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Unter einer trophischen Kaskade versteht man eine uber die Nahrungskette vermittelte Veranderung der Produktion eines Okosystems durch den Einfluss von Raubtieren und anderen Fressfeinden auf Pflanzenfresser sowie von Spitzenpradatoren auf Mesopradatoren und deren Beutearten Inhaltsverzeichnis 1 Hintergrund 2 Fallbeispiele 3 Bedeutung 4 EinzelnachweiseHintergrund BearbeitenInnerhalb eines Okosystems hangen die Produktion an Biomasse und der Stoffumsatz generell vom Trophieniveau ab Grune Pflanzen haben eine hohere Produktion an Biomasse als die Pflanzenfresser diese eine hohere als die Konsumenten zweiter Ordnung Fleischfresser usw Diese Nahrungspyramide ergibt sich aus den mit jedem Konsumtionsvorgang verbundenen Umwandlungsverlusten und aus dem Verbrauch an fur die Lebenserhaltung erforderlicher Stoffwechselenergie Die Organismen der hoheren Trophieniveaus sind also im Regelfall durch das Nahrungsangebot aus dem darunter liegenden Trophieniveau d h ihrer Nahrung oder Beute in ihrer eigenen Produktion limitiert Es gibt eine grossere Menge an grunen Pflanzen als an Pflanzenfressern mehr Pflanzenfresser als Fleischfresser usw Die Relationen in der Biomassenproduktion zwischen den Trophieniveaus stehen meist in einem festen Verhaltnis zueinander typischerweise etwa 1 10 das entspricht 90 Verlust beim Ubergang in ein hoheres Niveau Allerdings beobachtet man in vielen untersuchten Okosystemen dass die tatsachlichen Verhaltnisse von diesem Modell abweichen Die Populationsdichte einer pflanzenfressenden Tierart wird in diesen Fallen nicht durch ihre Nahrungsressourcen von unten sondern von oben durch ihre Pradatoren begrenzt bzw reguliert Dadurch wird die Populationsdichte der jeweiligen pflanzenfressenden Arten geringer als es dem Nahrungsangebot nach zu erwarten ware Ist nun die Dichte der Pflanzenfresser unter ihren Erwartungswert vermindert konnen die Bestande ihrer Nahrungspflanzen zunehmen und eine grossere Menge an Biomasse aufbauen Das bedeutet Indirekt durch ihren Einfluss auf die Pflanzenfresser bestimmen in einem solchen System die Pradatoren die Produktion an pflanzlicher Biomasse entscheidend mit Auch Krankheiten oder Parasiten konnen am Ende einer Nahrungskette stehen und mit einem Top Down Effekt den Bestand einer pflanzenfressenden Tierart verringern Das Biotop enthalt dann mehr pflanzliche Biomasse als ein anderes vergleichbarer Produktivitat in dem ein solcher Effekt nicht besteht Dieser indirekte Effekt den die Pradatoren auf Primarproduzenten ausuben wird trophische Kaskade genannt Der Einfluss trophischer Kaskaden ist nicht auf Okosysteme mit drei Trophieniveaus beschrankt Auch Pradatoren zweiter dritter und hoherer Ordnung konnen durch ihren Einfluss auf Organismen der jeweils unter ihnen liegenden Niveaus ebenso trophische Kaskaden auslosen Wurde ein Spitzenpradator der vierten Ebene die Dichte der Pradatoren des darunter liegenden Niveaus die Mesopradatoren stark vermindern konnen die Pflanzenfresser dadurch haufiger werden als erwartet und dadurch nun wieder die Pflanzenbiomasse stark vermindern Da in realen Okosystemen die Zahl der Trophieniveaus aus energetischen Grunden meist bei drei bis vier und in selteneren Fallen daruber liegt spielen solche Effekte in der Praxis eine geringere Rolle Ist in einem Okosystem eine trophische Kaskade wirksam kann man dies experimentell nachweisen Dazu muss man die Bestandsdichte des Pradators von dem man annimmt dass von ihm