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Der Brief Uber den Humanismus 1 ist eine 1947 erschienene Schrift von Martin Heidegger die uberarbeitete Fassung eines Briefes von 1946 an den franzosischen Philosophen Jean Beaufret Oftmals wird der Text kurz als Humanismusbrief bezeichnet Heidegger kritisiert in der Schrift die historischen Auspragungen des Humanismus Als metaphysische Bestimmungen achten sie nach Heidegger das Wesen des Menschen zu gering und reduzieren ihn stets auf etwas Seiendes Dieser Auffassung setzt er eine Bestimmung des Menschen als ek statisches Wesen entgegen dessen Eigenart im Bezug zum Sein liegt Der Humanismusbrief ist trotz seiner Kurze ein wichtiger Text Heideggers da er sich hier erstmals schriftlich zu seinem als Kehre bezeichneten Umdenken aussert Ausserdem finden sich bereits wesentliche Gedanken des Spatwerks in dem Text entfaltet so die spate Seins und Wahrheitskonzeption der Unterschied von Dichten und Denken die Gedanken zur Sprache und die Technikkritik Inhaltsverzeichnis 1 Entstehung 2 Inhalt 2 1 Kritik am Humanismus 2 2 Ek sistenz 2 3 Ethik und Ontologie 2 4 Heimatlosigkeit 2 5 Sprache 2 6 Selbstinterpretation nach der Kehre 3 Kritik 4 Wirkung und Rezeption 5 Siehe auch 6 Literatur 6 1 Primarliteratur 6 2 Sekundarliteratur 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseEntstehung BearbeitenDer Text ist Heideggers erste Veroffentlichung nach 1945 Wahrend der Abfassung des Briefes an Beaufret stand Heidegger aufgrund seines NS Engagements wahrend seiner Rektoratszeit und seiner Mitgliedschaft in der NSDAP vor einer Bereinigungskommission der Universitat Freiburg zur politischen Reinigung des Lehrkorpers epuration was mit seiner Zwangspensionierung und einem Lehrverbot endete 2 Aufgrund seines NS Engagements hatte ausserdem sein Ansehen in der Offentlichkeit nach Kriegsende stark gelitten Mit dem zwei Jahre spater im Druck erschienenen Brief der auf breite Resonanz stiess meldete sich Heidegger auf der philosophischen Buhne zuruck Zuvor hatte Beaufret Heidegger kontaktiert und ihm drei Fragen gestellt erstens wie dem Wort Humanismus wieder ein Sinn gegeben werden konne zweitens wie es um das Verhaltnis von Ontologie und Ethik stehe und letztlich was das Element des Abenteuers in der Philosophie ausmache Der Brief hat da er an einen Franzosen gerichtet ist die franzosische Heidegger Rezeption entscheidend beeinflusst Inhalt BearbeitenPhilosophischer Hintergrund Heideggers seinsgeschichtliches DenkenDer Brief ist bestimmt durch einen zentralen Gedanken Heideggers uber das Wesen der Wahrheit Heideggers Wahrheitsbegriff hat sich nach seinem Umdenken welches er selbst als Kehre bezeichnete gegenuber seiner fruhen Philosophie in Sein und Zeit wesentlich verandert Heidegger denkt nun Wahrheit als Unverborgenheit Aletheia die sich vom Sein selbst her ereignet Wahrheit ist damit nicht mehr etwas das der Mensch durch Anwendung von Kategorien oder durch Befolgen einer bestimmten Methodik herstellen konnte Das Sein selbst ver und entbirgt sich zugleich in der Unverborgenheit so namlich dass sich das Sein des Seienden entbirgt und das was ist sich aus einer bestimmten Perspektive zeigt und sich jedoch gleichzeitig der Entbergungsprozess verbirgt d h dem Menschen nicht zum Problem wird da er sich nur beim Entborgenen aufhalt Diesen Entbergungs und Verbergungsprozess des Seins im Ereignis nennt Heidegger die Wahrheit des Seins Heidegger denkt nun den Menschen im geschichtlichen Bezug zu diesem Prozess Das Sein ent und verbirgt sich in verschiedenen geschichtlichen Epochen und eroffnet damit eine Welt als sinnhafte Totalitat so wie man etwa umgangssprachlich von der Welt der alten Griechen oder der Welt der Bauerin spricht Philosophiegeschichtlich bildet sich dieser Prozess in der Metaphysik ab So kann die durch das Sein eroffnete Welt beispielsweise eine als von Gott geschaffene sein oder wie bei Kant eine durch das transzendentale Subjekt zusammengesetzte Da Heidegger selbst das Konzept eines Subjekts ablehnt bringen aber die