www.wikidata.de-de.nina.az
Abhandlung uber die Wissenschaften und die Kunste Discours sur les sciences et les arts Paris 1750 ist eine Schrift des franzosisch schweizerischen Philosophen Jean Jacques Rousseau 1712 1778 die er als Antwort auf eine Preisfrage der Akademie von Dijon von 1749 verfasste und mit der er den Preis gewann Sie lautete Hat die Wiederherstellung der Wissenschaften und Kunste zur Veredelung der Sitten beigetragen Titel der ersten Druckausgabe Genf 1752Man nennt den Discours sur l inegalite auch Ersten Diskurs weil Rousseau funf Jahre spater am Wettbewerb um eine weitere Preisfrage der Akademie von Dijon teilnahm Er legte die Abhandlung uber den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen Discours sur l origine et les fondements de l inegalite parmi les hommes den Zweiten Diskurs vor und gewann erneut Eine neuere Ubersetzung des Titels hat sich in der wissenschaftlichen Diskussion durchgesetzt und den Begriff Abhandlung durch Diskurs ersetzt 1 Inhaltsverzeichnis 1 Entstehungsgeschichte 1 1 Die Preisfragen der franzosischen Akademien 1 2 Das Erweckungserlebnis auf dem Weg nach Vincennes 1 3 Existenzielle Herausforderung 1 4 Die Entscheidung der Akademie von Dijon 2 Gliederung Motti und erste Druckausgabe 3 Inhalt 3 1 Erster Teil 3 2 Zweiter Teil 4 Rezeption 5 Wirkung in der modernen Diskussion 6 Literatur 6 1 Textausgaben 6 2 Kommentare 6 3 Briefe 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseEntstehungsgeschichte BearbeitenDie Preisfragen der franzosischen Akademien Bearbeiten Die Academie francaise fuhrte seit 1670 einen concours academique akademischen Wettbewerb in Form einer in Zeitungen veroffentlichten Ausschreibung durch An diesem Wettbewerb konnte sich jedermann beteiligen auch nichtakademisch ausgebildete Menschen auch Frauen Die Teilnahme erfolgte anonym die Beitrage mussten mit einem weiteren verschlossenen Umschlag eingereicht werden der von aussen den Verfasser nicht erkennen liess Die Preisverleihungen waren im Rahmen der feierlichen offentlichen Sitzung seance publique der Akademien im engeren Sinne rituelle Veranstaltungen 2 Die Akademie von Dijon veroffentlichte 1749 im Mercure de France die oben genannte philosophische Preisfrage die in einem Aufsatz zu behandeln war der bis zum 1 April 1750 abgegeben werden musste Mit dem Begriff Wiederherstellung Retablissement war die Entwicklung von Wissenschaft und Kunst seit der Renaissance gemeint 3 Das Erweckungserlebnis auf dem Weg nach Vincennes Bearbeiten nbsp Jean Jacques RousseauIn seiner Autobiografie Die Bekenntnisse berichtet Rousseau wie er auf die Annonce reagierte die er zufallig auf dem Weg zu Diderot las der zu dieser Zeit im Hausarrest im Schloss Vincennes festgehalten wurde Eines Tages hatte ich den Mercure de France bei mir und wahrend ich ihn nun so im Gehen durchblatterte fielen meine Augen auf die von der Akademie zu Dijon fur das nachste Jahr aufgestellte Preisfrage Hat der Fortschritt der Wissenschaften und Kunste zum Verderb oder zur Veredelung der Sitten beigetragen Sobald ich diese Zeile gelesen sah ich rings um mich eine andere Welt und ward ein anderer Mensch Obgleich ich mich aufs lebhafteste der Wirkung dieser Zeilen auf mich erinnere sind mir die Einzelheiten jedoch entfallen Ganz deutlich erinnere ich mich jedoch dass ich in Vincennes in einer Erregung anlangte die an Wahnsinn grenzte Diderot bemerkte es Er spornte mich an meinen Gedanken freien Lauf zu lassen und mich um den Preis zu bewerben Ich tat es und von diesem Augenblick an war ich verloren Der ganze Rest meines Lebens und all meine Leiden war die unvermeidliche Wirkung dieses Augenblicks der Verirrung Jean Jacques Rousseau Die Bekenntnisse 4 Im Zweiten Brief an Malesherbes vom 12 Januar 1762 schildert er diese Szene noch erheblich emotionaler In vielen Gesprachen und Briefen ist Rousseau immer wieder auf diese Szene zuruckgekommen