 S 74 f 90 ff Northcote Whitridge Thomas Duodecimal Base of Numeration In Man Nos 13 14 1920 S 25 29 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Ishango Knochen amp oldid 237949327