Philosophen die grossen metaphysischen Entwurfe nicht hervor sondern entsprechen nur dem vom Sein her Ereignetem Es fundiert also die Wahrheit des Seins der Entbergungsprozess im Ereignis die metaphysischen Bestimmungen des Sein des Seienden Weil aber die Metaphysik lediglich das Sein des Seienden bestimmt kann sie diesen Fundierungszusammenhang nicht in den Blick bringen sie vergisst dass fur jede Bestimmung des Seienden dieses zunachst in der Unverborgenheit angekommen sein muss Fur Heidegger ist daher die Metaphysik seinsvergessen Dies ist sie jedoch nicht aus einer Verfehlung des Menschen heraus sondern weil sich das Sein wenn es sich zeigt so zeigt dass der Entbergungsprozess selbst verborgen bleibt Mit anderen Worten der Mensch halt sich stets schon beim Seienden auf ohne dass ihm deshalb zum Problem wird warum dies uberhaupt ist Fur Heidegger ist diese Seinsvergessenheit wesentlich fur das gesamte abendlandische Denken in Form der Metaphysik Die Geschichte der Metaphysik die durch den niemals explizit gewordenen Grund der Wahrheit des Seins bestimmt ist nennt Heidegger Seinsgeschichte Sie ist gepragt von verschiedenen Epochen in denen die Metaphysik nach dem Sein des Seienden gefragt und das Sein als oberstes und gottliches Seiendes bestimmt hat Dagegen versucht Heidegger das Sein vom Ereignis her zu denken Das Sein soll jetzt nicht mehr verdinglicht vor gestellt werden sondern ursprunglich als es selbst vor jeder Auslegung erfahren werden 3 Kritik am Humanismus Bearbeiten Heidegger setzt schon im Titel den Humanismus in Redezeichen Dies soll signalisieren dass sich seine Kritik nicht auf einen allgemeinen sich fur den Menschen einsetzenden Humanismus bezieht sondern auf die konkreten historischen Auspragungen des Humanismus fur welche Heidegger den christlichen Sartreschen und Marxschen Humanismus anfuhrt Unter zwei Gesichtspunkten kritisiert Heidegger diese Formen des Humanismus Zum einen gehen allen ihren Bestimmungen des Menschen verschiedene metaphysische Grundannahmen uber die Natur die Geschichte oder den Weltgrund voraus von der aus sie dann nachtraglich die humanitas auslegen So setzt zum Beispiel die Bestimmung des Menschen als animal rationale also als vernunftiges Lebewesen ein Verstandnis von Leben und Natur schon voraus Zum anderen kann das Wesen des Menschen nach Heidegger nicht durch eine Zusammenstuckung von animal und ratio bestimmt werden Insofern jedem Humanismus eine solche metaphysische Grundannahme vorausgeht die das Wesen des Menschen auf etwas Seiendes zuruckfuhrt bezeichnet fur Heidegger Humanismus das Menschenbild der Metaphysik Wegen der Ruckfuhrung auf etwas Seiendes achtet fur Heidegger ein solches Menschenbild das Wesen des Menschen zu gering Ein anderer Kritikpunkt Heideggers der im Humanismusbrief nur anklingt betrifft die seiner Meinung nach dem Humanismus innewohnende Anthropozentrik wie er ausfuhrlich auf sie in Platons Lehre von der Wahrheit eingeht Hiernach meint Humanismus den mit Beginn mit der Entfaltung und mit dem Ende der Metaphysik zusammengeschlossenen Vorgang dass der Mensch nach je verschiedenen Hinsichten jedes mal aber wissentlich in eine Mitte des Seienden ruckt 4 Offensichtlich ist dies vor allem fur den neuzeitlichen Subjektivismus seit Descartes Den Grund hierfur sieht Heidegger darin dass die Metaphysik die Wahrheit des Seins nicht bedenkt also den Ort der Wahrheit als die Lichtung des Seins selbst nicht sieht und stattdessen den Menschen in diesen Ort einsetzt Ek sistenz Bearbeiten Heidegger stellt der metaphysischen Bestimmung des Menschen im Humanismus seine Auslegung des Wesens des Menschen als Ek sistenz entgegen Hierzu beginnt Heidegger mit einer Bemerkung uber den Charakter des Denkens Er halt fest dass nicht nur das theoretische und auf einen Nutzen gerichtete Denken und Bewirken sich fur den Menschen einsetzen kann sondern auch dasjenige Denken welches er als Denken des Seins bezeichnet Der Genitiv in Denken des Seins enthalt eine von Heidegger beabsichtigte Doppelbedeutung In der ersten