Der Herr Karl ist ein knapp einstündiger, zwischen Theaterstück und Kabarett angesiedelter Monolog, der 1961 von Helmut Qualtinger und Carl Merz geschrieben wurde. Das Ein-Personen-Stück, das zunächst mit Qualtinger als Darsteller für das österreichische Fernsehen verfilmt (Regie: Erich Neuberg, Erstausstrahlung am 15. November 1961) und anschließend auf zahlreichen Bühnen aufgeführt wurde, sorgte in Österreich für heftige Kontroversen.
Inhalt Bearbeiten
Der Feinkostmagazineur „Herr Karl“, der Antiheld des Stücks, erzählt einem „jungen Menschen“, dem Zuschauer, seine Lebensgeschichte, während er bei der Arbeitszeit im Lager eines Feinkostgeschäftes sitzt. Dabei entpuppt sich der Erzähler zunehmend als opportunistischer Mitläufer aus dem kleinbürgerlichen Milieu, der sich im wechselhaften Gang der österreichischen Geschichte vom Ende des Ersten Weltkriegs bis zum Ende der Besatzungszeit in den 1950er Jahren durchs Leben manövriert hat.
Auf den ersten Blick lässt sich Herr Karl als typischer Wiener, „katholisch“ und „freiheitsliebend“, als ewiger Raunzer charakterisieren. Als repräsentativer Kleinbürger verkörpert er sozusagen die vox populi, die Stimme des Volkes. Äußerlich erscheint Herr Karl als netter, ehrlicher, aber naiver Kerl mit liebem Blick. Doch nach und nach erfährt der Zuschauer von dem Opportunisten, der sich hinter dieser Fassade der Gemütlichkeit verbirgt.
Als im Ständestaat 1934 die klerikalfaschistische Diktatur errichtet wurde, wird Herr Karl, der bis dahin Sozialist war, zu einem Mitläufer der Christlichsozialen. Nach dem „Anschluss Österreichs“ 1938 wechselt er sofort in das politische Lager der Nationalsozialisten. Nach 1945 bemüht er sich, den Besatzungsmächten dienlich zu sein. Herr Karl nutzt jedoch nicht nur die Anpassung seiner politischen Meinung, um Vorteile zu erlangen: Der Egoismus zieht sich durch sein gesamtes Leben. Er selbst schätzt sich als „Mann von Welt“ ein, der Zuschauer lernt ihn aufgrund des Verhaltens gegenüber seinen Mitmenschen als skrupellosen Profiteur, Drückeberger und Anpasser kennen. Seine Kaltherzigkeit erlaubt es ihm, keine Gelegenheit auszulassen, bei der er andere Leute ausnutzen konnte.
Wirkungsgeschichte Bearbeiten
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in Österreich die Beteiligung großer Teile der Bevölkerung am NS-Regime und der tief sitzende Antisemitismus „nicht thematisiert“, stattdessen galt Österreich laut Opferthese als erstes Opfer des nationalsozialistischen Deutschlands. Die Ausstrahlung von „Der Herr Karl“ am 15. November 1961 im ORF durchbrach diesen „Schweigebann über die Vergangenheit“. „In der Darstellung des typischen Wiener Opportunisten wurde die Seele der DurchschnittsösterreicherInnen getroffen. Empörte LeserInnenbriefe sahen sich als die MitläuferInnen des Nationalsozialismus falsch dargestellt.“
„Man hatte einem bestimmten Typus auf die Zehen treten wollen, und eine ganze Nation schrie: Au!“
Qualtinger und Merz spielten in satirischer Weise mit der Empörung, die der von ihnen ausgelöste Proteststurm mit sich brachte, und fügten in der Buchveröffentlichung des „Herrn Karl“ an den Text noch eine Reihe von fiktiven Zuschriften von braven österreichischen Bürgern an, die sich alle als Brüder im Geiste des ewigen Opportunisten erweisen. Heute zählt das Stück zu den Klassikern der Nachkriegszeit.
Der Publizist und Kritiker Hans Weigel beschrieb den „Herrn Karl“ als „menschlichen Zustand österreichischer Färbung“; das Lexikon der Weltliteratur bezeichnet ihn als „die Figur des miesen Jedermann“.
Wahrscheinlich haben mehrere authentische Gestalten als Vorbilder für den Herrn Karl gedient; vor allem Hannes Hoffmann – damals Inhaber des Künstlertreffs Gutruf, in dem auch Qualtinger verkehrte – wird in diesem Zusammenhang genannt. Die Verbindungen zur Entwicklung der öffentlichen Meinung in Österreich sind offensichtlich. Qualtinger und Merz haben mit ihrem Herrn Karl den Durchschnittsbürger als Mittäter dargestellt. Aber ungeachtet seiner unerquicklichen Züge wirkt der Herr Karl auch durchaus sympathisch, damit steht das Drama durchaus im Bezug zur These von der „Banalität des Bösen“, wie sie Hannah Arendt aufgestellt hat.