sodass sie auch in zeitgenossischen Bildern dargestellt wurde 5 Existenzielle Herausforderung Bearbeiten Diderot der ihm Ratschlage daruber gab wie er das Thema auffassen solle betrachtete das Ganze spielerisch er rechnete offenbar nicht damit dass Rousseau die Frage und die Antwort ernst nehmen konnte 6 Rousseau hingegen sah sich wie seine oben zitierte Schilderung zeigt existenziell herausgefordert Im Ruckblick erkannte er dass dies die erste von Drei Hauptschriften war als die er den Zweiten Diskurs und seine Abhandlung uber die Erziehung Emile ansah welche drei Arbeiten zusammen ein untrennbares Ganzes bilden 7 Die Arbeit an der Abhandlung veranlasste Rousseau neue Methoden zu entwickeln um seine Gedanken zu konzentrieren und zu Papier zu bringen Die Entscheidung der Akademie von Dijon Bearbeiten Rousseaus Abhandlung trug die Nr 7 von insgesamt 14 Beitragen Auf dem Umschlag stand ein Zitat aus der Ars poetica von Horaz Decipimur specie recti Wir werden durch den Anschein des Wahren getauscht Ein Beitrag wurde verworfen die anderen innerhalb einer Kommission verlesen diskutiert und die Ergebnisse dokumentiert Am 10 Juli 1750 wurde ihm der Preis zuerkannt Er bestand aus einem handfesten Preisgeld von 300 livres etwa dem Jahresgehalt eines zeitgenossischen Handwerkers 8 Rousseau bedankte bei der Akademie sich mit einem Brief vom 18 Juli 1750 der zeigt dass er sich bewusst war wie provozierend seine Thesen auf andere gewirkt haben mussten Sie beehren mich mit einem Preis um den ich konkurriert habe ohne darauf Anspruch zu machen und welcher fur mich umso mehr Wert hat je weniger ich ihn erwartet Indem ich Ihre Achtung Ihren Belohnungen vorzog habe ich es gewagt vor Ihnen und gegen Ihre eigenen Interessen eine Sache zu verfechten welche ich fur die der Wahrheit hielt und Sie haben meinen Mut gekront 9 Jetzt begann er zu uberlegen nicht mehr als Hauslehrer sondern als freier Schriftsteller tatig zu sein und setzte es wenige Monate spater in die Tat um Der Erfolg meiner ersten Abhandlung erleichterte mir die Verwirklichung meines Beschlusses Sobald ihr der Preis zuerkannt worden war ubernahm es Diderot sie drucken zu lassen Wahrend ich noch im Bette lag schrieb er mir ein paar Zeilen um mich von der Veroffentlichung und ihrer Wirkung in Kenntnis zu setzen Sie schwingt sich schrieb er mir uber alle Wolken empor ein derartiger Erfolg ist noch niemals dagewesen Diese auf keine Weise erschlichene Gunst des Publikums fur einen unbekannten Autor gab mir die erste wahre Zuversicht in mein Talent an der ich einem inneren Gefuhle zum Trotz bis dahin noch immer gezweifelt hatte Jean Jacques Rousseau Die Bekenntnisse 10 Gliederung Motti und erste Druckausgabe Bearbeiten nbsp Charles Bordon Jean Charles Baquoy 1752Der Text des Diskurses gliedert sich in ein Vorwort eine kurze Wiedergabe der gestellten Aufgabe das exordium der klassischen Rhetorik 11 sowie einen ersten und einen zweiten Teil Die erste Genfer Auflage von 1752 zeigt auf dem Deckblatt nicht den Namen Rousseaus sondern den Vermerk von einem Genfer Burger sowie ein Zitat von Ovid Barbarus hic ego sum quia non intelligor illis Hier bin ich ein Barbar denn ich werde von den Einwohnern nicht verstanden Das Frontispiz zeigt einen Kupferstich von Charles Bordon der die Begegnung zwischen Prometheus der gerade das Feuer zu den Menschen bringt und einem torichten Satyr zeigt der es kussen will weil er noch nie dem Feuer begegnet ist Prometheus spricht Satyr Du kennst das nicht wie Rousseau in einer Anmerkung erlautert 12 Das Zitat und die Illustration vermittelt dem Leser die Botschaft dass der Autor nicht damit rechnet von seinen Lesern verstanden zu werden 13 Das Vorwort bereitet den Leser darauf vor dass er es mit umstrittenen Thesen zu tun bekommen wird Diese Frage ist eine der bedeutendsten und trefflichsten die je aufgeworfen wurden Geht es doch Um eine jener Wahrheiten die das