Bedeutung meint die Wendung dass das Denken sich der Wahrheit des Seins widmet Die zweite Bedeutung des Genitivs bezieht sich darauf dass das Denken dem Sein gehort weil es sich eben vom Sein her ereignet Der Mensch kann nicht einfach drauf los denken und damit Wahrheit an den Tag fordern sondern er muss entsprechend dieser Doppelbeziehung sich denkend fur das vom Sein her Ereignete offen halten So ist zum Beispiel Heidegger selbst fur die Erkenntnis dass sich das Sein ereignet darauf angewiesen dass die Metaphysik im Laufe ihrer Geschichte verschiedene Bestimmungen der Welt hervorbrachte Wenn Heidegger also seine Spatphilosophie an der geschichtlichen Schwelle des Endes der Metaphysik sieht dann ist dies nur durch die vorangegangene Geistestradition moglich Die Uberwindung der Metaphysik ist daher nichts das sich Heidegger als Verdienst anrechnet sondern sie ereignet sich fur ihn vom Sein selbst her Was den Menschen wesentlich bestimmt ist fur Heidegger daher der Bezug des Menschen zum Sein Der Mensch lebt in einer sich in den verschiedenen Epochen der Seinsgeschichte ereignenden Welt Die Welt ist dabei nicht die Summe alles Seienden sondern ein Bedeutungsganzes in dessen Licht erst einzelne Dinge in der Welt erscheinen Was den Menschen nach Heidegger bestimmt ist dabei nicht diese oder jene konkrete Welt sondern dass er in einer Welt lebt Heidegger betont dass biologische gesellschaftliche oder andere Bestimmungen des Menschen nicht falsch sind Sie treffen fur ihn jedoch nicht das Wesen des Menschen da sie nur einen bestimmten Aspekt der Welt herausgreifen an den sie die Bestimmung des Menschen koppeln Wenn Heidegger also die biologische Bestimmung des Menschen als Lebewesen fur richtig halt das Wesen des Menschen jedoch durch die Wahrheit des Seins bestimmt sieht dann zeigt sich hier auch dass fur Heidegger richtig nicht wahr sein muss Den Charakter des Bezugs des Menschen zu dem was ist zum Sein zur Welt fasst Heidegger als das Stehen in die Lichtung des Seins Dieses Stehen ist fur Heidegger ein hinaus stehen eine Ek sistenz griech ek stasis hinaus stehen Es ist ein Hinausstehen das nicht als ein Heraus aus einem Innen missverstanden werden darf Die Opposition Aussen Innen geht auf ein von Heidegger abgelehntes Subjektdenken zuruck Das Herausstehen ist jedoch immer schon gegeben der Mensch muss nicht erst von einem Innen in die Aussenwelt kommen In diesem Hinausstehen in die Lichtung wird der Mensch immer schon vom Sein angegangen Dies macht fur Heidegger den Wesensunterschied zum Tier aus Zwar orientiert sich auch das Tier in seiner unmittelbaren Umgebung aber es hat keine Welt und greift daher nicht uber seine Umgebung hinaus Es kann wegen dieser Weltarmut nicht vom Sein angegangen werden Der Mensch hingegen ist sogar auf das Sein angewiesen damit er in sein Wesen findet So kommt es bei der Bestimmung der Menschlichkeit des Menschen darauf an dass nicht der Mensch das Wesentliche ist sondern das Sein 5 Man konnte sagen der Mensch ist wie ein leeres Gefass welches das Sein erst auffullen muss und welches ihn immer schon erfullt hat Fur Heidegger ist der Mensch damit keine Aufgabe welche durch die Bearbeitung mittels eines uberlieferten und noch kommenden Kultur und Bildungskanons zu bewaltigen ware Notig ist in der jetzigen Weltnot weniger Philosophie d h Metaphysik aber mehr Achtsamkeit des Denkens weniger Literatur aber mehr Pflege des Buchstabens 6 Die Eigenart des Menschen namlich der Bezug zum Sein bestimmt ihn von je her gleichwohl ist es notig diesen zu denken Der Mensch musse erst in sein Wesen finden Weil Holderlin sich auf die vor jedem Bildungskanon liegende Bestimmung des Menschen bezogen habe vertrete dieser einen wesentlich anderen Humanismus als Goethe oder Schiller Das ek statische Hinausstehen des Menschen ist jedoch in erster Linie nicht durch die vernunftig begriffliche Erfassung einzelnes Seienden bestimmt Heidegger sieht stattdessen das was uns im Umgang mit der Welt grundlegend be stimmt in der Stimmung Die Stimmung geht allem Bezug auf