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Unter dem Stichwort klinische Schizophreniekonzepte werden Befunde und Theorien zusammengefasst die sich mit den von Arzten geschaffenen Beschreibungen und Klassifizierungen der Schizophrenie als Erkrankung beschaftigen 1 2 Die Schizophrenie ist eine weltweit verbreitete Erkrankung und tritt uber die gesamte Lebenszeit eines Menschen mit einem Risiko in der Grossenordnung von 1 auf 3 Die meisten Patienten erkranken vor dem 30 Lebensjahr Typischerweise verlauft die Erkrankung in Phasen Vollremissionen sind nur in rund 10 der Falle zu erwarten Bei etwa der Halfte der Betroffenen verbleiben Restsymptome Residualsymptome 4 Zu den charakteristischen Merkmalen der Erkrankung gehoren die sogenannten Erstrangsymptome nach Kurt Schneider siehe unten Die Ursache der Erkrankung ist unbekannt Dem Krankheitsbeginn geht ublicherweise eine mehrjahrige Prodromalphase voran Das ist die Zeitspanne unspezifischer Symptome vor dem Beginn einer Erkrankung 5 In diesem Artikel werden die wichtigsten klinisch definierten Schizophreniekonzepte seit Emil Kraepelins erster eindeutiger Definition der Schizophrenie im Jahre 1893 in zeitlicher Reihenfolge dargestellt Inhaltsverzeichnis 1 Das Fundament 1 1 Die klinischen Konzepte und ihre Begrunder 1 2 Die Situation heute 2 Emil Kraepelin und die Dementia praecox 2 1 Die naturlichen Krankheitseinheiten 2 2 Erste Phase Abgrenzung von traditionellen Konzepten 2 3 Zweite Phase Die Dementia praecox und ihre Subtypen 2 4 Dritte Phase Konsolidierung 3 Eugen Bleuler und die Gruppe der Schizophrenien 3 1 Primare und sekundare Symptome 3 2 Grundsymptome und akzessorische Symptome 4 Kurt Schneider und der phanomenologische Ansatz 4 1 Kurt Schneiders Wissenschaftskonzept 4 2 Erst und Zweitrangsymptome 4 3 Das triadische System der Psychiatrie 5 Klaus Conrad Die Stadien des Wahns 6 Nancy Andreasen Positiv und Negativsymptomatik 6 1 Die sechs A nach Andreasen 6 2 Primare und sekundare Negativsymptome 7 Tim Crow Akute und chronische Schizophrenie 8 Gerd Huber Das Basisstorungskonzept 9 Der dimensionale Ansatz nach Liddle 10 Integrative Konzepte 11 Andere Schizophreniekonzepte 11 1 Biologische Konzepte 11 2 Psychodynamische Konzepte 11 3 Soziologische Konzepte 12 Zusammenfassung 13 Siehe auch 14 Literatur 15 EinzelnachweiseDas Fundament BearbeitenDie Grundlage unseres heutigen Verstandnisses der Schizophrenie ist Emil Kraepelins Unterscheidung der Dementia praecox vom manisch depressiven Irresein Kraepelin hat mit dieser Unterscheidung den grundlegenden Schritt getan die Schizophrenie von den affektiven Storungen zu unterscheiden Sein nachster systematischer Schritt war die Unterteilung der Schizophrenie in Untertypen insbesondere die drei Typen Paranoid halluzinatorische Schizophrenie Katatone Schizophrenie Hebephrene Schizophrenie Die klinischen Konzepte und ihre Begrunder Bearbeiten Ausgehend von dieser Uberlegung Kraepelins der Annahme Wilhelm Griesingers 1817 1868 Arzt Ordentlicher Professor der Medizin in Kiel und Tubingen Begrunder der modernen psychiatrischen Kliniken 6 seelische Erkrankungen seien Gehirnkrankheiten und aufbauend auf Karl Jaspers 1883 1969 Psychiater und Philosoph Ordentlicher Professor fur Philosophie in Heidelberg 1921 1937 zwangsemeritiert und 1948 1961 in Basel Begrunder der modernen Psychopathologie methodologischen Uberlegungen