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Heinrich Rothmund 6 Juli 1888 in Uster 8 April 1961 in Bern war zwischen 1919 und 1955 Chef der Eidgenossischen Fremdenpolizei Inhaltsverzeichnis 1 Leben und Tatigkeiten 1 1 Fluchtlingspolitik vor und wahrend des Zweiten Weltkriegs 2 Historische Beurteilung 2 1 Judenstempel Stempel J 3 Schriften 4 Literatur 5 Weblinks 6 EinzelnachweiseLeben und Tatigkeiten BearbeitenRothmund studierte Jura in Zurich Bern und Leipzig und promovierte 1916 an der Universitat Zurich Im selben Jahr trat er in die Kriegsmaterialverwaltung der Bundesverwaltung ein Von 1919 bis 1929 war er Chef der Eidgenossischen Zentralstelle fur Fremdenpolizei von 1929 bis 1954 Chef der neuen Polizeiabteilung des Eidgenossischen Justiz und Polizeidepartements EJPD der 1933 die Fremdenpolizei eingegliedert wurde Rothmund war von 1929 bis 1931 massgebend an der Ausarbeitung des Gesetzes uber Aufenthalt und Niederlassung ANAG beteiligt An der vom 6 Juli bis 15 Juli 1938 stattfindenden Konferenz von Evian war er Vertreter der Schweiz 1 Im Zweiten Weltkrieg war er aufgrund seiner Funktion als Chef der Fremdenpolizei einer der Hauptverantwortlichen fur die Umsetzung der Fluchtlingspolitik des Bundesrates Von 1945 bis 1947 wurde Rothmund vom Bundesrat als Schweizer Vertreter in das Zwischenstaatliche Komitee fur Fluchtlinge IGCR in Genf berufen Er war zudem Delegierter ad interim in der vorbereitenden Kommission der International Refugee Organization IRO Fluchtlingspolitik vor und wahrend des Zweiten Weltkriegs Bearbeiten Nach dem Anschluss Osterreichs Marz 1938 flohen oder reisten viele Juden von dort in die Schweiz ab Mai 1938 gab es auch Abschiebungen von Juden in die Schweiz Nach dem Scheitern der Konferenz von Evian Juli 1938 wo sich die Schweiz als Transitland fur Fluchtlinge anerboten hatte aber kein europaisches Land bereit war Fluchtlinge aufzunehmen entschied der Bundesrat dass die Schweiz den Zustrom von Fluchtlingen kontrollieren musste Die erste Verscharfung der Fluchtlingspolitik erfolgte mit dem Bundesratsbeschluss BRB vom 17 Oktober 1939 Um die Zuwanderung besser steuern zu konnen und weil der Bundesrat die Grenzen nicht schliessen wollte und konnte wurde mit dem BRB eine Unterscheidung zwischen anerkannten politischen Fluchtlingen und Emigranten die die Schweiz wieder verlassen mussten gemacht die im Ermessen der Fremdenpolizei lag Ein Visum durfte nur noch ausgestellt werden wenn Gewahr bestand dass der Auslander die Schweiz wieder verlassen wurde Nach der Generalmobilmachung im Mai 1940 mussten die Visa vorher von der Fremdenpolizei bewilligt werden Diese Praxis wurde wegen politischer Proteste und mit Rucksicht auf den Fremdenverkehr wieder gelockert Im Marz 1940 beschloss der Bundesrat das Verbot der Erwerbstatigkeit fur mannliche Emigranten aufzuheben und fur sie Arbeitslager unter der Leitung der Polizeiabteilung zu errichten 2 Nach der Wannseekonferenz im Januar 1942 geheimer Beschluss die gesamte judische Bevolkerung Europas nach Osteuropa zu deportieren und sie dort in Vernichtungslagern zu ermorden siehe Holocaust versuchten im Sommer 1942 mehr judische Fluchtlinge in die Schweiz einzureisen Nach Besuchen an der Schweizer Grenze im Jura erliess Rothmund am 13 August 1942 im Anschluss an den Bundesratsbericht vom 4 August mit Bezug auf den BRB vom 17 Oktober 1939 eine Grenzsperre fur nichtpolitische Fluchtlinge die vom abwesenden Bundesrat Eduard von Steiger nachtraglich gebilligt wurde Rothmund befurchtete dass die Schweiz als Insel in Europa nicht imstande ware hunderttausende auf der Flucht befindliche Juden aufzunehmen und ausserte man solle sich auf die Sicherheit der