einzelne Dinge in der Welt voraus Sie wird auch nicht durch eine einzelne innerweltliche Sache erregt sondern ist immer schon vor und mitgangig wenn wir uns auf etwas beziehen Die Grundstimmung ist aber keine innerliche Einstellung des Subjekts sondern ist selbst wesentlich im Bezug zur Welt bestimmt da der Mensch als ek statischer immer schon draussen ist Sie ist eine Totalempfindung die auch einzelnen Sinnesdaten vorausgeht Daher lehnt es Heidegger auch ab den menschlichen Leib in einer rein biologischen Auffassung mit dem tierischen gleichzusetzen Der Leib des Menschen ist etwas wesentlich anderes als ein tierischer Organismus 7 Weil der Mensch als ek statisches Wesen durch seinen Weltbezug gestimmt ist werden auch Sinnesdaten stets in diese Stimmung eingetaucht Der Mensch empfangt keine Rohdaten wie etwa primitive tierische Organismen So wie es abhangig von der Situation ist ob wir Schmerz als qualvoll oder lustvoll empfinden so geht die Grundstimmung jeglichem Einzelerlebnis voraus Sie ragt ihrem Ursprung nach jedoch in unseren kulturellen und geschichtlichen Hintergrund hinein und ist daher breiter und tiefer als die Stimmung in einer Situation Ethik und Ontologie Bearbeiten Heidegger antwortet in dem Brief ausfuhrlich auf Beaufrets Frage nach dem Verhaltnis von Ontologie von der Beaufret meint sie sei Heideggers philosophisches Hauptanliegen zur Ethik Heidegger weist diese Frage zunachst insoweit zuruck dass er keine Ontologie betreibe und daher auch nicht auf das Verhaltnis von Ontologie und Ethik eingehen konne So mochte er das Seinsdenken nicht mehr als Ontologie verstanden wissen da letztere nur das Sein des Seienden betrachte aber nicht bedenke dass der Mensch in jeder seinsgeschichtlichen Epoche anders vom Sein angegangen werde Damit wird auch ersichtlich warum er sich nicht zur Ethik aussern kann solange diese ein verbindliches System von Regeln daruber aufstellt wie der Mensch handeln soll Solche ubergreifenden Regeln wurden sich mit der Unterschiedlichkeit der seinsgeschichtlichen Epochen nicht vertragen Des Weiteren steht Heidegger der Idee von Werten aus denen sich solche Regeln ergeben wurden kritisch gegenuber Dies daher dass eben durch die Kennzeichnung von etwas als Wert das so Gewertete seiner Wurde beraubt wird Das besagt durch die Einschatzung von etwas als Wert wird das Gewertete nur als Gegenstand fur die Schatzung des Menschen zugelassen Damit ist allein der Akt des Wertens ein Setzen der Subjektivitat auf welche letztendlich der Wert zuruckgefuhrt wird Setzte man zum Beispiel Gott als hochsten Wert an so ware dies fur Heidegger die hochste Blasphemie In Werten zu denken ist stets ein Akt der Subjektivierung und entspricht einem selbstherrlichen Anordnen der Welt nach menschlichen Massstaben Heimatlosigkeit Bearbeiten Heideggers Kritik der Ethik und der Werte lauft auf eine Ablehnung aller vom Menschen gemachten Ethik hinaus und steht damit fast jeder philosophischen Konzeption seit der Antike entgegen Indem Heidegger ausserdem die Ethik als Disziplin auf Platon zuruckfuhrt und sie der Seinsvergessenheit zeiht bestimmt er alle Projekte der abendlandischen Ethik als durch diese Seinsvergessenheit gepragt Allerdings setzt er ihr durch den Ruckgang auf Heraklits vorplatonisches Denken eine Bestimmung als Ethos ἦ8os entgegen Dieses Ethos versteht Heidegger als Aufenthalt und Ort des Wohnens In seinem Weltaufenthalt wird der Mensch vom Sein angegangen Die Wahrheit des Seins ist dabei die Bedingung der Moglichkeit dafur dass uberhaupt sich Gesetze und Regeln einstellen Nur sofern der Mensch in der Wahrheit des Seins ek sistierend diesem gehort kann aus dem Sein selbst die Zuweisung derjenigen Weisungen kommen die fur den Menschen Gesetz und Regel werden mussen Vom Sein selbst her eroffnet sich also eine Welt als Bedeutungsganzheit in der dann erst durch den Menschen die konkreten Regeln und Gesetze aufgestellt werden Wahren Halt kann der Mensch jedoch nicht in seinen eigenen Gesetzen finden sondern er ist darauf angewiesen dass das Sein selbst