zur allgemeinen Psychopathologie wurden im 20 Jahrhundert folgende Konzepte fur die Klassifikation der Schizophrenie entworfen Sie sind in der Psychiatrie mit den Namen ihrer Erfinder verbunden Eugen Bleuler 1857 1939 Professor fur Psychiatrie in Zurich Direktor des Burgholzli Psychiatrische Klinik in Zurich bis 1927 Die Gruppe der Schizophrenien Kurt Schneider 1887 1967 Ordentlicher Professor der Psychiatrie in Heidelberg von 1946 bis 1955 Leiter der klinischen Abteilung der DFA ab 1931 Konzept der Erstrangsymptome 1938 Klaus Conrad 1905 1961 Professor fur Neurologie und Psychiatrie in Saarbrucken von 1948 bis 1958 und Gottingen ab 1958 Mitarbeiter an der DFA ab 1934 Stadien des Wahns Gerd Huber Emeritierter Professor fur Psychiatrie in Bonn Basisstorungskonzept Tim Crow Emeritierter Professor fur Psychiatrie in Oxford Typ I und Typ II Schizophrenie Nancy Coover Andreasen Professorin fur Psychiatrie an der University of Iowa USA Negativsymptomatik Peter Liddle Professor fur Psychiatrie in Nottingham Dimensionaler Ansatz Joseph Zubin Vulnerabilitats Stress Coping Konzept Die Situation heute Bearbeiten Das gegenwartige Verstandnis der Schizophrenie ist vor allem von drei Entwicklungen gekennzeichnet Entdeckung der Neuroleptika Katamneseforschung und Psychiatriereform Aufgrund einer weitreichenden inhaltlichen Kritik an den bisher bestehenden Klassifikationssystemen und wegen organisatorischer Uberlegungen Vereinheitlichung der Nomenklatur Bildung homogener Patientenpopulationen fur klinische und genetische Studien Abrechnungsmodalitaten werden heute fast uberall Patienten mit psychischen Erkrankungen nach den ICD 10 und DSM 5 Katalogen diagnostiziert und so auch die verschiedenen Formen der Schizophrenie entsprechend eingeteilt Die Darstellung dieses Konzeptes erfolgt in dem Artikel zur Diagnose der Schizophrenie Emil Kraepelin und die Dementia praecox BearbeitenGrundlage der Schizophreniekonzepte Kraepelins ist die klinisch pragmatische Verlaufsforschung Da ein Querschnittsbild das Momentaufnahmen des Zustandes eines seelisch erkrankten Menschen darstellt im Laufe der Zeit starken Schwankungen unterliegt erschien es logisch eine Systematik nicht auf die stark variablen Aspekte der Erkrankung zu grunden sondern auf Verlaufsbeobachtungen von denen man sich eine grossere Zuverlassigkeit der Beurteilung versprach Kraepelins Arbeiten stehen in einem engen Zusammenhang mit einer kritischen Auseinandersetzung mit der Psychiatrie des 19 Jahrhunderts Kraepelin rezipierte fur seine Klassifikation der seelischen Erkrankungen und damit auch der Schizophrenie die Arbeiten von Ewald Hecker zur Dementia hebephrenica von 1871 und die Studien von Karl Ludwig Kahlbaum 1828 1899 Arzt Professor fur Medizin in Konigsberg zur Dementia paranoides und zur Dementia catatonica oder wie sie auch hiess dem Spannungsirresein von 1874 Er nahm auch Jean Pierre Falrets 1794 1870 Beobachtung auf dass manische und depressive Episoden bei manchen Kranken zu einer Krankheit gehorten Gemass dem Vorbild von Falrets Vereinigung der Depression und Manie zur folie circulaire dem zirkularen Irresein vereinigte Kraepelin die drei Formen der Dementia paranoides katatonica und hebephrenica nach Kahlbaum und Hecker zur Dementia praecox Die naturlichen Krankheitseinheiten Bearbeiten Kraepelin entschied sich auch den Gedanken der Einheitspsychose in