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Erich Rudolf Ferdinand Jaensch 26 Februar 1883 in Breslau 12 Januar 1940 in Marburg 1 war ein deutscher Psychologe und Philosoph mit einem Lehrstuhl an der Philipps Universitat Marburg Jaensch engagierte sich besonders ausgepragt fur die nationalsozialistische Gleichschaltung und Umgestaltung des akademischen Lebens im Deutschen Reich nach der Machtubernahme der NSDAP Inhaltsverzeichnis 1 Leben 2 Nationalsozialismus 3 Werk 4 Nachwirkungen 5 Schriften 6 Literatur 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseLeben BearbeitenJaensch studierte an der Universitat Breslau bei Hermann Ebbinghaus und an der Universitat Gottingen bei Georg Elias Muller Bei Ebbinghaus beschaftigte er sich besonders mit Experimenten zur Zeit und Bewegungsempfindung Ferner interessierte ihn das Phanomen der Tastsinnstauschung was auch sein weiterfuhrendes Interesse an der Blindenpsychologie erklart fuhrte er doch selber in dieser Zeit Experimente mit blinden Probanden durch Durch Muller erfolgte eine Verschiebung in Jaenschs Denken hin zu den direkten psychologischen Themen der Wahrnehmung In Gottingen wurde er mit der Arbeit Zur Analyse der Gesichtswahrnehmung 2 promoviert Hierin stellte er weiterfuhrende Uberlegungen zum Aubert Forsterschen Phanomen an dass sich die wahrgenommene Grosse eines Objektes nicht mit dessen Grosse des Bildes auf der Retina deckt Besonders das seitliche Sehen fand hierin seine Beachtung Er wurde an der Universitat Strassburg mit der Schrift Uber die Wahrnehmung des Raumes 3 habilitiert Seine Duplizitatstheorie nimmt hierin ihren Anfang Jaensch nahm an dass periodische Schwingungen von der Cochlea aufgenommen wurden aperiodische hingegen von anderen Teilen des Ohrs Schwingungen die sowohl periodischen als auch aperiodischen Charakter zeigten wurden hingegen sowohl von der Cochlea als auch von anderen Organen wahrgenommen Bereits in dieser Schrift finden sich auch erste Uberlegungen zur Kulturanthropologie So nahm Jaensch an dass das Gerausch in der Menschheitsgeschichte eher wahrgenommen worden sei als der Ton Gleichermassen seien Stabe in der Entwicklung der Menschheit eher vorhanden gewesen als konische Formen Jaensch war Direktor des Psychologischen Instituts und des Philosophischen Seminars sowie von 1912 bis 1913 Ordinarius fur Philosophie an der Universitat Halle 1913 wurde Jaensch ordentlicher Professor an der Universitat Marburg Die Ordination von Jaensch verursachte einen ziemlichen Aufruhr in Marburg Als Nachfolger von Hermann Cohen verdrangte er dessen idealistischen Neukantianismus aus der Marburger Fakultat und setzte an dessen Stelle seinen eigenen experimentalpsychologischen Ansatz Die Konfrontation wurde sowohl fur die Anhanger Hermann Cohens als auch die Vertreter der experimentalpsychologischen Richtung um Erich Rudolf Jaensch zu einer traumatischen Erfahrung Im Jahr 1919 wurde Jaensch zum Mitglied der Leopoldina gewahlt Erich Rudolf Jaensch starb 1940 an den Folgen einer Operation Er war der Bruder von Walther Jaensch dem Direktor des Instituts fur Konstitutionsmedizin in Berlin Sein und damit auch Cohens Nachfolger auf dem Lehrstuhl wurde der gegen jede nationalsozialistische Ansteckung immune Kantianer Julius Ebbinghaus bei dessen Vater Erich Rudolf Jaensch einst Experimentalpsychologie gelernt hatte Der Nachlass von Erich Rudolf Jaensch befindet sich im Psychologiegeschichtlichen Forschungsarchiv PGFA der Fernuniversitat in Hagen Nationalsozialismus BearbeitenJaensch wandte sich schon vor der Machtergreifung dem Nationalsozialismus zu 1932 wurde er Mitglied in Alfred Rosenbergs Kampfbund fur deutsche Kultur und forderndes Mitglied der SS 4 Zum 1 Mai 1933 trat er der NSDAP Mitgliedsnummer 2 828 444 5 und im selben Jahr auch dem NS Lehrerbund bei 6 Im Marz 1933 unterzeichnete er