Gluck des Menschengeschlechts beruhren Ich sehe voraus dass mir der Standpunkt den ich einzunehmen wage schwerlich verziehen werden wird Da ich gleichsam gegen alles verstosse was heute die Bewunderung der Menschen auf sich zieht Mein Entschluss steht dennoch fest ich kummere mich weder darum Schongeistern noch Modegotzen zu gefallen Jean Jacques Rousseau Abhandlung uber die Wissenschaften und die Kunste 14 Inhalt BearbeitenErster Teil Bearbeiten Der erste Teil beginnt mit einem historischen Ruckblick auf die Entwicklung der Kunste die sich in der Antike entwickelten deren Quellen nach dem Sturz des konstantinischen Thrones 1453 durch muslimische Wissenschaftler gerettet und dann in der Neuzeit zur Grundlage unseres europaischen Wissens geworden seien Wenn in dem Diskurs von Kunsten die Rede ist mussen wir uns vor Augen halten dass der Begriff arts damals anders als heute zwei Bedeutungen hatte Im Franzosischen bedeuten die Kunste arts sowohl die schonen Kunste beaux arts wie Literatur Musik und Malerei als auch die mechanischen Kunste arts mecaniques worunter heute die Technik verstanden wird 15 Rousseau setzt die von den Menschen schon in der Antike entwickelten Schonen Kunste ebenso wie ihre Techniken Kunst Im Sinne von Handwerk und Kunsthandwerk gegen die Natur ab die nicht von Menschen verandert worden ist Schon ganz zu Beginn deutet er auch auf das noch viel fruhere Beispiel der Wilden Amerikas die nackt umherlaufen 16 das er spater im zweiten Diskurs noch ausfuhrlich darlegen wird In den nachfolgenden Passagen spricht Rousseau dann aber auch von sozialen Umgangsformen die er ebenfalls als Kunst bezeichnet so der Hoflichkeit den Manieren dem raffinierten Geschmack zu gefallen und wie sie durch Verfeinerung zahllose Laster nach sich gezogen hatten wir den Argwohn Gefuhlskalte den Hass und den Verrat die sich hinter diesem gleichformigen betrugerischen Deckmantel der Hoflichkeit verstecken 17 So gleitet das Thema von den Kunsten weg zu moralischen Erwagungen und unserem Verhalten in der Gesellschaft Er zitiert zustimmend Montaignes Kritik Montaigne Essais III 8 daran vor den Grossen eine Schau abzugeben und um die Wette mit seinem Witz und seinem Geschwatz zu paradieren 18 Wurden Bewohner eines entlegenen Landstrichs versuchen sich von den europaischen Sitten ein Bild zu machen erhielten sie wegen der standigen aber stets nur formal bleibenden gegenseitigen Gefalligkeiten einen vollig falschen Eindruck von der tatsachlichen Situation 19 Ein weiterer historischer Ruckblick der nach Agypten zu den Persern nach Konstantinopel und erneut nach Rom und Griechenland fuhren wird gezeigt dass der Zuwachs an Wissen immer mit einer Verfeinerung der Sitten und der Entwicklung aller damit verbundenen Laster einhergegangen ist Als wesentliches Beispiel dient ihm der Unterschied zwischen Athen und Sparta Athen wurde die Heimstatt der Hoflichkeit des guten Geschmacks das Land der Redner und Philosophen Die Eleganz seiner Bauwerke entsprach der seiner Sprache Unser Bild von Lakedamonien hingegen ist weniger glanzvoll Von seinen Bewohnern ist uns nichts als das Andenken an ihre Heldentaten geblieben Sollten wir solche Denkmaler etwa geringer schatzen als die eigentumlichen Marmorbilder die uns Athen hinterlassen hat 20 Der erste Teil schliesst mit einer rhetorisch beeindruckenden Formel Ihr Volker lasst Euch gesagt sein Die Natur wollte Euch vor der Wissenschaft bewahren ebenso wie eine Mutter ihrem Kind eine gefahrliche Waffe aus den Handen reisst All die Geheimnisse die sie vor Euch verbirgt sind ebenso viele Ubel vor denen sie Euch schutzt die Muhe die es Euch kostet Wissen zu erlangen ist nicht die geringste ihrer Wohltaten Die Menschen sind widernaturlich sie waren noch schlimmer ware ihnen das Ungluck widerfahren gelehrt auf die Welt zu kommen 21 Zweiter Teil BearbeitenDer zweite Teil beginnt mit polemischen Ausserungen die