ihn in die Hut nimmt Das gegenwartige Weltzeitalter sieht Heidegger jedoch gerade durch die Seinsverlassenheit gepragt Ihr Merkmal ist der neuzeitliche Subjektivismus der alles nur auf sich hin interpretiert den Menschen in die Mitte alles Seienden setzt und ihn zur Herrschaft uber das Seiende ermachtigt Dieser Zustand ist fur Heidegger wesentlich seinsgeschichtlich bedingt und lasst sich zuletzt an Nietzsche ablesen der trotz seiner Suche nach einem Ausweg nur vermochte die metaphysischen Satze umzukehren ohne sie jedoch zu uberwinden Eine tatsachliche Uberwindung dieser Heimatlosigkeit kann sich fur Heidegger nur vom Sein selbst her ereignen Sie wird darin bestehen mussen die Wahrheit des Seins zu bedenken also den geschichtlichen Bezug des Menschen zum Sein in den Blick zu bekommen Durch den Bezug des Menschen zum Sein gelange diesem die Einkehr in sein Wesen wodurch ihm ein Wohnen gewahrt ware Dies bote einen Halt der jenseits der Kontingenz menschengemachter Gesetze lage Sprache Bearbeiten Kann der Mensch Halt nicht herstellen da alles vom Menschen selbst Hergestellte dem Verdacht der Willkur ausgeliefert ist so ist er darauf angewiesen dass das Sein indem es im Haus der Sprache wohnt auch diesem das Wohnen gewahrt Heidegger mochte damit zum Ausdruck bringen dass wenngleich sich in allen seinsgeschichtlichen Epochen eine vollkommen andere Welt als Bedeutungsganzheit eroffnet es doch zum Wesen des Menschen gehort dass er in einer solchen Welt lebt Dabei kommen die sinnhaften Bezuge der jeweiligen Welt in der Sprache zum Ausdruck das Sein wohnt im Haus der Sprache Vielmehr ist die Sprache das Haus des Seins 8 Dabei ist es der primar sprachliche Weltbezug der den Menschen als Menschen charakterisiert So ist es namlich nicht die sinnliche Wahrnehmung von bloss vorhandenen Dingen durch die sich der Mensch auf die Welt bezieht denn was die Welt als Welt charakterisiert sind die sinnhaften Bezuge in ihr die Bedeutungen in ihr und die Bedeutsamkeit fur einen selbst Auf Bedeutung und Bedeutsamkeit aber bezieht sich der Mensch sprachlich Sie sind das was das Wohnen des Menschen ausmacht Da sie sich nur in der Sprache ausdrucken ist der Mensch fur seinen Weltaufenthalt auf die Sprache angewiesen Heidegger macht eine solche Auffassung von Sprache vor allem gegen die Ansicht geltend Sprache sei ein blosses Mittel zur Informationsubertragung Die Sprache lediglich als Vermittlung von Informationen aufzufassen ging fur Heidegger unmittelbar auf den neuzeitlichen Subjektivismus zuruck der als einzige ubrig gebliebene Bedeutung in der Welt die Verwendbarkeit des Seienden fur das Subjekt sieht Durch diese Herrschaft der metaphysischen Subjektivitat gerat die Sprache in den Dienst des Vermittelns der Verkehrswege auf denen sich die Vergegenstandlichung als die gleichformige Zuganglichkeit von Allem fur Alle unter Missachtung jeder Grenze ausbreitet 9 Eine solche Welt ist weil sie nur noch das Subjekt als letzten Bezugspunkt sieht arm an Bedeutung und Bezugen Dies druckt sich fur Heidegger im Sprachverfall aus Zugleich ist dem Menschen das Wohnen in dieser kargen Welt verwehrt Heidegger sieht seine denkerischen Bemuhungen als moglichen Anfang einer Uberwindung dieses Zustands So verstanden begreift er seinen Anti Humanismus als tatsachlichen Einsatz fur den Menschen Diese Aufgabe ist vor allem von den Dichtern und Denkern zu ubernehmen wie sie Heidegger in seinem Zwiegesprach mit Holderlin entwickelt 10 Dabei kommt fur Heidegger in der Dichtung ein vor denkerischer Bezug zur Heimatlosigkeit zur Sprache den der Denker dadurch beantwortet dass er diesen z B in Form der Seinsgeschichte zu denken versucht Selbstinterpretation nach der Kehre Bearbeiten Heidegger fuhrt in dem Brief einige der in Sein und Zeit verwendeten Begriffe an und interpretiert sie aus der Perspektive seines Denkens nach der Kehre So interpretierte Heidegger zum Beispiel die Geworfenheit nicht mehr als den faktischen kulturellen Hintergrund in den ein Mensch ohne seine Entscheidung hineingeworfen wurde und aus dem