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De docta ignorantia Uber die belehrte Unwissenheit ist der Titel einer lateinischen Schrift des Philosophen und Theologen Nikolaus von Kues Cusanus Darin entwickelte er die Grundlagen seiner Theologie und einer damit eng verbundenen spekulativen Kosmologie Er widmete das am 12 Februar 1440 in Kues an der Mosel heute Bernkastel Kues abgeschlossene Werk dem Kardinal Giuliano Cesarini mit dem er befreundet war Der Anfang von De docta ignorantia in einer Handschrift aus dem Besitz des Verfassers Bernkastel Kues Bibliothek des Sankt Nikolaus Hospitals Codex 218 fol 1r Inhaltsverzeichnis 1 Vorgeschichte 2 Konzept des Nikolaus von Kues 3 Rezeption 4 Textausgaben 5 Literatur 6 AnmerkungenVorgeschichte BearbeitenSchon der antike Philosoph Sokrates betonte sein Wissen um sein Nichtwissen Damit meinte er nicht Verzicht auf Erkenntnis sondern eine realistische Einschatzung der eigenen Unwissenheit als Ausgangspunkt fur Erkenntnisstreben Wer seine Unwissenheit erkannt hat kann Belehrung empfangen Den Ausdruck docta ignorantia verwendete als erster der spatantike Kirchenvater Augustinus von Hippo in einem Brief 1 Er schrieb Es gibt um mich so auszudrucken in uns ein belehrtes Nichtwissen aber belehrt durch den Geist Gottes welcher unserer Schwachheit beisteht Damit bezog er sich auf die Unmoglichkeit einer umfassenden Erkenntnis Gottes moglich sei jedoch ein durch gottliche Gnade belehrtes Nichtwissen Das belehrte Nichtwissen gehort somit zur negativen Theologie die auf die Unzulanglichkeit aller positiven Aussagen uber Gott hinweist und sich folgerichtig auf Aussagen daruber was Gott nicht ist beschrankt Der prominenteste Vertreter dieser Richtung wurde der spatantike christliche Neuplatoniker Pseudo Dionysius Areopagita Er meinte dass der Mensch indem er sich ohne Wissen uber sich selbst hinaus erhebe agnōstōs anatatheti in gewissem Masse zu einer Gotteserfahrung gelangen konne Im 13 Jahrhundert griff der franziskanische Theologe Bonaventura den Gedanken auf 2 Er verstand unter belehrtem Nichtwissen die Erhebung des Geistes der sich von allem losgelost und alle Vorstellungen verneint hat in die Finsternis was fur die Vereinigung mit Gott erforderlich sei Dabei berief sich Bonaventura auf Pseudo Dionysius der jedoch den Ausdruck belehrte Unwissenheit nicht verwendet hat Konzept des Nikolaus von Kues BearbeitenSeine fur die Folgezeit bis heute massgebliche Auspragung erhielt der Ausdruck docta ignorantia von Nikolaus von Kues der ihm in seiner Philosophie eine zentrale Rolle zuwies und das erste seiner philosophisch theologischen Hauptwerke so betitelte Nikolaus knupfte an die negative Theologie des Pseudo Dionysius an In De docta ignorantia verwarf Nikolaus im Sinne der negativen Theologie alle positiven Aussagen uber Gott als unangemessen und insofern irrefuhrend Wie Bonaventura wendete er sich Gott nicht zu indem er den Anspruch erhob Wissen uber ihn zu besitzen oder erreichen zu konnen sondern indem er Wissen uber sein eigenes Nichtwissen erlangte und damit eine uber sich selbst belehrte Unwissenheit Im Unterschied zu Augustinus und Bonaventura schilderte er jedoch die Belehrung welche der Unwissende empfangt nicht als reine Gnade Gottes sondern als Frucht von Bemuhungen des menschlichen Geistes der sich auf der Suche nach Wahrheit und Weisheit selbst transzendiert Die von Nikolaus entwickelte Regel der belehrten Unwissenheit besagt dass man nie durch Betrachtung von etwas was quantitativ oder qualitativ vermehrt bzw gesteigert oder vermindert werden kann zur Erkenntnis eines absoluten Maximums gelangen kann Der menschliche Verstand ratio kann sich jedoch seiner Natur nach nur mit vermehrungs oder verminderungsfahigen also relativen Objekten befassen da seine Tatigkeit ein Vergleichen von Bekanntem mit Unbekanntem ist Im Zustandigkeitsbereich des Verstandes unter den steigerungsfahigen konkreten Gegenstanden gibt es nur Grade der Annaherung keine absolute Gleichheit und keine Genauigkeit Gott als das Absolute und Unendliche ist dem Verstand somit prinzipiell unzuganglich Hoher als der Verstand steht nach Nikolaus Uberzeugung die Vernunft intellectus da sie in der Lage ist die Grenzen der Verstandestatigkeit zu erkennen Doch auch sie ist endlich und kann daher nach De docta ignorantia ebenfalls nicht zu wirklicher Gotteserkenntnis vordringen den paradoxen Zusammenfall