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Mit dem Begriff Karntner Windischentheorie werden die Thesen eines vom Karntner deutschnationalen Historiker Martin Wutte 1927 verfassten Aufsatzes 1 bezeichnet der sich unter Anfuhrung geografischer okonomischer anthropologischer historischer kultureller linguistischer und politischer Argumente mit der Bevolkerung im gemischtsprachigen Gebiet Karntens befasst Kernthesen sind dass die Karntner Slowenen den Deutschkarntnern naher stunden als den Krainer Slowenen und dass sie sich in zwei Gruppen heimatbewusste deutschfreundliche Slowenen und nationale Slowenen unterschieden Der Aufsatz ist keine wissenschaftliche Arbeit sondern vor allem in der Schlusszusammenfassung die mit der Unterscheidung in nationale und heimattreue Slowenen endet und manchmal als sozialdarwinistisch bezeichnet wird eher eine Art politische Uberzeugungsschrift Der Aufsatz ist eine Reaktion auf einen kurz zuvor erschienenen Artikel in der slowenischen Zeitung Slovenec Die linguistischen Argumente gelten als wissenschaftlich widerlegt Die Begriffe windisch bis ins 19 Jahrhundert und teilweise bis heute eine wertneutrale deutsche Bezeichnung fur das seitdem ublich gewordene slowenisch oder auch fur slawisch im Allgemeinen vgl wendisch bzw Windischentheorie konnen bei Karntnern aller Sprachgruppen Assoziationen auslosen die zu sehr emotionalen Diskussionen fuhren Die Ursache dafur liegt in der Volksabstimmung von 1920 uber die staatliche Zugehorigkeit Unterkarntens In der Volkszahlung 2001 nannten 14 010 Karntner Slowenisch als Umgangssprache und 556 Windisch 2 Inhaltsverzeichnis 1 Historischer Hintergrund 2 Kernthesen der Windischentheorie 2 1 Gemeinsames Wohngebiet 2 2 Lebens und Wirtschaftsgemeinschaft 2 3 Abstammung 2 4 Gemeinsamkeit der geschichtlichen Erlebnisse 2 5 Kulturgemeinschaft 2 6 Sprache 2 7 Nationalgefuhl Nationalbewusstsein und nationales Bekenntnis 2 8 Schlussfolgerung 3 Wissenschaftliche Bewertung der Windischentheorie 4 Mythen rund um die Windischentheorie 5 Karntner Slowenen und Windische heute 6 Quellen 7 Literatur 8 Siehe auchHistorischer Hintergrund BearbeitenDer sudostliche Teil Karntens war und ist zweisprachiges Gebiet Deutsch und Slowenisch Um die Jahrhundertwende wurden sowohl von deutschen als auch von slowenischen Nationalisten die Unterschiede zwischen der slowenischen Schriftsprache und den slowenischen Dialekten in Karnten ubertrieben dargestellt 3 Nach dem Ersten Weltkrieg wurde in der Volksabstimmung von 1920 uber die staatliche Zugehorigkeit des Gebiets zu Osterreich oder zum SHS Staat entschieden 4 Laut Volkszahlung von 1910 verwendete die Mehrheit der Bevolkerung Slowenisch als Umgangssprache die Abstimmung ging jedoch zu Gunsten Osterreichs aus Diese Entscheidung ist nicht ungewohnlich Auch in den meisten anderen damaligen Volksabstimmungen entschieden die Stimmberechtigten mehrheitlich fur den Verbleib in ihrem bisherigen Staatsverband und gegen einen Anschluss an einen Staat der ihre Umgangssprache als Amtssprache verwendete Im ostpreussischen Masuren 98 fur Deutschland im westpreussischen Abstimmungsgebiet 92 fur Deutschland und in Oberschlesien 60 fur Deutschland ebenso wie im mehrheitlich deutschsprachigen Odenburger Gebiet das sich gegen Osterreich und fur den Verbleib bei Ungarn 65 entschied Lediglich im nordlichen Teil des Schleswiger Abstimmungsgebiets votierte die Bevolkerung mit 75 fur einen Wechsel zu Danemark In Karnten wo die Abstimmung relativ knapp ausging 59 04 fur Osterreich musste die Entscheidung zwangslaufig starker als anderswo zu einer Spaltung der Bevolkerung in Gewinner und Verlierer fuhren Kernthesen der Windischentheorie BearbeitenWutte nimmt in seiner Einleitung unmittelbar auf das Ergebnis der Volksabstimmung Bezug und versucht die Karntner Slowenen durch Zitierung von enttauschten Pressestimmen aus Slowenien zu