bereits aufgenommenen Fluchtlinge konzentrieren Er hatte die uber 400 000 Spanienfluchtlinge vor Augen die nach ihrer Flucht 1939 im Camp de Gurs und weiteren franzosischen Internierungslagern festgehalten wurden in denen katastrophale Zustande herrschten 2 Die massive Reaktion der offentlichen Meinung auf die verscharfte Ruckweisungspraxis veranlasste Bundesrat von Steiger am 23 August eine Lockerung der Zuruckweisungen vorzunehmen 2 Insgesamt wurden mindestens 20 000 Menschen wahrend des Krieges an der Grenze abgewiesen oder an die Nazis ausgeliefert obwohl diese akut von Ermordung bedroht waren 3 Die rechtliche Unterscheidung zwischen Militar und Zivilfluchtlingen barg Ermessensspielraum so vor allem bei den aus Suddeutschland geflohenen Zwangsarbeitern unter denen sich gefangene Soldaten und Zivilpersonen befanden Vor allem gefluchtete polnische und sowjetische Zwangsarbeiter wurden bis 1944 regelmassig nach Deutschland zuruck uberstellt bei ganz ahnlicher Gefahrdungslage wie bei judischen Fluchtlingen 4 Die Unabhangige Expertenkommission Schweiz Zweiter Weltkrieg UEK wurde am 19 Dezember 1996 vom Schweizer Bundesrat eingesetzt und kam in ihrem Schlussbericht 2002 5 zu dem Ergebnis dass die damalige schweizerische Fluchtlingsgesetzgebung mit den Prinzipien eines Rechtsstaates nicht vereinbar war 4 Historische Beurteilung BearbeitenDie Tatigkeit der Fremdenpolizei wurde vor allem im Zusammenhang mit der restriktiven Fluchtlingspolitik des Bundesrates wahrend des Zweiten Weltkriegs und auch danach teils heftig kritisiert Als Rothmund feststellte dass die Kritik an der restriktiven Fluchtlingspolitik bei den Kinderzugen in die Schweiz zuerst die Hilfswerke des Roten Kreuzes in Mitleidenschaft zog riet er der Leitung der Kinderhilfe alle Kritik auf die Fremdenpolizei abzuladen weil das Rote Kreuz damit nicht belastet werden durfe 6 Wegen verschiedener ihm zugeschriebener Ausserungen wie beispielsweise er habe schon 1919 vor einer Verjudung der Schweiz gewarnt oder er sei der Ansicht gewesen dass die Aufnahme judischer Fluchtlinge bei der Bevolkerung Antisemitismus hervorrufen konne und dass der Umgang mit Juden an sich der Grund fur die Verbreitung des Antisemitismus sei wurde Rothmund von Historikern Antisemitismus vorgeworfen 7 Laut Stefan Keller 8 soll Rothmund betont haben seit zwanzig Jahren mit den Mitteln der Fremdenpolizei gegen die Zunahme der Uberfremdung gekampft zu haben und gedroht haben wenn das Eidgenossische Justiz und Polizeidepartement EJPD mit den fremden Emigranten fertig sei wurden als nachstes die schweizerischen Juden drankommen Mitte der 1950er Jahre verfasste Carl Ludwig 1889 1967 im Auftrag des Bundesrats nachdem Medien Anschuldigungen gegen Rothmund publiziert hatten die damals mehrere parlamentarische Vorstosse ausgelost hatten einen offiziellen Untersuchungsbericht zur Fluchtlingspolitik der Schweiz wahrend und nach dem Zweiten Weltkrieg 1997 erschien eine Neuauflage dieses Berichts Ludwig Die Anschuldigungen basierten wie sich dann herausstellte auf einer Verwechslung und waren falsch 9 Rothmund besuchte vom 12 Oktober bis 6 November 1942 Berlin u a am 21 Oktober das KZ Sachsenhausen und schrieb daruber Ende Januar 1943 einen vertraulichen Bericht an den Bundesrat 10 Judenstempel Stempel J Bearbeiten Die Erfindung des Judenstempels wurde aufgrund eines Artikels im Beobachter vom 31 Marz 1954 jahrzehntelang falschlicherweise Rothmund angelastet Neuere Forschungen zeigen dass der J Stempel zwar aufgrund eines Abkommens zwischen der Schweiz und Deutschland 11 eingefuhrt worden war dass dieser aber auf einen Vorschlag deutscher Behorden zuruckging welche damit die Einfuhrung der vom