die Erklarung von 300 Hochschullehrern fur Adolf Hitler am 11 November 1933 das Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitaten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat 6 Er gehorte zu den Hauptpropagandisten der NS Ideologie im Fachbereich Psychologie Nach Ansicht des Gestaltpsychologen Wolfgang Metzger entwickelte er sich zu einem Zutreiber des Nationalsozialismus Im Jahr 1933 grundete er das Institut fur psychologische Anthropologie in Marburg das ebenfalls zu einem Trager nationalsozialistischen Gedankenguts wurde Er wollte Marburg zum Zentrum der nationalsozialistischen Philosophie machen Von 1936 an war er Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft fur Psychologie Spatestens mit seiner Schrift Der Gegentypus erschienen im Jahr der Reichspogromnacht wurde seine Typologie zu einer Rechtfertigungslehre der nationalsozialistischen Rassenideologie Diese Schrift diente nach Ansicht von Wolfgang Metzger der damals selbst Mitglied von SA und NSDAP war und wahrend der NS Zeit Karriere machte zur Ausschaltung Andersdenkender vor allem judischer Fachgenossen So hetzte er gegen seinen Vorganger Hermann Cohen Jaenschs Schrift Der Gegentypus hat zudem durch die bissige Kritik des Dichters Gottfried Benn Eingang in die Literaturgeschichte gefunden Zum Beleg der Gultigkeit der NS Ideologie fuhrte Jaensch Versuche auf Huhnerhofen durch die als Forschungs und Aufklarungsmittel in menschlichen Rassefragen herhalten sollten Zu erwahnen ist auch Jaenschs Interesse an der Parapsychologie das ebenfalls in die Zeit des Nationalsozialismus fallt Hervorzuheben ist hierbei sein Vorwort zu einer Schrift von Hans Bender Zum Problem der aussersinnlichen Wahrnehmung 1936 Bender wurde nach dem Krieg der bekannteste Vertreter der deutschsprachigen Parapsychologie und grundete ein eigenes Institut in Freiburg Werk BearbeitenMit seinen psychologischen Arbeiten war Jaensch in den 1920er Jahren der meistzitierte Psychologe seiner Zeit Im Mittelpunkt seiner Studien stand eine eigenstandige Lehre von den Konstitutionstypen sowie Arbeiten zur Eidetik Selbstversuche mit Meskalin trugen wesentlich zu seiner eidetischen Hypothesenbildung bei In die Zeit von seiner Ubernahme der Professur in Marburg bis in die Mitte der 20er Jahre hinein fallt die Entwicklung einer eigenen Eidetik Jaensch fuhrte die vom Wiener Oberarzt Viktor Urbantschitsch entdeckte Forschung zur Beschreibung sogenannter Anschauungsbilder im eigenen Inneren fort Er ging davon aus dass diese Anschauungsbilder vor allem fur Kinder und Jugendliche typisch seien Nach Maria Krudewig sind fur Jaensche Eidetik sechs Merkmale bezeichnend Wahrnehmbare anschauliche Inhalte Die Erscheinungen bleiben sich immer gleich Bildhaftigkeit Anschauungsbilder sind im Regelfall zwei bei Basedowscher Krankheit dreidimensional Nicht Leibhaftigkeit Das Gesehene hat keine physischen Eigenschaften z B Gewicht Lokalisationsort Die Anschauungsbilder werden in den Aussenraum projiziert Farbcharakter Der Hintergrund des Bildes bestimmt die eidetische Schau Definition des Anschauungsbildes Welche Zeit bis Entstehung vergeht Welche Grosse hat es Die Forschungen fanden besonders im Bereich der Padagogik Anwendung In den 1920er Jahren ubernahm Jaensch die Leitung der Zeitschrift fur Psychologie einer der bekanntesten deutschsprachigen psychologischen Fachzeitschriften Bezogen auf sein Werk erweiterte sich in dieser Zeit auch sein zuvor rein experimenteller Ansatz zu einem ausgeformten kulturanthropologischen Entwurf In seiner Schrift Uber den Aufbau der Wahrnehmungswelt und die Grundlagen der menschlichen Erkenntnis 1924 entwirft Jaensch u a ein eidogisches Modell der Religionsentstehung das sich u a an Lucien Levy Bruhl orientiert Auch Jaenschs Freundschaft mit dem evangelischen Theologen und Religionswissenschaftler Rudolf