eine trophische Kaskade ausgeht experimentell vermindern In dem Fall in dem eine Kaskade wirksam ist sollte nun nicht nur die Biomasse seiner Beuteart oder Beutearten ansteigen sondern im trophischen Niveau darunter sollte sich die Biomasse nun verringern Zum Beispiel konnte sich ein Bestand an Pflanzen verringern wenn ein Pradator aus dem System entfernt wurde Passiert das nicht war keine trophische Kaskade wirksam In diesem Fall ist es wahrscheinlicher dass das System von unten her gesteuert ist z B durch Umweltfaktoren wie die Niederschlagsmenge und den Nahrstoffgehalt des Bodens der die Biomassenproduktion der Pflanzen viel starker begrenzt als es in diesem Fall der betreffende Fleischfresser vermag Solche Experimente konnen auch unbeabsichtigt erfolgen wenn ein Okosystem durch menschlichen Einfluss verandert worden ist Fallbeispiele BearbeitenTrophische Kaskaden wurden von Okologen in einer Vielzahl von Okosystemen nachgewiesen In einer Serie klassischer Experimente konnten Carpenter und Kitchell in mehreren nebeneinander liegenden kleinen Seen trubes Wasser mit hohem Phytoplanktongehalt oder klares Wasser mit wenig Phytoplankton dadurch erzeugen indem sie die Dichte der Raubfische die selbst andere Fische aber kein Plankton fressen erhohten oder verminderten 1 Diese Resultate konnten in zahlreichen weiteren Studien bestatigt werden 2 An der flachen Felskuste der St Margarets Bucht Nova Scotia konnte gezeigt werden dass das Abfischen von Hummern zum Verschwinden der ausgedehnten Seetangwalder gefuhrt hat Grund war hier die Ausbreitung von Seegurken die den Tang abweiden Die Seegurken wurden so lange von den Hummern kurz gehalten 3 Es wird angenommen dass trophische Kaskaden in aquatischen Okosystemen bedeutsamer sind und haufiger auftreten 4 als in terrestrischen Systemen Das zeigen zumindest zahlreiche Beispiele 5 Trophische Kaskaden konnen auch durch Verhaltensanderungen ausgelost werden Im Yellowstone Nationalpark im westlichen Nordamerika beobachtete man uber Jahrzehnte einen kontinuierlichen Ruckgang der Amerikanischen Zitterpappeln Populus tremuloides die dort als Ufergeholze an Bachen und Flussen wachsen Neben anderen Faktoren lag die Ursache hierfur im starken Wildverbiss durch Wapiti Hirsche die durch Abfressen der Jungpflanzen die Naturverjungung verhinderten Seit der Wiederansiedlung des Wolfes 1995 beobachtete man eine Erholung der Uferwaldchen Das wurde von einigen Autoren so gedeutet dass Vegetationsstruktur des Gebiets von der Anwesenheit der Wolfe abhing wobei diese als Pradatoren einen indirekten Effekt darauf hatten 6 Andere Autoren hingegen stellten spater fest dass obwohl Wolfe sich durchaus auf die Anzahl der Hirsche auswirken neben Grizzlybaren noch andere Faktoren eine Rolle spielen Dezimierung der Hirschpopulation durch Durre sowie Bejagung von Hirschen die im Winter aus dem Park abwandern Wissenschaftler verglichen die Pappeln in Bereichen in denen die Gefahr eines Wolfsangriffs hoch oder niedrig war und kamen zu dem Ergebnis dass die hochsten Pappeln in Bereichen wuchsen in denen Biberstaudamme eine Uberflutung der Bachauen herbeifuhrten so dass die Wapitis nicht mehr an den Uferbewuchs herankamen Die Forscher spekulieren dass nach dem Abzug der Wolfe in den 1920er Jahren bei fehlender Bejagung der Hirsche im Nationalpark die Wapitis derart viel von den jungen Pappeln fressen konnten dass keine mehr fur die Lebensraumgestaltung der Biber ubrig blieben was damals zum Verschwinden der Biber fuhrte also eine