Anlehnung an Griesinger aufzugeben zugunsten einer rein empirischen Herangehensweise Wenn die Verlaufsbeobachtungen Hinweise fur eine Einheitspsychose ergaben konne man den Begriff behalten sonst musse man ihn aufgeben Die dritte grundsatzliche Uberlegung Kraepelins ist die sich nur an der eigenen Erfahrung zu orientieren und nicht an philosophischen oder neuroanatomischen Vorannahmen Dies fuhrt zu der zentralen Annahme seelische Erkrankungen seien biologisch begrundete naturliche Krankheitseinheiten An diesem Konzept der naturlichen Krankheitseinheiten hielt Kraepelin zeit seines Lebens fest obwohl er als guter Kliniker zunehmend auch die Grenzen des Konzeptes sah Die Personlichkeit des Erkrankten seine Lebenssituation und die Qualitat seiner sozialen Beziehungen erkannte Kraepelin als Faktoren die den Verlauf der Erkrankung beeinflussen konnen Er nannte diese Faktoren deshalb pathoplastisch krankheitsformend Zunachst unterschied Kraepelin drei Erkrankungsgruppen die Delirien die Erschopfungszustande und die Gruppe der Wahnsinnigen und Verruckten Diese Unterteilung lasst sich recht zwanglos mit dem noch heute gultigen triadischen Konzept vergleichen Erste Phase Abgrenzung von traditionellen Konzepten Bearbeiten Bei Kraepelins Schizophreniekonzept kann man drei Phasen seiner Lehrtatigkeit und Theoriebildung unterscheiden In der fruhen Periode 1880 1890 taucht bei Kraepelin der Begriff der Dementia praecox noch nicht auf Hier kritisiert er vor allem die Diagnosesysteme des 19 Jahrhunderts In dieser Zeit beschrieb Kraepelin schon eine Gruppe von Kranken mit Psychosen die zur Chronifizierung neigten Zweite Phase Die Dementia praecox und ihre Subtypen Bearbeiten In der mittleren Periode 1891 1915 beschrieb er erstmals den Unterschied zwischen Querschnitt und Langsschnittbefund 1893 erwahnt er erstmals den Begriff der Dementia praecox 7 Neben der Katatonie und der Dementia paranoides zeichne sie sich durch eine schlechte Prognose aus Die schlechte Prognose war fur ihn ein Argument zu der Annahme die Erkrankung sei korperlich begrundet Die schlechte Prognose umschreibt er mit den Begriffen der psychischen Entartung oder Verblodung 1899 trifft Kraepelin erstmals die Unterscheidung zwischen Dementia praecox Schizophrenie mit chronischem Verlauf und schlechter Prognose einerseits und manisch depressivem Irresein affektiven Storungen mit phasenhaftem Verlauf und guter Prognose andererseits Dabei unterschied Kraepelin drei Formen der Dementia praecox den hebephrenen katatonen und paranoiden Untertyp In spateren Veroffentlichungen unterschied er bis zu zehn Subtypen Kraepelin glaubte die Dementia praecox sei durch einen organischen Krankheitsvorgang bedingt moglicherweise sei die Erkrankung nicht einheitlich Die Moglichkeit einer Heilung schloss er aus Dritte Phase Konsolidierung Bearbeiten In der spaten Periode ab 1916 setzte sich Kraepelin mit Kritik an seinem Konzept auseinander nahm aber keine Veranderungen mehr an seinen Uberlegungen vor Eugen Bleuler und die Gruppe der Schizophrenien BearbeitenEugen Bleuler hat in die Diskussion um die Einteilung der Schizophrenie zwei gewichtige Argumente eingebracht Er hat einerseits die Symptome der Krankheit genau studiert und ein heute noch brauchbares Gerust fur ihre Einteilung vorgeschlagen Daruber hinaus hat Bleuler mit dem Begriff der Gruppe der Schizophrenien eine Alternative