der Gegensatze in Gott die coincidentia oppositorum erfasst sie nicht wirklich Da sie aber zugleich etwas Gottliches ist kann sie immerhin die gottliche Wahrheit gleichsam sehen und beruhren Spater in De coniecturis um 1442 in den im Zeitraum 1445 1447 verfassten kleinen Schriften und besonders in De visione dei 1453 gelangte Nikolaus zu einer optimistischeren Einschatzung der Moglichkeiten der Vernunft Paradoxerweise meinte Nikolaus dass ein uber sein Nichtwissen belehrter Mensch das Unbegreifliche unbegreifenderweise umfassen konne Wahrend er hinsichtlich der Gotteserkenntnis die Aussichtslosigkeit aller rationalen Bemuhungen betonte betrachtete er die Welterkenntnis als Prozess als einen nicht zum Ende gelangenden Vorgang der Annaherung an die Wahrheit der mit einer Steigerung der Erkenntniskrafte verbunden sei Je tiefer wir in dieser Unwissenheit belehrt sein werden desto mehr werden wir uns der Wahrheit selbst nahern 3 Rezeption BearbeitenEin Zeitgenosse und Widersacher des Nikolaus von Kues der Theologieprofessor Johannes Wenck griff 1442 43 das Konzept der belehrten Unwissenheit in einer Kampfschrift De ignota litteratura Uber die unbekannte Gelehrsamkeit als haretisch an Er beschuldigte Nikolaus des Pantheismus und der Zerstorung der Theologie Erst einige Jahre spater 1449 reagierte Nikolaus der im Vorjahr zum Kardinal erhoben worden war mit der Gegenschrift Apologia doctae ignorantiae Verteidigung der belehrten Unwissenheit 4 Darauf antwortete Wenck wiederum mit einer nicht erhaltenen Entgegnung Ein scharfer Gegner des Konzepts der belehrten Unwissenheit war auch der Kartauser Vinzenz von Aggsbach Er wendete sich gegen den Benediktiner Bernhard von Waging einen Anhanger von Nikolaus der 1451 52 ein Laudatorium doctae ignorantiae Lob der belehrten Unwissenheit geschrieben hatte Seine Auffassung erlauterte Vinzenz 1454 in einem Brief der spater als Impugnatorium laudatorii doctae ignorantiae Angriff auf das Lob der belehrten Unwissenheit bekannt wurde Darin bestritt er dass die von Nikolaus empfohlenen Bemuhungen ein gangbarer Weg zur Gotteserkenntnis sein konnen Bernhard reagierte 1459 mit einem Defensorium laudatorii doctae ignorantiae Verteidigung des Lobes der belehrten Unwissenheit 5 Textausgaben BearbeitenOhne Ubersetzung Nicolai de Cusa opera omnia Gesamtausgabe der Heidelberger Akademie Bd 1 De docta ignorantia hrsg Ernst Hoffmann Raymond Klibansky Leipzig 1932 Bd 2 Apologia doctae ignorantiae hrsg Raymond Klibansky 2 Auflage Hamburg 2007 ISBN 978 3 7873 1788 2Mit Ubersetzung Schriften des Nikolaus von Kues in deutscher Ubersetzung im Auftrag der Heidelberger Akademie lateinischer Text der kritischen Gesamtausgabe aber ohne den kritischen Apparat und deutsche Ubersetzung H 15a Die belehrte Unwissenheit De docta ignorantia Buch I hrsg Paul Wilpert Hans Gerhard Senger 4 Auflage Meiner Hamburg 1994 ISBN 978 3 7873 1158 3 H 15b Die belehrte Unwissenheit De docta ignorantia Buch II hrsg Paul Wilpert Hans Gerhard Senger 2 Auflage Meiner Hamburg 1977 ISBN 3 7873 0416 9 H 15c Die belehrte Unwissenheit De docta ignorantia Buch III hrsg Hans Gerhard Senger Meiner Hamburg 1977 ISBN 3 7873 0362 6Literatur BearbeitenKurt Flasch Nikolaus von Kues Geschichte einer Entwicklung 3 Auflage Klostermann Frankfurt am Main 2008 ISBN 978 3 465 04059 0 S 92 120 Anmerkungen Bearbeiten Augustinus Epistula 130 15 28 Bonaventura Breviloquium 5 6 7 siehe auch Bonaventuras Sentenzenkommentar In II Sententiarum distinctio 23 articulus 2 quaestio 3 ad 6 Nikolaus von Kues De docta ignorantia I 3 Jasper Hopkins Nicholas of Cusa s Debate with John Wenck 2 Auflage Minneapolis 1984 S 3 6 Siehe zu dem Konflikt James Hogg u a Hrsg Autour de la docte ignorance une controverse sur la theologie mystique au XVe siecle Salzburg 1992 enthalt Nachdruck der gleichnamigen Untersuchung von Edmond Vansteenberghe Munster 1915 mit Edition von Quellentexten zur Kontroverse Stephan Meier Oeser Die Prasenz des Vergessenen Zur Rezeption der Philosophie des Nicolaus Cusanus vom 15 bis zum 18 Jahrhundert Munster 1989 S 26 31 Wilhelm Baum Nikolaus Cusanus in Tirol Das Wirken des Philosophen und Reformators als Furstbischof von Brixen Bozen 1983 S 63 79 129 f Kurt Flasch Nikolaus von Kues Geschichte einer Entwicklung 3 Auflage Frankfurt am Main 2008 S 181 194 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title De docta ignorantia amp oldid 222545716