die zuvor entwickelten Thesen unterstutzen sollen Die Sternkunde hat sich aus dem Aberglauben entwickelt die Beredsamkeit aus Ehrsucht Hass Schmeichelei und Luge die Landvermessung aus dem Geiz die Naturlehre aus nutzloser Wissbegier Wissenschaften und Kunste haben ihre Geburt also unseren Lasten zu verdanken Jean Jacques Rousseau Abhandlung uber die Wissenschaften und die Kunste 22 Diesem Auftakt folgen dann detaillierte Uberlegungen zu praktischen und moralischen Problemen jeder Wissenschaft die sich um Wahrheit bemuht Besonders verderblich sei es wenn Wissenschaft zur Erweiterung des Reichtums des Luxus eingesetzt werde Armere Nationen Mazedonier Skythen Franken seien immer wehrhafter gewesen als die die grossen Reiche die im Luxus geschwelgt hatten 23 Kunstler seien gierig nach Beifall und wagten es daher nicht von der Mode abzuweichen In dieser Passage spricht er Voltaire unmittelbar an Sag uns doch beruhmter Arouet wie viele mannhafte und kraftvolle Schonheiten Du unserer falschen Empfindsamkeit geopfert hast Und wie viel die Neigung zur Galanterie die in kleinen Dingen so fruchtbar ist Dich an grossen gekostet hat 24 Ausdrucklich erwahnt er noch die Maler Carle van Loo Jean Baptiste Pierre und den Bildhauer Jean Baptiste Pigalle beruhmte Kunstler die nicht genugend seelische Standfestigkeit hatten um sich mit Praxiteles und Phidias vergleichen zu konnen Pigalle Du Unnachahmlicher Deine Hand wird sich damit abfinden mussen den Bauch einer Affenfigur zu polieren oder aber mussig zu bleiben 25 Uberall wo die Kunste und der damit verbundene Luxus sich verbreiteten sanken der Mut die korperliche Kraft und die militarische Leistung Rousseau belegt das an einigen historischen Beispielen Die folgende Passage betrachtet das Problem aus der Sicht der Wissenschaftler und Kunstler Sie jagten nicht dem Geld hinterher wohl aber dem Ruhm und so gebe es zahllose Wissenschaftler die in grosser Armut und ruhmlos vor sich hin leben mussten 26 Die Akademien konnten daran etwas andern nicht zuletzt durch die Preisfragen Auch andere Institutionen zum Vorteil der Gelehrten sollten geschaffen werden wobei es nicht in erster Linie um die Philosophen und deren Bucher gehe 27 In einer ausfuhrlichen Anmerkung Nr 10 aussert er sich kritisch uber dieses entsetzliche Durcheinander das der Buchdruck in Europa bereits angerichtet hat weil so auch die gefahrlichen Phantasmen eines Hobbes oder eines Spinoza immerdar erhalten bleiben Zustimmend zitiert er den Kalifen Omar der uber den Brand der Bibliothek von Alexandria gesagt haben soll Wenn die Bucher etwas enthalten das im Widerspruch zum Koran steht sind sie schlecht und man muss sie verbrennen Wenn darin nichts anderes als die Lehre des Korans steht sollt ihr sie ebenso verbrennen denn sie sind uberflussig 28 Das Ende der Abhandlung steigert sich zu einem rhetorischen Gebet Allmachtiger Gott Du der Du die Geister in Deinen Handen haltst befreie uns vom Licht der Aufklarung und den unheilvollen Kunsten unserer Vater und gib uns Unwissenheit Unschuld und Armut zuruck die einzigen Guter die unser Gluck ausmachen und die in Deinen Augen Bestand haben Jean Jacques Rousseau Abhandlung uber die Wissenschaften und die Kunste 29 Rezeption BearbeitenJean Jacques Rousseau gehorte selbst zu den Enzyklopadisten aber er spurte instinktiv dass der Mensch nicht nur ein vernunftgesteuertes Wesen ist ein Hinweis den die anderen Autoren der Enzyklopadie so vor allem Diderot der sich schnell fur den Druck des Diskurses einsetzte nicht als grundsatzlichen Angriff sondern als interessanten Diskussionsbeitrag ansahen Der Grund Der Diskurs beinhaltet keine pauschale Fortschrittskritik Was Rousseau tadelt ist weniger das Phanomen des Fortschritts selbst als vielmehr ein bestimmtes Konzept von Fortschritt und zwar dasjenige das die philosophes vertreten 30 Jean Le Rond d Alembert der Rousseau zur Mitarbeit an den Musikartikeln