vereinnahmen Wahrend das Land Karnten ihnen den Beinamen Heimattreue Slowenen verliehen hatte wurden sie slowenische Medien als traurige in jeder Hinsicht demoralisierte Renegatenfiguren bezeichnen Damit bereitet er eine Argumentationskette vor die die Karntner Slowenen offenbar uberzeugen soll dass sie sich richtig entschieden haben In einer eher langlichen Betrachtung des Nationsbegriffs zitiert er u a Otto Bauer Ignaz Seipel Karl Renner Tomas Garrigue Masaryk sowie mehrere sudslawische Politiker um daraus eine Definition der volkischen Zugehorigkeit nach folgenden Kategorien abzuleiten Gemeinsames Wohngebiet Lebens und Wirtschaftsgemeinschaft Abstammung Gemeinsamkeit der geschichtlichen Erlebnisse Kulturgemeinschaft Sprache Nationalgefuhl Nationalbewusstsein und nationales Bekenntnis Daraus leitet Wutte folgende Thesen ab Gemeinsames Wohngebiet Bearbeiten Ahnlich wie die Schweizer trotz unterschiedlicher Sprachen ein Volk bilden so seien auch Deutsche und Slowenen in Karnten zu einem Volk dem Volk der Karntner zusammengewachsen Die Trennung von Krain durch das Karawankengebirge liessen slowenische wie auch deutsche Karntner ihre Zukunft nur in Karnten sehen Lebens und Wirtschaftsgemeinschaft Bearbeiten Das zweisprachige Gebiet in Karnten sei wirtschaftlich auf den Karntner Zentralraum ausgerichtet Aus der Sicht des slowenischen Zentralraumes sei es nur eine Peripherie ohne Nahe zu einem wirtschaftlichen Zentrum Abstammung Bearbeiten Seit dem fruhen Mittelalter wurden sich die deutschen und slowenischen Karntner mischen Sie stunden daher abstammungsmassig einander naher als den jeweiligen Angehorigen der gleichen Sprachgruppe jenseits der Karntner Grenzen Mit genetischen Mischehen anthropologischen und onomastischen Argumenten versucht Wutte seine These zu untermauern die Karntner Slowenen seien ein Mischvolk Gemeinsamkeit der geschichtlichen Erlebnisse Bearbeiten Deutsche und slowenische Karntner hatten im Lauf der Geschichte gemeinsam gegen Turken Ungarn Franzosen und Italiener gekampft und sie hatten gemeinsam von den Reformen Maria Theresias und Josefs II profitiert Durch gemeinsames Erleben seien sie zu einer Schicksalsgemeinschaft geworden Kulturgemeinschaft Bearbeiten Durch die lange politische Zugehorigkeit zum deutschen Norden stunden die Karntner Slowenen den Deutschen kulturell sehr nahe Dies versucht Wutte beispielhaft u a durch Brauchtum Sagen Versmass der Lieder etc zu belegen Sprache Bearbeiten Die Sprache der Karntner Slowenen wurde sich von der kunstlich geschaffenen slowenischen Schriftsprache so sehr unterscheiden dass eine Verstandigung nur schwer moglich sei Fur diese Behauptung fuhrt Wutte auch angebliche Aussagen von slowenischen Personlichkeiten an Nationalgefuhl Nationalbewusstsein und nationales Bekenntnis Bearbeiten Karntner Slowenen hatten sich in der Vergangenheit z B 1848 massiv gegen einen Anschluss ihres Gebietes an eine geplante Verwaltungseinheit Slowenien innerhalb Osterreich Ungarns gewehrt Sie waren im Karntner Abwehrkampf Seite an Seite mit den Deutschkarntnern gestanden und sie haben sich in der Volksabstimmung fur Osterreich entschieden Schlussfolgerung Bearbeiten Im letzten Kapitel des Aufsatzes zieht Wutte Schlussfolgerungen die zum Teil in Widerspruch zu seiner bisherigen Argumentationskette stehen Er zitiert ein slowenisches Medium Zeitung Slovenec vom 26 April 1927 in dem offenbar aus Enttauschung uber den ungunstigen Ausgang der Volksabstimmung die Karntner in drei Gruppen geteilt werden Die Mehrheit die Minderheit und ein drittes Element die Nemcurji die wirtschaftlich und nach der Gesinnung nach Norden orientiert kulturell und dem Fuhlen nach aber slowenisch sei Wutte ubernimmt diese Gliederung interpretiert sie aber im Sinne der Gewinner der Volksabstimmung um Die heimattreuen oder deutschfreundlichen Slowenen seien in ihrem Wesen gar keine Slowenen