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Die Estnische Verfassung von 1934 offiziell Eesti Vabariigi pohiseadus Grundgesetz der Republik Estland war die zweite Verfassung der im Februar 1918 gegrundeten Republik Estland Mit der Anderung der estnischen Verfassung von 1920 beabsichtigte Estland den Umbau von einem parlamentarischen zu einem semiprasidentiellen Regierungssystem Die Verfassung galt de jure vom 24 Januar 1934 bis zum 31 Dezember 1937 als eine neue Verfassung in Kraft trat Seit dem unblutigen Staatsstreich vom 12 Marz 1934 fand die Verfassung allerdings de facto keine Anwendung mehr Inhaltsverzeichnis 1 Entstehung 2 Verfassungsreform 3 Verfassungsbestimmungen 4 Aufbau der Verfassung 5 Staatsstreich vom Marz 1934 6 Ende der Verfassung 7 Siehe auch 8 Weblinks 9 EinzelnachweiseEntstehung BearbeitenDie freiheitliche Verfassung von 1920 hatte das Parlament Riigikogu als einziges direkt gewahltes Staatsorgan ins Zentrum des politischen Lebens gestellt Sie betonte stark demokratische Grundgedanken und die Ruckkopplung der Regierung an das Parlament Unter der Verfassung von 1920 konnte der Riigikogu die Regierung jederzeit mit einfacher Mehrheit entlassen Dies fuhrte in der Praxis zu haufigen Regierungswechseln kurzen Amtszeiten der jeweiligen Regierungschefs und hoher politischer Instabilitat Zwischen Dezember 1920 und Januar 1934 erlebte Estland 16 Regierungen von denen einige nur wenige Monate im Amt blieben Die durchschnittliche Amtszeit einer damaligen estnischen Regierung betrug lediglich elf Monate Damit konnte die Regierung insbesondere in der Zeit der wirtschaftlichen Depression ab Ende 1929 kaum noch nachhaltige Politikansatze verfolgen Daruber hinaus fehlte die ausgleichende Rolle eines Staatsprasidenten der in der Verfassung nicht vorgesehen war Gleichzeitig stand mit der sich verschlechternden wirtschaftlichen Lage seit Anfang der 1930er Jahre das politische Establishment Estlands unter immer grosserem Druck des Estnischen Bunds der Freiheitskampfer Eesti Vabadussojalaste Liit einer rechts autoritaren Ideen nahestehenden Veteranenvereinigung der Soldaten des Estnischen Freiheitskriegs gegen Sowjetrussland 1918 1920 Die Anhanger des Bundes kurz Vapsid genannt fanden mit ihren Ideen immer mehr Zuspruch innerhalb der estnischen Bevolkerung Sie konnten sich schliesslich mit der Forderung nach einer Verfassungsreform durchsetzen die die Exekutive starken sollte Verfassungsreform BearbeitenDie unbestrittenen Defizite der Verfassung von 1920 sollten mit einem neuen Grundgesetz ausgeglichen werden Ein faktisches Prasidialsystem mit einem vom Volk direkt gewahlten Staatsaltesten Riigivanem der die wesentlichen Linien der Regierungsarbeit bestimmte sollte die bisherige einseitige Machtverteilung zwischen Exekutive und Legislative zugunsten des Staatsaltesten umkehren Das neue Grundgesetz der Republik Estland wurde in einer Volksabstimmung vom 14 bis 16 Oktober 1933 angenommen Die Verfassung trat am 24 Januar 1934 in Kraft Gleichzeitig sollten hundert Tage nach ihrem Inkrafttreten Wahlen zum Staatsaltesten und zum Parlament Riigikogu stattfinden Verfassungsbestimmungen BearbeitenDie neue Verfassung beliess die umfangreichen Grund und Freiheitsrechte des Grundgesetzes von 1920 weitgehend unverandert 1 Die Anderungen im Staatsorganisationsrecht waren dagegen einschneidend Sie bedeuteten den Umbau von einem parlamentarischen zu einem semiprasidentiellen Regierungssystem Die Verfassung halbiert die