der Enzyclopedie eingeladen hatte war von der Schilderung des Naturzustandes im ersten Teil uberzeugt wandte sich aber in seiner Einfuhrung in die Enzyclopedie gegen die Behauptung Wissenschaften und Kunste seien nicht als kulturelle Errungenschaften zu betrachten Selbst dann wenn wir die menschlichen Kenntnisse desavouieren wurden wovon wir weit entfernt sind sind wir noch weiter davon entfernt zu glauben man solle sie zerstoren Die Laster wurden uns bleiben und wir hatten die Unwissenheit noch dazu 31 Die Veroffentlichung des Diskurses fur die Diderot schon 1952 gesorgt hatte fuhrte in Frankreich zu heftigen Kontroversen Der provozierende Ton Rousseaus beruht moglicherweise darauf dass er die Preisfrage nur deshalb mit NEIN beantwortet hat weil Diderot ihm geraten haben soll eine Minderheitsmeinung zu formulieren um so mehr Aufsehen zu erregen Tatsachlich hatte Rousseau schon ganz zu Beginn die Fragestellung erweitert und schrieb Hat die Wiederherstellung der Wissenschaften und der Kunste dazu beigetragen die Sitten zu erlautern oder sie zu verderben und erst so die Zuspitzung erreicht die er dann im Einzelnen durchfuhrt Daraus ergibt sich fur Beatrice Durand folgende Frage Ist Rousseaus erste kulturkritische Schrift also seinem eigenen Opportunismus und Diderots cleveren Coaching zu verdanken Die Frage ist nicht zu klaren 32 Der Diskurs wurde vom Chefredakteur des Mercure de France Raynal besprochen ebenso von Friedrich Melchior Grimm von dem Schweizer Bordes von Lecat Sekretar der Akademie der Wissenschaften zu Rouen und nicht zuletzt von dem philosophisch interessierten polnischen Konig Stanislaus I Rousseau reagierte auf diese Rezensionen mit Briefen an die Verfasser 33 Ein Jahr spater wurde der Diskurs ins Englische und 1752 ins Deutsche ubersetzt und dort gedruckt Die Reaktionen in Deutschland Gottsched von Haller Lessing waren uberwiegend kritisch Albrecht von Haller bezeichnete sie als Satire Lessing allerdings hatte erkannt dass Rousseau in erster Linie die Gefahrdung der Moral durch Kunst und Wissenschaften in den Vordergrund gestellt hatte und stimmte ihm zu Der Einfluss des Diskurses reichte noch 30 Jahre spater bis nach Preussen als die dortige Akademie fur das Jahr 1780 die Preisfrage uber den Einfluss der Regierung auf die Wissenschaften stellte Johann Gottfried Herder gewann 34 Wirkung in der modernen Diskussion BearbeitenCharles Darwin hat mit seiner heute nur noch von Kreationisten bestrittenen These der Mensch habe sich aus der Natur entwickelt die Hypothese Rousseaus bestatigt dass unsere Natur es ist aus der sich Wissenschaft und Kunste entwickeln und in der sie verankert bleiben Wir schaffen mithilfe von Wissenschaft und Technik zahllose Kulturprodukte die zwar als kunstliche Produkte erscheinen aber doch immer auch ein Teil der Natur bleiben Diese menschlichen Produkte werden zweite Natur genannt und sind eng mit der ersten Natur der Natur ausserhalb und innerhalb des Menschen und mit der menschlichen Kultur verbunden 35 Rousseaus Idee Wissenschaft und Kunste mussten sich immer wieder auf ihre naturlichen Grundlagen besinnen auch wenn niemand von uns in den Naturzustand zuruckkehren konne entspricht diesem Forschungsstand Rousseau deutet sie im ersten Diskurs an im zweiten Diskurs hat er sie vertieft 36 Seine romantischen Darlegungen uber das verlorene Gluck in der Fruhzeit kann die jungere Forschung allerdings nicht bestatigen Werner Batzing Eine Harmonie zwischen Mensch und Natur hat es nie gegeben 37 Da wir unsere kulturellen Leistungen untrennbar mit der Natur verknupft haben durfte das grosste Hindernis zur Losung der Umweltkrise der Mensch selbst sein Die moderne Welt mit ihren scheinbar unendlichen Moglichkeiten bietet dem Wesen ohne feste Mitte eine ideale Projektionsflache um alle Begrenzungen und Sachzwange der Erde und des eigenen Korpers zu vergessen Ein solch grenzenloser und