Der „Nestbeschmutzer“ Qualtinger wurde mit dem Monodrama über Nacht berühmt und der „Herr Karl“ zur Kultfigur. Nach Qualtinger haben den Egoisten, Opportunisten, Zyniker, Kleinbürger und Kleinbetrüger u. a. Nikolaus Haenel, Ernst Konarek, Erwin Steinhauer, Heribert Sasse, Martin Zauner (zum hundertjährigen Jubiläum der Wiener Kammerspiele 2010, wo ihn auch Helmut Qualtinger 1962 gespielt hatte), Klaus Rott, Alexander Wikarski und als szenische Lesung auch Hilde Sochor gespielt.
Im Jahr 2010 wurde das Stück von Nikolaus Habjan als Puppenspiel adaptiert und im Wiener Schubert Theater aufgeführt. Der Monolog wurde ein weiteres Mal mit Klaus Rott als Herr Karl verfilmt.
Im Oktober 2020 feierte Andreas Vitásek mit seiner Interpretation des Herrn Karl am Rabenhof Theater in Wien Premiere, ein Live-Mitschnitt vom November 2021 erschien in der Edition Ö1.
Als Graphic Novel wurde Der Herr Karl von Christian Qualtinger, Helmut Qualtingers Sohn, und Reinhard Trinkler umgesetzt und im Amalthea Signum Verlag 2014 veröffentlicht.
Das Stück Bearbeiten
Sprache Bearbeiten
Der Herr Karl variiert zwischen seinem typisch wienerischen Dialekt und der – nicht beherrschten – Hochsprache.
Bühnenraum Bearbeiten
Der Keller eines Lebensmittelladens bietet die Kulisse für die Erzählungen des Herrn Karl. Zwischen Regalen voller Konserven und Flaschen spricht er über Gott und die Welt und über seine Zeit vor, während und nach dem Krieg.
Dieses Bühnenbild wirkt begrenzt und eng.
Kostüme Bearbeiten
Herr Karl trägt fast durchgehend seinen Hut. Zur Entstehungszeit des Stücks stellte der Hut noch ein gängiges Kleidungsstück dar.
Historische Ereignisse und Personen im Stück Bearbeiten
Herr Karl erwähnt in seinem einstündigen Monolog zahlreiche historische Ereignisse und Personen:
Literatur Bearbeiten
- Georg Biron: Quasi Herr Karl. Helmut Qualtinger. Kultfigur aus Wien. Inkl. Audio-CD „Gibt es den Herrn Karl wirklich?“ Braumüller Verlag, Wien 2011. ISBN 978-3-99100-046-4.
- Winfried R. Garscha: Südtirol und das Wien des „Herrn Karl“. In: Georg Grote, Hannes Obermair, Günther Rautz (Hrsg.): „Un mondo senza stati è un mondo senza guerre“. Politisch motivierte Gewalt im regionalen Kontext (= Eurac book 60). Eurac.research, Bozen 2013, ISBN 978-88-88906-82-9, S. 167–179.
Weblinks Bearbeiten
- Der Herr Karl (TV-Film) in der Internet Movie Database (englisch)
- Zusammenfassung ORF-Feature über das "Gutruf" und Hannes Hoffmann
- „Der Herr Karl“ im Onlinearchiv der Österreichischen Mediathek
- "Der Herr Karl" (Film mit Klaus Rott) Szenencollage
Einzelnachweise Bearbeiten
- Vom Kulturskandal zum Klassiker: Der Herr Karl. In: Artikel. 8. April 2017. Österreichischer Rundfunk. Auf ORF.at, abgerufen am 26. Februar 2021.
- Robert Foltin: Und wir bewegen uns doch – Soziale Bewegungen in Österreich. Edition Grundrisse, Wien 2004, S. 48 (Buch Copyleft-lizenziert)
- Gero von Wilpert (Hrsg.): Lexikon der Weltliteratur. Band 2. dtv, München 1997. ISBN 3-423-59050-5, S. 1230.
- Stefan Weiss: Andreas Vitáseks "Herr Karl": "Jössas, es gibt keine Rechten mehr?" In: DerStandard.at. 20. Oktober 2020, abgerufen am 31. Dezember 2021.
- CD: Andreas Vitásek: Der Herr Karl. In: ORF.at. Abgerufen am 31. Dezember 2021.