her ihn kontingente Stimmungen uberfallen Geworfenheit soll nun in Sein und Zeit schon meinen dass der Mensch in die Lichtung des Seins geworfen wurde und daher sein Wesen durch den Bezug des Seins bestimmt ist Auch die Stimmung stammt nun aus dem Wurf des Seins selbst Auch vom Entwurf sagt Heidegger nun dass dieser nur verstanden werden kann als das Offenhalten fur das Sein Der Entwurf ist ausserdem nicht mehr Leistung der Person sondern er ereignet sich vom Sein selbst her Nicht mehr der Mensch entdeckt im Entwurf das Sein des Seienden sondern der Entwurf ist der Ort an dem sich das Sein von sich selbst her dem Menschen lichtet In Sein und Zeit war der Entwurf hingegen die Leistung einer Person die sich nicht mehr auf offentliche Sinnangebote blind verlasst sondern sich ihre Vergangenheit aneignet und im Hinblick auf ihre Endlichkeit diejenigen Moglichkeiten ergreift welche im Rahmen ihres Lebenszusammenhangs fur sie selbst sinnvoll erscheinen Etwas vorsichtig liesse sich zusammenfassend sagen dass in Heideggers Spatwerk die Handlungskompetenz und Aktivitat des Menschen stark eingeschrankt wird und dieser mehr durch Sein Geworfenheit und Ek sistenz bestimmt wird denen gegenuber er sich lediglich passiv als Hirt des Seins verhalten kann Das Problem einer solchen Beschreibung liegt darin dass sie in einem Denkmuster bleibt welches jegliches Geschehen als die Aktivitat eines Subjekts gegenuber einem passiven Objekt begreift Sie vertauscht sozusagen nur den aktiven und passiven Part zwischen Mensch und Sein Gerade ein solches Grundverhaltnis von Aktivitat und Passivitat mochte Heidegger jedoch durch sein Denken uberwinden Er versucht daher das Vermogen zu Denken weder Mensch noch Sein zuzuschreiben sondern dem Mogen Dabei wehrt er sich gegen die metaphysische Bestimmung welche zwischen Moglichem und Wirklichem als die potentia und den actus bzw essentia und die existentia unterscheidet Wenn ich von der Stillen Kraft des Moglichen spreche meine ich nicht das possibile einer nur vorgestellten possibilitas 11 Sein Mensch und Wahrheit sind also als gemeinsames gleichzeitiges Geschehen zu denken Heideggers Denken kennt keinen singularen Quellpunkt der Aktivitat Die vorgenommenen Interpretationen sind jedoch keine erlauternden Interpretationen sondern umdeutende 12 Dies hat in der Heidegger Rezeption eine breite Forschungsdebatte uber das richtige Verstandnis dieser Selbstinterpretation und uber die Motive Heideggers entfacht Heidegger selbst behauptet nicht dass die Begriffe schon zur Zeit der Abfassung von Sein und Zeit im Sinne dieser Umdeutung gemeint waren Vielmehr verweist er auf den dritten Teil von Sein und Zeit der nicht veroffentlicht wurde In diesem hatte sich so Heidegger vielleicht die Kehre von der Fundamentalontologie in der das Sein das transcendens der Verstandnishorizont war das jeglichem Seienden voraus und mitgehend ist hin zu einem Denken der Wahrheit des Seins vollzogen Ob jedoch die Bestimmung des Seins als des schlichten transcendens schon das einfache Wesen der Wahrheit des Seins nennt das und das allein ist doch allererst die Frage fur ein Denken das versucht die Wahrheit des Seins zu denken 13 Betrachtet man den ursprunglichen Plan von Sein und Zeit so scheint allerdings fraglich ob im dritten Teil tatsachlich eine Kehre vom transzendenten Sein hin zum Sein als sich im Ereignis ver und entbergendes stattgefunden hatte Denn laut Plan war der dritte Teil der Explikation der Zeit als Horizont des Seinsverstandnisses aus der Zeitlichkeit gewidmet Damit bleibt aber das Sein an das Seinsverstandnis des Daseins und dessen Zeitlichkeit gebunden Es erscheint somit unplausibel dass Heidegger im dritten Teil tatsachlich die Kehre vollzogen hatte Allerdings sollte Heideggers Selbstinterpretation nicht vorschnell als gewaltsame Umdeutung angesehen werden sondern vielmehr als von dem Bedurfnis getragen das eigene Denken in seiner inneren Notwendigkeit zu verstehen 14 Heidegger schreibt daher im Humanismusbrief auch nicht dass die Begriffe bereits entsprechend