Schweizer Bundesrat verlangten Visumspflicht fur samtliche deutschen Staatsangehorige verhindern wollten 12 Der Beobachter relativierte 1998 seinen Vorwurf an Rothmund 13 dieser hatte sich 1938 gegen die Einfuhrung des Judenstempels gestellt und setzte sich beim Bundesrat erfolglos fur eine allgemeine Visumspflicht fur Deutsche ein wie sie fur Osterreicher bereits bestand 14 Schriften BearbeitenHeinrich Rothmund Die Schweiz durch die Brille der Fremdenpolizei Vortrag In Mitteilungen der Neuen Helvetischen Gesellschaft 1937 Heft 1 Jan Febr Literatur BearbeitenDie Schweiz und die Fluchtlinge La Suisse et les refugies 1933 1945 Bern Stuttgart Wien 1996 Studien und Quellen Etudes et Sources Studi e Fonti Studis e Funtaunas Zeitschrift des Schweizerischen Bundesarchivs Ladislas Mysyrowicz Le Dr Rothmund et le probleme juif fevrier 1941 In Schweizerische Zeitschrift fur Geschichte 1982 2 S 348 355 Volltext Heinz Roschewski Rothmund und die Juden Eine historische Fallstudie des Antisemitismus in der schweizerischen Fluchtlingspolitik 1933 1957 Basel 1997 Serge Nessi Die Kinderhilfe des Schweizerischen Roten Kreuzes 1942 1945 und die Rolle des Arztes Hugo Oltramare Karolinger Verlag Wien Leipzig 2013 ISBN 978 3 85418 147 7 Georg Kreis Rothmund Heinrich in Handbuch des Antisemitismus Band 2 2 2009 S 697ff Weblinks BearbeitenTherese Steffen Gerber Heinrich Rothmund In Historisches Lexikon der Schweiz Heinrich Rothmund in der Datenbank Dodis der Diplomatischen Dokumente der Schweiz Ludwig Bericht von 1957 Online 420 Seiten Unabhangige Expertenkommission Schweiz Zweiter Weltkrieg Die Schweiz und Fluchtlinge zur Zeit des Nationalsozialismus 1999 Online 361 Seiten Heinrich Rothmund in der Archivdatenbank des Schweizerischen BundesarchivsEinzelnachweise Bearbeiten Ralph Weingarten Konferenz von Evian In Historisches Lexikon der Schweiz a b c Carl Ludwig Die Fluchtlingspolitik der Schweiz seit 1933 bis zur Gegenwart In Ludwig Bericht von 1957 Stefan Keller Zeitgeschichte Festung Schweiz In Die Zeit Nr 34 2008 online a b Unabhangige Expertenkommission Schweiz Zweiter Weltkrieg Bergier Kommission Der Schlussbericht in Buchform Pendo Verlag Zurich 2002 http www uek ch de index htm Serge Nessi Die Kinderhilfe des Schweizerischen Roten Kreuzes 1942 1945 und die Rolle des Arztes Hugo Oltramare Unabhangige Expertenkommission Schweiz Zweiter Weltkrieg Die Schweiz und die Fluchtlinge zur Zeit des Nationalsozialismus In Bergier Bericht Bern 1999 Stefan Keller Gruningers Fall Geschichten von Flucht und Hilfe Zurich 1993 S 111 bzw 118 Die Tatsachen In Schweizerzeit 21 1998 25 September 1998 Die Dienstreise des schweizerischen Fremdenpolizeichefs Heinrich Rothmund nach Berlin 12 Oktober bis 6 November 1942 In THATA Thomas Huonker Archiv Texte Anderes Volltext Dokument Die Verfolgung und Ermordung der europaischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933 1945 VEJ 2 127 J Stempel ist eine deutsche Erfindung In Hagalil Archiv dpa Meldung vom 22 Februar 2009 Urs Rauber Judenstempel Korrektur einer Halbwahrheit In Der Schweizerische Beobachter Nr 18 9 August 1998 Archiv Version Memento vom 4 Juli 2012 auf WebCite Caspar Battegay Naomi Lubrich Judische Schweiz 50 Objekte erzahlen Geschichte Hrsg Judisches Museum der Schweiz Christoph Merian Basel 2018 ISBN 978 3 85616 847 6 S 158 161 Normdaten Person GND 119486393 lobid OGND AKS LCCN nb99043189 VIAF 18032935 Wikipedia Personensuche PersonendatenNAME Rothmund HeinrichKURZBESCHREIBUNG Chef der Eidgenossischen FremdenpolizeiGEBURTSDATUM 6 Juli 1888GEBURTSORT UsterSTERBEDATUM 8 April 1961STERBEORT Bern Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Heinrich Rothmund amp oldid 239293767