zu Griesingers Konzept der Einheitspsychose vorgeschlagen 8 Primare und sekundare Symptome Bearbeiten Bleuler war ein Schuler Freuds und einer der ersten Psychiater die versuchten die Ergebnisse der Psychoanalyse fur die Psychiatrie nutzbar zu machen Sein bleibendes Verdienst grundet auf diesem Teil seiner wissenschaftlichen Arbeit Bleuler stellte fest dass die Symptome seiner Patienten sehr unterschiedlich waren und wollte deshalb nicht mehr von einer Krankheit sondern von einer Krankheitsgruppe sprechen Zudem war es sein Ziel eine moglichst umfassende Schizophrenietheorie zu erstellen Er ging wie Griesinger von der Vorstellung einer somatischen Erkrankung des Gehirns aus und vermutete dass diese Gehirnstorung unmittelbar zu den sogenannten Primarsymptomen vor allem Denkstorungen und bestimmten korperlichen Symptomen fuhrt Die aktive Auseinandersetzung des Kranken mit diesen primaren Storungen fuhrt zu den sogenannten Sekundarsymptomen der Schizophrenie Wahn Halluzinationen Affektstorungen Primarsymptome SekundarsymptomeLockerung der Assoziation Benommenheitszustande Disposition zu Halluzinationen Tremor Pupillendifferenzen Odeme Katatone Anfalle Zerfahrenheit Symbolisierungen Affektstorungen Storungen von Gedachtnis und Orientierung Automatismen Blodsinn Wahnideen Autismus Unberechenbarkeit Abulie Negativismus Halluzinationen Stereotypien KatalepsieGrundsymptome und akzessorische Symptome Bearbeiten Unter diesem Stichwort fuhrt Bleuler seine heute noch gebrauchliche Definition der vier grossen A ein Affekt Assoziation Ambivalenz Autismus die er als die wichtigsten Grundsymptome ansah Sie sollen bei der Schizophrenie immer dann vorkommen wenn die Erkrankung weiter fortgeschritten ist Die so genannten akzessorischen Symptome treten nach Bleuler nur gelegentlich auf und kamen auch bei anderen Erkrankungen vor Grundsymptome Akzessorische SymptomeStorung der Assoziation Storung der Affektivitat Ambivalenz Autismus Storungen des Willens und Handelns Storungen der Person Halluzinationen Wahnideen Funktionelle Gedachtnisstorungen Katatonie Storungen von Schrift und SpracheKurt Schneider und der phanomenologische Ansatz BearbeitenKurt Schneiders Wissenschaftskonzept Bearbeiten Die Unterscheidung zwischen Symptomen ersten und zweiten Ranges geht auf den Heidelberger Psychiater Kurt Schneider 1887 1967 zuruck 9 Schneider betrachtete die Schizophrenie als eine organisch begrundete Storung des Gehirns Diese als Somatosepostulat bezeichnete Annahme sah Schneider aber ausdrucklich als Modellvorstellung oder heuristisches Prinzip an Aufgrund dieser kritischen Selbstbeschrankung betrachtete er psychiatrische Diagnosen nicht einfach als Namen fur objektivierbare naturliche Krankheitseinheiten im Sinne Kraepelins sondern als moglichst gut zu begrundende begriffliche Konstrukte Schneider schlug deshalb vor im Falle psychiatrischer Erkrankungen statt von einer Differenzialdiagnose eher von einer Differenzialtypologie zu sprechen Schliesslich spreche man in der Medizin von Diagnosen im engeren Sinne nur dann wenn Atiologie und Pathogenese einer Erkrankung genau bekannt sind Dies trifft aber im Falle der Schizophrenie bekanntermassen nicht zu Mit dieser pragmatischen und zugleich vorsichtigen Haltung gilt Schneider als ein Pionier der sogenannten operationalisierten Diagnostik wie sie im ICD 10 und DSM IV Katalog verwirklicht wurde