bisherige Zahl der Abgeordneten im Parlament Riigikogu wortlich Staatsversammlung auf funfzig Sie werden auf vier Jahre in gleichen freien und geheimen Wahlen gewahlt Die ordentliche Sitzungsperiode des Parlaments beginnt jedes Jahr am ersten Montag im Oktober und dauert nicht langer als sechs Monate 41 Dem Staatsaltesten steht das Recht zu die jahrliche Sitzungsperiode zu verkurzen wenn dies staatliche Erwagungen verlangen Die Verfassung sieht als Kern der Exekutive einen Staatsaltesten Riigivanem als Staatsoberhaupt und Oberbefehlshaber der Streitkrafte vor Er bestimmt die Richtlinien der Politik Die Amtszeit des Staatsaltesten betragt funf Jahre Er wird vom Volk direkt gewahlt und steht in seiner demokratischen Legitimation daher gleichberechtigt neben dem Parlament Wenn keiner der Bewerber im ersten Wahlgang die erforderliche absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen erreicht findet innerhalb von drei Wochen ein zweiter Wahlgang statt Darin konnen auch neue Bewerber antreten Gewahlt ist wer im zweiten Wahlgang die meisten Stimmen auf sich vereinigen kann 58 Ist der Staatsalteste verhindert sein Amt auszuuben vertritt ihn der Ministerprasident Neu geschaffen wird das Amt eines Ministerprasidenten Peaminister der vom Staatsaltesten ernannt wird Der Ministerprasident leitet die Sitzungen der Regierung Seine Stellung im politischen System ist nur schwach Der Ministerprasident und die Minister bedurfen standig des Vertrauens des Staatsaltesten und des Parlaments 63 Das Parlament kann der Regierung dem Ministerprasidenten oder einzelnen Ministern das Misstrauen aussprechen und sie aus dem Amt entlassen Dasselbe Recht steht dem Staatsaltesten zu Das Gerichtssystem bleibt von der neuen Verfassung im Wesentlichen unangetastet Hochstes estnisches Gericht bleibt nach 69 der Staatsgerichtshof Riigikohus Die Richter des Staatsgerichtshofs werden allerdings nicht mehr vom Parlament sondern vom Staatsaltesten aus einer Vorschlagsliste des Staatsgerichtshofs ernannt der allerdings in der Praxis nur eine beratende Funktion zukam Unterinstanzliche Richter werden nach neuem Recht nicht mehr vom Staatsgerichtshof sondern vom Staatsaltesten ernannt Aufbau der Verfassung BearbeitenDie Verfassung von 1934 ist in zwei Teile unterteilt Der erste Teil I osa mit einem einleitenden Teil Praambel und zehn Abschnitten peatukk enthalt die eigentlichen Verfassungsbestimmungen Abschnitt Deutsch Estnisch Einleitender Teil Sissejuhatav osa 1 1 5 Allgemeine Bestimmungen Uldised maarused2 6 26 Uber die Grundrechte der estnischen Burger Eesti kodanikkude pohioigustest3 27 34 Uber das Volk Rahvast4 35 56 Parlament Riigikogu5 57 67 Uber den Staatsaltesten und die Regierung der Republik Riigivanemast ja Vabariigi valitsusest6 68 74 Uber das Gericht Kohtust7 75 77 Uber die Selbstverwaltung Omavalitsusest8 78 82 Uber die Staatsverteidigung Riigikaitsest9 83 85 Uber die Steuern des Staates und den Haushalt Riigi maksudest ja eelarvest10 86 89 Uber die Geltung des Grundgesetzes und seine Anderung Pohiseaduse joust ja muutmisestDer zweite Teil II osa enthalt in seinen 1 bis 4 Ubergangsvorschriften Danach tritt die neue Verfassung am hundertsten Tag nach der Volksabstimmung in Kraft Nach 3 sind Wahlen zum Staatsaltesten und zum Parlament innerhalb von hundert Tagen nach dem Inkrafttreten der neuen Verfassung durchzufuhren Mit dem Inkrafttreten der neuen Verfassung ubt der bisherige Staatsalteste seit 21 Oktober 1933 Konstantin Pats bis zur