der nun erfolgten Umdeutung konzipiert waren sondern dass Sein und Zeit aus der Erfahrung der Seinsvergessenheit heraus geschrieben wurde 15 Die Selbstinterpretation stellt damit auch den Versuch dar seinen fruheren Ansatz jenseits der damaligen systematischen und programmatischen Konzeption zu verstehen und dessen darunter liegende Stossrichtung freizulegen Kritik BearbeitenKritisiert wird vor allem Heideggers Diagnose der Moderne als Ganzes in dem Sinne dass alles was dieses Zeitalter ausmachte die Seinsvergessenheit ware In diesem Zusammenhang scheinen auch seine Wege aus der Seinsvergessenheit haufig eher wie ein Ruckgang hinter die Moderne in eine anti technische anti zivilisatorische und anti rationale Richtung zu fuhren 16 Heideggers Versuch eine ursprungliche Ethik als Ethos zu etablieren wurde vor allem von Jurgen Habermas kritisiert Wenn der Nomos die Gesetze vom Sein selbst her zugeschickt ereignet werden bleibt kaum Raum fur Auto nomie also Eigen gesetzlichkeit des menschlichen Handelns So lost er Heidegger uberhaupt seine Handlungen und Aussagen von sich als empirischer Person ab und attributiert sie einem nicht zu verantwortenden Schicksal 17 Allerdings wehrte sich Heidegger schon im Humanismusbrief dagegen solche Konsequenzen aus seinem Denken zu ziehen Weil in all dem Genannten uberall gegen das gesprochen wird was der Menschheit als hoch und heilig gilt lehrt diese Philosophie einen verantwortungslosen und zerstorerischen Nihilismus Was geht hier vor Was gegen das Genannte spricht nimmt man sogleich als dessen Verneinung und diese als das Negative im Sinne des Destruktiven 18 Wirkung und Rezeption BearbeitenHeideggers Text wurde in Deutschland nur zogerlich aufgenommen Er stiess jedoch bei den franzosischen Philosophen auf breites Interesse und liess Heidegger dort in kurzer Zeit zu einem der wichtigsten Denker aufsteigen Dabei lassen sich zwei Phasen der Heidegger Rezeption ausmachen 19 Die erste Phase ist gepragt durch Sartres Interpretation von Sein und Zeit Dieser interpretierte in Der Existenzialismus ist ein Humanismus von 1946 Heideggers Philosophie dahingehend dass die Existenz dem Wesen vorausgeht Dies hatte die vollige Freiheit des Menschen zur Folge Allerdings erweist sich diese Interpretation schon fur Sein und Zeit als unzutreffend versucht Heidegger doch mit den Existenzialien Grundstrukturen des Menschseins auszumachen die diesen so grundlegend bestimmen dass er nicht frei uber sie verfugen kann Fur Sartre hingegen ist die Freiheit eine Wesenszug des Daseins selbst der Mensch sei verurteilt zur Freiheit Der 1947 in Teilen und 1953 ganzlich ubersetzte Humanismusbrief leitete in Frankreich dann die zweite Phase der Heidegger Rezeption ein Durch die von Heidegger im Brief vorgenommene Uminterpretation der Existenzialien ist nun ausserdem die Perspektive auf Sein und Zeit eine andere und wird sogar zur bestimmenden Interpretation Da Heidegger nun die menschliche Autonomie auf ein Minimum einschrankt steht er ausserdem in noch scharferem Kontrast zu Sartres Form des Existenzialismus Lacan Foucault Lyotard und Derrida knupfen an Heideggers post humanistisches und post metaphysisches Denken an Dabei rucken sie weniger die ethische Dimension in den Vordergrund als vielmehr die Subjekt und Vernunftkritik Peter Sloterdijk hat in einer 1999 gehaltenen Rede mit dem Titel Regeln fur den Menschenpark Heideggers Brief wieder aufgegriffen Fur Sloterdijk ist der Humanismus seit Platon vor allem ein literarisches also durch Schriften und Bucher kommuniziertes Phanomen Der Humanismus sollte den Menschen in eine bestimmte Richtung formen ihn zuchten und zahmen Wahrend fur Heidegger der Humanismus lediglich einer Verbramung der Weltherrschaft unter der Uberschrift eines Amerikanismus Bolschewismus oder Faschismus diente Regeln fur den Menschenpark Suhrkamp 1999 Seite 31 sieht Sloterdijk die Gefahr des Endes des literarischen Humanismus als einer Utopie eines Versuchs der Menschenformung Regeln S 58 Dabei stellte er in einem Satz Regeln S 46 die Frage