uberheblicher Mensch ist ein homo destructor der sich selbst und seine Welt zerstort 38 Rousseau skizziert die Moral als zivilisatorische Errungenschaft die aber gleichzeitig durch die Entwicklung der Wissenschaften und Kunste korrumpiert werde Diese schadliche Entwicklung will er umkehren Das geschieht aus der Sicht seiner Zeit Wurde man den Text feministischen oder post kolonialen Theoretikern vorlegen wurden sie ihn wahrscheinlich fur politisch vollig inkorrekt erklaren Es bleibt damit zunachst die Eloquenz die Fahigkeit zur Emporung mit der Rousseau den Argwohn gegenuber dem Scheinfortschritt vortragt 39 Die jungere biologisch psychologische Forschung zeigt dass wir unsere kulturellen Konstruktionen in gewisser Weise andern konnen unsere biologisch psychologischen Grundlagen entziehen sich aber direkten Eingriffen sie konnen sich nur auf der Ebene der Gene und der Epigenetik verandern Robert Sapolsky Viele unserer besten Manifestation von Moral und Mitgefuhl sind nicht einfach ein Produkt der menschlichen Zivilisation sondern haben weit tiefere und altere Wurzeln 40 Rousseaus Kritik an Hobbes These dass die Menschen zum Krieg aller gegen alle verdammt seien wird durch die jungere Forschung ebenfalls bestatigt Sie zeigt dass auch die menschlichen Moralvorstellungen sich naturgeschichtlich entwickelt haben Gewalt und Mitgefuhl sind keine gegensatzlichen Alternativen sondern untrennbar und auf hochst komplexe Weise miteinander verbunden Michael Tomasello es ist ein Wunder dass wir moralisch sind und es hatte nicht so kommen mussen und deshalb sollten wir die Tatsache feiern dass die Moral irgendwie gut fur unsere Spezies unsere Kultur und uns selbst zu sein scheint zumindest bis jetzt 41 Literatur BearbeitenTextausgaben Bearbeiten Discours sur les sciences et les arts Abhandlung uber die Wissenschaften und die Kunste 1770 Franzosisch Deutsch Herausgegeben Durand Beatrice ubersetzt von D Butz Striebel in Zusammenarbeit mit M L Petrequin herausgegeben von B Durand Reclam Stuttgart 2012 ISBN 978 3 150186 7 94Kommentare Bearbeiten Johannes Rohbeck Lieselotte Steinbrugge Hrsg Jean Jacques Rousseau Die beiden Diskurse zur Zivilisationskritik Erster Diskurs uber die Wissenschaften und die Kunste 1750 Zweiter Diskurs uber die Ungleichheit 1755 Ottfried Hoffe Hrsg Klassiker auslegen Band 53 de Gruyter Berlin Munchen 2015 ISBN 978 3 11 037522 0 archive org PDF Briefe Bearbeiten Jean Jacques Rousseau Ausgewahlte Briefe Internet Archive 1872 abgerufen am 24 November 2023 Ubersetzer Fr Wiegand Verlag des Bibliografischen Instituts Hildburghausen 1872 Jean Jacques Rousseau Ich sah eine andere Welt Philosophische Briefe Hrsg Henning Ritter Hanser Munchen 2012 ISBN 978 3 446 16027 9 S 370 mit einer Chronik einer Beschreibung der Briefempfanger und einem Nachwort von Henning Ritter Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Abhandlung uber die Wissenschaften und die Kunste Sammlung von Bildern Videos und Audiodateien Literatur von und uber Abhandlung uber die Wissenschaften und die Kunste im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek Werke von und uber Abhandlung uber die Wissenschaften und die Kunste in der Deutschen Digitalen BibliothekEinzelnachweise Bearbeiten Jean Jacques Rousseau Diskurs uber die Ungleichheit Ed Meier UTB 2008 S 4 Fussnote 1 Die Ubersetzung Abhandlung trifft weder die literarische Form noch macht sie den Verweisungszusammenhang transparent Discours heisst im Franzosischen ausserdem und zuallererst gesprochene Rede Heinrich Meier Martin Urmann Die Preisfragen der franzosischen Akademien logbuch Wissensgeschichte 21 Marz 2021 abgerufen am 12 November 2023 Beatrice Durand Nachwort In Jean Jacques Rousseau Abhandlung uber die Wissenschaften und die Kunste Reclam Stuttgart 2012 ISBN 978 3 15 018679 4 S 109 franzosisch Discours sur les sciences et les arts 1750 Jean Jacques Rousseau Die Bekenntnisse