Erst und Zweitrangsymptome Bearbeiten Die von ihm sogenannten Erstrangsymptome erlauben die Diagnose der Schizophrenie Sie sind in diesem Sinne einerseits Kardinalsymptome Die Krankheit ist durch sie definiert Andererseits lasst sich durch die Untersuchung auf Erst und Zweitrangsymptome eine Liste diagnostischer Kriterien fur die Schizophrenie aufstellen Bei einer bestimmten Kombination solcher Befunde darf die Diagnose der Erkrankung gestellt werden Erstrangsymptome ZweitrangsymptomeGedanken Lautwerden Dialogische Stimmen Kommentierende Stimmen Leibliche Beeinflussungserlebnisse Gedankenentzug Gedankenausbreitung Wahnwahrnehmungen Gefuhl des Gemachten Alle ubrigen Sinnestauschungen Wahneinfalle Ratlosigkeit Depressive und frohe Verstimmung Erlebte GefuhlsverarmungDas triadische System der Psychiatrie Bearbeiten Auf Kurt Schneider geht auch das so genannte triadische System in der Psychiatrie zuruck Es bedeutet in Anlehnung an die so genannte Schichtenregel von Karl Jaspers 10 die Einteilung der seelischen Erkrankungen in drei Gruppen Korperlich begrundbare Erkrankungen wie etwa die Demenzen Endogene Psychosen und Variationen normalen seelischen Erlebens Das triadische System ist aus vielen Grunden noch gebrauchlich Es ist Einteilungskriterium fur Lehrbucher es findet sich abgewandelt in der Anordnung der Erkrankungen im ICD Katalog und es findet sich leicht abgewandelt in der juristischen Terminologie in Deutschland zum Beispiel bei einer Prufung der Schuldfahigkeit eines mutmasslichen Straftaters Klaus Conrad Die Stadien des Wahns BearbeitenKlaus Conrad hat in seiner klassischen Studie uber die beginnende Schizophrenie funf Stadien des Wahns beschrieben 11 Der Wahn beginne mit dem sogenannten Trema gewissermassen einer Vorbereitungsphase in dem die betreffende Person von innerer Unruhe Angst und dem Gefuhl der Destruierung des Situationsgefuges gepragt sei In der zweiten Phase der sog Apophanie erlebt der Wahnkranke ein abnormes Bedeutungsbewusstsein Er kann seine Urteile bezuglich des Wahns nun nicht mehr andern und entwickelt die Uberzeugung alles drehe sich um ihn Anastrophe In der dritten Phase des Wahns der Apokalyptik erlebt der Wahnkranke Zustande von schwerster Angst manchmal rauschhaft gehobener Stimmung akuten Halluzinationen und entwickelt einen Zerfall von Sprache und Denken Diese akute Phase kann in einen Zustand der Konsolidierung die vierte Phase munden In ihm wendet sich der Kranke von der expansiven Phase seines Wahns hin zur funften Phase dem Residualzustand der am einfachsten als ein Zustand der Apathie beschrieben werden kann Dieses Konzept Conrads ist von Hambrecht 12 uberpruft worden Dabei stellte sich heraus dass die Vorstellung logisch aufeinander folgender Stadien des Wahns empirisch nicht zu belegen ist Lediglich die triviale Sequenz unspezifische vor spezifischen Symptomen konnte nachgewiesen werden Nancy Andreasen Positiv und Negativsymptomatik BearbeitenIn der modernen Schizophrenieforschung wird den Negativsymptomen grosse Aufmerksamkeit geschenkt Nancy Andreasen 13 14 fuhrte als Faustregel die sechs A ein Die sechs A nach Andreasen Bearbeiten Alogie Die Sprachverarmung fuhrt beispielsweise zu verlangerten Antwortlatenzen die Patienten sind wortkarg Affektverflachung Die Verarmung der Affekte aussert sich in einer verminderten Fahigkeit emotional mitzumachen Apathie Hiermit ist