komplexere Form der trophischen Kaskade 7 8 Die grossen Pflanzenfresser wie Wapitis Weisswedelhirsche Elche und Bisons werden durch die Wolfe in standiger Bewegung gehalten und asen nicht mehr uber mehrere Tage auf ein und derselben Flache und fressen nicht mehr jeden jungen Baumtrieb ab Auch meiden sie Gebiete in denen sie Wolfen zum Opfer fallen konnen Bei Antipradator Verhalten in Form von raumlichem Ausweichen wirkt der Kaskaden Effekt nicht durch Erbeuten sondern durch Vertreiben der betreffenden pflanzenfressenden Arten 9 Bedeutung BearbeitenUber den generellen Einfluss trophischer Kaskaden in Okosystemen gibt es innerhalb der okologischen Wissenschaft noch keine Einigkeit 10 Obwohl die Existenz des Phanomens generell kaum bestritten wird ist seine Relevanz unklar Wahrend einige Forscher Kaskaden in nahezu allen Okosystemen am Werk sehen sind sie nach anderer Ansicht eher seltene Ausnahmefalle In zahlreichen Studien wurde teilweise der Einfluss von Kaskaden wahrscheinlich gemacht wahrend sich in vielen anderen Fallen keine solchen Effekte nachweisen liessen 11 Als Effekte die dem Wirken von Kaskaden in naturlichen Systemen entgegenwirken wurden u a ausgemacht starke raumliche Heterogenitat des Lebensraums stark vernetzte Nahrungsnetze anstelle einfacher Nahrungsketten geringe Produktivitat und Nahrstoffgehalte geringe Effizienz von Pflanzenfresser oder Rauberarten 12 Einzelnachweise Bearbeiten Stephen R Carpenter James F Kitchell Consumer Control of Lake Productivity In BioScience Vol 38 No 11 How Animals Shape Their Ecosystems 1988 S 764 769 Michael T Brett Charles R Goldman A meta analysis of the freshwater trophic cascade In Proceedings of the National Academy of Sciences USA Vol 93 1996 S 7723 7726 Ubersicht In J K Pinnegar N V C Polunin P Francour F Badalamenti R Chemello M L Harmelin Vivien B Hereu M Milazzo M Zabala G D Anna C Pipitone Trophic cascades in benthic marine ecosystems lessons for fisheries and protected area management In Environmental Conservation Band 27 Nr 2 Juni 2000 S 179 200 doi 10 1017 S0376892900000205 Donald R Strong Are Trophic Cascades All Wet Differentiation and Donor Control in Speciose Ecosystems In Ecology Vol 73 No 3 1992 S 747 754 J Halaj D H Wise Terrestrial trophic cascades how much do they trickle In American Naturalist Bd 157 Nr 3 2001 S 262 281 Cristina Eisenberg S Trent Seager David E Hibbs Wolf elk and aspen food web relationships Context and complexity In Forest Ecology and Management Band 299 1 Juli 2013 S 70 80 doi 10 1016 j foreco 2013 01 014 Emma Marris Okologie Das Marchen vom Wolf Spektrum 2014 Valerius Geist Big Game Forever Banquet and Wolf Symposium John W Laundre Lucina Hernandez Kelly B Altendorf Wolves elk and bison reestablishing the landscape of fear in Yellowstone National Park U S A In Canadian Journal of Zoology 15 Februar 2011 doi 10 1139 z01 094 Emma Marris Okologie Das Marchen vom Wolf auf spektrum de 9 April 2014 Jonathan B Shurin Elizabeth T Borer Eric W Seabloom Kurt Anderson Carol A Blanchette Bernardo Broitman Scott D Cooper Benjamin S Halpern A cross ecosystem comparison of the strength of trophic cascades In Ecology Letters 5 2002 S 785 791 doi 10 1046 j 1461 0248 2002 00381 x E T Borer E W Seabloom J B Shurin K E Anderson C A Blanchette B Broitman S D Cooper B S Halpern What determines the strength of a trophic cascade In Ecology 86 2005 S 528 537 doi 10 1890 03 0816 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Trophische Kaskade amp oldid 233132068