Internet Archive S 459 ff abgerufen am 2 November 2023 Januarius Zick Die Tranen der Reflexion In FAZ aktuell Internet Archive 1770 abgerufen am 2 November 2023 Henning Ritter Nachwort In Jean Jacques Rousseau Philosophische Briefe Carl Hanser Munchen 2012 ISBN 978 3 446 16027 9 S 381 Jean Jacques Rousseau Brief an Malesherbes vom 12 Januar 1762 In Jean Jacques Rousseau Selbstbildnis Aus den Autobiografischen Schriften ausgewahlt und herausgegeben von Ferdinand Lion Manesse Verlag Conzett amp Huber Zurich 1960 S 615 ff Martin Urmann Die Preisfragen der franzosischen Akademien logbuch Wissensgeschichte 21 Marz 2021 abgerufen am 12 November 2023 Jean Jacques Rousseau Ausgewahlte Briefe Internet Archive 1872 abgerufen am 24 November 2023 Ubersetzer Fr Wiegand Verlag des Bibliografischen Instituts Hildburghausen Jean Jacques Rousseau Die Bekenntnisse 1782 S 476 ff abgerufen am 24 November 2023 Herr Beatrice Durand Nachwort In Jean Jacques Rousseau Abhandlung uber die Wissenschaften und die Kunste Reclam Stuttgart 2012 ISBN 978 3 15 018679 4 S 27 franzosisch Discours sur les sciences et les arts 1750 Jean Jacques Rousseau Abhandlung uber die Wissenschaften und die Kunste Discours sur les sciences et les arts 1750 Reclam Stuttgart 2012 ISBN 978 3 15 018679 4 S 45 Anm 1 und S 97 Anm 57 9 Beatrice Durand Nachwort In Jean Jacques Rousseau Abhandlung uber die Wissenschaften und die Kunste Reclam Stuttgart 2012 ISBN 978 3 15 018679 4 S 28 franzosisch Discours sur les sciences et les arts 1750 Jean Jacques Rousseau Abhandlung uber die Wissenschaften und die Kunste Discours sur les sciences et les arts 1750 Reclam Stuttgart 2012 ISBN 978 3 15 018679 4 S 11 Johannes Rohbeck Lieselotte Steinbrugge Einfuhrung In Johannes Rohbeck Lieselotte Steinbrugge Hrsg Jean Jacques Rousseau Die beiden Diskurse zur Zivilisationskritik Erster Diskurs uber die Wissenschaften und die Kunste 1750 Zweiter Diskurs uber die Ungleichheit 1755 Otfried Hoffe Hrsg Klassiker auslegen Band 53 de Gruyter Berlin Munchen 2015 ISBN 978 3 11 037522 0 S 2 FN 1 archive org PDF Jean Jacques Rousseau Abhandlung uber die Wissenschaften und die Kunste Discours sur les sciences et les arts 1750 Reclam Stuttgart 2012 ISBN 978 3 15 018679 4 S 19 Anm 1 Jean Jacques Rousseau Abhandlung uber die Wissenschaften und die Kunste Discours sur les sciences et les arts 1750 Reclam Stuttgart 2012 ISBN 978 3 15 018679 4 S 21 ff Michel de Montaigne Essais Die Andere Bibliothek Eichborn Frankfurt am Main 1998 ISBN 3 8218 4472 8 S 462 franzosisch Essais 1592 Ubersetzt von Hans Stilett Jean Jacques Rousseau Abhandlung uber die Wissenschaften und die Kunste Discours sur les sciences et les arts 1750 Reclam Stuttgart 2012 ISBN 978 3 15 018679 4 S 25 Jean Jacques Rousseau Abhandlung uber die Wissenschaften und die Kunste Discours sur les sciences et les arts 1750 Reclam Stuttgart 2012 ISBN 978 3 15 018679 4 S 33 Jean Jacques Rousseau Abhandlung uber die Wissenschaften und die Kunste Discours sur les sciences et les arts 1750 Reclam Stuttgart 2012 ISBN 978 3 15 018679 4 S 41 ff Jean Jacques Rousseau Abhandlung uber die Wissenschaften und die Kunste Discours sur les sciences et les arts 1750 Reclam Stuttgart 2012 ISBN 978 3 15 018679 4 S 45 Jean Jacques Rousseau Abhandlung uber die Wissenschaften und die Kunste Discours sur les sciences et les arts 1750 Reclam Stuttgart 2012 ISBN 978 3 15 018679 4 S 53 Jean Jacques Rousseau Abhandlung uber die Wissenschaften und die Kunste Discours sur les sciences et les arts 1750 Reclam Stuttgart 2012 ISBN 978 3 15 018679 4 S 55 Jean Jacques Rousseau Abhandlung uber die Wissenschaften und die Kunste Discours sur les sciences et les arts 1750 Reclam Stuttgart 2012 ISBN 978 3 15 018679 4 S 57 Jean Jacques Rousseau Abhandlung uber die Wissenschaften und die Kunste Discours sur les sciences et les arts 1750 Reclam Stuttgart 2012 ISBN 978 3 15 018679 4 S 67 ff Jean