Ernennung eines Ministerprasidenten beide Amter in Personalunion aus Die Rechte des alten Parlaments enden nach 4 mit der Ubernahme der Vollmachten durch den neugewahlten Riigikogu Staatsstreich vom Marz 1934 Bearbeiten nbsp Der Staatsalteste Konstantin Pats 1934 Die ersten Wahlen zum Parlament und zum Staatsaltesten sollten unter der neuen Verfassung im April 1934 stattfinden Prognosen gaben dem Bund der estnischen Freiheitskampfer gute Chancen bei beiden Wahlen die Mehrheit zu erringen Dies wollte der amtierende Staatsalteste Konstantin Pats um jeden Preis verhindern der ein erbitterter Gegner sowohl der verbotenen Kommunistischen Partei Estlands EKP als auch der ultrarechten Vapsid war Pats furchtete ein Abdriften Estlands nach rechts sollte der Bund der Freiheitskampfer die Macht im Lande auf demokratischem Weg ubernehmen Am 12 Marz 1934 fuhrte Pats mit Hilfe des Militars einen unblutigen Staatsstreich durch und verhangte den Ausnahmezustand uber das Land Er liess vierhundert politisch Verdachtige verhaften und schrankte die Versammlungs und Vereinigungsfreiheit ein Pats ernannte seine rechte Hand General Johan Laidoner zum Oberbefehlshaber der Streitkrafte Die Ernennung von Karl Einbund ab 1935 estnisiert mit dem Namen Kaarel Eenpalu zum stellvertretenden Ministerprasidenten und Innenminister im Herbst 1934 verscharfte den Ubergang zu einem autoritaren Regime 2 Ende der Verfassung BearbeitenMit dem Staatsstreich vom April 1934 waren die Verfassung die Grundrechte und der Parlamentarismus weitgehend ausser Kraft gesetzt Die anstehenden Wahlen wurden abgesagt sowie Freiheitsrechte massiv eingeschrankt Zahlreiche Beamte und einige Richter wurden entlassen Im September 1934 verlangerte Pats den Ausnahmezustand fur ein weiteres Jahr Demokratische Wahlen wurden weiter hinausgeschoben Als das Parlament die Regierung hierfur kritisierte erklarte die Regierung die Plenarsitzung am 2 Oktober 1934 fur beendet Das Parlament trat unter dem Druck von Pats und Laidoner nicht mehr zusammen Im Juni 1934 wurde der Sitz des Staatsgerichtshofs von Tartu nach Tallinn verlegt um der Exekutive eine starkere Kontrolle uber die Judikative zu geben 1935 wurden alle politischen Parteien verboten und in der Einheitspartei Isamaaliit Vaterlandsunion gleichgeschaltet Die staatliche Kontrolle wurde auch uber die Gewerkschaften und Jugendorganisationen ausgeweitet die Zensur eingefuhrt und das Streikrecht beschnitten Kritische Presseorgane wurden eingeschuchtert politische Gegner durch Prozesse mundtot gemacht Es begann die von der estnischen Geschichtsschreibung sogenannte schweigende Zeit estnisch Vaikiv ajastu Ab Anfang 1936 bereitete die Regierung eine neue Verfassung vor die die autoritare Diktatur von Konstantin Pats rechtlich verankern sollte Sie trat nach einer Volksabstimmung am 1 Januar 1938 in Kraft Siehe auch BearbeitenKabinett Pats VWeblinks BearbeitenText der Verfassung von 1934 estnisch The second Constitution of the Republic of Estonia 1934 1937 and the coup d etat of 1934 englisch Einzelnachweise Bearbeiten http www juridicainternational eu index 2005 vol x social and economic fundamental rights in estonian constitutions between world wars i and ii a vanguard or rearguard of europe Mati Laur et al History of Estonia 2nd edition Avita Tallinn 2002 ISBN 9985 2 0606 1 S 238 f Verfassungen Estlands 1920 1934 1938 1940 1978 1992 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Estnische Verfassung von 1934 amp oldid 196637568