sondern eine im Gegensatz zu den nationalen Slowenen stehende Mittelschicht Somit konnten die slowenischsprachigen Karntner in zwei Gruppen geteilt werden die nationalen Slowenen die durch das Abstimmungsergebnis in einen Staat mit fremder Bevolkerung gepresst wurden und ihr Heil in der Pflege der slowenischen Kultur suchen deren Zentrum sich ausserhalb der neuen Staatsgrenzen befindet die andere Gruppe die in der Volksabstimmung fur Osterreich gestimmt hat ihr Gedeihen nur in Verbindung mit der deutschen Kultur sieht und mit der slowenischen Minderheit nichts zu tun hat Der Aufsatz enthalt keine Zitate und scheint auch nicht den Anspruch zu erheben eine wissenschaftliche Arbeit darzustellen Es wird vom Autor allerdings mehrmals behauptet dass die vorgebrachten Argumente wissenschaftlicher Forschung entstammten Wissenschaftliche Bewertung der Windischentheorie BearbeitenMehrere wissenschaftliche Arbeiten Priestley Hunter siehe Literaturverzeichnis kommen zum Schluss dass die Unterschiede zwischen der slowenischen Hochsprache und deren Karntner Auspragung wesentlich geringer als behauptet seien Hunter die Slowenisch nicht aber Deutsch spricht konnte sich mit slowenischsprachigen Bewohnern des Karntner Gailtales problemlos unterhalten Die im Kapitel Abstammung angefuhrten anthropologischen Beweise u a Korperbau Kopfform entsprechen nicht mehr dem aktuellen Stand der Wissenschaft diese Methoden haben durch die Entwicklungen auf dem Gebiet der Genetik weitgehend an Bedeutung verloren Allerdings bedarf die Vermutung dass es in einem multikulturellen Umfeld haufig zu Mischehen kam wohl nicht unbedingt einer wissenschaftlichen Beweisfuhrung Im Ubrigen gibt die Argumentationskette selbst kaum Anlass zu Kontroversen die Schlussfolgerung hingegen wird vor allem von Angehorigen der slowenischen Volksgruppe in Karnten als beleidigend empfunden Der Begriff windisch ist im offentlichen Sprachgebrauch Karntens tabuisiert Mythen rund um die Windischentheorie BearbeitenUm die Windischentheorie ranken sich auch einige Mythen So wird behauptet Wutte hatte die Karntner Slowenen als Abkommlingen der Lausitzer Wenden bezeichnet Ebenso unhaltbar ist die verbreitete Meinung Wutte hatte die Karntner Slowenen in zwei Ethnien gespalten Darauf gibt es im Text keinen Hinweis die Unterscheidung erfolgt vielmehr nach politischen Kriterien insbesondere nach der Assimilationsbereitschaft Karntner Slowenen und Windische heute BearbeitenDie Mehrheit der slowenischsprachigen Karntner bezeichnet sich heute als Karntner Slowenen Sie verstehen den Begriff Windische pejorativ und als Versuch die slowenische Bevolkerungsgruppe zu spalten und zu schwachen Eine kleinere Gruppe bezeichnet sich als Windisch und tragt diese Bezeichnung mit Selbstbewusstsein Quellen Bearbeiten Martin Wutte Deutsch Windisch Slowenisch Originaltext als Faksimile Volkszahlung 2001 Hauptergebnisse I Karnten Tabelle 14 Master Thesis von Katherine Hunter PDF Datei 4 44 MB Seite 52 vgl dazu ausfuhrlich Heinz Pohl Die ethnisch sprachlichen Voraussetzungen der VolksabstimmungLiteratur BearbeitenMartin Wutte Deutsch Windisch Slowenisch Klagenfurt 1927 nachgedruckt 1930 in Gedenkbuch Kampf um Karnten hrsg v J F Perkonig Klagenfurt Katherine Hunter The Slovene Speaking Minority of Carinthia The Struggle for Ethnolinguistic Identity in the Gail Valley S 51ff Edmonton Alberta 2000 Thesis submitted to the Faculty of Graduate Studies and Research in partial fulfillment of the requirements for the degree of Master of Arts in Applied Linguistics Department of Modern Languages and Cultural Studies Tom Priestley On the development of the Windischentheorie International Journal of the Sociology of Language 124 75 98 1997 Special Issue Sociolinguistics of Slovene Siehe auch BearbeitenWindische Sprache Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Windischentheorie amp oldid 201551590