Jacques Rousseau Abhandlung uber die Wissenschaften und die Kunste Discours sur les sciences et les arts 1750 Reclam Stuttgart 2012 ISBN 978 3 15 018679 4 S 69 ff Jean Jacques Rousseau Abhandlung uber die Wissenschaften und die Kunste Discours sur les sciences et les arts 1750 Reclam Stuttgart 2012 ISBN 978 3 15 018679 4 S 73 ff Jean Jacques Rousseau Abhandlung uber die Wissenschaften und die Kunste Discours sur les sciences et les arts 1750 Reclam Stuttgart 2012 ISBN 978 3 15 018679 4 S 75 Michaela Rehm Aufklarung uber Fortschritt Die systematischen Ursachen der Zivilisation Erster Diskurs zweiter Teil In Johannes Rohbeck Lieselotte Steinbrugge Hrsg Jean Jacques Rousseau Die beiden Diskurse zur Zivilisationskritik Erster Diskurs uber die Wissenschaften und die Kunste 1750 Zweiter Diskurs uber die Ungleichheit 1755 Otfried Hoffe Hrsg Klassiker auslegen Band 53 de Gruyter Berlin Munchen 2015 ISBN 978 3 11 037522 0 S 54 ff archive org PDF Beatrice Durand Nachwort In Jean Jacques Rousseau Abhandlung uber die Wissenschaften und die Kunste Reclam Stuttgart 2012 ISBN 978 3 15 018679 4 S 108 franzosisch Discours sur les sciences et les arts 1750 Beatrice Durand Nachwort In Jean Jacques Rousseau Abhandlung uber die Wissenschaften und die Kunste Reclam Stuttgart 2012 ISBN 978 3 15 018679 4 S 105 franzosisch Discours sur les sciences et les arts 1750 Beatrice Durand Nachwort In Jean Jacques Rousseau Abhandlung uber die Wissenschaften und die Kunste Reclam Stuttgart 2012 ISBN 978 3 15 018679 4 S 103 franzosisch Discours sur les sciences et les arts 1750 Simone Zurbuchen Zur Wirkungsgeschichte der beiden Diskurse In Johannes Rohbeck Lieselotte Steinbrugge Hrsg Jean Jacques Rousseau Die beiden Diskurse zur Zivilisationskritik Erster Diskurs uber die Wissenschaften und die Kunste 1750 Zweiter Diskurs uber die Ungleichheit 1755 Otfried Hoffe Hrsg Klassiker auslegen Band 53 de Gruyter Berlin Munchen 2015 ISBN 978 3 11 037522 0 S 200 archive org PDF Werner Batzing Homo Destructor eine Mensch Umweltgeschichte von der Entstehung des Menschen zur Zerstorung der Welt C H Beck Munchen 2023 ISBN 978 3 406 80668 1 S 33 Jean Jacques Rousseau Abhandlung uber den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen Reclam Stuttgart 2012 ISBN 978 3 15 001770 8 S 133 Anmerkung i Werner Batzing Homo Destructor eine Mensch Umweltgeschichte von der Entstehung des Menschen zur Zerstorung der Welt C H Beck Munchen 2023 ISBN 978 3 406 80668 1 S 38 Werner Batzing Homo Destructor eine Mensch Umweltgeschichte von der Entstehung des Menschen zur Zerstorung der Welt C H Beck Munchen 2023 ISBN 978 3 406 80668 1 S 389 Beatrice Durand Nachwort In Jean Jacques Rousseau Abhandlung uber die Wissenschaften und die Kunste Reclam Stuttgart 2012 ISBN 978 3 15 018679 4 S 113 116 franzosisch Discours sur les sciences et les arts 1750 Robert Sapolsky Gewalt und Mitgefuhl die Biologie des menschlichen Verhaltens Hanser Munchen 2017 S 863 englisch Behave The Biology of Humans at Our Best and Worst 2017 Ubersetzt von Heiner Kober ISBN 978 3 15 018679 4 Michael Tomasello Eine Naturgeschichte der menschlichen Moral Suhrkamp Berlin 2016 ISBN 978 3 518 58695 2 S 246 ff englisch A Natural History of Human Morality 2016 Ubersetzt von Jurgen Schroder Werke von Jean Jacques Rousseau Abhandlungen Hat die Wiederherstellung der Wissenschaften und Kunste dazu beigetragen die Sitten zu reinigen Abhandlung uber Ursprunge und Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen Brief an d Alembert uber das Schauspiel Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechtes Emile oder Uber die ErziehungOper Le devin du villageRoman Julie oder Die neue HeloiseAutobiographie Die Bekenntnisse Rousseau richtet uber Jean Jacques Traumereien eines einsamen Spaziergangers Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Abhandlung uber die Wissenschaften und die Kunste amp oldid 239622802