ob Gentechnologie auf den Menschen anwendbar sein konne was eine lang anhaltende offentliche Debatte zur Folge hatte in der auf die eigentliche Thematik der Rede den literarischen Humanismus und die Auseinandersetzung mit Heideggers Brief von 1946 kaum eingegangen wurde Fur Sloterdijk symbolisiert genau das den von ihm beschriebenen Untergang des literarischen Humanismus An dessen Stelle ist der Boulevard Journalismus getreten Denunziation statt Verstandnis Erregungsproduktion statt Information Regeln S 57 59 Siehe auch BearbeitenWas ist Metaphysik Literatur BearbeitenPrimarliteratur Bearbeiten Der Text des Humanismusbriefs findet sich in Band 9 Wegmarken der Heidegger Gesamtausgabe Andere Ausgaben Martin Heidegger Uber den Humanismus Klostermann Frankfurt am Main 2000 ISBN 978 3465030690 Martin Heidegger Wegmarken Klostermann Frankfurt am Main 2004 ISBN 978 3465033707 Martin Heidegger Platons Lehre von der Wahrheit Francke Bern 1947 Hg Ernst Grassi Sekundarliteratur Bearbeiten Henri Cousineau Humanism and Ethics An Introduction to Heidegger s Letter on Humanism with a critical Bibliography Louvain Paris 1972 Byung Chul Han Heideggers Herz Zum Begriff der Stimmung bei Martin Heidegger Wilhelm Fink Munchen 1996 ISBN 978 3770531066 Friedrich Wilhelm von Hermann Die Selbstinterpretation Martin Heideggers Meisenheim am Glan 1964 Josef Kreiml Zwei Auffassungen des Ethischen bei Heidegger Ein Vergleich von Sein und Zeit mit dem Brief uber den Humanismus Regensburg 1987 Dirk Mende Brief uber den Humanismus Zu den Metaphern der spaten Seinsphilosophie In Dieter Thoma Hrsg Heidegger Handbuch Metzler Verlag Stuttgart 2003 S 247ff Bruno Pinchard Hrsg Heidegger et la question de l humanisme faits concepts debats Presses Universitaires de France Paris 2005 ISBN 2 13 054784 2 Tom Rockmore Heidegger and French Philosophy Humanism Antihumanism and Being London New York 1995 dt Ubersetzung Heidegger und die franzosische Philosophie Luneburg 2000 Peter Sloterdijk Regeln fur den Menschenpark Ein Antwortschreiben zu Heideggers Brief uber den Humanismus Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1999 ISBN 978 3518065822 Gunther Witzany Transzendentalpragmatik und Ek sistenz Die Blaue Eule Essen 1991 ISBN 3 89206 317 6 Bastian Zimmermann Die Offenbarung des Unverfugbaren und die Wurde des Fragens Ethische Dimensionen der Philosophie Martin Heideggers London 2010 ISBN 978 1 84790 037 1 Weblinks BearbeitenSloterdijks Regeln fur den Menschenpark im Volltext Dokumentation der Sloterdijk DebatteEinzelnachweise Bearbeiten Uber den Humanismus zuerst erschienen zusammen mit Platons Lehre von der Wahrheit bei Francke A G Bern 1947 Als selbstandige Schrift 1949 bei Vittorio Klostermann Frankfurt am Main Vgl Dirk Mende Brief uber den Humanismus Zu den Metaphern der spaten Seinsphilosophie In Dieter Thoma Hrsg Heidegger Handbuch Metzler Verlag Stuttgart 2003 S 254 Martin Heidegger Denkerfahrungen Frankfurt a M 1983 S 152 GA 9 S 236 GA 9 S 333f GA 9 S 364 GA 9 S 324 darin wohnend der Mensch eksistiert indem er der Wahrheit des Seins sie hutend gehort M Heidegger Uber den Humanismus S 24 Klostermann Frankfurt am Main 1949 GA 9 S 317 Siehe z B Erlauterungen zu Holderlins Dichtung GA 4 GA 9 S 317 Vgl Friedrich Wilhelm von Hermann Die Selbstinterpretation Martin Heideggers Meisenheim am Glan 1964 S 264 ff GA 9 S 337 Vgl Friedrich Wilhelm von Hermann Die Selbstinterpretation Martin Heideggers Meisenheim am Glan 1964 S 264ff Vgl GA 9 S 328 Vgl Dirk Mende Brief uber den Humanismus Zu den Metaphern der spaten Seinsphilosophie In Dieter Thoma Hrsg Heidegger Handbuch Metzler Verlag Stuttgart 2003 S 255 Jurgen Habermas Der Philosophische Diskurs der Moderne Zwolf Vorlesungen Frankfurt am Main 1985 S 185 GA 9 S 347 Vgl Dirk Mende Brief uber den Humanismus Zu den Metaphern der spaten Seinsphilosophie In Dieter Thoma Hrsg Heidegger Handbuch Metzler Verlag Stuttgart 2003 S 257f Normdaten Werk GND 4135604 4 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Brief uber den Humanismus amp oldid 237896528