Otto durfte ihren Anfang zu dieser Zeit genommen haben Fest steht dass sich beide Autoren in ihren Anschauungen gegenseitig beeinflusst haben Ferner entwickelte Jaensch selbst Ende der 1920er Jahre einen eigenen religionspsychologischen Ansatz der sich stark auf seine Typologie stutzt Diese Typologie entstand Mitte der 20er Jahre Sie stellt eine Ausweitung seiner Eidologie dar und geht im Kern ebenfalls auf wahrnehmungspsychologische Uberlegungen zuruck Demnach gebe es vier Formen von Wahrnehmungstypen Die Typen wurden integrierend oder desintegrierend mit ihrer Wahrnehmung umgehen J1 Bezieht seine Anregungen allein aus der Wahrnehmung der Aussenwelt J2 Lebt aus den eigenen Vorstellungen Ideen Idealen heraus J3 Ist der ideale Mischcharakter der sich aus beiden Wahrnehmungstypen heraus formt Er verschmilzt das Positive der Aussenorientierung von J1 mit dem Idealismus von J2 S1 Ist ein Charakter der sich an keiner Vorstellung sei sie innen oder aussen wirklich orientiert Er ist ziel und haltlos Jaensch zeigt sich in dieser Zeit der Typologie von Carl Gustav Jung verwandt der in introvertierte und extravertierte Typen trennte Am Thema der Integration bzw Desintegration der Wahrnehmung wird deutlich dass seine Wahrnehmungsforschung dem Zeitzusammenhang verhaftet ist Jaensch war zentraler Vertreter der Marburger Schule die eine eigene Form von Ganzheitspsychologie vertrat Die Ganzheitspsychologie vertrat im Gegensatz zur Berliner Schule der Gestaltpsychologie die Ansicht dass eine Strukturierung von psychischen Wahrnehmungs Inhalten durch das Erleben vereinfacht und integriert zeige Zu Beginn des Wahrnehmungsvorganges sei das Wahrgenommene allerdings selbst diffus und ungegliedert Die sich auf Jaensch grundende Marburger Schule ist von ihren Anschauungen zwischen der Gestaltpsychologie der Berliner Schule und der zweiten Leipziger Schule um Felix Krueger anzusiedeln In den spaten 30er Jahren trat Jaensch als Kritiker der gangigen Intelligenztests hervor denen er vorwarf konstitutionelle Unterschiede zu missachten Nachwirkungen BearbeitenAllein durch sein Engagement im NS Regime ist Jaenschs Forschung heute ziemlich diskreditiert Lediglich seine Eidetik hat nach dem Krieg noch eine gewisse Beachtung gefunden Mehrere seiner Werke wurden 1946 in der Sowjetischen Besatzungszone auf die Liste der auszusondernden Literatur gesetzt 7 Schriften BearbeitenZur Analyse der Gesichtswahrnehmungen Zeitschrift fur Psychologie Erganzungs Band 4 1909 Digitalisat auf Internet Archive Uber die Wahrnehmung des Raumes Zeitschrift fur Psychologie Erganzungs Band 6 1911 Digitalisat auf Internet Archive Einige allgemeine Fragen der Psychologie und der Biologie des Denkens erlautert an der Lehre vom Vergleich mit Bemerkungen uber die Krisis in der Philosophie der Gegenwart Barth Leipzig 1920 Die Eidetik und die typologische Forschungsmethode in ihrer Bedeutung fur die Jugendpsychologie und Padagogik fur die allgemeine Psychologie und die Psychophysiologie der menschlichen Personlichkeit mit besonderer Berucksichtigung der grundlegenden Fragen und der Untersuchungsmethodik 2 Aufl Quelle amp Meyer Leipzig 1927 Uber den Aufbau der Wahrnehmungswelt Barth Leipzig 1927 Zur Geschichte des Psychologischen Instituts In H Hermelink amp S A Kaehler Hrsg Die Philipps Universitat zu Marburg 1527 1927 S 687 690 Elwert Marburg 1927 unverand Nachdruck 1977 Das psychologische Institut in Marburg Elwert Marburg 1927 Grundformen menschlichen Seins mit Berucksichtigung ihrer Beziehungen zu Biologie und Medizin zu Kulturphilosophie und Padagogik Elsner Berlin 1929 Uber den Aufbau des Bewusstseins 1930 Vorfragen der Wirklichkeitsphilosophie 1931 Uber die Grundlagen der menschlichen Erkenntnis Joh Ambr Barth Leipzig 1931 Die Lage und die Aufgaben der Psychologie Barth Leipzig 1933 Die Wissenschaft und die deutsche