vor allem ein Mangel an Energie und Interesse Antriebslosigkeit und Willensschwache Abulie gemeint Anhedonie bedeutet Freud und Lustlosigkeit Aufmerksamkeitsstorungen Den Patienten fallt es schwer sich zu konzentrieren einen Text zu lesen einem Gesprach zu folgen usw Asozialitat Damit beschreibt man die Storung der Kontaktfahigkeit der Patienten Negativsymptome sind nicht einfach zu erkennen Sie erschliessen sich nicht so sehr durch eine Befragung des Patienten sondern eher durch Beobachtung Rekonstruktion der sozialen Anamnese und durch eine ausfuhrliche Fremdanamnese Zur Beurteilung des Ausmasses der Negativsymptome sind zahlreiche Skalen entwickelt worden Primare und sekundare Negativsymptome Bearbeiten In der psychiatrischen Forschung wird auch zwischen primaren und sekundaren Negativsymptomen unterschieden Als primare Negativsymptome die als eng krankheitsgebunden aufgefasst werden sieht man vor allem die Affektverflachung und die Sprachverarmung an Zur Gruppe der sekundaren Negativsymptome die man als Folge der Erkrankung Konsequenz von Copingstrategien Nebenwirkungen von Medikamenten usw ansieht zahlt man vor allem Anhedonie Asozialitat und Apathie Die grosse Bedeutung der Negativsymptome fur die Patienten besteht darin dass sie die Lebensqualitat oftmals viel nachhaltiger mindern als die Positivsymptome Tim Crow Akute und chronische Schizophrenie BearbeitenZu Beginn der 80er Jahre postulierte der englische Psychiater Tim J Crow die Existenz zweier Typen von Schizophrenie die er Typ I und Typ II Schizophrenie nannte 15 Dabei sollte der Typ I durch akutes Auftreten spaten Erkrankungsbeginn und Vorherrschen von Positivsymptomen gekennzeichnet sein Der Typ II sei dagegen gekennzeichnet durch das Vorherrschen von chronisch vorliegenden Negativsymptomen und kognitiven Einbussen bei fruhem Erkrankungsbeginn Gerd Huber Das Basisstorungskonzept BearbeitenDer Bonner Psychiater Gerd Huber leistete in den folgenden Forschungsgebieten der Psychiatrie eine Pionierarbeit Seine Studien zur Asymmetrie der Hirnventrikel mittels Pneumenzephalographie seit den 1950er Jahren haben die biologische Psychiatrie in Deutschland begrundet Seine Katamnesestudien revidieren die auf Kraepelin zuruckgehende pessimistische Einschatzung uber den Verlauf der Schizophrenie Mit seinen Studien zur Psychopathologie zahlt Huber zu den Begrundern der empirischen psychopathologischen Forschung in Deutschland Huber nimmt an dass eine Reihe von Negativsymptomen die Basis schizophrener Erkrankungen darstelle Diese Symptome sollten dem vermuteten somatischen Substrat der Schizophrenie nahestehen substratnahe Basissymptome 16 Die Erforschung dieser Basissymptome erfolgt heute vor allem in der Weise dass Jugendliche und Kinder mit seelischen Storungen auf diese Symptome ausfuhrlich untersucht werden Dadurch sollen einerseits Psychosen moglichst fruh erfasst und andererseits Behandlungskriterien erarbeitet werden 17 18 Der dimensionale Ansatz nach Liddle BearbeitenIm Rahmen von Studien zur Negativsymptomatik entwickelte Peter F Liddle das Konzept von drei Dimensionen der Schizophrenie 19 Zur Klassifikation beschrieb Liddle auch Uberlegungen zur neuroanatomischen und neurophysiologischen Charakterisierung der Storungen Lasionsort linker dorsaler prafrontaler Kortex medialer Temporallappen rechter ventraler prafrontaler KortexSyndrom psychomotorische Verarmung Realitatsverzerrung DesorganisationSymptome Sprachverarmung Affektverflachung Apathie Wahn Halluzinationen Formale Denkstorungen Ablenkbarkeit Inadaquater AffektLiddles Klassifikation beschreibt weniger Subtypen als vielmehr Dimensionen der Erkrankung die bei jedem Patienten mehr oder weniger ausgepragt vorkommen konnen Die Zuordnung der Dimensionen zu speziellen Hirnarealen ist nicht unumstritten Integrative Konzepte BearbeitenDie alteren behavioristischen und psychodynamischen Konzepte sind heute durch integrative Modelle wie das Verletzlichkeits Stress Bewaltigungs Konzept nach Joseph Zubin und das Konzept der affekt logischen Bezugssysteme nach Luc Ciompi ersetzt worden Dabei gilt das Vulnerabilitats Stress Coping Modell nach Zubin und Nuechterlein als attraktive atio pathogenetische Rahmenhypothese Diese Hypothese besagt dass die Krankheit bei einer gegebenen Disposition Vulnerabilitat d i Verletzlichkeit durch besondere Belastungen Stress und das Fehlen adaquater Bewaltigungsmoglichkeiten Coping zum Ausbruch gelangt Die Bereitschaft fur die Erkrankung wird organisch bedingt gesehen da die familiare Belastung als wichtigster Einzelfaktor fur die Schizophrenie als eine genetische Komponente anzusehen ist Die Stressoren gleich welcher Art sollen bei einem nicht ausreichenden Coping zum Versagen funktioneller Systeme des Gehirns mit klinischer Konsequenz der psychotischen Symptome fuhren Als Vulnerabilitatsfaktoren gelten Storungen der Neurotransmitterfunktionen Dopaminhypothese Funktionelle Folgen von Hirnstrukturveranderungen vor allem im limbischen System Storungen der Aufmerksamkeit und Informationsverarbeitung Schizotype Personlichkeitsmerkmale Emotionale und Verhaltens Defizite bei Hoch Risiko Kindern Als Stressoren gelten Kritikbetontes und emotional uberengagiertes Familienklima Uberstimulierende soziale Umgebung Stressbetonte Lebensereignisse Drogen Missbrauch Als protektive Faktoren gelten Sinnvolle Bewaltigungsstrategien Adaquates Problemloseverhalten in der Familie Unterstutzende soziale Interventionen Antipsychotische Medikation Integrative Schizophreniekonzepte orientieren sich vor allem an den Bedurfnissen des klinischen Alltags bei der Frage welche Behandlungsmethoden zur Anwendung gebracht werden sollen Da Patienten mit einer Schizophrenie nicht selten aufgrund kognitiver Beeintrachtigungen durch so genannte Negativsymptome schwerwiegende soziale Behinderungen erleiden stellt sich fur Therapeuten stets die Frage eines Gesamtbehandlungsplanes der alle Lebensbereiche des Patienten berucksichtigen soll Hier finden integrative Krankheitskonzepte ihr Anwendungsgebiet Andere Schizophreniekonzepte BearbeitenNeben den klinischen Schizophreniekonzepten existieren zahlreiche andere Modellvorstellungen zur Klassifikation und Entstehung der Schizophrenie Den Bereichen der biologischen psychodynamischen und soziologischen Krankheitsmodelle der Schizophrenie hat dieser Artikel die klinischen Konzepte der Schizophrenie gegenubergestellt Diese Unterteilung impliziert keine Wertung und ist in erster Linie dem Versuch einer sinnvollen Beschrankung geschuldet Biologische Konzepte Bearbeiten Die biologisch definierten Krankheitskonzepte der Schizophrenie umfassen vor allem vier Bereiche Die Genetik der Schizophrenie im Sinne einer familiaren Haufung deren Untersuchung auf den umstrittenen Genetiker