volkische Bewegung Elwert sche Verlagsbuchhandlung Marburg 1933 Der Kampf der deutschen Psychologie J Beltz Langensalza 1934 Das Kulturziel im neuen Reich Diesterweg Frankfurt Main 1934 Eidetische Anlage und kindliches Seelenleben Barth Leipzig 1934 Zur Neugestaltung des deutschen Studententums und der Hochschule Barth Leipzig 1937 Die Psychologie und die Wandlungen im deutschen Idealismus Fischer Jena 1937 Der Gegentypus psychologisch anthropologische Grundlagen deutscher Kulturphilosophie ausgehend von dem was wir uberwinden wollen Barth Leipzig 1938 Nachwort In Karl Schwarze Ernst Moritz Arndt und sein Kampf gegen den Geistesidealismus Barth Leipzig 1939 Mathematisches Denken und Seelenform Barth Leipzig 1939 E R Jaensch und Rudolf Hentze Grundgesetze der Jugendentwicklung Barth Leipzig 1939 Das Wahrheitsproblem bei der volkischen Neugestaltung von Wissenschaft und Erziehung Beyer Langensalza 1939 Hellas und wir Pyrsoy Athen 1939 Der Huhnerhof als Forschungs und Aufklarungsmittel in menschlichen Rassenfragen Parey Berlin 1939 Jaensch Erich R amp Althoff Fritz Mathematisches Denken und Seelenform Vorfragen der Paedagogik und volkischen Neugestaltung des mathematischen Unterrichts Barth Leipzig 1939 Zur Eidetik und Integrationstypologie Arbeiten aus dem Institut fur psychologische Anthropologie an der Universitat Marburg Lahn Barth Leipzig 1941Literatur BearbeitenGert Heinz Fischer E R Jaensch zum Gedenken In Zeitschrift fur Psychologie 148 Barth Leipzig 1940 mit Bibliographie von Erich R Jaensch und seinen Mitarbeitern Leon Poliakov Josef Wulf Das Dritte Reich und seine Denker Berlin 1959 Wolfgang Metzger Jaensch Erich In Neue Deutsche Biographie NDB Band 10 Duncker amp Humblot Berlin 1974 ISBN 3 428 00191 5 S 287 f Digitalisat Michael Gruttner Biographisches Lexikon zur nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik Studien zur Wissenschafts und Universitatsgeschichte Band 6 Synchron Heidelberg 2004 ISBN 3 935025 68 8 S 82 Ulrich Sieg Psychologie als Wirklichkeitswissenschaft Erich Jaenschs Auseinandersetzung mit der Marburger Schule In Winfried Speitkamp Hrsg Staat Gesellschaft Wissenschaft Beitrage zur modernen hessischen Geschichte Elwert Marburg 1994 S 314 342 Anne Christine Nagel u a hg Die Philipps Universitat Marburg im Nationalsozialismus Dokumente zu ihrer Geschichte Steiner Stuttgart 2000 Christian Tilitzki Die deutsche Universitatsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich 2 Bande Akademieverlag Berlin 2002 ISBN 978 3 05 003647 2 Weblinks BearbeitenLiteratur von und uber Erich Rudolf Jaensch im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek Eintrag zu Erich Rudolf Jaensch im Catalogus Professorum Halensis Jaensch Erich Rudolf Hessische Biografie Stand 15 April 2021 In Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen LAGIS Einzelnachweise Bearbeiten siehe Hessisches Staatsarchiv Marburg HStAMR Best 915 Nr 5757 S 93 Digitalisat Erschienen in der Zeitschrift fur Psychologie 1909 Erganzungs Band 4 Erschienen in der Zeitschrift fur Psychologie 1911 Erganzungs Band 6 Michael Gruttner Biographisches Lexikon zur nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik Heidelberg 2006 S 82 Bundesarchiv R 9361 IX KARTEI 18220426 a b Ernst Klee Das Personenlexikon zum Dritten Reich Wer war was vor und nach 1945 2 Auflage Fischer Frankfurt am Main 2005 S 281 http www polunbi de bibliothek 1946 nslit i htmlNormdaten Person GND 118711415 lobid OGND AKS LCCN no96017749 VIAF 42010661 Wikipedia Personensuche PersonendatenNAME Jaensch Erich RudolfALTERNATIVNAMEN Jaensch Erich Rudolf Ferdinand vollstandiger Name KURZBESCHREIBUNG deutscher PsychologeGEBURTSDATUM 26 Februar 1883GEBURTSORT BreslauSTERBEDATUM 12 Januar 1940STERBEORT Marburg Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Erich Rudolf Jaensch amp oldid 239433411