Ernst Rudin zuruckgeht Die Aufklarung der Mechanismen antipsychotisch wirksamer Medikamente Die Studien zu morphologischen Auffalligkeiten des Gehirns von schizophrenen Patienten die auf die Arbeiten von Gerd Huber grundet und Untersuchungen die sich um die Fragen der Geburtskomplikationen und Infektionen drehen Die biologischen Krankheitskonzepte der Schizophrenie werden unter dem Lemma Neurobiologische Schizophreniekonzepte abgehandelt Psychodynamische Konzepte Bearbeiten Den biologischen Modellvorstellungen zur Schizophrenie steht eine lange Tradition psychodynamischer Konzepte gegenuber die im 20 Jahrhundert vor allem auf die Arbeiten von Sigmund Freud zuruckgehen Freud hatte in seiner Studie uber den Fall Schreber ein psychodynamisches Modell des Wahns vorgeschlagen In der Folge entwickeln verschiedene Forscher wie Gregory Bateson und Paul Watzlawick Theorien uber die Entstehung der Schizophrenie aufgrund von gestorten Kommunikationsformen und als Folge von fehlerhaften Erziehungsstilen Double Bind schizophrenogene Mutter Soziologische Konzepte Bearbeiten Strikt soziologische Theorien die von einem Mythos Geisteskrankheit sprechen wie sie von den amerikanischen Psychiatrie Kritikern Thomas Szasz den englischen Vertretern der Antipsychiatrie Ronald D Laing und David Cooper und den Protagonisten der italienischen antiinstitutionellen Psychiatrie wie Franco Basaglia vertreten wurden spielen in der modernen klinischen Forschung keine Rolle mehr Ihre Konzepte bestehen aber in gewandelter Form in der modernen Sozialpsychiatrie fort Soziologische Schizophreniekonzepte werden ausfuhrlich in den Artikeln zur Antipsychiatrie behandelt Zusammenfassung BearbeitenDas moderne klinische Verstandnis der Schizophrenie wird von den hier vorgestellten Schizophreniekonzepten stark beeinflusst Die Unterscheidung der schizophrenen Psychosen von den affektiven Storungen durch Kraepelin das Bleulersche Konzept der Gruppe der Schizophrenien das triadische System die Vorstellung der Erstrangsymptome als charakteristische Merkmale der Schizophrenie die grosse Aufmerksamkeit der modernen psychiatrischen Forschung fur die Negativsymptome und schliesslich das Konzept der Basisstorungen als fruher Indikator fur die Entwicklung einer Schizophrenie sind im heutigen klinischen Denken der Psychiatrie fest verwurzelt Weitreichende Kritik an den Systematisierungsanspruchen der jeweiligen Einzelkonzepte hat allerdings dazu gefuhrt dass heute in der klinischen Forschung versucht wird von jeglichen theoretischen Vorannahmen abzusehen Siehe auch BearbeitenNeurobiologische Schizophreniekonzepte Symptome und Diagnose der Schizophrenie Subtypisierung der Schizophrenie Beginn und Fruhverlauf der Schizophrenie Spatschizophrenie Verlauf der SchizophrenieLiteratur BearbeitenMartin Burgy The Concept of Psychosis Historical and Phenomenological Aspects In Schizophrenia Bulletin 34 6 2008 S 1200 1210 Michael Musalek Die unterschiedliche Herkunft von Schizophrenien und ihre philosophischen Grundlagen In Fortschr Neurol Psychiat 73 Sonderheft 1 2005 S 16 24 Biological PsychiatryEinzelnachweise Bearbeiten Max Schmauss Schizophrenie Pathogenese Diagnose und Therapie Bremen 2002 ISBN 3 89599 659 9 J K Wing J E Cooper N Sartorius Measurement and Classification of Psychiatric Symptoms Cambridge University Press 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